Die Finanzministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 16. Mai 2013 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/1811 6. Wahlperiode 17.05.2013 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jeannine Rösler, Fraktion DIE LINKE Strafbefreiende Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung Nach geltendem Recht (Abgabenordnung) können Steuersünder ungestraft davonkommen, wenn die Steuerhinterziehung noch nicht entdeckt wurde bzw. kurz vor ihrer Entdeckung stand. Steuersünder müssen sich selbst nur rechtzeitig bei der zuständigen Finanzbehörde anzeigen, alle fehlenden Steuerunterlagen sofort nachreichen und die hinterzogenen Steuern sowie Hinterziehungszinsen und ggf. einen Straf- zuschlag fristgerecht nachzahlen. In der aktuellen öffentlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Steuerbetrugsfall des Präsidenten des FC Bayern München, Uli Hoeneß, wird eine Gesetzesverschärfung bis hin zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeigen diskutiert bzw. gefordert. Nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft wird der deutsche Fiskus jedes Jahr durch Steuerhinterziehung um 30 Milliarden Euro betrogen. 1. Wie hat sich die Zahl strafbefreiender Selbstanzeigen bei Steuerhinter- ziehung in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2007 bis 2012 entwickelt (bitte auch unterteilen nach Höhe der hinterzogenen Steuern, Hinterziehungszinsen und Strafzuschlägen)? Selbstanzeigen werden in der Statistik der Bußgeld- und Strafsachenstellen lediglich als Teilmenge der Anzeigeneingänge sowie der Erledigungen von Steuerstrafverfahren durch Einstellung nach § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) ausgewiesen. Eine weiter- gehend differenzierte Erfassung erfolgt nicht. Eine Unterteilung nach der Höhe der hinter- zogenen Steuern, Hinterziehungszinsen und Strafzuschlägen ist deshalb nicht möglich. Für das Jahr 2012 können aktuell keine Werte ausgewiesen werden, da es in Folge einer neu eingesetzten Fallverwaltungssoftware zu Verzögerungen bei der Erstellung der Jahresstatistik 2012 kommt. Drucksache 6/1811 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Anzahl der Selbstanzeigen 42 59 27 82 29 - Anzahl der Selbstanzeigen, die nach § 170 Absatz 2 StPO eingestellt wurden 16 29 27 76 52 - 2. In welcher Höhe entgehen dem Landeshaushalt nach Schätzungen der Landesregierung jährliche Einnahmen aufgrund von Steuerhinter- ziehung? Die Höhe der jährlich dem Landeshaushalt aufgrund von Steuerhinterziehungsdelikten entgangenen Einnahmen kann nicht beziffert werden, da der Landesregierung hierzu keine belastbare Schätzungsgrundlagen vorliegen. 3. Haben sich nach Auffassung der Landesregierung die gesetzlichen Regelungen zur Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung grundsätzlich bewährt (Antwort bitte begrün- den)? Aus Sicht der Landesregierung hat sich die gesetzlich verankerte Möglichkeit einer straf- befreienden Selbstanzeige jedenfalls in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt. Das Institut der Selbstanzeige stellt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar, der seine Rechtfertigung in fiskalischen Gründen (Erschließung bisher verborgener, anders nicht zugänglicher Steuerquellen) sowie in der Anreizfunktion gegenüber dem Steuerhinterzieher findet, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Dem Fiskus wurde in der Vergangenheit bundesweit durch Selbstanzeigen ein gewaltiges Steuersubstrat im geschätzten Milliarden- bereich zugänglich gemacht. Wenngleich die in den letzten Jahren erfolgten Selbstanzeigen teilweise auch durch den Ankauf sogenannter „Steuer-CDs“ (mit-)motiviert gewesen sein mögen, so wären ohne das Institut der Selbstanzeige das Steueraufkommen zweifelsohne wesentlich verringert und Ermittlungsansätze jedenfalls erschwert worden. Eine Vielzahl von Steuerpflichtigen konnte mittels der Selbstanzeige auf den Weg der Steuerehrlichkeit zurück- geführt werden. Da die strafbefreiende Selbstanzeige letztlich eine Privilegierung des Steuerstraftäters gegen- über anderen Straftätern darstellt, ist es aus Sicht der Landesregierung gleichwohl unab- dingbar, die Rechtmäßigkeit dieser Regelung regelmäßig kritisch zu hinterfragen und im Bedarfsfalle - wie in der Vergangenheit bereits geschehen - an die veränderten gesamt- gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/1811 3 4. Sollte nach Auffassung der Landesregierung das Recht der straf- befreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung erhalten bleiben (Antwort bitte begründen)? 5. Ist nach Auffassung der Landesregierung eine Abschaffung des Rechts strafbefreiender Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung recht- lich möglich und politisch geboten (Antwort bitte begründen)? Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs werden die Fragen 4 und 5 zusammenhängend beantwortet. Der Gesetzgeber ist zwar zur Gewährung einer Straffreiheit bei Selbstanzeige verfassungs- rechtlich berechtigt, hingegen besteht keine Verpflichtung zur Einführung beziehungsweise Beibehaltung eines solchen persönlichen Strafaufhebungsgrundes. Nach Auffassung der Landesregierung ist die Abschaffung des Rechts auf strafbefreiende Selbstanzeige unter Beachtung des im Strafrecht geltenden Rückwirkungsverbots rechtlich möglich. Die Willens- bildung der Landesregierung zu der Frage, ob die strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuer- hinterziehung unverändert erhalten bleiben, eingeschränkt oder abgeschafft werden sollte, ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Grundsätzlich gilt es sorgsam zu überprüfen, ob und in welchem Umfang eine Legitimation der strafbefreienden Selbstanzeige noch gegeben ist. Fiskalische Legitimationsgründe könnten durch Nachbesserung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen, einer Ausdeh- nung der EU-Zinsrichtlinie oder die Installation eines umfassenden Informations- und Aus- kunftsaustausches - insbesondere zu ausländischen Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger - möglicherweise entfallen. Auch die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte die Errichtung einer goldenen Brücke in die Steuer- ehrlichkeit weiterhin als geboten erscheinen lassen, verdient eine eingehende Betrachtung. Bei dieser wichtigen Interessenabwägung sollte man entgegen der aktuellen Diskussions- grundlage jedoch nicht nur die ausländischen Kapital- und Spekulationseinkünfte, sondern alle Hinterziehungstatbestände im Blick haben. Denn letztlich gilt es im Interesse eines funktionierenden Steuersystems und der dafür gebotenen Gleichmäßigkeit der Besteuerung, die Steuerhinterziehung konsequent zu bekämpfen. 6. Inwiefern hält die Landesregierung die Anhebung der gesetzlichen Hürden für eine erfolgreiche strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuer- hinterziehung für geboten? a) Welche Änderungsvorschläge sind der Landesregierung bekannt? b) Wie bewertet sie die jeweiligen Vorschläge? Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (BGBl. 2011 I S. 676) wurden das Institut der Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung neu gefasst und die Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Selbstanzeige unter Berücksichtigung der Entwicklung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits deutlich verschärft. Drucksache 6/1811 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 So sind gegenüber der Vorgängerregelung beispielsweise keine Teilselbstanzeigen mehr möglich und Selbstanzeigen im Falle einer Betriebsprüfung nicht erst dann ausgeschlossen, wenn der Prüfer erschienen ist, sondern bereits bei einer Bekanntgabe der Prüfungs- anordnung. Zudem ist eine Selbstanzeige nunmehr nur dann vollständig, wenn mit ihr alle Angaben zu noch nicht verjährten Zeiträumen der Steuerart berichtigt oder nachgeholt werden. Straffreiheit tritt seit der Neuregelung grundsätzlich nicht mehr ein, wenn der verkürzte Betrag größer als 50.000 Euro ist. In diesen Fällen kann von der Verfolgung einer Steuerstraftat nur noch abgesehen werden, wenn der Täter innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist einen Zuschlag von 5 % des hinterzogenen Betrages zugunsten der Staatskasse zahlt. Aus Sicht der Landesregierung ist es angesichts dieser erfolgten Änderungen bereits heute schwierig, eine wirksame Selbstanzeige ohne entsprechende Rechtsberatung abzugeben. Sofern zwar nicht die Aufhebung der Selbstanzeige, jedoch die Einführung weiterer Ver- schärfungen priorisiert würde, so müssten diese so ausgestaltet werden, dass die angestrebte Anreizwirkung nicht durch allzu hohe Wirksamkeitsvoraussetzungen aufgezehrt wird. Zu a) In der aktuellen medialen gesellschaftlichen Diskussion werden die unterschiedlichsten Auf- fassungen zur Angemessenheit und Sachgerechtigkeit des Instituts der Selbstanzeige vertreten und diverse Modifikationen vorgeschlagen. Die Forderungen reichen von der Beibehaltung der derzeitigen Regelungen, über die Einführung von Bagatellgrenzen und Verschärfungen für Wiederholungstäter, bis hin zu einer ersatzlosen Abschaffung der Selbstanzeige. Konkrete Gesetzesvorschläge sind der Landesregierung jedoch nicht bekannt. Zu b) Wie bereits zu Frage 4 dargelegt, dauert die inhaltliche Prüfung und Meinungsbildung der Landesregierung zur vielschichtigen Problematik der Selbstanzeige noch an. Die Landes- regierung wird sich zu gegebener Zeit hinsichtlich konkreter Gesetzesvorschläge abstimmen.