Kleine Anfrage der Abg. Löber (SPD) vom 22.09.2014 betreffend Zertifikate für regionale Produkte und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragestellerin: In den letzten Jahren entstanden im Bereich des Verbraucherschutzes, welcher mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, fortwährend neue Qualitätssiegel. Für viele Bürgerinnen und Bürger gewinnt die regionale Erzeugung an Bedeutung, so auch in Hessen. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie definiert die Landesregierung den Begriff Region? Die gängigen Kriterien zur Abgrenzung von Regionen sind Homogenität und Funktionalität. Unter dem Homogenitätskriterium werden Regionen zusammengefasst, die einander in bestimmten Indikatoren sehr ähnlich, abgrenzbar und nachprüfbar sind. Dies können z.B. naturräumliche Abgrenzungskriterien (gleiche Geologie oder ein ähnliches Klima) oder bestimmte arbeitsmarktpolitische oder gesellschaftliche Kriterien sein. Nach dem Funktionalitätskriterium werden Gebietseinheiten zusammengefasst, welche miteinander nach bestimmten Indikatoren in besonders enger Verbindung bzw. wechsel-seitiger Abhängigkeit stehen. Beispiele für die Abgrenzung einer Region sind Verflechtungen wirtschaftlicher Faktoren oder ökologischer Systeme. Aus den vorgenannten Gründen ist eine einheitliche Definition nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da eine solche sehr stark vom jeweiligen fachlichen Bezug abhängt. In Annäherung an eine Definition trifft für den Verbraucherschutz und das Agrarmarketing wohl folgende Aussage am ehesten zu: Ein von Verbraucherinnen und Verbrauchern nach naturräumlichen, politischen oder kulturellhistorischen Kriterien im Hinblick auf Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft abgegrenzter Teil Hessens. Frage 2. Wie gedenkt die Landesregierung, Erzeuger heimischer Produkte, die diese in der Region ver- markten wollen, in Zukunft konkret besser zu unterstützen? Zur Verbesserung der Verarbeitungs-, Vermarktungs- und Vertriebsstrukturen im ländlichen Raum unterstützt die Landesregierung gezielt die Schaffung und Entwicklung kurzer Versorgungsketten und lokaler Märkte sowie den Erhalt und die Ausweitung regionaler Wertschöpfungsketten , vor allem mit dem Ziel, die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklung im ländlichen Raum zu stärken und regional erzeugte Produkte in den hessischen Regionen noch besser absetzen zu können. Zentrale Instrumente für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen sind der Entwicklungsplan für den ländlichen Raum des Landes Hessen 2014 bis 2020 (EPLR) mit handlungsbedarfsorientierten Fördermaßnahmen sowie der Aktionsplan für die Weiterentwicklung des Ökologischen Landbaus in Hessen mit seiner ökologisch-regionalen Ausrichtung. Beispielsweise wird in dem Förderprogramm Marktstrukturverbesserung neben den bisherigen Fördertatbeständen künftig auch die Gewährung von Investitionsbeihilfen für die Anschaffung von Sachgütern zur Umset- Eingegangen am 7. November 2014 · Ausgegeben am 12. November 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/912 07. 11. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/912 zung von Dienstleistungen gefördert und die Enderzeugnisse der Verarbeitung müssen nicht mehr zwingend ein landwirtschaftliches Erzeugnis sein. Da die Schwerpunkte unter anderem auf die Erfassung und Verarbeitung hessischer Erzeugnisse sowie der Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten gelegt werden, führt dies zusätzlich zur Unterstützung von Erzeugern heimischer Produkte. Im Rahmen der Förderung der Diversifizierung in landwirtschaftlichen Unternehmen sind gegenüber der letzten Jahre weitergehende Fördermöglichkeiten vorgesehen. So können die Unternehmen nicht nur kleine Investitionen tätigen, sondern aufgrund der Anhebung der maximalen Investitionssumme auch größere Vorhaben umsetzen. Sind bisher diese Vorhaben nur in bestimmten hessischen Regionen möglich gewesen, soll die Fördergebietskulisse in der neuen Förderperiode weiter gefasst werden. Dadurch sollen auch die landwirtschaftlichen Unternehmen im Umfeld der Zentren unterstützt werden können. Erzeuger, Erzeugerzusammenschlüsse und Betriebe der Verarbeitung und Vermarktung können bei der Realisierung investiver und nichtinvestiver Vorhaben mit dem Ziel der Verbesserung der betrieblichen Strukturen, aber auch der sektoralen Gesamtstruktur, insbesondere mit folgenden EU-kofinanzierten Förderprogrammen finanziell unterstützt werden: EPLR Hessen 2014-2020 (verschiedene Teilmaßnahmen; vorbehaltlich der noch ausstehenden EU-Genehmigung durch die EU-Kommission): - Förderung der Marktstrukturverbesserung, - Förderung von Investitionen zur Schaffung und Entwicklung nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeiten (Diversifizierung), - Europäische Innovationspartnerschaft "Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit ", - Vorhaben zur Förderung von Kooperationen in den Bereichen Aufstellung und Entwicklung von kurzen Lieferketten und lokalen Märkten, Unterstützung von Aktionen zur Minderung oder Anpassung an den Klimawandel sowie Unterstützung lokaler Strategien außerhalb von LEADER. Außerhalb der Förderung über den EPLR 2014 bis 2020 kann die Gründung und das Tätigwerden von Erzeugerzusammenschlüssen mit rein national finanzierten Organisationsbeihilfen zusätzlich über bis zu fünf Jahre unterstützt werden, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und auf diese Weise zur Absatzsicherung oder zur Schaffung von Erlösvorteilen auf Erzeugerebene beizutragen. Mit den angebotenen Förderinstrumenten sollen landwirtschaftliche Erzeugung und regional vorhandene Kapazitäten der Verarbeitung und Vermarktung noch stärker als bisher miteinander verzahnt werden. Hierbei spielt die Förderung der Zusammenarbeit eine wesentliche Rolle. Die Erzeuger müssen geeignete und wettbewerbsfähige Verarbeitungsbetriebe (Molkereien, Mühlen, Schlachtstätten etc.) in der Region nutzen können, um die regional erzeugten Produkte marktgerecht aufbereiten und vermarkten zu können. Zudem soll mit der Marketinggesellschaft "Gutes aus Hessen" und der Lebensmittelwirtschaft eine Strategie zur Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten entwickelt werden. Dies betrifft vor allem die Erhöhung des Absatzes von in Hessen erzeugten ökologischen Lebensmitteln oder tierischen Erzeugnissen auf der Basis heimischer Futtermittel. Der Aktionsplan für die Weiterentwicklung des Ökologischen Landbaus in Hessen enthält auch einen Vorschlag zur Auslobung von Ökolandbau-Regionen. Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Zertifizierung "Regionalfenster", welche durch die vorhe- rige schwarz-gelbe Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde? Im August 2012 wurde in Fulda der bundesweite Trägerverein "Regionalfenster e.V." gegründet . Die Gründungsmitglieder kommen aus den Bereichen Lebensmittelerzeugung und - verarbeitung, dem ökologischen Landbau, dem Lebensmittelhandel, Ernährungshandwerk und dem Lebensmittelmarketing. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, auf Bundesebene ein privates System mit einheitlicher, freiwilliger Kennzeichnung regionaler Produkte zu etablieren. Der Regionalfenster e.V. organisiert ein Prüf- und Sicherungssystem und vergibt Lizenzen an Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft . Das Konzept entstammt einem Gutachten, dass das frühere Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben hatte und dessen Erprobungsphase als Forschungs- und Entwicklungsvorhaben ebenfalls vom Bund gefördert wurde. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/912 3 Das Regionalfenster ist keine staatliche Aktivität und bedarf auch keiner Gesetzgebung. Aus Sicht der Landesregierung kann es aber zum flexiblen Eingehen auf Verbraucherinteressen und zu deren Schutz gut genutzt werden, da es vor allem für den Verbraucher transparent, verständlich und glaubwürdig ist. Frage 4. Worin besteht der Unterschied zwischen den Zertifikaten "Gutes aus Hessen" und dem "Regio- nalfenster"? "Geprüfte Qualität Hessen" ist das Qualitätssiegel des Landes Hessen für Lebensmittel und wird von der Marketinggesellschaft "Gutes aus Hessen" e.V. für das Land treuhänderisch verwaltet. Für Erzeugnisse und Verarbeitungsprodukte wurden Produktionsrichtlinien geschaffen und von der EU-Kommission notifiziert. Dazu war es erforderlich, dass zumindest ein Kriterium über dem gesetzlichen Standard liegt. Das Kontrollsystem wird in den Betrieben von akkreditierten, privaten Kontrollstellen umgesetzt. Das "Regionalfenster" ist eine durch den gleichnamigen Verein bundesweit angebotene Kennzeichnung (hierzu wird auch auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen). Es beinhaltet ausschließlich Angaben über die Herkunft der eingesetzten landwirtschaftlichen Zutaten und den Ort der Verarbeitung. Die Regionalität kann ausgelobt werden, wenn die erste Hauptzutat zu 100 % aus der benannten Region kommt. Das "Regionalfenster" ist kein Qualitätssiegel, sondern eine Herkunftsinformation , kann aber mit Qualitätssiegeln kombiniert werden. Es wird nicht vom Land gefördert. Frage 5. Wer entscheidet über die Vergabe beider Zertifikate? Im Falle von "Geprüfter Qualität Hessen" trifft die Entscheidung über Zertifikate die beauftragte Kontrollstelle. Diese ist nach internationalen Normen akkreditiert und wird zusätzlich vom Regierungspräsidium Gießen im Sinne von "Kontrolle der Kontrolle", vergleichbar dem Ökokontrollsystem , überwacht. Die jährlich zu kontrollierenden Betriebe haben mit dieser Kontrollstelle und der Marketinggesellschaft "Gutes aus Hessen" privatrechtliche Verträge. Im Falle des "Regionalfensters" werden nach einem vergleichbaren Verfahren, aber ohne Mitwirkung des Landes, private Kontrollstellen tätig. Frage 6. An wen wurden beide Zertifikate bis heute in Hessen verliehen? Derzeit sind 721 Betriebe nach "Geprüfte Qualität Hessen" zertifiziert. Diese werden auf der Internetseite: http://www.gutes-aus-hessen.de/unsere-zeichen/gepruefte-qualitaet-hessen/mitgliedsbetriebe -partner.html veröffentlicht. Über die rein private Initiative "Regionalfenster" liegen keine exakten Daten für Hessen vor. Der Verein hat jedoch im Juni 2014 veröffentlicht und inzwischen bestätigt, dass bundesweit rund 300 Betriebe mit etwa 2200 Produkten das Kennzeichnungssystem nutzen wollen. Im Oktober 2014 waren 16 Betriebe mit etwa 130 Produkten auch nach "Geprüfte Qualität Hessen" zertifiziert, sowie 30 Betriebe mit etwa 400 Produkten auch nach EU-Ökolandbauverordnung. Frage 7. Wie sieht die Landesregierung die Chancen, den Bekanntheitsgrad der Zertifikate zu verbessern? Frage 8. Wenn eine Erhöhung der Bekanntheitsgrade angestrebt wird, wie soll dies für die Zertifikate "Gu- tes aus Hessen" und "Regionalfenster" geschehen? Die Fragen 7 und 8 werden gemeinsam beantwortet. Aus Sicht der Landesregierung bestehen gute Chancen, die Bekanntheitsgrade dieser Zeichen weiter zu verbessern. Dies ist im Falle des "Regionalfensters" allein Aufgabe der Wirtschaftsbeteiligten . Bei der "Geprüften Qualität Hessen" engagiert sich das Land seit den 90er Jahren durch die Mitwirkung in den Gremien der Marketinggesellschaft "Gutes aus Hessen", durch gemeinsame, öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und in den letzten Jahren durch den Marketingvertrag. Dieser wird kontinuierlich wissenschaftlich durch die Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Agrarpolitik und Marktforschung) begleitet. Der Bekanntheitsgrad und das Umsatzvolumen der hessischen Gütesiegel hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Der bekannte Trend zu regionalen, herkunftsgesicherten Lebensmitteln wird diese Entwicklung weiter tragen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/912 Frage 9. Welche weiteren Zertifikate können für regionale Produkte in Hessen vergeben werden? In Hessen werden die meisten Zertifikate privat und ohne Beteiligung des Landes vergeben, wie z.B. "Qualität und Sicherheit (Q+S)", mit dem auch am Produkt geworben wird, "Global GAP" oder KAT (Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen). Diese sind oft Zugangsvoraussetzung für die Eigenmarken des Lebensmitteleinzelhandels. Nach dem vom Land mit umzusetzendem Kontrollsystem der EU-Ökoverordnung waren in Hessen Ende 2013 2.552 Unternehmen zertifiziert, davon 1.767 Erzeuger mit 220 direkt vermarktenden Betrieben. Diese dürfen das deutsche und das EU-Biosiegel verwenden. Etwa 2/3 davon sind auch Mitglied in einem der Verbände des ökologischen Landbaus und nutzen zusätzlich deren Markenzeichen. Das vom Land über die Marketinggesellschaft vergebene "Biosiegel Hessen" nutzen 63 Betriebe. Weiterhin werden in Hessen die Zeichen "Landmarkt", eine Initiative der hessischen Direktvermarkter mit etwa 170 Teilnehmern, "Gutes aus Waldhessen" mit etwa 125 Teilnehmern, Dachmarke Rhön mit rund 200 Teilnehmern, Regionalmarke Odenwald mit 40 Betrieben und "Echt Odenwald" auf 11 Produkten ausgelobt. Nach der Verordnung der EU 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel sowie deren Durchführungsverordnungen und dem deutschen Markengesetz können geographische Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel gesetzlich geschützt werden. Es wird unterschieden in "geschützte geografische Angaben (g.g.A.)", "geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)" und "geschützte traditionelle Spezialitäten (g.t.S.)". In Hessen sind der Hessische Handkäse und der Hessische Apfelwein als g.g.A. und der Odenwälder Frühstückskäse als g.U. geschützt. Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung das derzeitige Angebot an regionalen Produkten in Supermärk- ten in Hessen? Quantitative Erkenntnisse über das Angebot in hessischen Supermärkten liegen nicht vor. Landespolitisches Ziel ist die Erhöhung des Marktanteils regional erzeugter Produkte im Lebensmitteleinzelhandel , in der Gemeinschaftsverpflegung und durch die Direktvermarktung. Zu diesem Zweck unterstützt das Land die Kennzeichnungen und Herkunftssicherungssysteme "Geprüfte Qualität Hessen", "Biosiegel Hessen" und die geschützten geografischen Angaben. Hierbei hat es auch dank des großen Verbraucherinteresses in den letzten Jahren Fortschritte gegeben . Der "Aktionsplan für mehr ökologischen Landbau in Hessen - Ökoaktionsplan" soll vor allem der steigenden Nachfrage nach Biolebensmitteln durch ein regionales Angebot befriedigen. Einige der dort angebotenen Maßnahmen stehen aber allen Betrieben offen. Wiesbaden, 5. November 2014 Priska Hinz