Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 14. Mai 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2916 6. Wahlperiode 15.05.2014 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jürgen Suhr und Johannes Saalfeld, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelungsbedarf bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung In Mecklenburg-Vorpommern werden auf der Grundlage von § 18 Absatz 2 der Durchfüh- rungsverordnung zur Kommunalverfassung (KV-DVO) zwar die Ergebnisse von Bürger- entscheiden, nicht aber Bürgerbegehren amtlich und zentral erfasst. Inwieweit die in der Kleinen Anfrage genannten, von einem privaten Verein genannten Zahlen vollständig und zutreffend sind, kann daher seitens der Landesregierung nicht eingeschätzt werden. Bei der folgenden Beantwortung wird ungeachtet dessen die Korrektheit der genannten Zahlen unterstellt. Da die materiellen Regelungen zu Bürgerbegehren und die Größe der Datenbasis, die für statistische Ausreißer maßgeblich sein kann, von Land zu Land differieren, besteht bei länderübergreifenden Vergleichen zudem die Schwierigkeit, dass belastbare Aussagen zur Kausalität von Regelungsbesonderheiten und zahlenmäßigen Befunden schwierig zu ziehen sind. Nach dem Bürgerbegehrensbericht 2012 des Vereins „Mehr Demokratie“ wurden in Mecklenburg-Vorpommern bis Ende 2011 87 Bürgerbegehren durchgeführt, von denen 16, also lediglich 18 Prozent, in Bürgerentschei- den mündeten. 39 der von Bürgern initiierten Anträge auf die Durchfüh- rung eines Bürgerentscheids wurden für unzulässig erklärt. Das sind 44,8 Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern war damit bundesweit der zweithöchste Anteil der unzulässigen Anträge an der Gesamtzahl der Anträge zu verzeichnen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Jahr 2012 einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der darauf abzielte, die entsprechenden Vorschriften der Kommunalverfassung betei- ligungsfreundlicher zu gestalten. Dieser wurde jedoch abgelehnt. Von einer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf sah die Landesregierung ab. Drucksache 6/2916 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Wie haben sich die oben genannten Zahlen bis Ende 2013 weiterent- wickelt? a) Wie viele Bürgerbegehren wurden in den Jahren 2012 und 2013 in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt? b) Wie viele Bürgerbegehren mündeten in den Jahren 2012 und 2013 in Bürgerentscheiden? c) Wie viele Bürgerbegehren wurden in den Jahren 2012 und 2013 aus welchen Gründen für unzulässig erklärt? Die Fragen 1, a), b) und c) werden zusammenhängend beantwortet. In Mecklenburg-Vorpommern werden - wie in den Vorbemerkungen ausgeführt - Bürger- begehren nicht zentral amtlich erfasst und ausgewertet. Nach Kenntnis der Landesregierung mündete in den genannten Jahren kein Bürgerbegehren in einen Bürgerentscheid. 2. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass in Mecklenburg-Vorpommern zumindest bis Ende 2011 bundesweit der zweithöchste Anteil der unzulässigen Anträge an der Gesamtzahl der Anträge zu verzeichnen war? Eine Bewertung dieses Umstandes ist bereits deswegen problematisch, da über die Ursachen, die zu diesem Ergebnis führen, nur spekuliert werden kann. Es liegt jedoch auf der Hand, dass Fehleinschätzungen von Initiatoren eines Bürgerbegehrens zur Frage der Zulässigkeit ihres Anliegens umso häufiger auftreten, je komplexer die Rege- lungen zum Positiv-/Negativkatalog sind. Hier sind naturgemäß Gemeindeordnungen, die auf einen Negativkatalog aus rechtspolitischen Gründen weitgehend verzichten, für Laien leichter zu handhaben. Allerdings kann auch die Frage der Gemeindestruktur für den relativ hohen Anteil von unzulässigen Bürgerbegehren mitursächlich sein: Im großstädtischen Raum ist es für Bürgerinitiativen verhältnismäßig leichter, in ihren Reihen verwaltungserfahrene oder juristisch vorgebildete Mitstreiter zu finden. Dies wirkt sich naturgemäß auch auf die Vorbereitung von Bürgerbegehren aus. 3. Welche Änderungen des Landesrechts plant die Landesregierung, um die Vorschriften über Bürgerbegehren und -entscheide beteiligungs- freundlicher zu gestalten? Auf der Grundlage eines beim Bürgerbeauftragten im Jahr 2013 anhängigen Falles beabsich- tigt das Innenministerium, im Rahmen einer Novelle der Kommunalverfassung eine Ände- rung des § 20 vorzuschlagen, nach der im Anschluss an einen Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen über Gebietsänderungen durch Bürgerbegehren erwirkt werden kann, dass der ausgehandelte Vertrag einem Bürgerentscheid unterzogen wird. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2916 3 Hiermit würde gewährleistet werden, dass ein Gebietsänderungsvertrag nicht unterschrieben werden kann, ohne dass die Bürger die Möglichkeit einer effektiven Einflussnahme erhalten. 4. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Umstand, dass etwa ein Viertel der Anträge auf Durchführung eines Bürger- begehrens wegen des darin behandelten Themas für unzulässig erklärt wurde? Die genannte Quote lässt nach Einschätzung der Landesregierung keine unmittelbaren Rück- schlüsse auf etwaige Regelungsdefizite oder verwaltungstechnische Missstände zu. Dies liegt zum einen daran, dass bei der Rechtsanwendung abstrakt genereller Regelungen auf konkrete Sachverhalte gelegentliche Rechtsanwendungsfehler faktisch nicht zu vermeiden sind. Dies gilt schon für professionelle Rechtsanwender, erst Recht aber für Bürger als Initiatoren von Bürgerbegehren, die häufig keine juristischen Kenntnisse haben und im Zweifel - also auch dann, wenn es bereits im Vorfeld Hinweise auf Zulässigkeitsprobleme seitens der Kommunal- verwaltung gegeben hat - auf einer formellen Zulässigkeitsentscheidung durch die Vertretung bestehen. Überdies gibt es nach Einschätzung der Landesregierung Fälle, in denen zu vermuten ist, dass Bürgerbegehren in voller Kenntnis ihrer Unzulässigkeit initiiert werden, um - jenseits rechtlicher Bindungswirkungen - politischen Druck auf die entscheidungs- befugte Vertretung auszuüben. Eine solche Vorgehensweise ist zwar legitim, erhöht aber zwingend die Quote unzulässiger Bürgerbegehren. 5. Wie bewertet die Landesregierung den Beschluss des 69. Deutschen Juristentages, nach dem die Bauleitplanung (insbesondere Einleitung und Einstellung eines solchen Verfahrens) Gegenstand eines Bürger- entscheids nach den Gemeindeordnungen sein können sollte? Die Frage des Umfangs des Negativkataloges ist im Kern rechtspolitischer Natur. Der Landtag hat sich mit dieser Thematik zuletzt im Jahr 2004 befasst und im Rahmen der Behandlung des Gesetzentwurfs von SPD und PDS von einer deutlichen Reduzierung des Negativkataloges Abstand genommen (vergleiche Landtags-Drucksache 4/986). Die Landes- regierung sieht angesichts dessen von einer eigenen rechtspolitischen Bewertung des Vor- schlags des Juristentages ab, der überdies mit einer denkbar knappen Mehrheit von 20 zu 19 Stimmen bei 7 Enthaltungen gefasst wurde. Drucksache 6/2916 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 6. Sieht die Landesregierung eine Möglichkeit, den hohen Anteil derje- nigen Bürgerbegehren, die wegen eines fehlenden oder unzu- reichenden Kostendeckungsvorschlags für unzulässig erklärt werden, durch eine Umwandlung der einschlägigen „Muss“-Vorschrift in eine „Soll“-Vorschrift zu verringern und, wenn nicht, warum nicht? Da jede von einer Kommune beschlossene kostenträchtige Maßnahme sowohl faktisch als auch haushaltsrechtlich gegenfinanziert sein muss, wird die gegenwärtige Muss-Regelung als zwingend erachtet. Sie dient überdies dazu, im Rahmen von Unterschriftensammlungen zu verhindern, dass Bürger vorschnell zu einer Unterschrift verleitet werden, weil ihnen Kosten- folgen möglicherweise gezielt vorenthalten werden. Die Reglung ist schließlich auch system- gerecht: Wenn Bürger mit ihrer Entscheidung an die Stelle der kommunalen Vertretung treten, ist es konsequent, die Anträge denselben inhaltlichen Anforderungen zu unterziehen. Der insoweit bestehende Beratungsanspruch gegenüber der Kommunalverwaltung (§ 20 Absatz 5 Satz 2 Kommunalverfassung) verhindert zudem, dass die Bürger durch diese Norm überfordert werden. 7. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Umstand, dass etwa ein Viertel der Anträge wegen sonstiger Formfehler für unzulässig erklärt wurde? Da der Landesregierung nicht bekannt ist, was sich konkret hinter „sonstigen Formfehlern“ verbirgt, kann hierzu keine Bewertung abgegeben werden. 8. Was spricht aus Sicht der Landesregierung gegen die Schaffung einer Möglichkeit für die Initiatorinnen und Initiatoren eines Bürgerbegeh- rens, den Antrag noch vor der Sammlung der notwendigen Unter- schriften vorab durch die Gemeindevertretung bzw. den Kreistag auf seine Zulässigkeit überprüfen zu lassen? Gegen diesen Vorschlag sprechen die folgenden rechtspolitischen Überlegungen: a) In den kommunalen Vertretungen sind ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger Mitglieder. Deren zeitliche Ressourcen sind ein knappes Gut, welches ausschließlich für konkret anstehende Entscheidungen in Anspruch genommen werden sollte. Die genannte Regelung würde dagegen dazu führen, dass Zulässigkeitsentscheidungen auch dann zu treffen wären, wenn noch gar nicht feststeht, dass sie tatsächlich überhaupt relevant werden. Entsprechendes gilt auch hinsichtlich des bei der Verwaltung für die Erstellung der Beschlussvorlage ausgelösten Aufwandes. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2916 5 b) Die Regelung würde dazu führen, dass Einzelne oder Splittergruppen zu Bürgerentscheids- themen eine Befassung der kommunalen Vertretung erzwingen könnten, ohne auch nur eine realistische Chance auf ein Erreichen des Unterschriftenquorums zu haben.