Kleine Anfrage der Abg. Gnadl (SPD) vom 28.09.2014 betreffend rechtsextremes Konzert in Hungen-Villingen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragestellerin: Am 08.09.2014 fand ein rechtsextremes Konzert in Hungen-Villingen statt. Spätestens seit der Dokumentation und dem zugehörigen Buch "Blut muss fließen" ist öffentlich bekannt, dass auf ähnlichen Veranstaltungen immer wieder verbotene Texte gesungen und illegale Tonträger und andere illegale Szeneutensilien vertrieben werden. Auf dem Konzert in Hungen-Villingen waren knapp 100 Personen anwesend. Von Augenzeugen wurde berichtet, dass Fahrzeugkennzeichen aus NRW und verschiedensten hessischen Landkreisen an einem Vorab-Treffpunkt in Wölfersheim gesehen wurden. Bemerkenswert ist, dass die hessische Neonaziszene an einem Montagabend knapp 100 Personen bei einem Konzert versammeln konnte. Dies lässt auch den Rückschluss zu, dass der in Netzwerken der Neonazis angekündigte Künstler Michael R. besser bekannt unter seinem Pseudonym "Lunikoff", tatsächlich anwesend war. Dieser Künstler wird auch immer wieder mit dem verbotenen Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour" in Verbindung gebracht und soll Mitglied in der rechtsextremen NPD sein. Außerdem kursieren Bilder im Internet, auf denen ehemalige Funktionäre der aufgelösten Partei "Die Rechte" aus Hessen gemeinsam mit "Lunikoff" posieren und in der Bildunterschrift ist vermerkt , dass dies ein "Foto mit Luni in Hessen, im Anschluss an einen NPD-Liederabend" sei. Das Foto wurde am 08.09.2014 um 23.54 Uhr im sozialen Netzwerk Facebook auf der Seite der "Nationalen Sozialisten Main-Kinzig" hochgeladen. Im Hintergrund der Bilder ist zu erkennen, dass die Veranstaltung in einem Festzelt stattgefunden hat. Außerdem sieht man einen Lautsprecher, der zur verwendeten Lautsprecheranlage zu gehören scheint. Das Konzert sollte also weithin hörbar gewesen sein. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Am Montag, dem 08.09.2014 ist dem Polizeipräsidium Mittelhessen bekannt geworden, dass ein Balladenabend mit "Lunikoff" stattfinden solle. Nachdem durch umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen der Vorab-Treffpunkt sowie der Veranstaltungsort bekannt waren, wurden intensive Kontrollmaßnahmen durchgeführt und dabei 92 Personen sowie 37 Pkw, überwiegend aus Hessen, festgestellt. Von den festgestellten Pkw konnten je ein Kennzeichen RheinlandPfalz , Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie drei Kennzeichen Thüringen zugeordnet werden. Im Gegensatz zu früheren Erfahrungen sind bei den angetroffenen Personen keine verbotenen oder verdächtigen Gegenstände, Propagandamaterial oder einschlägige CDs mit rechtsextremem Inhalt gefunden worden. Am Vorab- Treffpunkt sowie für den Veranstaltungszeitraum waren Polizeikräfte vor Ort und hätten bei Feststellung strafrechtlich relevanter Sachverhalte jederzeit einschreiten können. Für polizeiliche Maßnahmen auf dem eingefriedeten Privatgelände (Kleingartenanlage) bestand keine Rechtsgrundlage. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt. Frage 1. Wie erklärt sich die Landesregierung, dass Publikum aus allen Teilen Hessens und aus anderen Bundesländern zu einem offenkundig organisierten Konzert anreisen konnte, obwohl bisher von Seiten der Landesregierung die rechtsextreme Szene in Hessen als "lose organisierte Gruppierungen , die anlassbezogen und in einem engen regionalen Umfeld agieren" beschrieben wurde? In Zeiten moderner Kommunikationsmedien bedarf es zur Mobilisierung für rechtsextremistische Musikveranstaltungen keiner festen Organisationsstrukturen oder Gruppenzugehörigkeiten. Die sozialen Netzwerke (z.B. Facebook) sowie der Kurznachrichtendienst "Twitter" werden genutzt , um einem möglichst großen Adressatenkreis zu erreichen. Eingegangen am 9. Dezember 2014 · Ausgegeben am 11. Dezember 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/930 09. 12. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/930 Frage 2. Kann die Landesregierung in Anbetracht des öffentlich zugänglichen Bildmaterials bestätigen, dass der bundesweit bekannte rechtsextreme Künstler "Lunikoff" auf der Veranstaltung in Hungen -Villingen anwesend war? Falls ja, seit wann hatte sie diese Information? Zur Anwesenheit "Lunikoffs" konnten öffentlich ein Twitter-Eintrag der Autonomen Nationalisten Groß-Gerau vom 9. September 2014 sowie das in der Vorbemerkung der Fragestellerin angesprochenen Bildmaterial festgestellt werden. Der Polizei wurde im Nachgang der Veranstaltung durch den stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD in Hessen mitgeteilt, dass Michael R. (Lunikoff) am 8. September 2014 aufgetreten sei. Eigene Feststellungen zur Anwesenheit des Michael R. anlässlich der Veranstaltung am 8. September 2014 in Hungen konnten durch die Polizei nicht getroffen werden. Er befand sich nicht unter den durch die Polizei kontrollierten Veranstaltungsteilnehmern (siehe auch Antwort zu Frage 3). Frage 3. Welche Maßnahmen hat die Polizei getroffen, um Beweise für Straftaten im Rahmen der Veran- staltung zu sichern und bei strafbaren Handlungen, wie beispielsweise der Volksverhetzung gem. § 130 StGB, entsprechend einzuschreiten? Es wurden der Vorab-Treffpunkt sowie die Veranstaltung selbst aufgeklärt und in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes in Hungen-Villingen nahezu alle Teilnehmer kontrolliert. Weder bei den Kontrollmaßnahmen noch im Rahmen der Aufklärungen konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die den Anfangsverdacht einer Straftat begründeten. Die Veranstaltung selbst fand in einem Festzelt innerhalb eines eingefriedeten Privatgeländes (Kleingartenanlage) statt und es wurde erkennbar kein Eintrittsgeld erhoben: Daher bestand keine Rechtsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen in den Räumen der Veranstaltung. Beginnend mit dem Eintreffen von Veranstaltungsteilnehmern an dem Vorab-Treffpunkt der Veranstaltung am 8. September 2014, gegen 19.15 Uhr, bis zum Ende der Veranstaltung wurden polizeiliche Einsatzkräfte für Aufklärungs- und Eingreifmaßnahmen im Rahmen einer "Besonderen Aufbauorganisation" vor Ort eingesetzt. Frage 4. Wurde ein Verbot oder die vorzeitige Auflösung der Veranstaltung geprüft? Falls nein, warum nicht? Entsprechende Maßnahmen wurden durch die hessischen Sicherheitsbehörden mit dem Ergebnis geprüft, dass Unterbindungsgründe nicht vorlagen. Frage 5. Welche Maßnahmen hat die Polizei getroffen, um Passanten vor allem am Vorab-Treffpunkt in Wölfersheim vor möglichen Übergriffen durch Rechtsextreme zu schützen? Das Vorabtreffen in Wölfersheim wurde durch polizeiliche Kräfte lückenlos überwacht. Eine wahrnehmbare Ansammlung von Rechtsextremisten lag nicht vor und die eintreffenden Personen zeigten keinerlei Bestrebungen, Übergriffe zu verüben. Seitens der Passanten vor Ort waren keine Reaktionen in Bezug auf das Zusammentreffen feststellbar . Frage 6. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Gefahr ein, dass dieses Konzert nur ein Auftakt für eine Wiederbelebung der rechtsextremen Konzertszene in Hessen war und wie begründet sie dies? Erkenntnisse für eine allgemeine "Wiederbelebung der rechtsextremen Konzertszene" in Hessen liegen derzeit nicht vor. Die hessischen Sicherheits- und Gefahrenabwehrbehörden sind unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten fortwährend intensiv bemüht, solche Musikveranstaltungen in Hessen im Vorfeld zu erkennen und in Abhängigkeit der jeweiligen Rechtslage zu unterbinden. Frage 7. Welche Rolle hat nach Erkenntnissen der Landesregierung die NPD bei der Organisation dieses "Liederabends" gespielt? Gemäß der Einladung wurde die Veranstaltung durch die NPD organisiert. Im Verlauf der Einsatzmaßnahmen am 8. September 2014 wurde dies durch den stellvertretenden NPD- Landesvorsitzenden bestätigt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/930 3 Frage 8. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um in Zukunft rechtsextreme Konzerte in Hessen zu verhindern? Die hessischen Sicherheits- und Gefahrenabwehrbehörden führen intensive Maßnahmen unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten durch, um rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hessen im Vorfeld zu erkennen und zu unterbinden. Sofern dies im Rahmen der Einzelfallprüfung rechtlich nicht möglich ist, werden zu den Veranstaltungen polizeilichen Maßnahmen durchgeführt, um Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern und Straftaten zu verfolgen. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport hat im Sommer 2011 eine Broschüre mit dem Titel "Freiheit und Demokratie stärken" als Handlungsempfehlung für Kommunen zum Umgang mit Rechtsextremismus erstellt (auf der Internetseite www.behoerden-spiegel.de abrufbar ). Diese beinhaltet Informationen zu den Themenfeldern Immobiliennutzung, Demonstrationen , Musikveranstaltungen und Vereinsmitgliedschaften und informiert über die Vorgehensweise von Rechtsextremisten sowie über Handlungsmöglichkeiten und kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Frage 9. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob diese Veranstaltung Bezug zum Netz- werk "Blood & Honour" oder zu Personen, die einschlägige Verbindungen zu diesem Netzwerk haben, hat? Wenn ja, welche? Den hessischen Sicherheitsbehörden liegen derzeit keine Erkenntnisse vor, dass die Veranstaltung einen konkreten Bezug zu der in Deutschland verbotenen Organisation "Blood & Honour" hat. Frage 10. Welche Schulungsmaßnahmen hat die Polizei durchgeführt, um Beamte auf solche Konzertveran- staltungen vorzubereiten und mögliche Beweise zu sichern? Innerhalb der hessischen Polizei werden kontinuierlich verschiedene Schulungsmaßnahmen zu den Themenfeldern "Rechtsextremismus" und "Beweissicherung" durchgeführt. Zur besseren Handlungssicherheit im polizeilichen Umgang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen in Hessen existieren polizeiinterne Richtlinien, die regelmäßig im Dienstunterricht thematisiert und - der aktuellen Erkenntnislage Rechnung tragend - angepasst werden. Wiesbaden, 26. November 2014 Peter Beuth