Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 11. November 2015 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/4627 6. Wahlperiode 12.11.2015 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Barbara Borchardt und Henning Foerster, Fraktion DIE LINKE Sonn- und Feiertagsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist in Deutschland grundsätzlich unzulässig (§ 9 Arbeitszeitgesetz - ArbZG). Abweichend von diesem allgemeinen Verbot ist eine Beschäftigung dort zulässig, wo gesetzliche Ausnahmen greifen (abschließende Aufzählung in § 10 ArbZG) und dort, wo auf Antrag behördliche Einzelausnahmen zugelassen wurden (§ 13 Absätze 3 bis 5 und § 15 ArbZG). Darüber hinaus kann die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen über die Ausnahmen nach § 10 ArbZG weitere Ausnahmen durch Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a ArbZG für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonnund Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse erforderlich ist und Buchstabe c ArbZG aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere auch zur Sicherung der Beschäftigung zulassen. Sofern die Bundesregierung von der Ermächtigung des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe a keinen Gebrauch gemacht hat, können die Landeregierungen durch Rechtsverordnungen entsprechende Bestimmungen erlassen. Die Ermächtigung nach Buchstabe c richtet sich hingegen ausschließlich an den Bund. Drucksache 6/4627 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Jahr 1996 klargestellt hat, dass es den Erlass einer Bundesverordnung auf der Grundlage des § 13 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a ArbZG nicht beabsichtigt, haben alle Länder eigene Regelungen zum Bedarfsgewerbe erlassen. Grundlage aller Landesregelungen war im Wesentlichen ein bundesweit abgestimmter Musterentwurf. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesverordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen (Bedarfsgewerbeverordnung - BedGewVO M-V) am 31. August 1998 erlassen (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern 1998, Seite 802). Als letztes Land hat Hessen von dieser Ermächtigungsgrundlage Gebrauch gemacht. Mit Urteil vom 26. November 2014 hat das Bundesverwaltungsgericht die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung für die Bereiche Videotheken, öffentliche Bibliotheken, telefonische und elektronische Dienstleistungen (Beschäftigung in Callcentern) und Lottound Totogesellschaften für unwirksam befunden. Im Hinblick auf die Bereiche Getränkeindustrie und -großhandel sowie Speiseeisfabriken und -großhandel hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Herbst 2014 klargestellt, wann Sonn- und Feiertagsarbeit zu tolerieren ist und wann nicht. Demnach ist eine Beschäftigung von Arbeitnehmern, z. B. in Videotheken, öffentlichen Bibliotheken, Lotto- und Totogesellschaften sowie Callcentern , an Sonn- und Feiertagen nicht erforderlich, um besondere Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken und ist damit unzulässig. Das hierzulande zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales kündigte Konsequenzen an. So sollte u. a. die Bedarfsgewerbeverordnung geändert werden. 1. Wie viele Beschäftigte arbeiteten in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2011 bis 2014 jährlich durchschnittlich an Sonn- und Feiertagen und in welchem Stundenvolumen (bitte absolute Zahlen sowie Anteile in Prozent angeben)? Zur Beantwortung der Fragen 1, 2 und 3 wurde das Statistische Amt MecklenburgVorpommern um Zuarbeit gebeten, da eigene Statistiken nicht vorliegen. Das Statistische Amt teilte hierzu mit, dass die Daten aus dem Mikrozensus angeboten werden können. Im Rahmen dieser Stichprobenerhebung wird nach Sonn- und Feiertagsarbeit jährlich gefragt. Ein Nachweis erfolgt für die Beschäftigten nach verschiedenen Auswertungskriterien, darunter nach Wirtschaftsbereichen. Die Konzentration auf die Bereiche „Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Lagerei“ sowie „Öffentliche und private Dienstleister“ wird offensichtlich. Die Gliederungstiefe, die für die Beantwortung der Frage 3 benötigt wird, kann jedoch nicht bereitstellt werden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4627 3 Bei einer 1-prozentigen Stichprobe sind Daten in einer tiefen Untergliederung selbst für ein Bundesland nicht mehr belastbar. Die vorgelegten Jahresstatistiken weisen in den Tabellen bereits viele Angaben als nicht repräsentativ genug aus, dargestellt durch einen Schrägstrich „/“. oder sie haben eine eingeschränkte Aussagefähigkeit, dargestellt durch Klammern „( )“. Einige andere Tabellenfelder bleiben leer, da, wie es in den Berichten heißt, nichts vorhanden ist, dargestellt durch einen Querstrich „-“. Eine Ausweisung des prozentualen Anteils mit belastbaren Angaben ist deshalb nicht möglich. Das Stundenvolumen wird im Mikrozensus nicht erhoben. Einzelheiten zur Beantwortung der Frage 1 sind der beigefügten Anlage zu entnehmen. 2. Auf welche Branchen konzentrierte sich die Sonn- und Feiertagsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2011 bis 2014? Zur Beantwortung der Frage 2 wird auf die Antwort zu Frage 1 sowie auf die beigefügte Anlage verwiesen. 3. Wie viele Beschäftigte arbeiteten an Sonn- und Feiertagen in den Jahren 2011 bis 2014 jährlich durchschnittlich mit welchem Stundenvolumen in den Bereichen öffentliche Bibliotheken, Videotheken, Lotto- und Totogesellschaften sowie Callcentern (bitte absolut und in Prozent angeben)? Anders als die beklagte und in diesen Punkten für nichtig erklärte Hessische Bedarfsgewerbeverordnung sieht die Bedarfsgewerbeverordnung für Mecklenburg-Vorpommern keine Ausnahme vom Sonn- und Feiertagsbeschäftigungsverbot für öffentliche Bibliotheken, Videotheken und für Lotto- und Totogesellschaften vor. Für diese Bereiche gibt es in Mecklenburg-Vorpommern somit keine Grundlage in einer Rechtsverordnung, die eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen zulässt. Die Verwaltungsgesellschaft LOTTO und TOTO in Mecklenburg-Vorpommern mbH ist hier im Land das einzige Unternehmen, welches Lotterien und Wetten im Rahmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks und im Rahmen der Eurojackpot-Kooperation zwischen den Lottogesellschaften der einzelnen Bundesländer beziehungsweise den an der EurojackpotKooperation beteiligten Lotterien durchführt. Sonntagsarbeit ist dort grundsätzlich nicht notwendig. Lediglich an einigen wenigen, nicht bundes-/europaeinheitlichen Feiertagen müssen bis zu sechs Arbeitnehmer für acht Stunden unabdingbar notwendige Arbeiten durchführen. Drucksache 6/4627 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Die Verwaltungsgesellschaft LOTTO und TOTO in Mecklenburg-Vorpommern mbH beschäftigt am Standort Rostock 68 Arbeitnehmer. Sechs Beschäftigte an den besagten Feiertagen entsprechen einer Quote von 8,8 Prozent. Nach übereinstimmenden Angaben des Callcenterverbandes (CCV) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gibt es in telefonischen und elektronischen Dienstleistungscentern (sogenannte Callcenter) in Deutschland circa 250.000 Vollzeitarbeitsplätze (circa 520.000 Beschäftigte). In Mecklenburg-Vorpommern sind nach Branchenangaben 17.000 Beschäftigte in Dienstleistungscentern tätig. Valide Angaben, wie viele Beschäftigte tatsächlich von Sonntagsarbeit betroffen sind, konnten weder der Callcenterverband noch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di vorlegen. Auch das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommern konnte diesbezüglich keine statistischen Angaben vorlegen (siehe Antwort zu Frage 1). 4. Wie beurteilt die Landesregierung den sich aus dem Urteil ergebenden Änderungsbedarf auf Landesebene? Auch wenn das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts unmittelbar nur gegenüber der Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung Wirkung entfaltet, muss doch auch in den anderen Ländern berücksichtigt werden, dass die Länderverordnungen in den angegriffenen Punkten nicht mit dem verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage vereinbar sind und insoweit gegen Artikel 140 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) verstoßen. Nach dem in Artikel 20 Absatz 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ist sowohl die gesetzgebende als auch die vollziehende Gewalt an die verfassungsmäßige Ordnung beziehungsweise Recht und Gesetz gebunden. Die Länder sind auf Grund des Rechtstaatsprinzips gehalten, in ihren Landesverordnungen rechtmäßige Zustände herzustellen. 5. Was hat die Landesregierung seit der Urteilsverkündung konkret unternommen, um die gegebenenfalls notwendigen Änderungen an landesrechtlichen Regelungen auf den Weg zu bringen bzw. welche landesrechtlichen Regelungen will sie bis wann ändern? Auch wenn das Urteil unmittelbar nur gegenüber der Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung Wirkung entfaltet, hat sich die Mehrheit der Länder auf der Sitzung der Arbeitsgruppe sozialer und medizinischer Arbeitsschutz des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI - AG 3) im März 2015 dafür ausgesprochen, dass geprüft werden muss, ob auch für die übrigen Länderverordnungen ein Handlungsbedarf besteht. Die LASI - AG 3 hatte hiermit eine Projektgruppe beauftragt, in der auch MecklenburgVorpommern vertreten war. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4627 5 Die Projektgruppe hat sich intensiv mit dem Urteil des BVerwG auseinandergesetzt und die Auswirkungen auf die Länderregelungen untersucht. Zu den telefonischen beziehungsweise elektronischen Dienstleistungen wurde zudem eine Befragung durchgeführt, da in den Ländern keine ausreichenden Informationen zur Beurteilung der tatsächlichen Notwendigkeit telefonischer und elektronischer Dienstleistungen am Sonntag vorlagen. Die Projektgruppe hat in ihrem Abschlussbericht die Ergebnisse der Beratungen und der Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften zusammengefasst und ist dabei hinsichtlich der telefonischen und elektronischen Dienstleistungen zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der bundesweiten Bedeutung der telefonischen und elektronischen Dienstleistungsbranche eine bundeseinheitliche Regelung nach § 13 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe c ArbZG, wie von den Betroffenen übereinstimmend und nachdrücklich gefordert, als notwendig angesehen wird und geprüft werden soll. Diese Position wird damit begründet, dass die Unternehmen und Betriebe, die telefonische und elektronische Dienstleistungen anbieten, bundesweit auf der Grundlage der für sie bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verbindlichen Rechtssituation Investitionen getätigt haben, um ihre Branche zu etablieren und weiter zu entwickeln. Als Wirtschaftszweig leistet die Branche der telefonischen und elektronischen Dienstleistungen einen wichtigen Beitrag zur Organisation des öffentlichen und privaten Lebens und trägt mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen zur regionalen Wertschöpfung bei. Die Projektgruppe hat sich daher dafür ausgesprochen, dass der Erlass einer entsprechenden Bundesverordnung auf der Grundlage von § 13 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe c ArbZG aus Gründen des Gemeinwohls von der Bundesregierung zu prüfen ist. Da es sich um eine zustimmungsbedürftige Verordnung handelt und die Länder ein besonderes Interesse haben, die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen im bisherigen Umfang in der Branche weiterhin zu ermöglichen und damit die Arbeitsplätze zu erhalten, werden sie die Prüfung der Bundesregierung unterstützen. Um eine bundeseinheitliche Vorgehensweise nicht zu gefährden, hat die Projektgruppe den Ländern empfohlen, ihre Länderbedarfsgewerbeverordnungen während des Verfahrens nicht eigeninitiativ zu ändern. Die weitere Befassung erfolgt in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 18./19.11.2015. 6. Falls es bisher keine Änderungen an landesrechtlichen Regelungen gab, was ist ursächlich dafür? Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. Drucksache 6/4627 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Anlage zu Frage 1 und 2 Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern, Statistische Jahresberichte für die Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014. Erwerbstätigkeit nach Häufigkeit von Sonn- und/oder Feiertagsarbeit (Angaben in 1.000) Wirtschaftsunterbereich 2011 2012 2013 2014 E rw e rb st ä ti g e in sg es a m t Sonn-/Feiertagsarbeit E rw e rb st ä ti g e in sg es a m t Sonn-/Feiertagsarbeit E rw e rb st ä ti g e in sg es a m t Sonn-/Feiertagsarbeit E rw e rb st ä ti g e in sg es a m t Sonn-/Feiertagsarbeit zu sa m m e n st ä n d ig re g el m ä ß ig g el eg en tl ic h zu sa m m e n st ä n d ig re g el m ä ß ig g el eg en tl ic h zu sa m m e n st ä n d ig re g el m ä ß ig g el eg en tl ic h zu sa m m e n st ä n d ig re g el m ä ß ig g el eg en tl ic h Land- und Forstwirtschaft; Fischerei 23 13 / (6) / 23 14 / (7) / 18 12 / (5) / 17 (10) / / / Bergbau und verarbeitendes Gewerbe 80 20 / (9) 10 78 20 / (8) 11 81 16 / (7) (10) 84 21 / 10 10 Energie und Wasser; Abfallentsorgung 16 / - / / 17 / / / / 14 / / / / 15 / / / / Baugewerbe 58 (6) - / / 65 (9) / / (7) 60 (6) / / (5) 61 (8) / / (7) Handel; KFZ; Gastgewerbe 122 50 10 24 15 121 48 (7) 22 18 123 47 (8) 21 17 116 44 (7) 20 16 Verkehr; Lagerei; Kommunikation 54 17 / (8) (7) 51 18 / (9) (7) 53 19 / (10) (8) 49 19 / (8) (9) Finanz- und Versicherungsdienstleistung (10) / - - / 11 / - - / (9) / - / / (8) / - - / Grundstücks-/Wohnungswesen ; wirtschaftliche Dienstleistungen 74 21 / (10) (10) 73 20 / (10) (9) 73 21 / (9) 10 77 22 / 11 10 Öffentliche Verwaltung u. ä. 67 17 / (6) 11 62 17 / (6) 10 70 17 / (8) (10) 66 15 / (7) (8) Öffentliche und private Dienstleistungen (ohne öffentliche Verwaltung) 151 58 / 36 19 150 55 / 36 16 152 57 / 37 18 153 59 / 38 18