Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 28. März 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2772(neu) 6. Wahlperiode 31.03.2014 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jutta Gerkan und Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltung durch das TTIP und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern hat sich in dieser Angelegenheit in gleichlautenden Schreiben nicht nur an den Landtag, sondern auch an den Ministerpräsidenten und mehrere Landesminister gewandt. Eine Anfrage des Abgeordneten Brie über die Auswirkungen der Transatlantischen Handelsund Investitionspartnerschaft (TTIP) auf Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung am 21. Februar 2014 (Drucksache 6/2672) beantwortet. Sie hat darin - in Übereinstimmung mit dem einstimmigen Beschluss des Bundesrates vom 7. Juni 2013 - die Aufnahme der Verhandlungen zwischen der EU und den USA begrüßt, gleichzeitig aber auf die Vorbehalte hingewiesen, die der Bundesrat bei dieser Gelegenheit geäußert hat. Dies entspricht auch der Haltung, die das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 23. Mai 2013 formuliert hat. Die in dieser Anfrage aufgeworfenen Fragen waren unter anderem Gegenstand sowohl einer Anhörung des Europa- und Rechtsausschusses des Landtags am 5. März 2014 als auch eines Gesprächstermins des Ausschusses mit einem Vertreter der Europäischen Kommission am 19.03.2014 in Brüssel. Drucksache 6/2772(neu) Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika verhandeln seit Juli 2013 über ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP). Ziel des Abkommens ist, nichttarifäre Handelsbeschränkungen abzubauen und damit den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und den USA zu erleichtern. In einem Schreiben an den Landtag brachte der Städte- und Gemeindetag seine Sorge zum Ausdruck, dass das TTIP die kommunale Selbstverwaltung beeinträchtigen könne. Konkret befürchtet der Städte- und Gemeindetag „massive Auswirkungen “ des TTIP „auf die kommunale Daseinsvorsorge, die kommunale Organisationshoheit sowie das öffentliche Beschaffungswesen“. 1. Teilt die Landesregierung die Sorge des Städte- und Gemeindetages, das TTIP werde die in Artikel 72 bis 75 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gewährleistete kommunale Selbstverwaltung beeinträchtigen? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? 2. Geht die Landesregierung wie der Städte- und Gemeindetag davon aus, dass das TTIP massive Auswirkungen auf die kommunale Daseinsvorsorge, die kommunale Organisationshoheit sowie das öffentliche Beschaffungswesen haben könnte? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? 3. Teilt die Landesregierung die Einschätzung des Städte- und Gemeindetages, dass durch das TTIP ein faktischer Privatisierungszwang für Aufgabenbereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge entstehen könnte? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 1, a), b), 2, a), b), 3, a) und b) Die in Artikel 72 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern fixierte Berechtigung der Kommunen zur eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze steht nicht infrage. Die Landesregierung begrüßt, dass in der Debatte über die Verhandlungen zur TTIP auch mögliche Auswirkungen des Abkommens auf die Kommunen thematisiert werden. Den kommunalen Belangen, welche auch nach Auffassung der Landesregierung einen hohen Stellenwert einnehmen, sollte in den Verhandlungen mit den USA eine angemessene Berücksichtigung zuteil werden. Beim aktuellen Verhandlungsstand können aber noch keine belastbaren Aussagen darüber getroffen werden, ob und welche Auswirkungen sich durch das Abkommen möglicherweise ergeben könnten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2772(neu) 3 Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zur TTIP vom 7. Juni 2013 (Bundesratsdrucksache 464/13 - Beschluss) gefordert, dass wesentliche Errungenschaften des EU-Rechts, insbesondere in den Bereichen Gesundheits- und Verbraucherschutz, Umwelt und Soziales, durch das Abkommen nicht in Frage gestellt werden dürfen. Dies entspricht auch den Vorgaben, die der Kommission durch die Mitgliedstaaten für die Verhandlungen gemacht worden sind, sowie der Position des Europäischen Parlaments. Die Kommission hat als Reaktion auf Kritik und Befürchtungen in den letzten Wochen bei mehreren Gelegenheiten und auch in schriftlicher Form klargestellt, dass sie sich an diese Vorgaben halten wird, auch um die erforderliche Zustimmung von Ministerrat und Europäischem Parlament zu einem Verhandlungsergebnis nicht in Frage zu stellen. Die Landesregierung sieht keinen Anlass, diese Zusicherungen der Kommission in Zweifel zu ziehen. Insbesondere zur Frage der kommunalen Daseinsvorsorge hat die Kommission in einem Positionspapier vom 20. Dezember 2013 klargestellt, dass diese nicht Gegenstand der Verhandlungen werden soll. Entsprechende Ausnahmen in bestehenden Handelsabkommen sollen auch in der TTIP vorgesehen werden. Die Landesregierung sieht keine Anhaltspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass durch die TTIP ein faktischer Privatisierungszwang entstehen könnte. Das EU-Recht gewährleistet die Entscheidungsbefugnis der Kommunen darüber, ob eine Leistung der Daseinsvorsorge in öffentlicher oder privater Trägerschaft erbracht werden soll. Daran soll die TTIP nach Aussage der Kommission nichts ändern. 4. Teilt die Landesregierung die Einschätzung des Städte- und Gemeindetages, dass mit der „profitorientierten Vermarktung von Leistungen der Daseinsvorsorge“ Qualitätseinbußen, Preissteigerungen und eine Auszehrung der kommunalen Infrastruktur einhergehen können? a) Wenn ja, in welchen konkreten Fällen war dies in den vergangenen fünf Jahren der Fall? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 4, a) und b) Die EU-Kommission hat in einem Positionspapier vom 18. Februar 2014 klargestellt, dass kein Freihandelsabkommen die Mitgliedsstaaten zur Liberalisierung oder Privatisierung der Wasserversorgung oder anderer öffentlicher Dienstleistungen verpflichtet. Unabhängig davon führen Privatsierungen nicht zwingend zu qualitativen und quantitativen Einschränkungen. Drucksache 6/2772(neu) Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 5. Inwiefern ist die kommunale Wasserversorgung nach Kenntnis der Landesregierung Bestandteil der TTIP-Verhandlungen? Auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 wird verwiesen. Das Positionspapier vom 20. Dezember 2013 geht insbesondere auf die Frage der Wasserversorgung ein und betont, dass diese nicht Gegenstand der Verhandlungen sein soll. Damit wird auch der Diskussion über die EU-Konzessionsrichtlinie im letzten Jahr Rechnung getragen. 6. Wie bewertet die Landesregierung die in einem Kurzgutachten von Prof. Dr. Krajewski, Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg , geäußerte Annahme, das TTIP werde einen sogenannten Negativlisten-Ansatz verfolgen, nach dem alle Dienstleistungen von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens erfasst werden, wenn sie nicht ausdrücklich ausgenommen sind, sodass eine Nichteinbeziehung des Wassersektors (so wie jedes sonstigen Sektors) weitreichende negative Folgen haben könnte? Angesichts des derzeitigen Verhandlungsstands können noch keine Aussagen dazu getroffen werden, auf welchen Ansatz sich die Verhandlungspartner gegebenenfalls verständigen werden. Aus diesem Grund können die von Prof. Krajewski geäußerten Bedenken durch die Landesregierung derzeit nicht bewertet werden. Die Verhandlungsdirektiven für die TTIP beziehen sich ausdrücklich auf die Praxis der EU im Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (englisch: General Agreement on Trade in Services; GATS) und unterstreichen die Sonderstellung der öffentlichen Dienstleistungen unter EU-Recht. Wichtig für die weiteren Verhandlungen ist, dieses kritisch und aufmerksam zu begleiten und sicherzustellen, dass der Bereich der kommunalen Wasser- und Abwasserversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht von den Liberalisierungsvorschriften der TTIP erfasst wird. 7. Teilt die Landesregierung die Befürchtung des Städte- und Gemeindetages , dass bei einer Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und der „damit verpflichtenden völligen Gleichbehandlung von in- und ausländischen Bietern“ Aspekte wie die Unterstützung der lokalen Wirtschaft oder soziale und ökologische Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht mehr berücksichtigt werden können? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2772(neu) 5 8. Würden Bund, Ländern und Kommunen nach Ansicht der Landesregierung bei einer Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens „wichtige Steuerungsinstrumente auf die regionale Wirtschaftsentwicklung genommen werden“? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 7, a), b), 8, a) und b) Schon nach dem geltenden Welthandelsorganisation (WTO)-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen haben Bieter aus den USA oberhalb bestimmter Wertgrenzen grundsätzlich gleichen Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU. Welche Kriterien, insbesondere sozialer oder ökologischer Art, bei der Vergabe berücksichtigt werden dürfen, bestimmt das einschlägige EU-Recht. Die Unterstützung der lokalen Wirtschaft ist bereits danach kein zulässiges Kriterium, ohne dass es auf den Inhalt der TTIP ankäme. Etwaige Auswirkungen auf das öffentliche Beschaffungswesen können derzeit noch nicht bewertet werden. Da aber circa 90 % aller öffentlichen Aufträge im Rahmen nationaler Vergabeverfahren vergeben werden, ist nicht davon auszugehen, dass durch die TTIP wichtige Steuerungsinstrumente auf die regionale Wirtschaftsentwicklung genommen werden würden. 9. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, auf die Verhandlungen zum TTIP Einfluss zu nehmen und wie wird sie diese nutzen? Die Zuständigkeit für die Verhandlungen liegt bei der Europäischen Kommission. Diese unterrichtet regelmäßig die Mitgliedstaaten im Rat sowie den zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Angesichts verbreiteter Kritik an der TTIP hat die Kommission Anstrengungen unternommen, die Transparenz zu erhöhen und in den betreffenden Bereichen ihre Position für die Verhandlungen zu verdeutlichen. Dazu stellt sie zunehmend Dokumente auf ihre Internetseite. Darüber hinaus werden Interessenvertreter regelmäßig über die Verhandlungsrunden informiert. Die Länder werden durch die Bundesregierung unterrichtet und beteiligt und pflegen auch direkte Kontakte mit der Kommission, etwa über ihre Büros in Brüssel. Die Landesregierung wird den Verlauf der Verhandlungen weiterhin aufmerksam begleiten und sich dafür einsetzen, dass die Anliegen der Länder und auch der Kommunen gewahrt werden.