Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 8. September 2015 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/4409 6. Wahlperiode 09.09.2015 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Barbara Borchardt, Fraktion DIE LINKE Agieren der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Berichterstattungen des Nordkuriers in Sachen „Rabauken-Jäger“ und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Es ist nicht ersichtlich, dass mit der Drucksache 6/4151 aufgeworfene Fragen nicht oder nur unzureichend beantwortet worden sind. Die Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage zum Agieren der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Berichterstattungen des Nordkuriers in Sachen „Rabauken-Jäger“ (Drucksache 6/4151) gibt Anlass zu weiteren Nachfragen, nicht zuletzt weil einige Fragen in meiner Kleinen Anfrage nicht oder nur unzureichend beantwortet worden sind. Ich bitte daher, meine Fragen nicht zusammenhängend, sondern einzeln zu beantworten. Drucksache 6/4409 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Inwieweit war das Justizministerium als Dienst- und Fachaufsicht über die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften im Land in diesen Fall involviert? a) Inwiefern entspricht es der Praxis, dass Staatsanwälte bzw. ein Behördenleiter ohne vorherige Rückkopplung mit den vorgesetzten Dienststellen einen Strafantrag gegen einen Chefredakteur einer Regionalzeitung wegen Beleidigung stellen? b) Welchen Sinn hat die Dienst- und Fachaufsicht des Justizministeriums über die Strafverfolgungsbehörden des Landes, wenn das Ministerium in Ermittlungsverfahren, die in das Grundrecht auf Pressefreiheit eingreifen, nicht involviert wird? Zu 1 Auf die Antworten zu Frage 1, a), b) und c) der Drucksache 6/4151 wird Bezug genommen. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Neubrandenburg hat am 28.05.2015, mithin erst nach dem Urteil des Amtsgerichs Pasewalk vom 20.05.2015, die Berichterstattung in dieser Sache aufgenommen. Zu a) Zur Fallgestaltung „Strafantrag gegen einen Chefredakteur einer Regionalzeitung wegen Beleidigung“ gibt es keine Praxis im Sinne einer ständigen Übung. Es entspricht jedoch der Praxis, dass Staatsanwälte und Dienstvorgesetzte Strafanträge wegen Beleidigung nicht mit den vorgesetzten Behörden abstimmen. Zu b) Das Weisungsrecht des Justizministeriums gegenüber den Staatsanwaltschaften beruht auf § 147 Gerichtsverfassungsgesetz als Ausfluss der Dienstaufsicht und folgt aus der politischparlamentarischen Verantwortung für die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaften. Für die Ausübung des Weisungsrechts gelten in Mecklenburg-Vorpommern - wie in einer Vielzahl anderer Bundesländer - in ständiger Übung seit 2002 Richtlinien, die sich bewährt haben. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern macht hiernach von seinem Weisungsrecht in anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren in ständiger Selbstbindung grundsätzlich keinen Gebrauch. Fachaufsicht ist die Kontrolle der Richtigkeit der Dienstausübung - keinesfalls eine politische Kontrolle. Eine Weisung kommt deshalb in Mecklenburg-Vorpommern nur in dem Fall in Betracht, dass der zuständige Generalstaatsanwalt gegen eine rechtsfehlerhafte staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung zu Unrecht nicht einschreitet. Das war hier nicht der Fall. Im Übrigen ist anzumerken ist, dass im Rahmen von Ermittlungsverfahren vielfach in Grundrechte Beschuldigter und unter Umständen auch Dritter eingegriffen wird. Auch bei dem wohl bedeutsamsten Grundrechtseingriff, dem Eingriff in die Freiheit des Einzelnen durch Vollstreckung , von zum Beispiel Untersuchungs- oder Strafhaft, wird das Ministerium nicht „involviert“. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4409 3 2. Welche strafrechtliche Relevanz hat der von der Landesregierung angeführte Beschluss des Presserats vom 02.12.2014 für das vorgenannte Strafverfahren gegen einen Redakteur des Nordkuriers? In die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Grundrecht des Verletzten auf Persönlichkeitsschutz einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits war auch der Umstand, dass der Presserat aus den im Rahmen der Beantwortung der Fragen 1, a), b) und c) der Kleinen Anfrage auf Drucksache 6/4151 mitgeteilten Gründen die Berichterstattung des Nordkuriers missbilligt und eine Verletzung von Ziffern 8 und 9 des Pressekodex festgestellt hatte, einzustellen . 3. Vor dem Hintergrund der Antwort der Landesregierung, dass mangels eines Anfangsverdachtes für die Verfolgung Unschuldiger keine Ermittlungen geführt würden, frage ich nochmals, ob und wenn ja, durch wen Vorermittlungen gegen die Generalstaatsanwaltschaft oder das Justizministerium in dieser Angelegenheit geführt wurden bzw. werden, um die Frage eines Anfangsverdachts zu klären? a) Aus welchen rechtlichen Gründen sind ggf. solche Vorermittlungen unterblieben? b) Inwiefern sind nicht aus Gründen der Sicherung der Integrität und des Vertrauens des Bürgers in das Funktionieren des Staates Vorermittlungen in diesen Fällen vielmehr zwingend geboten, wenn von einem Strafrechtsprofessor strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen den Generalstaatsanwalt öffentlich erhoben werden? Zu 3 Auf die Antworten zu Fragen 4, a) und b) der Drucksache 6/4151 wird Bezug genommen. Zu a) Es bestand kein Anlass, durch Prüfung des Vorliegens eines Anfangsverdachts zu klären, ob ein nach den Regeln der Strafprozessordnung geführtes Ermittlungsverfahren durchzuführen ist, da ersichtlich keine Tathandlung im Sinne des § 344 Strafgesetzbuch vorlag. Zu b) Die Strafprozessordnung sieht Derartiges nicht vor. Drucksache 6/4409 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 4. Die Landesregierung führt aus, dass der Generalstaatsanwalt dem FAZ-Journalisten in seiner Korrespondenz keine Geheimnisse gemäß § 37 BeamtStG (Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten) mitgeteilt habe, sodass es keiner vorherigen Genehmigung durch die vorgesetzte Dienststelle bedurfte. Zum Zeitpunkt der Korrespondenz (11.06.2015) war das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stralsund gegen den Chefredakteur des Nordkuriers (29.05. bis 08.07.2015) anhängig und nicht entschieden. Dem Journalisten wurde ein auf Bitten des Nordkuriers gefertigter, unveröffentlichter Gastkommentar des Generalstaatsanwalts übersandt . Wie kann der Generalstaatsanwalt durch seine Korrespondenz mit dem Journalisten aus seiner Sicht einen Beitrag zur „Versachlichung der Debatte“ leisten, ohne inhaltlichen Rückgriff auf ein zu diesem Zeitpunkt noch laufendes Ermittlungsverfahren zu nehmen? a) Inwiefern wurde der gefertigte Gastkommentar des Generalstaatsanwalts in der spätestens zu diesem Zeitpunkt von Politik und Öffentlichkeit genau verfolgten Angelegenheit mit dem Justizministerium abgestimmt und wenn nicht, warum nicht? b) Inwiefern entspricht ein solcher Gastkommentar des Generalstaatsanwalts der Praxis? c) Inwiefern kann § 4 Abs. 2 LPrG M-V (Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern) Rechtsgrundlage für die Korrespondenz mit dem Journalisten sein, wenn der Kontakt initiativ vom Generalstaatsanwalt ausging und § 4 Abs. 2 LPrG M-V regelt, dass Behörden bei Presseanfragen zur Auskunft verpflichtet sind? Zu 4 Eine Versachlichung der Debatte sollte zum einen durch die Klarstellung erreicht werden, dass die Meinungsfreiheit im Grundgesetz nicht schrankenlos gewährt wird, zum anderen durch Darlegung der Pflichten der Staatsanwaltschaft und nicht zuletzt dadurch, dass Respekt vor dem Gericht, welches erstinstanzlich über die Sache entschieden hatte, eingeworben werden sollte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stralsund gegen den Chefredakteur des Nordkurier anhängig war. Vielmehr ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts geprüft und verneint und demzufolge von der Einleitung der Ermittlungen abgesehen worden. Zudem ist in dem Gastkommentar zum Sachverhalt nichts mitgeteilt worden, was nicht bereits der Öffentlichkeit bekannt war. Der Kommentar bestand im Wesentlichen aus rechtlichen Erwägungen. Zu a) Der Gastkommentar wurde nicht mit dem Justizministerium abgestimmt. Hierzu bestand kein Anlass. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4409 5 Zu b) Wenn der Generalstaatsanwalt um einen Gastkommentar gebeten wird, prüft er im Einzelfall, ob ein solcher geboten erscheint. Zu c) Auf die Antworten zu Fragen 4 und a) der Drucksache 6/4151 wird Bezug genommen. Gemäß § 4 Absatz 2 LPrG M-V sind den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen. Da der Journalist über den Sachverhalt berichtet hatte, war er ersichtlich an Informationen interessiert. 5. Der Generalstaatsanwalt hat nach den Ausführungen der Landesregierung dem Strafrechtsprofessor Fragen gestellt, ob die ihm zugesprochenen Aussagen zutreffend seien, auf welcher tatsächlichen Grundlage diese Aussagen getroffen worden seien und welche weiteren Erkenntnisse dieser habe, die dem Generalstaatsanwalt nicht bekannt seien. Inwiefern kann die „Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben, hier: Auswertung von Medienberichten“ Rechtsgrundlage für einen Fragenkatalog an einen Kritik äußernden Wissenschaftler sein? Dem Generalstaatsanwalt obliegt die Bearbeitung von Justizverwaltungssachen nach Nummer 4 Absatz 3 der Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaft . Hierunter fällt auch die Auswertung von Medienberichten über Strafverfahren. Wenn sich im Rahmen der Auswertung Fragen ergeben, wird diesen, soweit dies für erforderlich gehalten wird, nachgegangen, im vorliegenden Fall durch Nachfrage bei einer zitierten Person. Drucksache 6/4409 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 6. Inwiefern ist das ein übliches Vorgehen der Staatsanwaltschaft, bei Presse und Medien zu intervenieren, wenn die Presse- und Medienberichterstattung kritisch gegenüber der Arbeit der Staatsanwaltschaft ist? a) Werden regelmäßig Briefe zur „Versachlichung der Debatte“ an Vertreter von Presse und Medien geschickt? b) Gab es darüber hinaus in dieser Legislaturperiode auch über Presseerklärungen und Nachfragen hinausgehende Kontakte der Staatsanwaltschaften des Landes sowie der Generalstaatsanwaltschaft mit Presse- und Medienvertretern und wenn ja, wo und wann fanden solche Kontakte bzw. Termine statt, mit welchen Vertretern seitens der Strafverfolgungsbehörden und zu welchem Verfahren? Zu 6 Soweit in Presse- und Medienberichten die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft oder einzelner Mitarbeiter derart unzutreffend und tendenziös dargestellt wird, dass deren Reputation Schaden nimmt, ist es unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht geboten, auf eine Richtigstellung hinzuwirken. Zu a) Nein. Üblicherweise ist dies nicht erforderlich. Zu b) Auf Einladung des Generalstaatsanwalts an landesweit mit der Berichterstattung in justiziellen Sachen betraute Journalisten der Ostseezeitung, des NDR, der SVZ sowie des Nordkuriers fanden zwischen dem 24.09.2013 und dem 15.11.2013 Gespräche über die Arbeit der Medien und der Justiz, zu allgemeinen Fragen staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit sowie zu den Erwartungen der Medien an die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften im Dienstgebäude des Generalstaatsanwalts statt. Teilgenommen haben neben den vorbezeichneten Medienvertretern der Generalstaatsanwalt und die Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft . Zur selben Thematik fand am 09.07.2015 im Dienstgebäude des Generalstaatsanwalts ein Gespräch mit der Geschäftsführerin des Deutschen Journalisten-Verbandes e. V., Landesverband Mecklenburg-Vorpommern statt. Es nahmen der Generalstaatsanwalt und die Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft teil. Konkrete Ermittlungs- oder Strafverfahren wurden nicht besprochen. Darüber hinaus ergaben sich zwischen dem Generalstaatsanwalt und Medienvertretern Kontakte in Form allgemeiner Gespräche anlässlich diverser Gelegenheiten, wie beispielsweise den Sommerfesten des Landtages, Jahresempfängen der Landespressekonferenz und Neujahrsempfängen des Ministerpräsidenten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4409 7 Zwischen den Pressesprechern der Staatsanwaltschaften und Medienvertretern kam es über die Beantwortung konkreter Anfragen, die Abgabe von Presseerklärungen oder die Durchführung von Pressekonferenzen hinausgehend insoweit zu Kontakten, als bei sich ergebenden Gelegenheiten Gespräche stattfanden, die keine konkreten Verfahren betrafen. Regelmäßig ging es hierbei um allgemeine Fragen staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit. Eine Auflistung, wo, wann und mit welchen Beteiligten diese Kontakte stattfanden, ist nicht möglich. 7. Nach Antwort der Landesregierung sieht sich der Generalstaatsanwalt zu solchen Interventionen gegenüber Presse- und Medienvertretern berechtigt, wenn ein schwerwiegender Vorwurf im Raum stehe und dies zur Wahrung der Reputation seines Amtes in der Öffentlichkeit notwendig erscheint. Inwiefern sieht die Landesregierung in dem Agieren der Staatsanwaltschaft gegenüber Journalisten und dem Chefredakteur des Nordkuriers Vorgänge, die die Reputation der Staatsanwaltschaften in diesem Land beschädigen? Die Landesregierung sieht die Reputation der Staatsanwaltschaften durch die Sachbehandlung und die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft in dem hier in Rede stehenden Verfahren nicht beschädigt.