Die Finanzministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3275 6. Wahlperiode 07.10.2014 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Johannes Saalfeld, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklung der Kontendatenabfragen und ANTWORT der Landesregierung Im 11. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist ausgeführt, dass die Zahl der Kontendaten- abfragen weiterhin zunimmt. Insbesondere sei ein Anstieg der Abfragen nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung im ersten Quartal 2013 zu verzeich- nen. Hintergrund hierfür sei vor allem auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Kontenabrufmöglichkeit inzwischen auch auf andere Zwecke und Behörden ausgedehnt hat. Nach Aussagen des Datenschutz- beauftragten sollten ursprünglich mit Hilfe des Kontendatenabruf- verfahrens schwere Verbrechen bekämpft werden und der Terrorismus- gefahr entgegengewirkt werden. Mit Schaffung der gesetzlichen Grund- lagen sollte es den Finanzbehörden dann möglich sein, nicht bekannte Vermögenswerte zu ermitteln und somit Steuereinnahmen zu erzielen. Nach den in den Bundesländern gesammelten Erfahrungen der Daten- schutzbeauftragten werden Kontendatenabrufe jedoch meistens im Voll- streckungsverfahren zur Durchsetzung von Zahlungsansprüchen durch- geführt. Betroffene sind grundsätzlich vorab auf die Möglichkeit des Kontendatenabrufs hinzuweisen und über dessen Durchführung zu benachrichtigen. Einige Kontrollbesuche der Datenschutzbeauftragten in anderen Bundesländern haben ergeben, dass gerade auch diese Pflichten nicht immer eingehalten werden. 1. Wie viele Kontendatenabfragen wurden in den Jahren 2008, 2009, 2010, 2011, 2012 und 2013 durchgeführt (bitte jeweils angeben durch welche Behörden und zu welchen Zwecken die Abfragen durchgeführt wurden)? Kontendatenabrufe können nach § 93 Absatz 7 Abgabenordnung durch Finanzbehörden oder nach § 93 Absatz 8 Abgabenordnung durch andere Behörden vorgenommen werden. Drucksache 6/3275 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1a) Die von den Finanzbehörden durchgeführten Kontendatenabrufe nach § 93 Absatz 7 Abgabenordnung entwickelten sich im Zeitraum 2008 bis 2013 wie folgt: Jahr Veranlagung von Steuern Vollstreckung von Steuer- rückständen Steuerliche Außenprüfung Finanzamt allgemein Gesamt 2008 4 257 33 24 318 2009 2 402 23 3 430 2010 4 468 7 2 481 2011 0 540 2 3 545 2012 2 396 5 2 405 2013 0 1.254 5 18 1.277 Der Anstieg der Kontendatenabrufe im Jahr 2013 beruht überwiegend auf der Übernahme der bundesweiten Besteuerung der im Ausland lebenden Rentenempfänger durch das Finanzamt Neubrandenburg (etwa 375.000 Steuerfälle). In diesen Verfahren begannen erstmals im Jahr 2013 in größerem Umfang Beitreibungsmaßnahmen aufgrund von Zahlungsrückständen. 1b) Die nach § 93 Absatz 8 Abgabenordnung von anderen Behörden durchgeführten Kontendatenabrufe entwickelten sich im Zeitraum 2008 bis 2013 wie folgt: Jahr Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungs- förderungsgesetz) Gesamt 2008 52 3 0 55 2009 128 1 0 129 2010 158 22 0 180 2011 171 7 0 178 2012 168 1 1 170 2013 146 5 0 151 Hinzu kommen für das Jahr 2013 insgesamt 1.267 Kontendatenabrufe zum Zwecke der Vollstreckung durch Gerichtsvollzieher und vier Abrufe im Rahmen des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhalts- vorschüsse oder -ausfalleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz). Die Daten wurden durch Auswertung einer Statistik des Bundeszentralamtes für Steuern ermittelt, die für die Erfassung der durchgeführten Kontendatenabrufe geführt wird. Hierin werden die Rechtsgrundlage und der Zweck des Kontendatenabrufs erfasst. Eine Aufschlüs- selung der abrufenden Behörde erfolgt in dieser Statistik jedoch nicht. Daher ist eine Zuordnung zu den Behörden nicht möglich; dies hätte einer Recherche der insgesamt 2.699 Einzelfälle der Jahre 2008 bis 2013 bedurft, was im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage aufgrund des Umfangs nicht leistbar war. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3275 3 Typischerweise sind jedoch die folgenden Behörden für die Kontendatenabrufe zuständig: - Kontendaten nach § 93 Absatz 7 Abgabenordnung werden regelmäßig durch Finanzbe- hörden abgerufen. - Kontendaten für Zwecke der Durchführung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch werden gewöhnlich von den Jobcentern abgerufen. - Kontendaten für Zwecke der Durchführung des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch werden in der Regel von den Sozialämtern abgerufen. - Kontendaten für Zwecke des Bundesausbildungsförderungsgesetzes werden gewöhnlich durch die Ämter für Ausbildungsförderung abgerufen. - Gerichtsvollzieher fragen die Kontendaten im Rahmen von Vollstreckungsverfahren im Zuständigkeitsbereich ihres Amtsbezirks ab. - Kontendaten für Zwecke des Unterhaltsvorschussgesetzes werden regelmäßig durch die Jugendämter abgerufen. Die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern kann im Rahmen von Ermittlungsverfahren Kontodatenabfragen sowohl bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als auch bei den Banken selbst durchführen. Generell erfolgen derartige Abfragen zur Straftaten- bekämpfung und Terrorismusabwehr. Ein Kontodatenabrufverfahren gemäß § 93 Absatz 7 bis 10 und § 93b Abgabenordnung ist Polizeibehörden jedoch nicht eröffnet (siehe Vorbemerkung). Die Abfragen der Polizeibehörden werden statistisch nicht erfasst, sodass zu Häufigkeit und genauem Zweck abgefragter Kontodaten keine Einzelrecherchen in Form von Handauslesungen würden bei allen Ermittlungsverfahren im nachgefragten Zeitraum einen Aufwand begründen, der schon mit der sich aus Artikel 40 Absatz 1 Satz 1 Landesverfassung folgenden Pflicht zur unverzüg- Beantwortung Kleiner Anfragen nicht zu vereinbaren wäre. Die Verfassungsschutzabteilung ist nicht Gegenstand des 11. Tätigkeitsberichts des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, auf die sich das Vorwort bezieht. Der Vollständigkeit halber wird aber mitgeteilt, dass der Verfassungsschutz keine Abfragen nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung durchführt. Er kann im Einzelfall Auskunft bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen gemäß § 24a Absatz 2 Ziffer 2 Landesverfassungsschutzgesetz einholen. 2. Wurden alle Betroffenen über die Durchführung des Kontodaten- abrufs benachrichtigt und wenn nicht, bei wie vielen Betroffenen erfolgte keine Benachrichtigung und warum erfolgte diese nicht? Der Betroffene ist unabhängig vom Ergebnis des Kontendatenabrufs über die Durchführung als solche zu benachrichtigen (§ 93 Absatz 9 Abgabenordnung sowie § 802ℓ Absatz 3 Zivilprozessordnung). Die Landesregierung geht davon aus, dass diese gesetzliche Forderung von den zuständigen Behörden eingehalten wird. Drucksache 6/3275 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Eine Überprüfung der insgesamt 2.699 Einzelfälle entsprechend der Antwort zur Frage 1 war im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht möglich, da hierfür alle betroffenen Akten hätten gesichtet werden müssen. Für Kontodatenabfragen seitens der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern und des Verfassungsschutzes gelten keine Benachrichtigungspflichten gegenüber den Betroffenen. 3. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Einhaltung der Informationspflichten gegenüber den Betroffenen sicherzustellen? Zum Zweck der Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Kontendatenabrufersuchen sind das Ersuchen und die Ergebnisse eines Kontendatenabrufs von den nach § 93b Absatz 3 Abgabenordnung Verantwortlichen zu dokumentieren. Auch die Benachrichtigung gegenüber den Betroffenen ist zu dokumentieren. Die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften unterliegt der fachaufsichtlichen Kontrolle der vorgesetzten Dienstbehörden. Dies schließt die Einhaltung der Informationspflichten gegenüber den Betroffenen bei beabsichtigten und getätigten Kontendatenabrufen ein. 4. Wie haben sich die rechtlichen Grundlagen für die Kontendaten- abfragen verändert und welcher Zweck wurde jeweils damit verfolgt? Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Kontenabrufmöglichkeit inzwischen auch auf andere Zwecke und Behörden ausgedehnt hat und welche Position vertritt sie diesbezüg- lich? Nachfolgend werden die materiell-rechtlichen Erweiterungen der Befugnisse zum Kontendatenabruf dargestellt. Die gesetzlichen Grundlagen für einen Kontendatenabruf der Steuerverwaltung wurden erstmals mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 29.12.2003 mit Wirkung ab 01.04.2005 geschaffen. Darin enthalten war auch bereits die Möglichkeit anderer Behörden, über die Finanzämter Kontendaten abzufragen. Zu den Einzelheiten und zur Begründung des Gesetzes wird auf die Drucksache 15/1521 des Deutschen Bundestages verwiesen. Mit Einführung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge wurden die Befugnisse der Finanzbehörden zur Durchführung von Kontendatenabrufen für steuerliche Zwecke ab 01.01.2009 auf die Fälle beschränkt, in denen auch nach Einführung der Abgeltungssteuer noch die Erforderlichkeit besteht, Konten und Depots eines Steuerpflichtigen zu ermitteln, um eine gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuern gewährleisten zu können. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3275 5 Zu den außersteuerlichen Zwecken, für die ein Kontendatenabruf zur Überprüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen zulässig ist, zählen nunmehr auch die Fälle der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Das Kontendatenabrufersuchen ist nunmehr nicht über das Finanzamt, sondern von der zuständigen Behörde unmittelbar an das Bundeszentralamt für Steuern zu richten. Zu Einzelheiten und zur Begründung der gesetzlichen Änderungen wird auf die Drucksache 16/4841 des Deutschen Bundestages verwiesen. Kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nach oder ist bei einer Vollstreckung in die dort aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers nicht zu erwarten, so ist der Gerichtsvollzieher seit dem 01.01.2013 gemäß § 802ℓ b z 1 N mm 2 Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 93 Absatz 8 Abgabenordnung berechtigt, beim Bundeszentralamt für Steuern Kontenstammdaten des Schuldners abzufragen. Anfragen dürfen nur schriftlich gestellt werden. Die Teilnahme am Kontendatenabrufverfahren setzt eine entsprechende Zulassung durch das Bundeszentral- amt für Steuern voraus. Zu Einzelheiten und zur Begründung wird auf die Drucksache 16/10069 des Deutschen Bundestages verwiesen. Aus Sicht der Landesregierung leisten die Kontendatenabfragen nach § 93 Abgabenordnung § 802ℓ Z v p z P x m B zur Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs, insbesondere bei der Ausführung von Steuer- und Leistungsgesetzen, sowie zum Gläubigerschutz.