Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 16. Juni 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3000 6. Wahlperiode 18.06.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Polizeieinsatz in Demmin am 8. Mai 2014 und ANTWORT der Landesregierung Am 8. Mai 2014 haben mehrere hundert Demonstrantinnen und Demons- tranten in Demmin gegen die dort stattfindende Nazikundgebung protes- tiert. Die Art des Polizeieinsatzes anlässlich dieser Versammlungen wurde vielfach kritisiert. 1. Hat die Landespolizei im Vorfeld der Anti-Nazi-Demonstration am 8. Mai 2014 in Demmin Kontakt zu Busunternehmen aufgenommen und, wenn ja, a) welcher Art war dieser Kontakt? b) mit welchem Ziel erfolgte die Kontaktaufnahme? c) inwieweit ist seitens der Landespolizei in diesem Zusammenhang die Empfehlung geäußert worden, am 8. Mai 2014 keine Trans- porte nach Demmin zu übernehmen? Ja. Zu 1 a) Die Kontaktaufnahme erfolgte telefonisch. Zu 1 b) Die Kontaktaufnahme erfolgte im Rahmen der Aufklärung. Drucksache 6/3000 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Zu 1 c) Seitens der Landespolizei wurden keine derartigen Empfehlungen geäußert. 2. Wie stufte die Landespolizei das von den Teilnehmerinnen und Teil- nehmern der Anti-Nazi-Demonstrationen am 8. Mai 2014 ausgehende Gefahrenpotenzial ein? a) Auf welchen Erkenntnissen basierte diese Gefahrenprognose? b) Woher stammen diese Erkenntnisse? Die Fragen 2, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Aus polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen war bekannt, dass neben friedlichen Versamm- lungsteilnehmern auch mit der Anreise von mehreren gewaltbereiten Teilnehmern aufseiten der Gegendemonstranten zu rechnen war. 3. Hat die Landespolizei im Vorfeld der Anti-Nazi-Demonstrationen am 8. Mai 2014 in Demmin Busse mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Demonstrationen angehalten und, wenn ja, a) wurden die Fahrgäste in diesen Bussen sowie die von ihnen mitge- führten Sachen durchsucht und wenn ja, aus welchen Gründen und inwiefern waren nach Ansicht der Landesregierung die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Maßnahme gegeben? b) wurden die Fahrgäste in diesen Bussen fotografiert oder gefilmt, und, wenn ja, aus welchen Gründen und inwiefern waren nach Ansicht der Landesregierung die rechtlichen Voraussetzung für eine solche Maßnahme gegeben? Während der Anreisephase zu den Versammlungen in Demmin am 8. Mai 2014 wurden insgesamt 84 PKW und fünf Reisebusse von Teilnehmern der Gegenversammlungen durch die Polizei kontrolliert. Zu 3 a) und 3 b) Die Feststellung der Identität erfolgte bei 66 Personen aufgrund der polizeilichen Erkennt- nisse zur Anreise von gewalttätigen Personen. Bei 15 der überprüften Personen lagen auch entsprechende polizeiliche Erkenntnisse vor. Bei 29 Personen erfolgte eine Durchsuchung der mitgeführten Gegenstände. Diese Durch- suchung sollte zur Auffindung von Sachen dienen, die sichergestellt werden können. Ein Pfefferspray und ein Gärtnermesser wurden sichergestellt. Wegen des mitgeführten Pfeffer- sprays wurde ein Strafverfahren nach dem Versammlungsgesetz eingeleitet. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3000 3 Die rechtlichen Voraussetzungen waren gemäß der §§ 29 und 53 des Sicherheits- und Ord- nungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern gegeben. Die Durchsagen des verantwortlichen Polizeibeamten zu den Kontrollmaßnahmen wurden durch Videoaufnahmen in 2 Bussen dokumentiert. Zudem sind auch die zuvor dargestellten Eingriffsmaßnahmen durch Videoaufnahmen dokumentiert worden. 4. Wurden auch Busse mit Fahrgästen auf dem Weg zur Nazikund- gebung am 8. Mai 2014 in Demmin angehalten, durchsucht und foto- grafiert oder gefilmt und, wenn ja, aus welchen Gründen und mit welchem Ergebnis? a) Waren die 37 am 8. Mai 2014 in Demmin aus Protest gegen die Nazikundgebung angemeldeten Versammlungen auch tatsächlich für die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer erreichbar? b) Wenn ja, wie wurde die Erreichbarkeit der einzelnen Versamm- lungsorte von der Polizei gewährleistet? c) Wenn nicht, warum nicht und auf welcher Rechtsgrundlage wurden die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer daran gehindert, die einzelnen Versammlungsorte aufzusuchen? Teilnehmer der angemeldeten Versammlung unter dem Motto „8. Mai 1945 - kein Grund zum Feiern. Vergessen wir Tod, Leid und Besatzung nicht“ reisten nicht mit Bussen an. Zu a) Ja. Zu b und c) Die Wege zu den einzelnen Versammlungsorten waren frei. Polizeilicher Maßnahmen dazu bedurfte es nicht. Drucksache 6/3000 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 5. Handelte es sich bei den Sitzblockaden, die sich nach 17 Uhr in der Pompestraße, der Bahnhofstraße, der Peenestraße, der Rudolf- Breitscheid-Straße, der Nikolaistraße und am Hafen bildeten, nach Ansicht der Landesregierung um Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes und, wenn nicht, warum nicht? a) Hat die Landespolizei diese Sitzblockaden sowie die Mahnwache am Hafen eingekesselt und wenn ja, mit welchem Ziel und wie lange? b) Inwiefern waren nach Ansicht der Landesregierung bei jeder einzelnen dieser Sitzblockaden sowie der Mahnwache am Hafen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung in Form eines „Polizeikessels“ gegeben? c) Wurden die einzelnen Sitzblockaden sowie die Mahnwache am Hafen vor der Einkesselung auf der Grundlage des Versammlungs- gesetzes aufgelöst und, wenn nicht, warum nicht? Die Teilnehmer an den Sitzblockaden haben und konnten sich nicht auf den Grund- rechtsschutz aus Artikel 8 Grundgesetz berufen. Für die Anwendung des Schutzbereichs des Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz rechtfertigt die Versammlungsfreiheit Behinderungen in Form von Sitzblockaden prinzipiell nur dann, wenn es sich um eine sozial-adäquate Neben- folge der Demonstration handelt und das Verhalten nicht über passive Resistenz hinausgeht. An diesen Voraussetzungen fehlt es, wenn wie im vorliegenden Fall, absichtliche Behinde- rungen Dritter durch physische Sperrung von Straßenabschnitten oder Kreuzungsbereichen (Verkehrswegen) zielgerichtet angestrebt werden, um die Aufmerksamkeit für das Demons- trationsgeschehen zu steigern. Die öffentliche Kundgabe einer gemeinsamen Aussage war nicht mehr Hauptzweck, sondern eine bewusst herbeigeführte Störung und damit primär der „Selbstvollzug“ mit dem Ziel, den Aufmarsch „Rechts“ zu verhindern. Neben der Beeinträchtigung des Versammlungsrechts Dritter waren auch Gefahren für Leben und Gesundheit durch Blockieren von Rettungswegen zu befürchten. Bei Verstößen gegen Rechtsvorschriften, wie hier die Verletzung des Störungsverbots aus § 2 Absatz 2 des Versammlungsgesetzes durch eine Verhinderungsblockade, haben Versamm- lungsbehörde und Polizei im Rahmen ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr die Integrität der Rechtsordnung zu gewährleisten und den Schutz des Individualrechtsgutes Versammlungs- freiheit sicherzustellen; die Befugnis zum Einschreiten im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts war gegeben. Überdies blieb für die Versammlungsbehörde oder Polizei kein Raum für Absprachen mit den Blockadeteilnehmern im Sinne einer vertrauensvollen Kooperation, da Kooperationen durch Blockadeteilnehmer, ausgenommen bei der Blockade auf der Breitscheidstraße/Höhe Luisen- tor, abgelehnt worden sind. Bewusst herbeigeführte Störungen erhalten keine aus der Versammlungsfreiheit folgende Rechtfertigung. Zu a), b) und c) Durch die Einsatzkräfte der Polizei wurde am 8. Mai keine Einkesselung von Demonstra- tionsteilnehmern vorgenommen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3000 5 6. Inwiefern hat die Landespolizei Journalistinnen und Journalisten an der Berichterstattung über die am 8. Mai 2014 in Demmin stattfinden- den Versammlungen und die gegen diese ergriffenen polizeilichen Maßnahmen gehindert? a) Trifft es zu, dass Journalistinnen und Journalisten von der Beob- achtung der Nazikundgebung ausgeschlossen wurden und, wenn ja, auf welcher Grundlage erfolgte dies? b) Trifft es zu, dass mindestens eine Journalistin unter Anwendung körperlicher Gewalt hinter eine Absperrung der Polizei verbracht wurde, wo sie die Nazikundgebung nicht mehr verfolgen konnte, und, wenn ja, auf welcher Grundlage erfolgte dies? Die polizeilichen Maßnahmen waren nicht gegen die angemeldeten Versammlungen, sondern auf deren Schutz ausgerichtet. Eine Behinderung an einer derartigen Berichterstattung kann dementsprechend nicht durchgeführt worden sein. Zu a) und b) Es sind keine Journalisten durch die Polizei von der Beobachtung ausgeschlossen worden. 7. Inwiefern entsprach die Festnahme eines jungen Franzosen am Luisentor unter Anwendung körperlicher Gewalt nach Ansicht der Landesregierung den Anforderungen des Verhältnismäßigkeits- prinzips? a) Warum wurde diese Person festgenommen und wie genau lief die Festnahme dieser Person nach Kenntnis der Landesregierung ab? b) Trifft es nach den Erkenntnissen des Landesregierung zu, dass Beamte der Landespolizei die besagte Person zunächst im Stehen fesselten sowie dann zu Fall brachten und, wenn ja, wie ist diese Vorgehensweise aus Sicht des Landesregierung zu rechtfertigen? c) Trifft es nach den Erkenntnissen der Landesregierung zu, dass Beamte der Landespolizei die besagte Person im Stehen in den Rücken und den Brustkorb getreten und noch im Liegen auf Rücken und Kopf geschlagen haben und, wenn ja, wie ist diese Vorgehensweise aus Sicht der Landesregierung zu rechtfertigen? Zu 7 und a) Im Zusammenhang mit den Versammlungen am 8. Mai in Demmin wurden keine Personen festgenommen. Drucksache 6/3000 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Zu b) Im Bereich Breitscheidstraße/Christinenstraße erfolgte eine Blockade durch zirka 30 Perso- nen. Durch die eingesetzten Polizeikräfte wurden diese Personen angesprochen und danach von der Straße begleitet beziehungsweise so weit zur Seite gedrängt, dass ein Vorbeiführen des NPD-Aufzuges auf dem Bürgersteig erfolgen konnte. Ein Teil der sitzenden Personen wurde zum Straßenrand getragen. In dieser Gruppe befand sich ein französischer Staatsbürger. Die Personengruppe wurde mehrfach angesprochen und aufgefordert, die Straße zu verlassen. Da die Personen sich trotzdem weigerten, erfolgte die Räumung der Blockade durch einfache körperliche Gewalt. Bei dieser Räumung biss der französische Teilnehmer zwei Polizeivollzugsbeamten in die Hand und trat einem Dritten gegen die Achillessehne. Er wurde daraufhin zum Straßenrand geführt, wo ihm wegen seines vorhergegangenen Verhaltens Einwegfesseln angelegt werden sollten. Zum Zwecke der Anzeigenfertigung sollte seine Identität festgestellt werden. Dieses war aufgrund seiner erneuten erheblichen Gegenwehr nicht möglich, sodass die Beamten gezwungen waren, den Straftäter zu Boden zu bringen, um ihm die Handfesseln anzulegen. Es handelte sich um eine Maßnahme unmittelbaren Zwangs. Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nicht ersichtlich. Zu c) Nein. 8. Trifft es zu, dass die Landpolizei einen Arzt aus dem Demminer Krankenhaus, der zufällig vor Ort war, nicht zu dem Verletzten durch- ließ, obwohl bereits ein Rettungswagen gerufen worden war und wenn ja, inwiefern ließe sich eine solche Vorgehensweise mit § 105 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vereinbaren? a) In welchen zeitlichen Abständen werden Angehörige der Landes- polizei in medizinischen Fragen geschult? b) Inwieweit wird bei der Übung von Festnahmetechniken auf Gesundheitsgefahren hingewiesen? Nein. Zu a) Eine Schulung in medizinischen Fragen erfolgt im Rahmen der Laufbahnausbildung der Polizei. Danach erfolgen Schulungen in unregelmäßigen Abständen im Rahmen der Aus- und Fortbildung. Zu b) Bei der Aus- und Fortbildung im Zusammenhang mit Festnahmetechniken wird auf die Gesundheitsgefahren in besonderem Maße hingewiesen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3000 7 9. Erfüllt das in Frage 7 beschriebene Vorgehen der Landespolizei nach Ansicht der Landesregierung den Straftatbestand der Körper- verletzung im Amt? a) Wenn ja, wie weit sind die entsprechenden Ermittlungen? b) Wenn nicht, warum nicht? Die rechtliche Bewertung eines möglicherweise strafbaren Handelns liegt nicht in der Zustän- digkeit der Landesregierung. Zu a) und b) Im Rahmen einer Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte wird bei der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg geprüft, ob der Anfangsverdacht einer Straftat der Körperverletzung im Amt vorliegen könnte.