Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 19. August 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3195 6. Wahlperiode 20.08.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Henning Foerster, Fraktion DIE LINKE Sittenwidrige Löhne in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat 2009 festgelegt, dass ein Lohn dann als sittenwidrig einzustufen ist, wenn die „Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in der Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes entspricht.“ Das Berliner Sozialgericht hat 2011 zudem entschieden, dass im Land Berlin ein Bruttoentgelt von weniger als 1.058 Euro pro Monat (Stundenlohn bei 38,5 Stunden 6,34 Euro) als sittenwidrig anzusehen ist. Angesichts der auch in Mecklenburg- Vorpommern nach wie vor hohen Zahl von Niedriglohnempfängern besteht Grund zur Annahme, dass auch hierzulande Fälle der Zahlung sittenwidriger Löhne zu verzeichnen sind. Eine Studie des IAB geht davon aus, dass 2011 ca. 47 Prozent der Bezieher ergänzender Leistungen des Zweiten Sozialgesetzbuches in Ostdeutschland weniger als fünf Euro Bruttostundenlohn erhielten. 1. Wie definiert die Landesregierung den Begriff „sittenwidriger Lohn“? Bei dem Begriff „sittenwidriger Lohn“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Landesregierung definiert diesen Begriff nicht. Eine Auslegung bleibt der Gerichtsbarkeit vorbehalten. Drucksache 6/3195 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 2. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Mecklenburg- Vorpommern erhalten aktuell ergänzende Leistungen der Grund- sicherung für Arbeitssuchende? a) Wie viele der zu Frage 1 erfragten Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt? b) Inwieweit wird durch wen statistisch erfasst, ob sich in der Gruppe der zu Frage 1 erfragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer solche befinden, denen sittenwidrige Löhne gezahlt werden? Zu 2 und a) Entsprechende Daten sind auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit unter folgendem Link veröffentlicht: http://statistik.arbeitsagentur.de/nn_31986/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubrikensuche_ Form.html?view=processForm&recourceId=210368&input_=&pageLocale=de&topicId=177 10&year_month=201403&year_month.=GRUOP=1&search=Suchen Zu b) Im Rahmen der statistischen Auswertungssysteme der Bundesagentur für Arbeit werden diese Daten nicht erfasst. 3. Welche Kenntnis hat die Landesregierung darüber, ob und gegebenen- falls in welchen Branchen im Land sittenwidrige Löhne gezahlt wurden bzw. werden? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Wie viele vorgerichtliche Rechtstreitigkeiten oder Gerichtsverfahren wurden mit welchen Ergebnissen in Mecklenburg-Vorpommern seit der Entscheidung des BAG im Jahre 2009 geführt? Der Landesregierung steht kein aufbereitetes Datenmaterial zur Beantwortung der aufge- worfenen Frage zur Verfügung. Verfahren der in Rede stehenden Art werden nicht gesondert statistisch erfasst. Fälle von sittenwidriger Entlohnung (Lohnwucher) werden in der Verfahrenserhebung für Urteilsverfahren vor dem Arbeitsgericht mit unter dem Verfahrensgegenstand „Zahlungsklagen “ statistisch erfasst. Unter den Verfahrensgegenstand „Zahlungsklagen“ fallen alle Zahlungsklagen einschließlich der Feststellung des Bestehens einer Zahlungsverpflichtung, zum Beispiel Arbeitsentgelt, Urlaubsentgelt und -abgeltung, Schadenersatz und Betriebs- renten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3195 3 Eine weitere Unterscheidung, zum Beispiel nach sittenwidriger Entlohnung, erfolgt nicht. Auch über das Geschäftsstellenautomationsprogramm ist eine gesonderte Ermittlung der Daten nicht möglich. Aus den Auswertungstabellen der Arbeitsgerichtsstatistik ist folgender Geschäftsanfall zu dem Verfahrensgegenstand „Zahlungsklagen“ insgesamt ersichtlich: Jahr Eingänge 2009 2.284 2010 1.973 2011 2.078 2012 1.872 2013 1.878 1. Halbjahr 2014 913 5. Gab es in der Vergangenheit Fälle, in denen Arbeitslose durch Job- center in Beschäftigungsverhältnisse mit sittenwidrigen Löhnen vermittelt wurden (bitte die Einzelfälle auflisten)? a) Inwieweit existieren in den Jobcentern in Mecklenburg- Vorpommern organisatorische Strukturen zur Überprüfung und Geltendmachung sittenwidriger Löhne? b) Werden die von den Jobcentern an potenzielle Interessenten weitergegebenen Jobangebote hinreichend auf eine sittenwidrige Entlohnung geprüft, z. B. durch Angaben zur Lohnhöhe? Nach Auskunft der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Zu a) Nach den Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit haben die Jobcenter zu prüfen, ob infolge einer sittenwidrigen Entlohnung zusätzliche Vergütungsansprüche der Arbeit- nehmerin oder des Arbeitnehmers bestehen, die dann auf das Jobcenter übergehen. Wie diese Prüfung organisatorisch geregelt wird, entscheidet jedes Jobcenter für sich. Eine Übersicht zur organisatorischen Ausgestaltung in den einzelnen Jobcentern liegt nicht vor. Drucksache 6/3195 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Zu b) Nach § 36 Absatz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehungsweise § 16 Absatz 1 Satz 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit § 36 Absatz 1 SGB III dürfen die BA und die Jobcenter nicht vermitteln, sofern ein Arbeits- und Ausbildungs- verhältnis begründet werden soll, das gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Ein Verstoß gegen ein Gesetz liegt vor, wenn zum Beispiel tarifliche Regelungen oder Mindestarbeitsbedingungen nicht eingehalten werden, obwohl die Arbeitgeberin beziehungs- weise der Arbeitgeber hierzu verpflichtet ist. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt vor, wenn zum Beispiel in einem dienst- oder Arbeitsverhältnis die Höhe der Vergütung in einem auffälligen Missverhältnis zur Arbeitsleistung steht. Insofern ist die Lohnhöhe ein wesentlicher Teil eines Stellenangebots, ohne den die BA und die Jobcenter keinen Vermittlungsauftrag annehmen können, da ansonsten die Einhaltung der oben genannten gesetzlichen Vorgaben nicht sichergestellt ist. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die die Vermittlungsdienste der BA oder der Jobcenter in Anspruch nehmen wollen, sind nach § 39 Absatz 1 SGB III beziehungsweise § 16 Absatz 1 Satz 4 SGB II in Verbindung mit § 36 Absatz 1 SGB III verpflichtet, die für eine Vermittlung notwendigen Auskünfte zu erteilen, worunter aus den oben genannten Gründen auch das Lohnangebot fällt. Wird keine Veröffentlichung dieser Information seitens der Arbeitgeberin beziehungsweise des Arbeitgebers gewünscht, wird das Lohnangebot nur in den internen Stelleninformationen vermerkt, um die ordnungsgemäße Prüfung der Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu dokumentieren. Die Prüfung der Lohnhöhe in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist seit jeher Aufgabe der Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte. Um die Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte dabei zu unterstützen, Lohnangebote im Vermittlungsprozess anhand nachvollziehbarer Kriterien zu prüfen und einheitlich zu dokumentieren, wurde im Januar dieses Jahres zentral eine Arbeitshilfe bereitgestellt. So wird für alle am Vermittlungsprozess Beteiligten mehr Transparenz und Verlässlichkeit hergestellt. Für Arbeitnehmerkundinnen und Arbeitnehmerkunden wird gewährleistet, dass nur seriöse Stellenangebote vermittelt werden. 6. Nach Auskunft der Bundesregierung (vgl. Bundestags- drucksache 17/9321) verstößt die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis mit sittenwidriger Entlohnung gegen § 36 Absatz 1 Drittes Sozial- gesetzbuch. Welche Konsequenzen hatten dementsprechend bekannte Fälle nach Frage 4 bzw. welche Konsequenzen hätten sie, falls keine konkreten Fälle bekannt sind? Wird ein Gesetzesverstoß im Sinne des § 36 Absatz 1 SGB III festgestellt, wird mit der Arbeitgeberin beziehungsweise dem Arbeitgeber Rücksprache gehalten. Ist sie beziehungs- weise er nicht bereit, das Stellenangebot hinsichtlich der Entlohnung anzupassen wird unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung des § 36 Absatz 1 SGB III beziehungsweise § 16 Absatz 1 Satz 4 SGB II in Verbindung mit § 36 Absatz 1 SGB III der Vermittlungsauftrag abgelehnt. In diesem Fall wird das Stellenangebot nicht im Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem (VerBIS) aufgenommen, ein eventuell bereits erfasstes Stellenangebot wird storniert. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3195 5 Wird im Einzelfall eine gesetz- oder sittenwidrige Entlohnung festgestellt, berechtigt dies nicht, das Unternehmen zeitweise oder dauerhaft aus der Vermittlung auszuschließen. Die Prüfung auf sittenwidrige Entlohnung stellt eine auftragsbezogene Einzelfallprüfung dar, das heißt, die Vermittlung kann nur für das maßgebliche Stellenangebot eingestellt beziehungs- weise versagt werden. 7. Auf welche Beratungsangebote (auch im nichtstaatlichen Bereich) können im Niedrigst- und Niedriglohnbereich Beschäftigte in Mecklenburg-Vorpommern zur Beurteilung der Angemessenheit der Lohnhöhe zurückgreifen? a) Wie viele Tarifverträge (einschließlich Haustarife) enthält das Tarifregister für Mecklenburg-Vorpommern? b) Inwiefern veröffentlicht das Statistische Landesamt darüber hinaus Berichte zu Verdiensterhebungen mit sogenannten ortsüblichen Tarifen? c) In welchem Turnus werden die zu Frage 7 b) erfragten Berichte veröffentlicht und wo sind diese abrufbar? Hilfestellungen zur Beurteilung der Angemessenheit der Lohnhöhe bieten das beim Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern geführte Tarifregister, die Veröffentlichung des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern, des Statistischen Bundesamtes sowie Tarifinformationen der verschiedenen Gewerkschaften. Zu a) Das Tarifregister Mecklenburg-Vorpommern hat aktuell etwa 4.800 Tarifverträge mit Geltungsbereich Mecklenburg-Vorpommern für bestimmte Branchen/Wirtschaftszweige (Flächen- oder Branchentarifverträge) registriert. Diese Zahl umfasst sowohl gekündigte, ausgelaufene und aktuell gültige Tarifverträge. Eine zahlenmäßige Differenzierung zwischen diesen ist nicht möglich. Haustarifverträge und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes werden vom Tarifregister Mecklenburg-Vorpommern nicht erfasst. Zu b) und c) Das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht keine Berichte zu Verdiensterhebungen mit sogenannten ortsüblichen Tarifen, da die amtliche Statistik über keine diesbezüglichen Daten verfügt. Drucksache 6/3195 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 8. In wie vielen Fällen haben die Jobcenter in Mecklenburg- Vorpommern Klage gegen Arbeitgeber aufgrund der Zahlung sitten- widriger Löhne eingereicht und mit welchem Ergebnis (bitte nach Jobcenter, einzelner Klage und Status des Gerichtsverfahrens auflisten)? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 9. Inwieweit hat die Landesregierung im Rahmen gemeinsamer Unter- redungen mit der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit in der Vergangenheit darauf gedrängt bzw. wird sie zukünftig darauf drängen, dass die Jobcenter eine Prüfung auf Sittenwidrigkeit von Löhnen durchzuführen und ggf. den Rechtsweg zu beschreiten haben, wenn ein solches Verhalten festgestellt wird? Da die Jobcenter verpflichtet sind, Lohnangebote auf Sittenwidrigkeit zu prüfen, sieht die Landesregierung keine Notwendigkeit, auf diese Verpflichtung in Gesprächen explizit hinzuweisen. Auf die Antworten zu Frage 5 a) und 5 b) wird verwiesen. 10. Wie beurteilt die Landesregierung die Wirkung des gesetzlichen Mindestlohnes im Zusammenhang mit dem Problem der Zahlung sittenwidriger Löhne und welche Möglichkeiten sieht sie ihrerseits gegen die Zahlung sittenwidriger Löhne in Mecklenburg- Vorpommern vorzugehen? Für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie definiert der Gesetzgeber eine einheitliche und verbindliche Untergrenze für das Bruttostundenentgelt. Dies wirkt der Zahlung sittenwidriger Löhne entgegen. Die Überprüfung von Entgeltzahlungen und die Ahndung von Lohnwucher liegen im Zuständigkeitsbereich der Gesichtsbarkeiten und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Landesregierung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen.