Kleine Anfrage der Abg. Dr. Neuschäfer (SPD) vom 22.09.2014 betreffend Unterstützungssysteme für pflegende Angehörige und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Mit der Pflege eines hilfebedürftigen Menschen ändert sich häufig auch das Leben der Pflegenden komplett. Die Pflege eines hilfebedürftigen Menschen führt zu unzähligen Veränderungen im Leben des Pflegenden. Neben körperlicher und emotionaler Belastung bringt Pflege oft hohe Kosten, jede Menge "Papierkrieg", aber auch viele offene Fragen zum praktischen Alltag mit sich. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen und damit die Zahl derjenigen, die pflegen. In Hessen werden über zwei Drittel der Pflegedürftigen zuhause (mehrheitlich) von Angehörigen gepflegt. Dies bedeutet für die pflegenden Angehörigen eine hohe physische und psychische Belastung. Viele von ihnen sind zudem berufstätig und stehen damit oftmals vor dem Problem, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Familienmitglied und dem Arbeitgeber gerecht zu werden. Um Pflege weitgehend zuhause zu ermöglichen und um Pflegende zu unterstützen, gibt es in Hessen eine Reihe von Maßnahmen. Um insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu erleichtern, wurde in Hessen zudem die hessische Initiative zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ins Leben gerufen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Initiativen ergreift die Landesregierung, um pflegende Angehörige optimal in der häusli- chen Pflege zu unterstützen? Welche Initiativen sind/werden initiiert? Maßnahmen zur Unterstützung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen: Nach § 45c SGB XI eröffnet das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung die modellhafte Förderung von ambulanten Versorgungskonzepten und -strukturen für demenziell Erkrankte zur Verbesserung der ambulanten häuslichen Versorgung einschließlich der wissenschaftlichen Begleitforschung. Gefördert werden ehrenamtliche Strukturen und Selbsthilfegruppen , -organisationen, die sich die Unterstützung von Pflegebedürftigen, von Menschen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zum Ziel gesetzt haben. Nach dem Gesetz sind die Modelle wissenschaftlich zu begleiten und auszuwerten. Nach § 45d SGB XI erfolgt die Förderung von Selbsthilfekontaktstellen auf wohnortnaher Ebene arbeitender Beratungseinrichtungen mit hauptamtlichem Personal, die Dienstleistungsangebote zur methodischen Anleitung, Unterstützung und Stabilisierung von Selbsthilfegruppen anbieten und diese aktiv bei der Gruppengründung oder in schwierigen Situationen durch infrastrukturelle Hilfen (Räume, Beratung oder supervisorische Begleitung) unterstützen. In der Betreuung von demenziell erkrankten Menschen durch Ehrenamtliche ist es wichtig, dass die meist im Rahmen von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten Tätigen Qualifizierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen können. Das Land Hessen fördert hier Qualifizierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Kriterien, die in den Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes und des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen e.V. vom 24. Juli 2002 in der Fassung vom 8. Juni 2009 zur Förderung niedrigschwelliger Betreuungsangebote, ehrenamtlichen Strukturen und der Selbsthilfe sowie Modellvorhaben zur Erprobung neuer Versorgungskonzepte und Versorgungsstrukturen nach § 45c Abs. 6 SGB XI in Verbindung mit § 45 d Abs. 3 SGB XI enthalten sind. Eingegangen am 6. November 2014 · Ausgegeben am 11. November 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/900 06. 11. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/900 Mit dem Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflegeweiterentwicklungsgesetz ) vom März 2008 wurde die Einführung von Pflegestützpunkten gem. § 92c Absatz 1 SGB XI zur wohnortnahen Beratung, Versorgung und Betreuung der Versicherten vorgesehen. Hierzu wurde ein Rahmenvertrag für die Arbeit und Finanzierung der Pflegestützpunkte am 1. Mai 2009 zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und der Krankenkassen und den Kommunalen Spitzenverbänden abgeschlossen. Auf der Grundlage der Vorgaben des Rahmenvertrages werden in den einzelnen Gebietskörperschaften Pflegestützpunktverträge vereinbart. Die Träger der Pflegestützpunkte sind immer die Landesverbände der Pflegekassen und Krankenkassen in Hessen und die jeweilige Gebietskörperschaft. Der Standort ist immer an eine kommunale Einrichtung angebunden. Die Landesregierung unterstützte die Arbeit der Pflegestützpunkte mit der wissenschaftlichen Begleitung der Implementierung der Pflegestützpunkte. Dabei wurde von dem beauftragten Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main ein Bemessungsverfahren zur "wohnortnahen Versorgung" entwickelt. Dieses Bemessungsverfahren ist als ein Angebot für die Verhandlungen zum Abschluss von Pflegestützpunktverträgen vor Ort zu verstehen, das offen prozessual angelegt ist und somit an regionale Entwicklungen angepasst werden kann. Schließlich wurde am 1. Oktober 2013 der erste Evaluationsbericht des Steuerungsausschusses der Partner der Rahmenvereinbarung der Öffentlichkeit vorgestellt. Er dokumentiert die erfolgreiche Arbeit der Pflegestützpunkte in Hessen mit einer hohen Kundenzufriedenheit. Zur Unterstützung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wurde bereits im Jahre 2012 das Beratungs- und Informationsportal www.pflege-in-hessen.de zu Fragen rund um die Pflege eingerichtet. Mit Hilfe dieses Portals kann sich jede/r Ratsuchende/r ihren/seinen persönlichen Leitfaden zusammenstellen. Zudem wird über dieses Portal auch ein direkter Zugriff auf die Broschüre "Pflegebedürftig - Was ist zu tun?" hergestellt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gewinnt das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in Zukunft zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen vor der Herausforderung, die Pflege eines Familienmitglieds und die Berufstätigkeit im Arbeitsalltag miteinander zu vereinbaren. Daher hat das Hessische Ministerium für Soziales und Integration mit der AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen, der berufundfamilie gGmbH - eine Initiative der Hertie-Stiftung und dem Bildungswerk der hessischen Wirtschaft e.V. die hessische Initiative zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ins Leben gerufen. Ziel ist die Sensibilisierung von Arbeitgebern, die Enttabuisierung der Pflegeaufgaben von Beschäftigten , die Verbesserung des Informationsstandes über gesetzliche Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen für Beschäftigte, das Aufzeigen von Best-Practice Beispielen und Umsetzungsmöglichkeiten in Unternehmen, das Bereitstellen von konkreten, regional eingebetteten , möglichst niederschwelligen Unterstützungsangeboten. Ziel ist letztlich die Erhöhung der Anzahl an hessischen Unternehmen, die sich bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege engagieren . Die Initiative zielt insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen. Es wurde ein Praxisleitfaden "Beruf und Pflege vereinbaren - Lösungsansätze und Praxisbeispiele aus Hessen " entwickelt, es werden Informationsveranstaltungen für Arbeitgeber, Kompetenztrainings für Beschäftigte und Qualifizierungsmaßnahmen für innerbetriebliche Ansprechpartner/-innen (Pflege-Guides) angeboten. Im Rahmen der Initiative wurde die Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege entwickelt, die bundesweit einmalig ist und mit deren Beitritt Arbeitgeber sich selbst verpflichten und öffentlich dazu bekennen, sich bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu engagieren und ihre pflegenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen. Zur Information über Möglichkeiten und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wurde im Juli 2014 das Portal www.berufundpflege.hessen.de frei geschaltet. Es richtet sich sowohl an pflegende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch an Unternehmen, vernetzt die Akteure miteinander und wächst mit der Initiative. Frage 2. Von wie vielen Unternehmen wurde die Initiative "Beruf und Pflege vereinbaren - die Hessische Initiative" genutzt, um Beruf und Pflege für Beschäftigte besser miteinander vereinbar zu gestalten ? Seit dem Start der hessischen Initiative zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege im Jahr 2013 konnten bisher über 350 Arbeitgeber über Informationsveranstaltungen, Kompetenztrainings, Pflege-Guide-Schulungen und über telefonische und persönliche Beratungen erreicht werden. Die Vielfalt der erreichten Arbeitgeber ist dabei hinsichtlich Größe und Branchen groß. Frage 3. Wie viele Unternehmen haben bereits die Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege unter- zeichnet? Seit dem Start der Initiative im Jahr 2013 haben bisher 51 Unternehmen und Organisationen die Charta unterzeichnet. Für das Jahr 2015 gibt es bereits rund 20 Interessenten. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/900 3 Frage 4. Wie wird die Umsetzung der in der Charta vereinbarten Ziele vereinbart? Der Beitritt zur Charta ist eine freiwillige Selbstverpflichtung für die Unterzeichnenden. Sie dokumentieren damit öffentlich gegenüber den Beschäftigten, dass sie sich bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege engagieren und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Maßnahmen im Betrieb dabei unterstützen. Grundsätzlich erfolgt die Vereinbarung über freiwillige Angebote, die den Bedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Erfordernis des Betriebes gleichermaßen aufgreifen sollen. Es ist geplant, ein Netzwerk zwischen den Charta-Unterzeichnern aufzubauen, um Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit zu sichern. Frage 5. Welche Erfahrungen und Ergebnisse liegen bisher vor? Die Einsicht in die Notwendigkeit, sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu engagieren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierbei zu unterstützen, ist bisher vor allem bei großen Unternehmen und Organisationen angekommen. Gründe hierfür sind, dass sie über Stabstellen wie beispielsweise Gleichstellungsbeauftragte, Personalentwicklungsabteilung oder Sozialberatungen verfügen, dass sie teilweise bereits durch die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung betriebliche Wege aufgebaut haben und über Strategien zur Sicherung von Fachkräften verfügen. Kleine und mittlere Unternehmen stehen vielfach noch am Anfang, vereinzelt beginnen sie sich mit der Fragestellung zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu befassen. Einige sehen es (noch) nicht als ihre Aufgabe, ihre Beschäftigten zu unterstützen. Vielen kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es an Ressourcen und/oder an Wissen darüber, was sie ihren Beschäftigten mit welchem personellen und finanziellen Aufwand und mit welchen Partnern anbieten können. Über die Teilnahme an Informationsveranstaltungen und Kompetenztrainings, über Beratung und über die Vermittlung von Best Practice Beispielen werden v.a. den kleinen und mittleren Unternehmen sowohl die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege als auch die "Machbarkeit" im Interesse aller Beteiligten deutlich. Erfolgsfaktoren der Initiative sind insbesondere: Das Zusammenwirken von landesweiten (Charta ) und regional verankerten Projektbausteinen (Kompetenztrainings, Infoveranstaltungen und Pflege-Guide-Schulungen), das aufeinander abgestimmte Angebot von niedrigschwelligen bis zu umfangreichen Maßnahmen, die Bildung von Projektpartnerschaften zwischen relevanten Akteuren mit unterschiedlichen Zugängen zum Thema und zur Zielgruppe sowie die Einbindung von lokalen Akteuren, Kammern, Kommunen, Sozialpartnern und Innungen. Die Charta ist ein sehr gutes Instrument, das Thema in Unternehmen zu platzieren und Öffentlichkeit herzustellen. Wiesbaden, 6. November 2014 In Vertretung: Dr. Wolfgang Dippel