Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 11. Oktober 2013 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2208 6. Wahlperiode 14.10.2013 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt, Fraktion DIE LINKE Aktivitäten des Landes für Opfer sexueller Gewalt und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Der Fachbeirat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmiss- brauchs hat am 5. Juni 2013 einen Beschluss gefasst, der zentrale Punkte aus den „Rahmenempfehlungen zur Verbesserung des Informationsangebots, der Zusammenarbeit in der Versorgung von Opfern sexuellen Missbrauchs und des Zugangs zur Versorgung“ der Bundesärztekammer, Bundespsychotherapeutenkammer, der Deutschen Krankenhausgesell- schaft, des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom August 2012 auflistet, die in Bezug auf ihre Umsetzung evaluiert werden müssen. Dabei liegen zwei von neun Prüfpunkten aus den genannten Rahmenempfehlungen in der Zuständigkeit der Landesregierung: - Verfügbarkeit spezifischer Behandlungsangebote in Psychiatrischen Institutsambulanzen, Opferambulanzen, Hochschul- und Ausbildungsambulanzen (siehe 3.1.5 der Rahmen- empfehlungen), - Qualitätsstandards für die nach Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) finanzierten Opferambulanzen (siehe 5.6 der Rahmen- empfehlungen). Im Übrigen richten sich der Beschluss des Fachbeirats und die vorgenannten Rahmenempfeh- lungen an andere Adressaten. Ungeachtet dessen setzt sich die Landesregierung im Rahmen ihrer Zuständigkeit und Einflussmöglichkeiten für eine zielorientierte Unterstützung der Betroffenen ein. Drucksache 6/2208 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Inwieweit wurden die Empfehlungen des Fachbeirats beim Unab- hängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom Juni 2013 in Gremiensitzungen der Landesregierung bzw. in Gremiensitzungen der Fachverwaltung thematisiert? Die Angebote zur Behandlung von Opfern sexueller Gewalt im Land sowie deren Verknüpfung und notwendige Weiterentwicklung wurden in der Landesarbeitsgemeinschaft der Sozialpsychiatrischen Dienste, der Landesarbeitsgemeinschaft der Psychiatriekoordina- toren, der Kooperationskonferenz (AG zur Zusammenarbeit der Kinder und Jugendpsychiatrie mit der Kinder- und Jugendhilfe) sowie im Arbeitskreis der psychiatrischen Krankenhäuser diskutiert. Darüber hinaus wurde in den Jugendamtsleitertagungen sowie in den Sitzungen des Landes- jugendhilfeausschusses zur Umsetzung beziehungsweise Einrichtung eines ergänzenden Hilfesystems für Opfer sexueller Gewalt in Institutionen (Fonds) informiert. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach Auskunft der Geschäftsstelle des Unab- hängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs die Unterlagen unter anderem auch an alle Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte in Deutschland übermittelt wurden, sodass auch auf kommunaler Ebene eine entsprechende Befassung erfolgen kann. Inwieweit dies bereits erfolgt, entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung. 2. Welche Aktivitäten hat die Landesregierung unternommen bzw. plant sie zu unternehmen, um die in Punkt 1.2 der Rahmenempfehlung vorgeschlagene Bereitstellung von Kontakten, die Beratungsangebote vorhalten, sicherzustellen? Auf der Internetseite des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg- Vorpommern befindet sich eine Verknüpfung, die zur Seite des Landesverbandes Sozial- psychiatrie und damit zum Psychiatriewegweiser führt. Dort sind für alle Regionen des Landes Behandlungs- und Betreuungsangebote aufgeführt. Daneben verfügt die Kassen- ärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern über eine telefonisch zu erreichende Servicestelle. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Stelle erklären psychotherapeu- tische Angebote und benennen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. In Schwerin und Rostock bestehen zudem „Bündnisse gegen Depression“. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2208 3 3. Wie bewertet die Landesregierung die Versorgungssituation mit traumaspezifischen Behandlungsangeboten für von sexuellen Miss- brauch betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen im Land? Alle Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie verfügen über Therapieangebote zur Behandlung von Traumata. Es bestehen an neun Standorten stationäre und an 33 Standorten tagesklinische Behandlungsangebote für Erwachsene. Kindern und Jugendlichen werden an fünf Standorten stationäre und an 15 Standorten tagesklinische Behandlungsangebote unterbreitet. An allen Kliniken sind Institutsambulanzen eingerichtet, die das Behandlungssystem der niedergelassenen Fachärzte und Psychologischen Psychotherapeuten ergänzen, soweit hier nicht die notwendige Hilfe gefunden wird. Im ambulanten Bereich wurden zum 1. Juli 2013 68 zusätzliche Stellen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ausgewiesen. Eine ständige qualitative und quantitative Weiterentwicklung ist notwendig. Darauf wirkt das Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern in den in der Antwort zur Frage 1 genannten Gremien sowie im Rahmen der Krankenhausplanung und der Beteiligung an der Bedarfsplanung im ambulanten Bereich hin. Darüber hinaus baut die Landesregierung sukzessive ein Netz von nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten finanzierten Trauma-Ambulanzen auf. Die Trauma- Ambulanzen sind insbesondere für Opfer von Gewalttaten ein schnelles Hilfsangebot. Bisher haben die Trauma-Ambulanzen für Erwachsene in Greifswald und Stralsund ihre Arbeit aufgenommen. Noch in diesem Jahr werden an Kliniken in Neubrandenburg und Rostock Trauma-Ambulanzen eröffnet werden. Das Angebot soll im nächsten Jahr ausgebaut werden, sodass künftig ein flächendeckender niedrigschwelliger Zugang zu akuter psychothera- peutischer Frühintervention nach Gewalttaten vorhanden ist. Derzeit werden mit verschiedenen Kliniken Verhandlungen mit dem Ziel geführt, auch für Kinder und Jugendliche ein bedarfsorientiertes flächendeckendes Angebot von Trauma- Ambulanzen aufzubauen, sofern die Hilfe nicht im Rahmen der Regelversorgung geleistet werden kann. 4. Welche Aktivitäten hat die Landesregierung unternommen bzw. plant sie zu unternehmen, um die in Punkt 4.5 der Rahmenempfehlung vorgeschlagene Bildung eines Forschungsschwerpunktes zur Behand- lung von Betroffenen, die sexuell missbraucht wurden, sicherzu- stellen? In Punkt 4.5 der Rahmenempfehlung wird die Bildung von Forschungsschwerpunkten zur Behandlung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs an Hochschulambulanzen nach § 117 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) empfohlen. Die Behandlung der Betroffenen sexuellen Missbrauchs erfolgt an den Universitätsmedizinen Greifswald und Rostock, aber nicht explizit in den Hochschulambulanzen. Drucksache 6/2208 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Folgende Aktivitäten können benannt werden: Universitätsmedizin Greifswald Institut für Rechtsmedizin In der Rechtsmedizin in Greifswald ist seit November 2009 die „rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Gewaltopfer“ eingerichtet. Diese Untersuchungsstelle bietet Opfern nach allgemeiner Gewalteinwirkung und damit natürlich auch den Opfern nach sexualisierter Gewalt die Möglichkeit, ihre Verletzungen gerichtsfest dokumentieren zu lassen. Es erfolgen auch Fahrten ins Umland, um die Verletzten zu untersuchen. In diesem Zusammenhang können weitere medizinische Maßnahmen, die notwendig erscheinen, durchgeführt werden. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie An der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald gibt es sowohl für den Standort Greifswald (Tagesklinik) als auch für den Standort Stralsund eine Traumaambulanz, die für Opfer krimineller Gewalttaten, Opfer sexualisierter und häuslicher Gewalt, Unfall- und Katastrophenopfer, Kriegs-, Flüchtlings- und Folteropfer, Opfer berufsbedingter Traumatisierungen, Zeuginnen und Zeugen oder Ersthelferinnen und Ersthelfer solcher Ereignisse seit vielen Jahren eingerichtet ist. Das angebotene Spektrum reicht von einfacher Beratung bis zu traumaspezifischen Behandlungs- verfahren. Darüber hinaus gibt es ein tagesklinisches und ein stationäres Behandlungsangebot für schwer erkrankte Betroffene. Universitätsmedizin Rostock Institut für Rechtsmedizin Seit November 2011 bietet das Institut für Rechtsmedizin in Rostock (mit Außenstelle Schwerin) Opfern von Gewalt eine kostenlose Befunddokumentation und gegebenenfalls Spurensicherung an. Dies umfasst auch die Opfer sexuellen Missbrauchs. Die Befund- dokumentation und Spurensicherung umfasst unter anderem die Untersuchung, fotografische Dokumentation, Entnahme von Abstrichen und die unbegrenzte Aufbewahrung der erhobenen Befunde. Weiterhin werden die Betroffenen über die Möglichkeiten der Anzeigenerstattung, Hinzuziehung des Jugendamtes sowie über die vorhandenen Hilfsnetzwerke in der näheren Umgebung beraten. Die Betroffenen erhalten nach der Untersuchung ein Formblatt mit ihrem Aktenzeichen, Bestätigung der Durchführung der Untersuchungen und der Empfehlung des weiteren Vorgehens. Bei nachträglicher Anzeigenerstattung kann darauf Bezug genommen und das Gutachten durch die zuständigen Ermittlungsbehörden abgefordert werden. Die Anforderung der Untersuchung ist über den rechtsmedizinischen Bereitschaftsdienst des Institutes rund um die Uhr und am Wochenende möglich und kann in den zur Verfügung stehenden Untersuchungsräumen der Universitätsmedizin Rostock in medizinischer Atmos- phäre stattfinden. Außerdem besteht im Rahmen des Ambulanzprojektes eine enge Zusammenarbeit mit den Kliniken in der Umgebung. Hierbei kann die Untersuchung über eine Konsilanforderung der klinischen Kolleginnen und Kollegen in Auftrag gegeben und direkt am Krankenbett durchgeführt werden. Auch hier wird in Rücksprache mit dem anfordernden Arzt oder der anfordernden Ärztin das weitere Procedere besprochen. Es kann - wenn gewünscht - eine Kontaktaufnahme zum Jugendamt und/oder den Ermittlungsbehörden vorbereitet werden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2208 5 Informationen zum Angebot des Rostocker Institutes für Rechtsmedizin werden zum Beispiel Ärztinnen und Ärzten, Polizistinnen und Polizisten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Jugendämtern, Schulen und Kindertagesstätten auf dem Wege von regelmäßigen Informationsveranstaltungen wie Vorträgen und Workshops übermittelt. Gefördert wird das Projekt seit Ende 2012 durch das Land Mecklenburg-Vorpommern. Eine wissenschaftliche Auswertung der Erfahrungen mit der Opferambulanz ist geplant. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter (KJPP): In den psychiatrischen Institutsambulanzen (keine Hochschulambulanzen gemäß § 117 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) und auf den Stationen behandelt die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter regelmäßig Kinder und Jugendliche, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind. Unter http://missbrauch.elearning-kinderschutz.de/ findet sich zum Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung“ ein Grundlagentext einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Neuro- logie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, der aktuell in fünf Sprachen übersetzt wird. Dieses E-Learning Programm wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie: Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie betreibt eine Psychiatrische Institutsambulanz nach § 118 SGB V. In dieser stehen Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Patientinnen und Patienten zur Verfügung, wozu auch Betroffene sexuellen Missbrauchs gehören können. Zusätzlich wurde kürzlich eine sogenannte Traumaambulanz etabliert, deren offizielle Eröffnung für Anfang Dezember diesen Jahres vorgesehen ist. Universitätsfrauenklinik: Auch in der Universitätsfrauenklinik werden Opfer sexuellen Missbrauchs erstversorgt und behandelt. 5. Welche Aktivitäten hat die Landesregierung unternommen bzw. plant sie zu unternehmen, um die in Punkt 4.7 der Rahmenempfehlung vorgeschlagene Entwicklung eines Angebots für komplex trauma- tisierte Menschen im Rahmen der integrierten Versorgung zu beför- dern? Verträge zur integrierten Versorgung sind zwischen den Leistungserbringern und den Kosten- trägern zu schließen. Das Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg- Vorpommern kann hier nur eine moderierende Funktion einnehmen. In allen in der Antwort zur Frage 1 genannten Gremien wirkt das Ministerium darauf hin, dass die Schnittstellen im Sinne eines integrierenden Versorgungssystems gestaltet werden. Die Überbrückung dieser Schnittstellen stellt auch einen Schwerpunkt im „Plan zur Weiterentwicklung eines integrativen Hilfesystems für psychisch kranke Menschen in Mecklenburg-Vorpommern“ dar. Drucksache 6/2208 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Der „Leitfaden zur Kooperation der Kinder- und Jugendhilfe mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ befasst sich ausschließlich mit einer solchen Schnittstelle. Im Rahmen des durch das Ministerium geförderten Modellprojektes „Psychiatrie am Fall“ werden gegenwärtig die Schnittstellen weiter analysiert und Vorschläge zum Schließen dieser Schnittstellen entwickelt. 6. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass die im Punkt 5.6 der Rahmenempfehlung vorgeschlagenen Qualitätsstandards für speziali- sierte Traumaambulanzen im Land eingehalten werden, welchen Nachbesserungsbedarf sieht die Landesregierung und bis wann will sie ggf. welche Nachbesserungen einleiten? Die ersten vier der insgesamt sieben Kriterien der in Anlage 10 zu Punkt 5.6 der Rahmen- empfehlungen vorgeschlagenen Qualitätsstandards sind bei den bestehenden Trauma-Ambu- lanzen erfüllt. Kliniken als potenzielle Vertragspartner für die Errichtung und den Betrieb der Trauma-Ambulanzen erhielten im Vorfeld des Vertragsabschlusses einen Fragen- und Anforderungskatalog, in dem eine entsprechende traumaspezifische Praxis als Voraussetzung für die Teilnahme an der trauma-ambulantorischen Versorgung definiert ist. Die letzten drei Kriterien sind noch nicht vollumfänglich erfüllt. Nicht in allen Kliniken kann derzeit voll- traumatherapeutisch ausgebildetes Personal vorgehalten werden. Die entsprechenden Kliniken haben sich aber verpflichtet, die beteiligten Kolleginnen und Kollegen traumaspezifisch weiterzubilden. Die lokale Vernetzung ist im Aufbau. Wegen des noch relativ neuen Angebots (die ersten Trauma-Ambulanzen wurden am 14. März 2013 eröffnet) bedarf es einiger Zeit, bis sich Netzstrukturen etabliert haben. Bei der stattgefundenen und den geplanten Eröffnungs- veranstaltungen der Trauma-Ambulanzen wurden beziehungsweise werden die entsprechenden Opferverbände eingeladen. Insbesondere bei der Veranstaltung in Neubrandenburg ist ein Gedankenaustausch aller Beteiligten geplant. Die weitere lokale Vernetzung mit den Beratungsstellen und den ambulanten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten soll ab dem kommenden Jahr intensiviert werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Etablierung der restlichen Trauma-Ambulanzen und des Erwerbs erster Erfahrungen in der Arbeit das Angebot einer traumaspezifischen Supervision als Thema in den perspektivisch geplanten Qualitätszirkel mit aufgenommen werden wird.