Der Minister für Inneres und Sport hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 26. Januar 2016 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/4880 6. Wahlperiode 27.01.2016 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Johannes Saalfeld und Silke Gajek, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Spielräume der Landesregierung bei der Anwendung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist Bestandteil eines Maßnahmenpaketes zur Bewältigung der durch die hohe Zahl der in Deutschland ankommenden Asylsuchenden entstandenen Herausforderungen. Primäres Ziel ist die Beschleunigung der Asylverfahren regelmäßig nicht schutzbedürftiger Personen. Es dient der angemessenen Aufnahme und Unterbringung, hierfür kann für einen befristeten Zeitraum von geltenden Regelungen und Standards abgewichen werden. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz soll zudem Rückführungen vollziehbar Ausreisepflichtiger vereinfachen, Fehlanreize, die zu einem weiteren Anstieg ungerechtfertigter Asylanträge führen können, beseitigen sowie gleichzeitig die Integration derjenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, verbessern. Drucksache 6/4880 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Am 24. Oktober 2015 ist das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in Kraft getreten. Danach sollen Asylsuchende unter anderem künftig bis zu sechs Monate, statt bisher drei, in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben . Asylsuchende, die in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, sollen künftig nur noch Sachleistungen erhalten. Auch sollen ausreisepflichtige Asylsuchende künftig nur noch das Allernötigste bekommen - also Unterkunft, Verpflegung, Körper- und Gesundheitspflege. Allerdings räumt das Gesetz der Landesregierung gewisse Spielräume ein. Sie muss Asylsuchende nicht sechs Monate lang in einer Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen. Sie muss den Asylsuchenden auch nicht unbedingt Sachleistungen gewähren, es dürfen auch Geldleistungen sein. Und die Landesregierung muss sich bei den Leistungen an ausreisepflichtige Asylsuchende nicht auf das absolute Minimum beschränken. Fraglich ist nun, inwiefern die Landesregierung dazu bereit ist, die durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eingeräumten Spielräume zugunsten der Flüchtlinge zu nutzen. 1. Welche Spielräume besitzt die Landesregierung bei der Anwendung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes und wie gedenkt sie diese zu nutzen? In Bezug auf das Asyl-, Ausländer- und Leistungsrecht sind - über die in der Kleinen Anfrage bereits angesprochenen gesetzlichen Spielräume hinausgehend - zwei weitere Spielräume eröffnet worden. § 3 Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes eröffnet die Möglichkeit der Gewährung des notwendigen persönlichen Bedarfs als Sachleistung für Leistungsberechtigte , die nach ihrem Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Eine weitere Möglichkeit der Ausgestaltung sieht die Landesregierung in Bezug auf § 11 Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Gewährung von Reisebeihilfen als Sach- oder Geldleistung. Ausgestaltungsvorgaben für den für die Umsetzung zuständigen kommunalen Bereich sind zurzeit nicht vorgesehen. Durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eröffnete Spielräume der Landesregierung finden sich weiterhin in § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes sowie in § 18 der Verwaltungsgerichtsordnung . § 83 Absatz 3 Satz 1 des Asylgesetzes ermächtigt die Landesregierung, durch Rechtsverordnung einem Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte Streitigkeiten nach dem Asylgesetz hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zuzuweisen, sofern dies für die Verfahrensförderung dieser Streitigkeiten sachdienlich ist. Durch die Zuständigkeitskonzentration nach Herkunftsstaaten wird die Möglichkeit geschaffen, dass sich das einzelne Verwaltungsgericht auf die durch Rechtsverordnung zugewiesenen Herkunftsstaaten spezialisieren kann, wodurch eine schnellere Bearbeitung möglich wird. Gemäß § 83 Absatz 3 Satz 2 Asylgesetz können die Landesregierungen die Verordnungsermächtigung auf andere Stellen übertragen. Die Landesregierung hat von den Ermächtigungen des § 83 Absatz 3 Asylgesetz durch die am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Landesverordnung zur Umsetzung des § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes vom 17. Dezember 2015 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg- Vorpommern, Seite 642) Gebrauch gemacht. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4880 3 § 18 der Verwaltungsgerichtsordnung eröffnet die Möglichkeit, zur Deckung eines nur vorübergehenden Personalbedarfs einen Beamten auf Lebenszeit mit der Befähigung zum Richteramt für die Dauer von mindestens zwei Jahren (längstens für die Dauer seines Hauptamtes) zum Richter auf Zeit zu ernennen. Hintergrund dieser Regelung ist das durch die aktuelle Flüchtlingssituation erhöhte Aufkommen von Verwaltungsstreitverfahren. Da diese Sonderbelastung mit dem vorhandenen Personal nicht zeitnah zu bewältigen ist, da aber andererseits diese Belastung voraussichtlich nicht von Dauer sein wird, bietet es sich an, Beamte auf Lebenszeit mit der Befähigung zum Richteramt zu Richtern auf Zeit zu ernennen. Derzeit plant das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern, sieben Richter auf Zeit zu ernennen. Des Weiteren ergänzt Artikel 11 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes den § 264 Absatz 1 SGB V dahingehend, dass den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, eine elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber einzuführen. Die Landesregierung plant diese Einführung und führt derzeit mit den Krankenkassen des Landes und den kommunalen Spitzenverbänden Verhandlungen dazu. Durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollen die derzeit für die ärztliche Versorgung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern bei den Städten und Kommunen entstehenden Verwaltungskosten gesenkt und eine weiterer Schritt zur Integration in die Gesellschaft getan werden. 2. Wie wird die Landesregierung insbesondere die neue Vorschrift des § 47 Absatz 1 Satz 1 Asylgesetz anwenden, nach der Asylsuchende dazu verpflichtet sind, „bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monaten, in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen“? Die Landesregierung wird weiterhin gewährleisten, dass der Aufenthalt in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes auch in Bezug auf die Aufenthaltsdauer angemessen und sachgerecht ist. Für Asyl- und Schutzsuchende mit guter Bleibeperspektive sollen auch in den Aufnahmeeinrichtungen Integrationsangebote unterbreitet werden; eine möglichst kurze Aufenthaltsdauer soll aber dennoch die Regel sein. Personen mit geringer Bleibeperspektive, insbesondere solche aus sicheren Herkunftsländern, sollen bis zur Ausreise in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes verbleiben. Der regelmäßige Verbleib der Asyl- und Schutzsuchenden möglichst bis zum Abschluss des Asylverfahrens dient insbesondere der Verfahrensbeschleunigung. Drucksache 6/4880 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 3. Wie wird die Landesregierung insbesondere die neue Vorschrift des § 47 Absatz 1a Satz 1 Asylgesetz anwenden, nach der Asylsuchende aus einem sicheren Herkunftsstaat dazu verpflichtet sind, „bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen“, die jedoch die in § 50 Absatz 2 vorgesehene Möglichkeit einer Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unberührt lässt? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Wie wird die Landesregierung insbesondere die neue Vorschrift des § 1a Absatz 2 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz anwenden, nach der vollziehbar Ausreisepflichtige, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, keinen Anspruch mehr auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 haben, und „nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege“ (Satz 2) erhalten, wobei ihnen gemäß Satz 3, soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, auch andere Leistungen gewährt werden können? Konkrete Vorgaben zur Umsetzung dieser Norm hat die Landesregierung noch nicht erlassen, da die Länder zurzeit bestrebt sind, die genannte gesetzliche Regelung möglichst bundeseinheitlich umzusetzen. Auf Bund-Länder-Ebene finden derzeit Gespräche zur Konkretisierung der genannten tatbestandlichen Voraussetzung und zur Leistungseinschränkung statt. Das Ergebnis dieser Abstimmung bleibt abzuwarten. 5. Wie wird die Landesregierung insbesondere die neue Vorschrift des § 1a Absatz 4 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz anwenden, nach der Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit gemäß der Dublin-III- Verordnung nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat zuständig ist, ebenfalls nur die in Absatz 2 vorgesehenen Leistungen gewährt werden? Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/4880 5 6. Inwiefern sind diese Anspruchseinschränkungen aus Sicht der Landesregierung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar , nach der Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Artikels 20 Absatz 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches , das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht garantiert und nach der ausländische Staatsangehörige den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch verlieren, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten? Die hier vorgesehenen Kürzungen im Leistungsbezug für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind nach Ausführungen der Koalitionsfraktionen (Bundestagsdrucksache 18/6386) verfassungskonform und widersprechen nicht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Es ist von einem geringeren Bedarf der betroffenen Asylbewerberinnen und Asylbewerber auszugehen. 7. Wie wird die Landesregierung insbesondere die neue Vorschrift des § 3 Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz anwenden, nach der Leistungen an Asylsuchende, die in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens, „soweit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich“ durch Sachleistungen gedeckt werden sollen, soweit dies aber nicht möglich ist, „auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden“ können? Ziel dieser Vorschriften ist die Beseitigung möglicher Fehlanreize, die zu ungerechtfertigten Asylanträgen führen können. Die Umsetzung auf Landesebene wird derzeit durch die Landesregierung geprüft. Drucksache 6/4880 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 8. Wie wird die Landesregierung die neue Vorschrift des § 60a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz anwenden, nach der die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen kann, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate (vorher waren es sechs Monate) ausgesetzt wird? Die in Rede stehende Regelung ist auch nach der Änderung darauf ausgerichtet, den obersten Landesbehörden eine allgemeine Schutzgewährung für bestimmte Ausländergruppen ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer individuellen Gefährdung zu ermöglichen, um humanitären Schutz in besonderen Lagen bieten zu können. Für entsprechende Entscheidungen sind neben humanitären Kriterien auch außen- und innenpolitische Erwägungen ausschlaggebend. Die Landesregierung wird daher wie bisher im Lichte der vorgenannten Maßgaben bei einer entsprechenden Lage prüfen, ob die Notwendigkeit zum Erlass eines Abschiebungsstopps besteht. Der Zeitraum von drei Monaten, in dem eine solche Regelung ohne das Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern möglich ist, wird als angemessen angesehen, um auf eine humanitäre Lage ausreichend reagieren zu können.