Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 5. März 2015 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3710 6. Wahlperiode 06.03.2015 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Jürgen Suhr, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einrichtung eines sozialen Ermittlungsdienstes und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Die Landesregierung geht nicht davon aus, dass die Einrichtung eines sozialen Ermittlungs- dienstes im Landkreis Vorpommern-Rügen dazu dienen soll, die Bezieher und Bezieherinnen von Sozialleistungen zu kriminalisieren, sondern die zweckentsprechende Verwendung der öffentlichen Mittel für bedarfsgerechte Leistungen an Leistungsberechtigte zu befördern. Das Haushaltssicherungskonzept des Landkreises Vorpommern-Rügen für den Konsolidierungszeitraum 2015 bis 2020 sieht im Bereich der sozialen Sicherung die Einrichtung eines zentralen Ermittlungsdienstes vor: „Diese Außendienstmitarbeiter müssen Kontrollen vor Ort bei den Antragstellern und in deren Häuslichkeit durchführen und dabei fest- stellen, ob die Antragsteller bestimmte Leistungen benötigen oder nicht und wenn ja, in welchem Umfang dies erforderlich ist.“ Die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg- Vorpommern hat zu diesem Vorgehen kritisch Stellung bezogen. Danach dürfen die Sozialämter den Ermittlungsdienst nur dann einsetzen, wenn im konkreten Einzelfall bereits tatsächliche Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch vorliegen. Anlassunabhängige oder flächen- deckende Nachforschungen, die erst zur Verdachtsschöpfung führten, seien unzulässig. Der Minister für Inneres und Sport, Lorenz Caffier, sieht Medienberichten zufolge für rechtsaufsichtliche Maßnahmen jedoch keinen Anlass. Auch die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales, Birgit Hesse, hält das Vorgehen des Kreises offenbar für recht- mäßig. Drucksache 6/3710 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Teilt die Landesregierung die Auffassung der Liga der Spitzen- verbände der Freien Wohlfahrtspflege, dass die Sozialämter den Ermittlungsdienst nur dann einsetzen dürfen, wenn im konkreten Ein- zelfall bereits tatsächliche Anhaltspunkte für einen Leistungsmiss- brauch vorliegen? a) Wenn ja, inwiefern ist dies bei den geplanten Kontrollen gewähr- leistet? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 1, a) und b) Die Ansicht wird in ihrer Generalität nicht geteilt. Der Ermittlungsdienst soll dann hinzugezogen werden, wenn Anträge vorliegen, bei denen der Landkreis Anhaltspunkte hat, dass unberechtigte oder unabsichtlich überhöhte Forderungen gestellt werden. Dies gilt in erster Linie für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Hilfen zum Lebensunterhalt. Außerdem soll er eine Klärung herbeiführen, wenn neben dem Landkreis weitere Leistungsträger (unter anderem Kranken- und Pflegekassen) betroffen sind. Zudem sollen durch den Einsatz des Ermittlungs- dienstes die Hilfen in der Häuslichkeit für die Hilfeempfänger durch Beratung und Unterstützung optimiert werden. Insoweit kann der Ermittlungsdienst auch unabhängig von Anhaltspunkten für Leistungsmissbräuche tätig werden. 2. Inwiefern sind zusätzliche Kontrollen über das bestehende Hilfeplan- verfahren und den damit zusammenhängenden Hilfeplangesprächen oder Hilfeplankonferenzen hinaus nach Ansicht der Landesregierung überhaupt nötig? Der Einsatz des Ermittlungsdienstes bezieht sich entsprechend dem Haushaltssicherungs- konzept des Landkreises Vorpommern-Rügen nicht auf die Hilfeplanverfahren und Hilfeplangespräche. Die drei unter Gliederungspunkt 3.1.3 des Haushaltssicherungskonzepts genannten Maßnahmen (Intensivierung der Steuerung im Hilfeplanverfahren, Überprüfung der Teilhabebefähigungseinschränkung am Leben in der Gesellschaft und Einrichtung eines zentralen Ermittlungsdienstes) sind unabhängig voneinander zu betrachten. Der Ermittlungs- dienst spielt bei den ersten beiden Punkten keine Rolle. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3710 3 3. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen des Landkreises Vorpommern-Rügen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich andere Landkreise, wie etwa der Landkreis Nordwestmecklenburg, explizit gegen den Einsatz solcher „Sozialkommissare“ ausgesprochen haben? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie in anderen Landkreisen verfahren wird. Unabhängig davon fällt die Entscheidung zur Einrichtung eines zentralen Ermittlungsdienstes in die Selbstverwaltungskompetenz des jeweiligen Landkreises und die ihm obliegende Organisations- und Personalhoheit. 4. Wie wird nach Kenntnis der Landesregierung sichergestellt, dass die Mitarbeiter des zentralen Ermittlungsdienstes auch die nötige Fach- kompetenz für die Einschätzung des individuellen Hilfebedarfs mit- bringen? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 5. Teilt die Landesregierung die Einschätzung des Landkreises Vorpommern-Rügen, dass sich unter Berücksichtigung zweier zusätz- licher Stellen für den Ermittlungsdienst, die etwa 115.000 Euro Personal- und Sachkosten verursachen, ab 2015 schrittweise 295.000 Euro einsparen lassen? 6. Hält die Landesregierung die in dem Haushaltssicherungskonzept formulierte Erwartung für realistisch, dass sich ein solcher sozialer Ermittlungsdienst durch die bei den Kontrollen festgestellten Tat- sachen und die daraus resultierenden Einsparungen in den Auszah- lungen regelmäßig selbst finanziert? a) Wenn ja, warum? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 5, 6, a) und b) Das vom Landkreis Vorpommern-Rügen in seinem Haushaltssicherungskonzept angegebene Konsolidierungspotential setzt sich aus drei einzelnen Maßnahmen im Bereich des Fachdienstes Soziales (Gliederungspunkt 3.1.3 des Haushaltssicherungskonzepts) zusammen: aus einer Intensivierung der Steuerung im Hilfeplanverfahren, aus einer Überprüfung der Teilhabebefähigungseinschränkung am Leben in der Gesellschaft und aus der Einrichtung eines zentralen Ermittlungsdienstes. Drucksache 6/3710 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Aufgrund der Finanzhoheit und der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung des Landkreises liegen der Landesregierung keine Informationen darüber vor, welcher Anteil der Einsparungen auf welche der drei Einzelmaßnahmen entfallen soll. Eine Bewertung der angenommenen Einsparmöglichkeiten ist daher nicht möglich. 7. Sind der Landesregierung Landkreise in anderen Bundesländern bekannt, in denen ein sozialer Ermittlungsdienst eingeführt wurde, der sich durch die bei den Kontrollen festgestellten Tatsachen und die daraus resultierenden Einsparungen in den Auszahlungen selbst finan- zierte, und, wenn ja, welche? Der Landesregierung liegen keine Informationen zu Landkreisen anderer Bundesländer mit einem sozialen Ermittlungsdienst vor. 8. Teilt die Landesregierung die Befürchtung, dass die geplante Selbst- finanzierung des Dienstes zu einem hohen Druck sowohl auf die Sozialkommissare als auch die betroffenen Leistungsempfänger führen könnte? a) Wenn ja, mit welchen Maßnahmen ließe sich dem entgegen- wirken? b) Wenn nicht, warum nicht? Zu 8, a) und b) Die Befürchtung wird nicht geteilt. Die Selbstfinanzierung des Ermittlungsdienstes ist im Haushaltssicherungskonzept nicht zwingend vorgegeben. 9. Durch welche Maßnahmen hat der Landkreis Vorpommern-Rügen nach Ansicht der Landesregierung ein rechtskonformes Vorgehen der Sozialkommissare sicherzustellen? Da der Landkreis Vorpommern-Rügen örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe ist, obliegt die Sicherstellung des rechtskonformen Vorgehens des Ermittlungsdienstes dem Landrat als gesetzlichem Vertreter des Landkreises. Er ist nach § 115 Absatz 1 der Kommunalverfassung (KV M-V) für die sachgerechte Erledigung der Aufgaben und den ordnungsgemäßen Gang der Verwaltung verantwortlich. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3710 5 10. Wie bewertet die Landesregierung die Einstufung der Selbstfinan- zierung des Ermittlungsdienstes durch die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege als eine „Zweckentfremdung der öffentlichen Mittel, die für bedarfsgerechte Leistungen der Menschen ein- zusetzen sind“? Diese Einschätzung wird nicht geteilt. Durch den Einsatz des zentralen Ermittlungsdienstes soll aus Sicht der Landesregierung die zweckentsprechende Verwendung der öffentlichen Mittel für bedarfsgerechte Leistungen an Leistungsberechtigte befördert werden.