Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 8. September 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3225 6. Wahlperiode 09.09.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlrecht von Strafgefangenen und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Nach § 45 Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB) verliert, wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen. Dies betrifft nur das passive Wahlrecht (die Wählbarkeit), nicht jedoch das aktive Wahlrecht. Der Verlust tritt nach dieser Vorschrift durch die Verurteilung des Gerichts als Nebenfolge unmittelbar durch Gesetz ein. Eine besondere Anordnung des Gerichts ist nicht vorgesehen. In den Fällen des § 45 Absatz 2 und Absatz 5 StGB bedarf es dagegen einer ausdrücklichen gerichtlichen Entscheidung. Voraussetzung ist, dass das Strafgesetzbuch diese Möglichkeit besonders vorsieht (zum Beispiel § 101 StGB). Dabei können das aktive Wahlrecht (§ 45 Absatz 5 StGB) und/oder das passive Wahlrecht (§ 45 Absatz 2 StGB) für zwei bis fünf Jahre entzogen werden. Gemäß § 45 Absatz 1 Strafgesetzbuch verliert, wer wegen eines Verbre- chens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, automatisch für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen. Zudem kann das Gericht, soweit das Gesetz es besonders vorsieht, dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder abzustimmen, aberkennen (§ 45 Absatz 5 Strafgesetzbuch). Nicht davon betroffene Strafgefangene müssen ihr Stimmrecht per Briefwahl ausüben. Eine Vorschrift, die die Kontrolle von Wahlbriefen verbietet, findet sich im Strafvollzugsgesetz jedoch nicht. Drucksache 6/3225 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. In wie vielen Fällen verloren in Mecklenburg-Vorpommern Verur- teilte in den letzten zehn Jahren ihre Fähigkeit, Rechte aus öffent- lichen Wahlen zu erlangen? Der Landesregierung steht kein aufbereitetes Datenmaterial zur Beantwortung der aufgewor- fenen Frage zur Verfügung. Statistische Daten werden für die Fälle des § 45 Absatz 1 StGB nicht erhoben, sodass jeweils die Notwendigkeit von Einzelrecherchen (Handauslesungen) bestünde. Dies würde bei allen Strafverfahren im nachgefragten Zeitraum einen Aufwand begründen, der schon mit der aus Artikel 40 Absatz 1 Satz 1 Landesverfassung folgenden Pflicht zur unverzüglichen Beantwortung Kleiner Anfragen nicht zu vereinbaren wäre. 2. In wie vielen Fällen haben Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten zehn Jahren Verurteilten für wie viele Jahre das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder abzustimmen, aber- kannt? Im Rahmen des § 45 Absatz 2 und Absatz 5 StGB hat es in den letzten 10 Jahren keine entsprechenden Entscheidungen von Gerichten in Mecklenburg-Vorpommern gegeben. 3. Teilt die Landesregierung die in der Dissertation „Wahlrecht und Strafe“ von Jan Oelbermann geäußerte Auffassung, diese Nebenfolgen einer Straftat seien „Relikte des Ehrenstrafrechts“ und mit „heutigen Verhältnissen“ nicht mehr vereinbar? a) Wenn ja, warum und welche Initiativen wird die Landesregierung ergreifen, um eine Änderung der entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuchs zu erreichen? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 3, a) und b) Die Landesregierung teilt die in der Dissertation geäußerte Auffassung nicht. Sie erachtet die Vorschriften als zweck- und verfassungsgemäß. § 45 StGB schützt den durch die Ausübung eines öffentlichen Amtes beziehungsweise die passive oder aktive Teilnahme an öffentlichen Wahlen und Abstimmungen betroffenen öffentlichen Rechtsbereich. Die Vorschrift dient damit dem Schutz des öffentlichen Lebens. Eine Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr belegt einen schwerwiegenden Rechtsverstoß, der die Kraft Gesetzes eintretende Amtsunfähigkeit und den Verlust des passiven Wahlrechts rechtfertigt. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3225 3 4. Warum sind gemäß § 34 Absatz 3 Strafvollzugsgesetz lediglich Schreiben der Strafgefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, Schreiben an die Bürgerbeauf- tragten der Länder und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie an solche Einrichtungen von der Überwachung des Schriftwechsels ausgenommen, mit denen der Schriftverkehr aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland geschützt ist, nicht aber die Wahlbriefe der Strafgefangenen? 5. Plant die Landesregierung eine Änderung dieser Vorschrift? a) Wenn ja, wann? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 4, 5, a) und b) Der Regelungsbereich des Strafvollzugsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (StVollzG M-V) umfasst gemäß § 1 (nur) den Vollzug von Freiheitsstrafe und den Strafarrest in Vollzugs- anstalten. Regelungen zur Durchführung der (Brief-)Wahl durch Strafgefangene sind somit nicht Gegenstand des Regelungsbereichs des StVollzG M-V, sondern von gesonderten Wahlgesetzen. Für die Durchführung von Wahlen gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz der geheimen Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz sowie Artikel 3 Absatz 3 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern). Damit in Übereinstimmung bestimmt auch § 2 Absatz 2 des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Landes- und Kommunalwahlgesetz vom 16. Dezember 2010 - LKWG M-V, Gesetz- und Verordnungsblatt Mecklenburg-Vorpommern Seite 690) unter anderem, dass die Wahlen geheim sind. § 26 LKWG M-V sieht die Möglichkeit der Briefwahl vor; gemäß § 71 LKWG M-V ist das Ministerium für Inneres und Sport ermächtigt, nähere Regelungen im Verordnungsweg zu treffen. Wahlbriefe sind nach Nummer 9.8 der Verwaltungsvorschrift zur Vorbereitung und Durch- führung von Wahlen nach dem Landes- und Kommunalwahlgesetz vom 4. Februar 2014 (Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 78, 130) für die Kommunalwahlen von gelber Farbe und mit dem in der Verwaltungsvorschrift vorgesehenen Aufdruck gestaltet. Ähnliche Vorschriften gelten für die bundesrechtlich geregelten Wahlen. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Wahlgeheimnis erfordert, dass zumindest entweder der Wahlbriefumschlag oder der Stimmzettelumschlag verschlossen ist. Daher weist der Aufdruck auf dem Wahlbriefumschlag darauf hin, dass der Stimmzettel- umschlag verschlossen eingelegt wird und auch der Wahlbriefumschlag vor dem Versand zugeklebt wird. Die Wahlbriefe sind also als solche gut zu erkennen und schon vom verfassungsrechtlichen Grundsatz der geheimen Wahl von der Überwachung ausgenommen, sodass kein Regelungs- bedarf besteht.