Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 11. Juni 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/2998 6. Wahlperiode 11.06.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion DIE LINKE Angemessenes Vorgehen der Polizei bei Sitzblockaden im Rahmen von Demonstration/Gegendemonstration am 8. Mai 2014 in Demmin und ANTWORT der Landesregierung Die Versammlungsfreiheit gewährt auch das Recht zur Gegendemonstration und diese genießt wiederum das Recht der Gestaltungsfreiheit. Demnach sind neben Reden, Gesängen, Spruchbändern etwa auch kurzzeitige Sitzblockaden möglich, um durch körperliche Anwesenheit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen. 1. Inwiefern und inwieweit war vor dem Hintergrund höchstrichterlicher Rechtsprechung das Mittel der Sitzblockade im Rahmen von Demonstration /Gegendemonstration am 8. Mai 2014 in Demmin zulässig und welche Behörde hat hierüber im Einzelnen wann wie entschieden? In der Regel ist bei passiven Blockaden von Friedlichkeit auszugehen, solange nicht Menschen oder Menschengruppen eingeschlossen werden oder etwa ein Demonstrationszug vollständig an seiner Bewegung gehindert wird. Möglich sind friedliche Blockadeaktionen, bei denen nicht das Blockieren an sich im Vordergrund steht, sondern die Bekundung, eine aus politischen Gründen nicht gewünschte Demonstration kurzzeitig aufzuhalten. Verhinderungsblockaden sind dagegen rechtswidrige Selbstjustiz und missachten die von Artikel 8 und 5 Grundgesetz geschützte Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen zu den Fragestellungen unter Ziffer 2 bis 4 verwiesen. Drucksache 6/2998 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Objektiv-rechtlich sind Versammlungsbehörde und Polizei Garanten für die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit und dazu berufen, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts hinzuwirken. Mit jeder während des Versammlungsgeschehens am 8. Mai 2014 in Demmin festgestellten Blockade wurde zeitnah eine Entscheidung durch die vor Ort anwesende Versammlungsbehörde des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte in Abstimmung mit dem Leiter des zuständigen Einsatzabschnittes der Polizei herbeigeführt. 2. Anhand welcher Kriterien im Einzelnen wurden im Rahmen von Demonstration/Gegendemonstration am 8. Mai 2014 in Demmin Sitzblockaden als durch die Versammlungsfreiheit gedeckte Spontanversammlungen bewertet sowie behandelt und auf welchem Wege wurden die Teilnehmer wann von einer möglichen Neubewertung der Spontanversammlung als (rechtswidrige) Verhinderungsblockade durch welche Behörde unterrichtet? Spontanversammlungen sind Versammlungen oder Aufzüge, die nicht von langer Hand vorbereitet sind, sondern aus einem momentanen Anlass ungeplant und augenblicklich entstehen beziehungsweise sich entwickeln; das heißt Entschluss und Durchführung fallen unmittelbar zusammen. Diese Tatbestandsmerkmale trafen auf die Blockaden am 08.05.2014 in Demmin nicht zu. Vielmehr war von Absprachen im Vorfeld durch die Initiatoren auszugehen. Dafür sprechen die zeitliche und örtliche Ausrichtung der Blockaden ausschließlich bezogen auf die Aufzugstrecke „Rechts“. Zudem wurden Transparente mitgeführt, die darauf schließen ließen, dass Vorbereitungshandlungen stattgefunden und die Teilnehmer sich nicht spontan versammelt haben. Die Teilnehmer wurden durch die Polizeibediensteten, die jeweils für die Einsatzabschnitte zuständig waren, über die rechtliche Einordnung der Maßnahme informiert. 3. Welche Umstände im Einzelnen führten bei Abwägung der widerstreitenden Interessen (der Demonstranten und Gegendemonstranten) bei welcher Behörde zu dem Ergebnis, dass das Unterbinden von Sitzblockaden am 8. Mai 2014 in Demmin zumutbar und/oder verhältnismäßig sei? Die Teilnehmer der Sitzblockaden konnten sich nicht auf den Grundrechtsschutz aus Artikel 8 Grundgesetz berufen. Für die Anwendung des Schutzbereichs des Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz rechtfertigt die Versammlungsfreiheit Behinderungen in Form von Sitzblockaden prinzipiell nur dann, wenn es sich um eine sozial-adäquate Nebenfolge der Demonstration handelt und das Verhalten nicht über passive Resistenz hinausgeht. An diesen Voraussetzungen fehlt es, wenn wie im vorliegenden Fall, absichtliche Behinderungen Dritter durch physische Sperrung von Straßenabschnitten oder Kreuzungsbereichen (Verkehrswegen) zielgerichtet angestrebt werden. Hauptzweck war nicht mehr die öffentliche Kundgabe einer gemeinsamen Aussage, sondern eine bewusst herbeigeführte Störung. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/2998 3 Die Sitzblockaden dienten primär dem „Selbstvollzug“ mit dem Ziel, den Aufmarsch „Rechts“ zu verhindern. Bewusst herbeigeführte Störungen erhalten keine aus der Versammlungsfreiheit folgende Rechtfertigung. Neben der Beeinträchtigung des Versammlungsrechts Dritter waren auch Gefahren für Leben und Gesundheit durch das Blockieren von Rettungswegen zu befürchten. Bei Verstößen gegen Rechtsvorschriften, wie hier die Verletzung des Störungsverbots gemäß § 2 Absatz 2 Versammlungsgesetz durch eine Verhinderungsblockade, haben Versammlungsbehörde und Polizei im Rahmen ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr die Integrität der Rechtsordnung zu gewährleisten und den Schutz des Individualrechtsgutes Versammlungsfreiheit sicherzustellen; die Befugnis zum Einschreiten im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts war gegeben. Überdies blieb für die Versammlungsbehörde oder Polizei kein Raum für Absprachen mit den Blockadeteilnehmern im Sinne von vertrauensvoller Kooperation, da Kooperationen durch Blockadeteilnehmer, ausgenommen die Blockade auf der Breitscheidstraße/Höhe Luisentor, abgelehnt worden sind. 4. Mit welchem Ergebnis wurde durch welche Behörde am 8. Mai 2014 in Demmin geprüft, ob in Anbetracht der Gegendemonstrationen und Sitzblockaden Maßnahmen gegen die Ausgangsversammlung als „kleineres Übel“ in Betracht kommen? Festzustellen ist, dass sowohl die sogenannte Ausgangsversammlung als auch die Mahnwachen und der Aufzug als Gegendemonstrationen als öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel angemeldet und vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz geschützt waren; dies traf nicht für die Blockadehandlungen zu, sofern sie reine Verhinderungsplanungen darstellten. Letztere haben aufgrund der fehlenden Rechtmäßigkeit stets hinter der „Hauptversammlung“ zurückzustehen. Bei Kollision der Versammlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern, die ebenfalls Grundrechtschutz genießen, wie die angemeldeten Gegendemonstrationen, waren durch die Behörde Art und Umfang der Beeinträchtigung zu ermitteln und Maßnahmen festzulegen, wie die Beeinträchtigung ohne gravierende Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu verringern ist. Im Rahmen der Umsetzung des Prinzips der praktischen Konkordanz wurden hinsichtlich der angemeldeten Versammlungen und den konkurrierenden Nutzungswünschen einer bestimmten Örtlichkeit daher beschränkende Verfügungen hinsichtlich der räumlichen Trennung der angemeldeten Versammlungen erlassen. Da das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Ziel und Gegenstand der Versammlung behördliche Änderungen von Modalitäten der Versammlung nicht ausschließt, war die Behörde gehalten, auch während des Aufzugs in Kooperation mit dem Versammlungsleiter Modifikationen innerhalb der Ausgestaltung der Versammlung vorzunehmen, die nicht zu einer Vereitelung des Versammlungszwecks führten mit der Folge des Schutzes gleichwertiger anderer Rechtsgüter; hier aus Artikel 8 Grundgesetz. Drucksache 6/2998 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 5. Welche Auswirkungen im Einzelnen hatte der Erlass des Innen- ministeriums vom 23.08.2001 („Umgang mit rechtsextremen Demonstrationen “) auf das Demonstrationsgeschehen am 8. Mai 2014 in Demmin, welche Konsequenzen ergaben sich für die sog. Verfügungsbehörde (kommunale Versammlungsbehörde) sowie für die zuständige Durchführungsbehörde (Polizei) und deren Zusammenwirken ? Bei dem Schreiben vom 23.08.2001 handelte es sich um eine Einladung des Staatssekretärs des Ministeriums für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern an die Landräte der Landkreise als Ordnungsbehörden und die Leiter der Polizeidirektionen zu einer gemeinsamen Beratung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten von Verboten und Auflagen anlässlich rechtsextremistischer Versammlungen. Ziel der Dienstberatung sollte nach dem Wortlaut der Einladung sein, das Mittel des Verbotes unter Beachtung der Rechtsprechung zu erläutern und weitere Gestaltungsmöglichkeiten, die das Gesetz mit Hilfe von Auflagen vor und während der Versammlung bereithält, aufzuzeigen. Sofern nach Auswirkungen auf das Demonstrationsgeschehen am 08.05.2014 gefragt wird, muss angemerkt werden, dass sich etliche versammlungsrechtliche Fragen, die auf der am 13.09.2001 durchgeführten Beratung erörtert wurden, heute - bedingt durch die Fortentwicklung der Rechtslage und der Rechtsprechung in den zurückliegenden knapp 13 Jahren - nicht mehr in der damaligen Form stellen. Insbesondere die zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben ganz erheblich zur zwischenzeitlichen Klärung bestimmter Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen Verboten und Auflagen stehen, beigetragen. 6. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Landesregierung auch nach dem Demonstrationsgeschehen am 8. Mai 2014 in Demmin dagegen, für die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern zum Umgang mit Sitzblockaden oder anderen Formen zivilen Ungehorsams Dienstanweisungen bzw. Richtlinien herauszugeben und wie werden hierbei Erfahrungen anderer Bundesländer bewertet? Verhinderungsblockaden stellen nach Auffassung der Landesregierung sowie der Rechtsprechung keine rechtmäßige Form zivilen Ungehorsams dar. Ein Regelungsbedarf wird seitens der Landesregierung aufgrund der gefestigten Rechtsprechung nicht gesehen. Entsprechende einsatzbezogene Entscheidungen orientieren sich am Einzelfall und werden anhand der vorliegenden Umstände getroffen. Es gibt keine Erfahrungen der Bundesländer, die zu einer bundeseinheitlichen ordnungsrechtlichen und polizeifachlichen Richtlinie führen können. Vielmehr gilt die vorhandene einschlägige Rechtsprechung für alle Bundesländer. Unter diesem Aspekt müssen die Demonstrationslagen jeweils im Einzelfall vor Ort beurteilt werden.