Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 13. Februar 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2657 6. Wahlperiode 14.02.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Nach dem Bekanntwerden der Mordserie des NSU und der Erkenntnis, dass Fehleinschätzun- gen eine frühzeitige Entdeckung des Trios verhindert haben, wurde in einer Reihe von Gremien, wie Untersuchungsausschüsse in verschiedenen Bundesländern und dem Bund, die Bund-Länder-Expertenkommission Rechtsterrorismus und die Innenministerkonferenz, das Geschehen aufgearbeitet. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages hat in der Folge seiner Untersuchungsergebnisse insgesamt 47 Empfehlungen ausgesprochen, von denen 12 den Verfassungsschutz und 21 die Polizei betreffen. Sie sollen gemäß Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien auf Bundesebene, Punkt 5 „Moderner Staat, innere Sicherheit und Bürgerrechte“ (Seite 144), die Bundesebene betreffend umgesetzt werden. Ausgehend von der Umsetzung der Erkenntnisse auf Bundesebene befinden sich Bund und Länder in den entsprechenden Gremien zur Zeit in einer Phase der Transformation dieser Erkenntnisse für die Länder, um eine notwendige bundesweite Harmonisierung und Standardisierung der Tätigkeit der Sicherheitsbehörden zu garantieren. Nach Abschluss dieser Phase wird es Aufgabe sein, die entsprechenden Beschlüsse der Fachgremien in regionale Regelungen und Maßnahmen - so auch in Mecklenburg-Vorpommern - zu übernehmen. Drucksache 6/2657 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Da sich Bund und Länder zurzeit mitten im Reformprozess befinden, beabsichtigt die Landesregierung, den Landtag in einem Bericht gemäß Ziffer III des angenommenen Antrags der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/2346 („Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in weitere Reformen der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in Mecklenburg- Vorpommern einbeziehen“) voraussichtlich Ende Oktober 2014 über den dann erreichten Stand zu informieren. Die hier zu gebenden Antworten können somit nur den Status Quo des Reformprozesses darstellen. Über die genannte Berichterstattung hinaus informiert der Minister für Inneres und Sport die Parlamentarische Kontrollkommission über den Reformprozess. In seiner Rede zu dem Antrag „Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in weitere Reformen der Ermitt- lungs- und Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern einbe- ziehen“ (Drucksache 6/2346) sagte Innenminister Lorenz Caffier (CDU), notwendige Reformschritte seien bereits eingeleitet oder stünden unmittelbar bevor. Die Innenministerkonferenz habe bereits einige Schwerpunkte bezüglich der Reform der Verfassungsschutzbehörden beschlossen. Auf einem guten Weg sei Mecklenburg-Vorpommern im Hinblick auf das landesweite Beratungsnetzwerk „Demokratie und Toleranz “. Dadurch werde die „von interessierten Kreisen herbeigeredete“ Frontstellung zwischen Staat und Zivilgesellschaft aufgebrochen. Den- noch müsse der Verfassungsschutz des Landes künftig mit seiner Arbeit verstärkt in die Öffentlichkeit treten. Ob gesetzliche Regelungen für die Werbung und den Einsatz von Vertrauenspersonen notwendig seien, müsse geprüft werden. Weiter sagte Caffier: „Nicht nur der Verfassungsschutz , auch die Polizei befindet sich in einem Prozess der Neuorien- tierung, der jedoch nicht kurzfristig abgeschlossen werden kann (...).“ Jedenfalls stelle er bereits eine größere Sensibilität bei der Wahrnehmung und Bewertung der sogenannten Politisch motivierten Kriminalität fest. Keine Defizite konnte der Innenminister bei der parlamentarischen Kon- trolle des Verfassungsschutzes erkennen, obwohl der NSU-Unter- suchungsausschuss in seinem Abschlussbericht ausgeführt hatte, dass die parlamentarischen Kontrollgremien schlagkräftiger werden müssten. 1. Welche konkreten Reformschritte sind bereits eingeleitet oder stehen unmittelbar bevor? 2. Welche Schwerpunkte hat die Innenministerkonferenz bezüglich der Reform der Verfassungsschutzbehörden beschlossen und wie ist der Stand der Umsetzung dieser Beschlüsse in Mecklenburg- Vorpommern? Die Fragen 1 und 2 werden zusammenhängend beantwortet. Der Reformprozess in den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder hat bereits nach Bekanntwerden des NSU-Komplexes begonnen und zudem durch die Empfehlungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses weitere Impulse erhalten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2657 3 Als abgeschlossene Reformschritte sind die Einrichtung des „Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus“ (GAR - in 2011, später im GETZ aufgegangen) zu nennen sowie die Errichtung der Rechtsextremismusdatei (RED - in 2012) und des "Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums" (GETZ - in 2012) als weitere wichtige Instrumente für die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden. Zu den Handlungsempfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses haben die Arbeits- kreise II (Polizei) und IV (Verfassungsschutz) der Innenministerkonferenz für ihre Sitzung im Dezember 2013 einen ersten Bericht sowie die sich daraus ergebenen Handlungsbedarfe und Prüfaufträge vorgelegt. Die Innenministerkonferenz hat diesen Bericht zur Kenntnis genommen und die Arbeitskreise beauftragt, die dort angesprochenen Prüfaufträge umzusetzen sowie mit den bereits in Umsetzung befindlichen Empfehlungen fortzufahren. Zu diesem Zweck hat der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz für den polizeilichen Bereich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, an der sich Mecklenburg-Vorpommern beteiligt. Des Weiteren wurde – auch im Hinblick auf die Entschließung des Landtages "Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in weitere Reformen der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern einbeziehen", Drucksache 6/2346 vom 30.10.2013 – die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege, Fachbereich Polizei beauftragt, den Stand der Aus- und Fortbildung auf der Grundlage der Handlungsempfehlungen des Untersuchungsaus- schusses zu überprüfen und etwaigen Optimierungsbedarf aufzuzeigen. Unter Beteiligung von Mecklenburg-Vorpommern hat der Arbeitskreis IV der Innenminister- konferenz verschiedene Arbeitsgruppen, unter anderem eine Arbeitsgruppe zur Übermittlung personenbezogener Daten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (§ 19 Bundesver- fassungsschutzgesetz) und eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung gesetzlicher Regelungen zu Vertrauenspersonen (VP-Regelungen), eingerichtet. In den Arbeitskreisen II und IV wird zudem an der weiteren Ausgestaltung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gearbeitet. 3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses im Hinblick auf die zukünftige Arbeit im Beratungsnetzwerk „Demokratie und Toleranz“? Die Landesregierung sieht sich durch den Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in ihrem Ansatz, die konstruktive und intensive Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure zu fördern, bestätigt. Drucksache 6/2657 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 4. In welcher Form und zu welchen Anlässen wird der Verfassungs- schutz des Landes mit seiner Arbeit künftig verstärkt in die Öffent- lichkeit treten? Über die jährliche Herausgabe des Verfassungsschutzberichtes als zentralem Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit und der Teilnahme von Vertretern des Verfassungsschutzes an Fachtagungen, Symposien und Podiumsdiskussionen hinaus wird zukünftig auch die Möglichkeit genutzt, im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen mittels eines Informa- tionsstandes das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern über die Arbeit des Verfassungs- schutzes zu suchen. Des Weiteren soll die Internetpräsenz und die Vortragstätigkeit des Verfassungsschutzes ausgeweitet werden. 5. Liegt bereits ein Ergebnis der Prüfung vor, ob gesetzliche Regelungen für die Werbung und den Einsatz von Vertrauenspersonen notwendig sind? a) Wenn ja, zu welchem Ergebnis ist diese Prüfung gekommen? b) Wenn nicht, wann wird das Ergebnis dieser Prüfung dem Landtag vorliegen? 6. Inwiefern wird die Landesregierung bei der gesetzlichen Regelung der Werbung und des Einsatzes von Vertrauenspersonen die inhaltlichen Anforderungen berücksichtigen, die zunächst von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und später auch von der Fraktion der SPD aufgestellt wurden? 7. Wie sieht der Prozess der Neuorientierung bei Verfassungsschutz und Polizei genau aus, wie ist der derzeitige Stand dieses Prozesses und wie wird dieser vom Innenministerium angeleitet und / oder beför- dert? Die Fragen 5, 5 a), 5 b), 6 und 7 werden zusammenhängend beantwortet. Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird Bezug genommen. In die Überlegungen werden auch Vorstellungen des politischen Raumes aus Bund und Ländern einfließen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2657 5 8. Worauf beruht nach Ansicht der Landesregierung die offenbar feststellbare „größere Sensibilität bei der Wahrnehmung und Bewertung der sogenannten Politisch motivierten Kriminalität“, wie drückt sich diese aus und durch welche Maßnahmen sollen in diesem Bereich weitere Verbesserungen erreicht werden? Der Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vom 22. August 2013 (Bundestagsdrucksache 17/14600) stellt die bisher umfassendste Bestandsaufnahme von Erkenntnissen zum NSU-Komplex dar. Die in diesem Bericht enthaltenen Handlungsempfehlungen und schon die während der Aufarbei- tung des NSU-Komplexes festgestellten Versäumnisse und Mängel haben nicht nur zu öffentlichen und sicherheitspolitischen Diskussionen geführt, sondern wurden auch in den polizeilichen Gremien und polizeiintern erörtert. Diese haben zu einer größeren Sensibilität auch hinsichtlich der Prüfung von Fällen der Gewaltkriminalität auf einen möglichen politisch motivierten Hintergrund beigetragen. In diesem Zusammenhang wurden auch alle ungeklärten Tötungsdelikte aus den Jahren 1990 bis 2011 einer nochmaligen Überprüfung unterzogen. Derartige Überprüfungen sollen auch in anderen Deliktsbereichen durchgeführt werden. Darüber hinaus werden fortlaufend offene Haftbefehle bei Personen überprüft, die dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen sind. Im Übrigen wird auch auf die zusammen- hängende Antwort zu den Fragen 1 und 2 Bezug genommen. 9. Was spricht aus Sicht der Landesregierung gegen die Forderung, a) dass die in den parlamentarischen Kontrollgremien vertretenen Fraktionen Anhörungen, Akteneinsicht und die Beauftragung von Ermittlungsbeauftragten unabhängig von der Regierungsmehrheit durchsetzen können müssen? b) dass den Mitgliedern der parlamentarischen Kontrollgremien die Möglichkeit eingeräumt werden muss, der Öffentlichkeit mitzu- teilen, wenn die jeweilige Regierung ihrer qualifizierten Unter- richtungspflicht nicht nachkommt? Zu Frage 9 a) Den umfassenden Kontrollrechten der Parlamentarischen Kontrollkommission, die insbesondere in § 29 Absatz 2 und 3 Landesverfassungsschutzgesetz normiert sind, steht das Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes gegenüber. Die Funktionsfähig- keit bedingt, dass von den parlamentarischen Befugnissen mit fachlichem Augenmaß Gebrauch gemacht wird und nicht vorrangig tagespolitische Auseinandersetzungen den Kontrollprozess bestimmen. Die Anwendung des Mehrheitsprinzips in der Parlamentarischen Kontrollkommission sichert insoweit bei Wahrung der sachbezogenen und fachlichkeits- orientierten Kontrolle die gesetzlich vorgegebene Funktionsfähigkeit des Verfassungs- schutzes. Die jetzige Regelung trägt darüber hinaus dem rechtsstaatlichen Gebot der Gewaltenteilung Rechnung. Drucksache 6/2657 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Zu Frage 9 b) Eine Fallgestaltung, in der die dem Gesetz verpflichtete Landesregierung ihrer Unterrich- tungspflicht nicht nachkommt, ist – wenn überhaupt – nur schwer vorstellbar. Sollten in der Kontrollkommission im Einzelfall Meinungsverschiedenheiten über die Erfüllung der Informationspflicht bestehen, kann mit Mehrheit unter Beachtung der weiteren Voraussetzun- gen des § 28 Absatz 2 Landesverfassungsschutzgesetz die öffentliche Behandlung beschlossen werden. Die dort normierten Anforderungen tragen sowohl der zu wahrenden Fachlichkeit der Kommissionsarbeit als auch der gebotenen Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes Rechnung.