Der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 11. Juni 2015 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/3912 6. Wahlperiode 11.06.2015 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Dr. Mignon Schwenke, Fraktion DIE LINKE Medikamentenrückstände in Oberflächengewässern, Grund- und Trinkwasser und ANTWORT der Landesregierung Auf Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 6/1358) beschäftigte sich der Landtag am 06.12.2012 mit dem Thema von Medikamentenrückständen in Oberflächengewässern, Grund- und Trinkwasser (Plenarprotokoll 6/32). Arzneimittelwirkstoffe besitzen eine hohe Umweltrelevanz. 1. Wie hat sich die freiwillige Rücknahme von nicht verbrauchten Medikamenten durch die Apotheken und medizinischen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2010 bis 2014 entwickelt? Der Landesregierung liegen hierzu keine statistischen Daten vor. Auf Nachfrage geht die Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern aber von einem Rückgang der Altarzneimittelentsorgung über die öffentlichen Apotheken seit der zweiten Jahreshälfte 2009 aus. Hintergrund ist die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (VerpackV) zum 1. Juni 2009, die aber ausschließlich die Rücknahme von restentleerten Verpackungen regelt. Die gemeinsame Rücknahme der Verpackungen mit Altmedikamenten bedarf eines freiwilligen Rücknahmesystems der Hersteller von Medikamenten gemäß § 26 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). Die Rücknahme von nicht verbrauchten Medikamenten wird derzeit über privat organisierte und von den Medikamentenherstellern beauftragte Sammelsysteme angeboten und auch aktiv in Anspruch genommen. Dabei ist zu beachten, dass der ebenfalls für Altmedikamente vorgesehene Entsorgungsweg über die Restmülltonne als sachgerecht und ausreichend betrachtet werden kann. Drucksache 6/3912 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Eine freiwillige Rücknahme von Altmedikamenten hat jedoch keine Auswirkung auf die Beteiligung der Hersteller an einem dualen System für die Verkaufsverpackungen. Für Verkaufsverpackungen von Medikamenten, die typischerweise beim privaten Endverbraucher anfallen, muss sich der Hersteller/Vertreiber nach § 6 Absatz 1 VerpackV an einem dualen System beteiligen. Dies stellt eine Voraussetzung für das Inverkehrbringen der Verpackungen dar - unabhängig davon, ob diese Verpackungen nach Gebrauch vom Endverbraucher dem Erfassungssystem der dualen Systeme zugeführt werden. 2. Wie hat sich die Belastung von häuslichen und kommunalen Abwässern und des Grundwassers mit Medikamentenrückständen seit den Messungen von 2008 entwickelt? Das Grundwasser in Mecklenburg-Vorpommern wird seit 2011 im Rahmen der Gewässerüberwachung des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) auf Arzneimittelwirkstoffe und Röntgenkontrastmittel untersucht. Positivbefunde (= Messwerte über der Bestimmungsgrenze des verwendeten Analyseverfahrens) traten vereinzelt für wenige Arzneimittelwirkstoffe (AZM) auf, Konzentrationen über 0,1 µg/l - dies ist der für Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe gültige Schwellenwert aus der Grundwasserverordnung (GrwV) - wurden nur an sehr wenigen Grundwasser-Messstellen verzeichnet. Für Arzneistoffe liegen noch keine Schwellenwerte vor. Generell ist aber davon auszugehen, dass diese Stoffe unerwünscht sind und Messwerte über 0,1 µg/l im Grundwasser nicht vorkommen sollten. Insgesamt liegen Daten zu 22 AZM und zwei Röntgenkontrastmitteln (RKM) vor. Von den 22 untersuchten AZM wurden fünf in Konzentrationen über 0,1 µg/l gemessen (Tabelle 1). Es handelt sich hierbei um die krampflösenden Arzneistoffe Carbamazepin, Gabapentin und Primidon, das Schmerzmittel Phenazon und das Antibiotikum Sulfamethoxazol sowie ein Abbauprodukt eines Arzneistoffes (4-Formylaminoantipyrin). Carbamazepin und Phenazon wurden an einigen Messstellen über mehrere Jahre nachgewiesen, was auf eine hohe Persistenz dieser Stoffe schließen lässt. Die beiden Röntgenkontrastmittel traten etwas häufiger und in etwas höheren Konzentrationen als die Arzneimittelwirkstoffe auf. Es waren relativ wenige der insgesamt etwa 270 untersuchten Grundwasser-Messstellen davon betroffen. Bei der Amidotrizoesäure zeigen sich an zwei Messstellen mehrjährige Befunde. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3912 3 Tabelle 1: Erhöhte Befunde (> 0,1 µg/l) von Arzneimittelwirkstoffen (AZM) und Röntgenkontrastmitteln (RKM) im Grundwasser (GW) Mecklenburg- Vorpommerns, Zeitraum 2011 - 2014 Wirkstoffe Anzahl Messwerte Messwert > 0,1 µg/l GW-Messstelle mit Messwerten > 0,1 µg/l Messwert in µg/l (Datum) Carbamazepin (AZM) 547 2 Grebbin 0,136 (22.07.2011) 0,866 (26.04.2012) Phenazon (AZM) 547 2 Goldenstädt alt 0,116 (27.07.2011) 0,104 (10.05.2012) Sulfamethoxazol (AZM) 547 1 Thelkow Deponie 0,211 (16.05.2014) Gabapentin (AZM) 136 1 Bassow 0,123 (16.04.2014) Primidon (AZM) 136 1 Törpin 0,101 (28.04.2014) 4-Formylaminoantipyrin (AZM) 136 3 Zinnowitz 115 0,469 (05.05.2014) Stuck 0,319 (30.04.2014) Sülte 0,167 (06.05.2014) Amidotrizoesäure (RKM) 547 7 Gülze 3,86 (04.07.2011) 0,94 (16.04.2012) Spoitgendorf Hy1/98 0,74 (25.08.2011) Tilzow 1,41 (24.04.2013) Thürkow 0,72 (07.05.2012) 0,16 (15.04.2013) Jabel-Nordost 0,17 (19.08.2011) Iopamidol (RKM) 547 3 Spoitgendorf Hy1/98 0,72 (20.05.2014) Karrenzin 0,12 (07.05.2014) Stolpe 1/04 0,11 (07.05.2014) Drucksache 6/3912 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 AZM-Untersuchungen in den Abläufen von kommunalen Kläranlagen fanden 2008/2009, 2013 und 2014 statt, wobei in den ersten beiden Jahren eine größere Anzahl von Stoffen untersucht wurde. Am häufigsten und in den höchsten Konzentrationen wurden die AZM Carbamazepin, Diclofenac, Metoprolol und Sulfamethoxazol und die beiden Röntgenkontrastmittel gemessen. Die Untersuchungen in den Folgejahren wurden deshalb auf diese Stoffe konzentriert. Einen Vergleich der Befunde zeigt Tabelle 2. Tabelle 2: Befunde von Arzneimittelwirkstoffen (AZM) und Röntgenkontrastmitteln (RKM) in Kläranlagenabläufen Mecklenburg-Vorpommerns, Zeitraum 2008/2009, 2013 und 2014 3. Gibt es in Mecklenburg-Vorpommern Kläranlagen, die die sogenannte vierte Reinigungsstufe anwenden? In Mecklenburg-Vorpommern verfügt keine kommunale Kläranlage über eine sogenannte vierte Reinigungsstufe (zum Beispiel Anwendung von Ozon, Einsatz von Aktivkohle) zur gezielten Elimination von Mikroschadstoffen. Die Kläranlage des Friedrich-Loeffler- Institutes auf der Insel Riems ist mit einer Membranfiltration zur Hygienisierung und weitergehenden Abwasserreinigung ausgestattet. 4. Gibt es Fördermöglichkeiten für Klärwerke, die auf diese Technik umstellen wollen? 5. Plant die Landesregierung, die sogenannte vierte Reinigungsstufe für Klärwerke in Mecklenburg-Vorpommern generell einzuführen? Zu 4 und 5 Die Fragen 4 und 5 werden zusammenhängend beantwortet. Wirkstoffe 2008/2009 2013 2014 Anzahl Messwerte Mittelwert in µg/l Anzahl Messwerte Mittelwert in µg/l Anzahl Messwerte Mittelwert in µg/l Carbamazepin 73 6,75 77 3,63 77 3,35 Diclofenac 73 2,63 77 3,45 77 3,12 Metoprolol 73 2,40 77 3,80 77 2,66 Sulfamethoxazol 73 2,51 - - 77 0,29 Amidotrizoesäure 73 11,40 77 8,46 77 5,23 Iopamidol 73 4,90 77 9,94 77 5,84 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/3912 5 Die Abwasserbeseitigung in Mecklenburg-Vorpommern hat zum Ende der laufenden EU-Förderperiode und mit Unterstützung durch die Landesregierung im Wesentlichen den Stand der Technik erreicht, sodass eine regelmäßige Förderung der abwasserbeseitigungs- pflichtigen Körperschaften nicht mehr erforderlich ist. Es wird sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene bereits seit Längerem kontrovers über die mögliche Einführung von Verfahren zur weitergehenden Elimination von Mikroverunreinigungen bei der kommunalen Abwasserreinigung diskutiert. Die Landesregierung plant im regionalen Alleingang keine generell verbindliche Festlegung zum Bau einer sogenannten vierten Reinigungsstufe für Kläranlagen in Mecklenburg- Vorpommern. Die Bestimmung des Standes der Technik obliegt der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Einführung dieser sogenannten vierten Reinigungsstufe wäre zudem mit erheblichen Investitions- und Betriebskosten verbunden und im Hinblick auf die Kosteneffizienz derzeit in erster Linie für Groß-Kläranlagen denkbar. In Mecklenburg-Vorpommern existieren etwa 600 kommunale Kläranlagen, von denen mehr als 400 der Größenklasse 1 zugeordnet werden, also lediglich für eine Reinigungskapazität bis zu 1.000 Einwohnerwerten bemessen sind. Die Landesregierung wird mit der in Aufstellung befindlichen „Richtlinie zur Förderung nachhaltiger wasserwirtschaftlicher Vorhaben (WasserFöRL M-V)“ auch für die Zukunft eine Möglichkeit zur Förderung investiver Vorhaben zur weitergehenden Abwasserbehandlung schaffen, die der Beseitigung punktueller Gewässerbelastungen dienen und die auf den guten Zustand des Gewässers nach der Wasserrahmenrichtlinie gerichtet sind. Gegenwärtig liegt der Fokus hier aber auf kleineren Vorhaben zur Verbesserung der Reinigungsleistung von Kläranlagen hinsichtlich der Phosphorreduzierung. Dies schließt die Möglichkeit der Förderung einzelner Vorhaben zur Umstellung auf die vierte Reinigungsstufe nicht grundsätzlich aus, auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, Erfahrungen mit solchen Verfahren unter praktischen Betriebsbedingungen zu sammeln. Es wird jedoch auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 6. Wie schätzt die Landesregierung den derzeitigen Diskussionstand zu einer bundesweiten Einführung der sogenannten vierten Reinigungsstufe für Klärwerke ein und wie bewertet sie eine solche bundesweite Einführung? Auf Initiative Mecklenburg-Vorpommerns hat die 80. Umweltministerkonferenz am 7. Juni 2013 mit Beschluss zu TOP 18 die Bundesregierung gebeten, sich für ein EU-weites Monitoring und ein darauf aufbauendes, abgestimmtes Vorgehen einzusetzen, um auf der Grundlage zielgerichtet fortgeführter Untersuchungs- und Forschungsvorhaben geeignete und praxisgerechte Vermeidungs- und Minderungsstrategien für Mikroschadstoffe abzuleiten. Die Landesregierung unterstützt einen in diesem Sinne geführten Diskussionsprozess. Dieser darf sich nicht auf eine ausschließliche „End-of-pipe“-Betrachtung konzentrieren, sondern muss die Vermeidung beziehungsweise Verminderung des Eintrages von Mikroschadstoffen in die Umwelt während der gesamten „Lebensdauer“ der Stoffe - also von der Herstellung über die Verwendung/Anwendung bis zur Entsorgung - in den Fokus nehmen. Auf dieser Basis müssen geeignete kosteneffiziente Maßnahmen zur Reduktion von Schadstoffeinträgen in die Gewässer ableitet werden. Drucksache 6/3912 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Eine im Auftrag des Bundes durchgeführte Studie zu Maßnahmen zur Verminderung des Eintrages von Mikroschadstoffen in die Gewässer (Hillenbrand et al. (2014)) prognostiziert für einen Ausbau aller 3.013 deutschen Kläranlagen der Größenklassen 3 bis 5 (Kläranlagen mit einer Reinigungskapazität ab 5.000 Einwohnerwerte) zur gezielten Mikroschadstoffentfernung jährliche Gesamtkosten von rund 1,3 Milliarden Euro (netto). Dieser Betrag beinhaltet sowohl die für die Investitionskosten berechneten Jahreskosten als auch die für den Betrieb der zusätzlichen Verfahrenstechniken notwendigen Kosten. Eine ausschließliche Fixierung auf eine kostenträchtige vierte Reinigungsstufe bei kommunalen Kläranlagen mit unvermeidbaren Auswirkungen auf die Höhe der Abwassergebühren wird von der Landesregierung abgelehnt. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der hiesigen Abwasserinfrastruktur mit überwiegend kleinen Kläranlagen. Der Landesregierung sind keine aktuellen gesetzgeberischen Aktivitäten der EU oder des Bundes bekannt, die eine vierte Reinigungsstufe bei kommunalen Kläranlagen verbindlich vorschreiben sollen. 7. Gibt es in Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile Krankenhäuser, Kliniken sowie andere medizinische oder Pflegeeinrichtungen, die ihre Abwässer vor dem Einleiten in den Abwasserkreislauf von Medikamentenrückständen befreien? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Es wird davon ausgegangen, dass in der Regel keine gesonderte Vorbehandlung von Krankenhausabwässern erfolgt, sondern diese regelmäßig in den Abwasserbehandlungsanlagen gereinigt werden.