Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 31. März 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2794 6. Wahlperiode 01.04.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebungshaft in der JVA Bützow und ANTWORT der Landesregierung Nach Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG dürfen nur solche Mitgliedstaaten, die nicht über spezielle Hafteinrichtungen verfügen, Abschiebungshäftlinge in gewöhnlichen Hafteinrichtungen unterbringen. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt aber über spezielle Hafteinrichtungen für Abschiebungshäftlinge. Nach Angaben von Sachverständigen ist sie deshalb dazu verpflichtet, den Vollzug der Abschiebungshaft komplett vom Straf- bzw. Untersuchungshaftvollzug zu trennen. Dennoch werden Abschiebungshäftlinge in 11 Bundesländern, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern, in gewöhnlichen Hafteinrichtungen untergebracht . Die darin bestehende Missachtung des Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG wurde bereits von mehreren Amts- und Landgerichten gerügt, darunter auch das Landgericht Rostock. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt , ob sich aus Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedstaats ergibt, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederungen dieses Mitgliedstaats vorhanden sind, in anderen aber nicht. In dem Vorlagebeschluss heißt es, der vorlegende Senat neige mit Blick auf den Wortlaut der Richtlinie dazu, dass auf die Mitgliedstaaten und nicht auf föderale Untergliederungen abzustellen sei. Drucksache 6/2794 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Wurde Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG nach Ansicht der Landesregierung durch § 62a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt? a) Wenn ja, inwiefern? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 1, a) und b) Nach Auffassung der Landesregierung ist Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG durch § 62a des Aufenthaltsgesetzes ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden. Richtlinien der Europäischen Union bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Umsetzung in nationales Recht. Hinsichtlich der Form und der Mittel der Umsetzung haben die Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum. Artikel 4 Absatz 2 Satz 1 des Vertrages über die Europäische Union besagt, dass die Europäische Union die föderale Struktur der Mitgliedstaaten zu respektieren hat. Dieser Vorgabe hat der Bundesgesetzgeber Rechnung getragen, indem er in § 62a Absatz 1 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes bei den Vorgaben zur Ausgestaltung der Abschiebungshaft auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes abstellt und eine auf das gesamte Bundesgebiet bezogene Fassung abgelehnt hat (Beschlussempfehlung zum Umsetzungsgesetz, Bundestagsdrucksache 17/6497, Seite 10 fortfolgende). Nach der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland ist es Aufgabe der Bundesländer, die Abschiebungshaft zu vollziehen. 2. Erfolgt der Abschiebungshaftvollzug in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bützow nach Ansicht der Landesregierung in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2008/115/EG? a) Wenn ja, wie begründet die Landesregierung diese Einschätzung vor dem Hintergrund der oben beschriebenen rechtlichen Lage? b) Wenn nicht, warum nicht und wie wird die Landesregierung künf- tig einen richtlinienkonformen Abschiebungshaftvollzug sicherstellen ? Zu 2, a) und b) Es ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der genannten Beschlüsse - insbesondere des Landgerichts Rostock - zwischenzeitlich der Vollzug der Abschiebungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bützow eingestellt worden ist. Auch wenn es sich bei den genannten Beschlüssen um Einzelfallentscheidungen handelte, stand zu erwarten, dass eine Unterbringung von Abschiebungshaftgefangenen in der JVA in Bützow zukünftig nicht mehr realisiert werden kann. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2794 3 Mit dem Land Brandenburg ist kurzfristig vereinbart worden, dass Fälle aus der Zuständigkeit des Landes in der dortigen Abschiebungshafteinrichtung in Eisenhüttenstadt untergebracht werden, so wie es für weibliche Häftlinge seit Jahren gängige Praxis ist. Möglichkeiten und Erfordernisse einer langfristigen Zusammenarbeit werden derzeit geprüft und erarbeitet. 3. Wie viele Abschiebungshäftlinge waren in den Jahren 2011, 2012 und 2013 in der JVA Bützow inhaftiert? a) Wie viele Abschiebungshäftlinge waren in den Jahren 2011, 2012 und 2013 länger als drei Monate, länger als sechs Monate, länger als zwölf Monate und länger als 17 Monate in der JVA Bützow inhaftiert? b) Wie viele Abschiebungshäftlinge waren in den Jahren 2011, 2012 und 2013 im Alter von bis zu 16 Jahren, 16- bis 18 Jahren, 18- bis 59 Jahren und ab 60 Jahren in der JVA Bützow inhaftiert? c) Wie viele unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderung bzw. Opfer schwerer physischer oder psychischer Gewalt, insbesondere traumatisierte Personen, waren in den Jahren 2011, 2012 und 2013 wie lange im Abschiebungshaftvollzug der JVA Bützow inhaftiert? Auf die nachfolgende Übersicht wird verwiesen. 2011 2012 2013 67 59 86 Zu a) Auf die nachfolgende Übersicht wird verwiesen. 2011 2012 2013 länger als drei Monate 7 - 2 länger als sechs Monate - - - länger als 12 Monate - - - länger als 17 Monate - - - Drucksache 6/2794 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Zu b) Auf die nachfolgende Übersicht wird verwiesen. 2011 2012 2013 bis zu 16 Jahre - - - 16 bis 18 Jahre 1 2 2 18 bis 59 Jahre 66 57 81 ab 60 Jahre - - 3 Zu c) Die nachstehende Tabelle listet die Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen (alle im Alter zwischen 16 und 18 Jahren) und die Dauer ihres Aufenthalts im Abschiebungshaftvollzug der Justizvollzugsanstalt Bützow auf. Jahr Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen Dauer der Inhaftierung 2011 1 20 Tage 2012 2 a) 30 Tage b) 25 Tage 2013 2 a) 37 Tage b) 42 Tage Menschen mit Behinderung waren in den Jahren 2011 bis 2013 nicht inhaftiert. Der Justizvollzugsanstalt Bützow liegen bei der Aufnahme der Abschiebungshäftlinge grundsätzliche keine Kenntnisse über deren biographische Vorgeschichten vor, sodass die Frage nach inhaftierten Abschiebungshäftlingen, die möglicherweise Opfer schwerer physischer und psychischer Gewalt wurden, nicht beantwortet werden kann. In dem gefragten Zeitraum sind allerdings insgesamt acht Personen mit erheblichen psychischen Auffälligkeiten in Erscheinung getreten. Überwiegend wurden sie als suizidgefährdet eingestuft. Im Übrigen wird auf die nachfolgende Übersicht verwiesen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2794 5 Jahr Anzahl der Abschiebungshäftlinge mit psychischen Auffälligkeiten Dauer der Inhaftierung 2011 1 85 Tage 2012 3 a) 14 Tage b) 86 Tage c) 90 Tage 2013 4 a) 14 Tage b) 36 Tage c) 64 Tage d) 87 Tage 4. Wie hoch waren die Tagessätze in den Jahren 2011, 2012 und 2013, auf deren Grundlage den Abschiebungshäftlingen nach §§ 66, 67 Aufenthaltsgesetz die Kosten für ihre Abschiebungshaft in Rechnung gestellt wurden? Auf die nachfolgende Übersicht zur Höhe der Tageshaftkostensätze wird verwiesen. 2011 2012 2013 76,79 Euro 68,43 Euro 68,85 Euro 5. Inwiefern ist das Fehlen einer eigenständigen Rechtsgrundlage für den Abschiebungshaftvollzug in der JVA Bützow nach Ansicht der Landesregierung mit dem Grundgesetz vereinbar? Über den Verweis in § 422 Absatz 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten die dort in Bezug genommenen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, sofern die Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird. Es bedurfte somit keiner eigenständigen Rechtsgrundlage, zum Beispiel in Form eines Landesgesetzes zum Vollzug der Abschiebungshaft . Im Übrigen ist mit § 14 der Verordnung über den Vollstreckungsplan des Landes Mecklenburg -Vorpommern die Zuständigkeit zum Vollzug der Abschiebungshaft an männlichen Personen landesintern der Justizvollzugsanstalt Bützow zugewiesen worden. Drucksache 6/2794 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 6. Wie vielen Abschiebungen ging in den Jahren 2011, 2012 und 2013 die Verhängung von Abschiebungshaft voraus und wie viele Abschiebungen erfolgten in den Jahren 2011, 2012 und 2013 ohne vorherige Verhängung von Abschiebungshaft? Auf die nachfolgende Übersicht wird verwiesen. 2011 2012 2013 Haftfälle 39 34 25 Abschiebungen ohne Haft 218 258 452 7. Welche milderen Mittel kommen nach Ansicht der Landesregierung als Alternative zur Abschiebungshaft in Betracht und inwieweit plant die Landesregierung, diese zum Beispiel in Gestalt von Ausführungsbestimmungen zu § 62 Aufenthaltsgesetz auch einzusetzen? a) Wie bewertet die Landesregierung die Ausführungsbestimmung des Senators für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen zu § 62 Aufenthaltsgesetz, nach der besonders schutzbedürftige Personen grundsätzlich nicht in Haft zu nehmen sind? b) Wie bewertet die Landesregierung die Ausführungsbestimmung des Senators für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen zu § 62 Aufenthaltsgesetz, nach der zu prüfen ist, ob die Anordnung milderer Maßnahmen wie Meldeauflagen, die räumliche Beschränkung des Aufenthalts oder die Vereinbarung von Sicherheitsleistungen oder Garantien durch Vertrauenspersonen infrage kommt? c) Wie bewertet die Landesregierung die Ausführungsbestimmung des Senators für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen zu § 62 Aufenthaltsgesetz, nach der die Inhaftnahme auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und ein Haftantrag grundsätzlich für höchstens zwei Wochen gestellt werden soll? Die zuständigen Behörden zur Beantragung von Abschiebungshaft sind nach § 62 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes gehalten, zu prüfen, ob durch mildere Maßnahmen der Zweck der Haft ebenfalls erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund kommen mildere Mittel bereits kraft Gesetzes zur Anwendung, so dass es aus Sicht der Landesregierung näherer Ausführungsbestimmungen nicht bedarf. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2794 7 Zu a) Der Senator für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen zitiert in seinem Erlass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009. Nach Ziffer 62.0.5 der genannten Verwaltungsvorschrift sollen Minderjährige, die das 16. Lebensjahr noch nicht und Ausländer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, sowie Schwangere beziehungsweise Mütter innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzvorschriften grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Halten sich die Eltern des minderjährigen Ausländers nicht im Bundesgebiet auf, hat die Ausländerbehörde mit dem zuständigen Jugendamt wegen der Unterbringung des Ausländers bis zur Abschiebung Kontakt aufzunehmen (vergleiche § 42 Absatz 1 Satz 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch). Minderjährige Ausländer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen bis zur Abschiebung regelmäßig in der bisherigen Unterkunft untergebracht werden. Bei Familien mit minderjährigen Kindern soll in der Regel nur Abschiebungshaft für einen Elternteil beantragt werden. Aus Sicht der Landesregierung sind die Vorgaben dieser Verwaltungsvorschrift, die sich auf besonders schutzbedürftige Personen beziehen, ausreichend und werden im Einzelfall durch die zuständigen Behörden beachtet. Weitergehende Regelungen sind insofern nicht erforderlich. Zu b) Mildere Mittel sind bereits gemäß § 62 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes bei der Beantragung von Abschiebungshaft durch die zuständigen Behörden in Betracht zu ziehen. Es wird deshalb keine Notwendigkeit gesehen, weitere Ausführungsvorgaben zu erlassen. Zu c) Nach § 62 Absatz 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz ist die Inhaftnahme kraft Gesetzes auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Die Landesregierung hält diese Vorgabe - auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Abschiebungshaft generell nur als letztes Mittel zur Anwendung kommt - für ausreichend. Eine grundsätzliche Beschränkung des Haftantrages auf zwei Wochen wird nicht für erforderlich erachtet, da für die Haftdauer die jeweiligen Umstände des Einzelfalls von maßgeblicher Bedeutung sind.