Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 6. März 2012 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/311 6. Wahlperiode 06.03.2012 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Silke Gajek, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zwangsverheiratung von Minderjährigen und ANTWORT der Landesregierung „Die Androhung oder Durchsetzung einer Zwangsverheiratung erfolgt typisch im familialen Kontext. Die (…) Daten zeigen, dass der Vater von den Bedrohten bzw. Betroffenen mit 80 % am häufigsten als entscheidender Akteur benannt worden ist, gefolgt von den Müttern mit 62 %. Der erweiterte Familienkreis wurde von 38 % genannt (…)“ (Quelle: „Zwangsverheiratung in Deutschland Anzahl und Analyse von Beratungsfällen “ - Wissenschaftliche Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 28.03.2011, S. 37). 1. Liegen für diese besondere Gefahrenlage durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) Empfehlungen zur Inobhutnahme und/oder Handlungsempfehlungen zum jugendamtlichen Handeln bei Hinweisen auf Zwangsverheiratung von Minderjährigen in Mecklenburg-Vorpommern vor, welche auf die spezielle Problematik eingehen? Es liegen keine besonderen Handlungsempfehlungen seitens des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGuS) vor. Drucksache 6/311 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 2. Wie wird die qualifizierte, muttersprachliche Beratung der von drohender Zwangsverheiratung bzw. von Zwangsehen (minderjährigen ) Betroffenen sichergestellt und wie wird qualifizierte Beratung definiert? Die qualifizierte, muttersprachliche Beratung der von drohender Zwangsverheiratung bzw. Zwangsehen (minderjährigen) Betroffenen wird originär von den örtlichen Trägern der Jugendhilfe wahrgenommen und unterliegt somit der kommunalen Selbstverwaltung. Das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) macht keinen Unterschied zwischen deutschen und ausländischen jungen Menschen, die im Bundesgebiet leben. Frauen ab 18 Jahren mit oder ohne Kinder, die in der Lage sind, in einer Gemeinschaft zu leben und sich selbst versorgen können, haben die Möglichkeit, in einem der neun Frauenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern, die durch die Landesregierung gefördert werden, sicher untergebracht zu werden und erhalten dort Beratung und Unterkunft bei körperlicher, seelischer oder sexueller Misshandlung in der Partnerschaft oder vonseiten der Herkunftsfamilie , zum Beispiel bei (drohender) Zwangsheirat. Frauen und Männer, welche dieses Hilfsangebot nicht wahrnehmen können, haben die Möglichkeit, sich an die landesweit zuständige Fachberatungsstelle für Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel (ZORA) zu wenden. Die direkte Beratung Minderjähriger ist durch dieses Angebot nicht abgedeckt. ZORA bietet jedoch für örtliche Träger der Jugendhilfe kollegiale Beratung zur Thematik an. 3. Welche adäquaten Schutz- und Zufluchtsräume gibt es für minderjährige von Zwangsverheiratung bedrohte/betroffene Mädchen und Jungen in Mecklenburg-Vorpommern? Das SGB VIII gilt für diesen Personenkreis vollumfänglich. Für die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen gilt § 42 SGB VIII. Zuständig sind die örtlichen Träger der Jugendhilfe im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. 4. Wie wird eine drohende Zwangsverheiratung im Herkunftsland als Fluchtgrund in Bezug auf aufenthaltsrechtliche Maßnahmen durch das Land Mecklenburg-Vorpommern geprüft? Zwangsverheiratungen finden oftmals auch im Ausland, zum Beispiel während eines Heimatferienurlaubs (sogenannte Heiratsverschleppung), statt, wenn beispielsweise eine junge Frau aus unverdächtigem Anlass in das Herkunftsland der Familie reist und dort gegen den eigenen Willen verheiratet wird und leben soll. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften am 1. Juli 2011 erlosch ein in Deutschland gewährter Aufenthaltstitel grundsätzlich nach einem halben Jahr, was eine Rückkehr nach Deutschland oft unmöglich machte. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/311 3 Zum Schutz der Betroffenen hat das vorgenannte Gesetz in § 51 Absatz 4 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Fortgeltungsdauer eines bestehenden Aufenthaltstitels auf einen Zeitraum von zehn Jahren verlängert. Diese Vorgabe ist von den Ausländerbehörden des Landes zu beachten. Weiterhin kann eine drohende Zwangsverheiratung im Herkunftsland asylrechtlich relevant sein. Sofern der Herkunftsstaat der jungen Frauen nicht in der Lage und willens ist, ausreichenden und effektiven Schutz vor Zwangsverheiratungen zu bieten, kann dies im Rahmen eines Asylverfahrens die Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Absatz 1 AufenthG begründen (§ 3 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz). Durch § 60 Absatz 1 Satz 3 AufenthG wird klargestellt, dass der Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gegeben sein kann, wenn die Verfolgungshandlung allein an das Geschlecht anknüpft. Für die Prüfung und Entscheidung über Asylgesuche sind nicht die kommunalen Ausländerbehörden , sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Absatz 2 AufenthG, für deren Erteilung die Ausländerbehörden zuständig sind. Die Betroffenen können aber auch ausschließlich vor dem Bundesamt gemäß § 60 Absatz 1 Satz 3 AufenthG Schutz vor Abschiebung oder sonstiger Rückführung in einen Staat begehren, in dem ihnen geschlechtsspezifische Verfolgung droht. Das Bundesamt ist auch für die Entscheidung zuständig, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Sofern kein Asylverfahren stattgefunden hat, entscheiden über diese Abschiebungsverbote die Ausländerbehörden nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Auch im Rahmen dieser Prüfung können drohende Zwangsverheiratungen im Herkunftsland zu berücksichtigen sein. Weiterhin können diese Aspekte gegebenenfalls bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a AufenthG oder einer vorübergehenden Duldungserteilung nach § 60a Absatz 2 AufenthG von Relevanz sein. 5. Wie wird sichergestellt, dass die bei Polizei, der Justiz, den Jugendämtern , den Kinder- und Jugendnotdiensten, den (Berufs-)Schulen, den Gemeinschaftsunterkünften, den Migrationsberatungsstellen, den Asylbewerberheimen und in den Frauenhäusern erhobenen Fallzahlen zu „Zwangsverheiratung“ bzw. „Zwangsehen“ zu einer Gesamterhebung systematisch zusammengefügt werden und wie erfolgt die Auswertung anhand der gesammelten Daten? Eine systematische Gesamterhebung von Polizei, Justiz, Jugendämtern, Kinder- und Jugendnotdiensten, (Berufs-)Schulen, Gemeinschaftsunterkünften, Migrationsberatungsstellen , Asylbewerberheimen und Frauenhäusern liegt derzeit nicht vor. Die Polizei erfasst endbearbeitete Straftaten nach bundesweit einheitlichen Erfassungs- und Auswerteregeln in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Die darin enthaltenen Daten sind grundsätzlich nicht mit den Erfassungen der Justiz vergleichbar, da diese den jeweiligen justiziellen und damit den endgültigen Verfahrensausgang darstellen. Drucksache 6/311 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Nach entsprechender Änderung des Strafgesetzbuches (Aufnahme des § 237 StGB) erfolgt ab dem 01.01.2012 eine separate Erfassung der Fälle von Zwangsheirat in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Dazu erfolgt auch eine Opfererfassung, die gegebenenfalls vergleichbar mit den Daten aus anderen Statistiken wäre. In den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften des Landes werden Fallzahlen zu „Zwangsverheiratung “ beziehungsweise „Zwangsehen“ statistisch nicht erfasst. Als Ergebnis einer Fortbildung des Flüchtlingsrates zum Thema „Zwangsverheiratung“ im Jahr 2010 in Schwerin wurden für das Jahr 2011 durch die Landeskoordinierungsstelle CORA, in Kooperation mit dem Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern und der Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution (ZORA), die auch Fälle von (drohender) Zwangsverheiratung thematisch bearbeitet, bekanntgewordene Fälle zum Thema „Zwangsverheiratung“ abgefragt. Befragt wurden die Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich der Leitstelle für Frauen und Gleichstellung sowie die Migrationsberatungsstellen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Teilnahme war freiwillig. Es wurden 15 Fälle zu (drohender) Zwangsverheiratung zurückgemeldet. Alle Betroffenen waren weiblich. Im Einzelnen: - 9 Fälle aus Frauenhäusern, - 3 Fälle von ZORA, - 2 Fälle von der (Jugend-)Migrationsberatung und - 1 Fall aus einer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking. Von den 15 Betroffenen waren 3 minderjährig. Herkunftsländer waren: Ägypten, Libyen, Serbien, Irak, Kosovo, Türkei, Marokko, Vietnam, Tschetschenien. Einige Frauen hatten die deutsche Staatsbürgerschaft. Die erhobenen Daten basieren nicht auf repräsentativen und hochrechenbaren Befragungen, sondern sind summierte Einzelfälle. Insbesondere die tatsächliche Zahl von Zwangsheiraten lässt sich aus dieser Erfassung keineswegs ableiten. 6. Befasst sich auf Landesebene eine interministerielle Arbeitsgruppe mit der Thematik Zwangsverheiratung? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es hierzu keine interministerielle Arbeitsgruppe. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/311 5 7. Welche opferschutzorientierten Maßnahmen kann die Landesregie- rung ergreifen, um zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden beizutragen, die mit drohender Zwangsverheiratung bzw. Zwangsehen zu tun haben - wie Jugendämter, Familiengerichte, Schulen, Sozial- und Ausländerbehörden? Die Landesregierung wird den Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder in dieser Legislaturperiode weiter entwickeln. Zur Weiterentwicklung des Landesaktionsplans gehört unter anderem die Erreichung neuer Zielgruppen. Zu diesen neuen Zielgruppen gehören auch Betroffene von (drohender) Zwangsverheiratung beziehungsweise Zwangsehen. 8. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Landesregierung für die Erleichterung einer Auskunftssperre (§ 34 Melderegisterauskunft zu § 21 MRRG) bei von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffenen und/oder bedrohten Personen, um die notwendige Anonymität der Betroffenen zu verbessern? § 34 Absatz 5 Landesmeldegesetz - LMG ermöglicht es, bei Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen eine Melderegisterauskunftssperre einzutragen. Damit wird ausgeschlossen, dass Melderegisterauskünfte über die Betroffenen erteilt werden. Diese Regelung wird von den Meldebehörden unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen (§ 7 LMG) angewendet. Aus den Erfahrungen in der Praxis arbeiten die Meldebehörden eng mit der Polizei zusammen, sodass im konkreten Einzelfall schnell reagiert werden kann. Dem Ministerium für Inneres und Sport sind keine Hinweise bekannt, wonach die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen unter Anwendung des § 34 Absatz 5 Landesmeldegesetz gefährdet sind. Aus den genannten Gründen werden die rechtlichen Möglichkeiten für die Einrichtung einer Auskunftssperre derzeit als hinreichend angesehen. 9. Welche Maßnahmen der Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen bezüglich des Themas Zwangsverheiratung sieht die Landesregierung für die Fachebene, die Schulen und Öffentlichkeit vor? Die Fachberatungsstelle für Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel (ZORA) vermittelt bei Bedarf Expertinnen oder Experten für Veranstaltungen zu diesem Thema. Drucksache 6/311 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 10. Welche Fortbildungen und Schulungen werden z. B. durch das Insti- tut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern und/oder durch die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Mecklenburg-Vorpommern oder andere Landesinstitute zum Thema Zwangsverheiratung angeboten? Das schulinterne Berichtssystem weist bisher noch keinen Fall von Zwangsverheiratung auf, der an Schulen bekannt geworden ist. Es ergab sich somit bisher keine Notwendigkeit einer spezifischen Fortbildung zur Thematik. Sie würde aber anlassbezogen unmittelbar durch das Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern verfügbar sein.