Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 3. Mai 2016 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/5346 6. Wahlperiode 04.05.2016 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt und Barbara Borchardt, Fraktion DIE LINKE Ehescheidungen und Kindschaftssachen in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung 1. Wie viele Ehescheidungen wurden in Mecklenburg-Vorpommern in den jeweiligen Jahren von 2006 bis 2015 beantragt und wie viele von diesen wurden beschlossen (bitte untergliedert nach Geschlecht der Antragsteller darstellen)? a) In wie vielen Fällen war nur der Antragsteller bzw. die Antragstellerin anwaltlich vertreten? b) In wie vielen Fällen waren beide Parteien anwaltlich vertreten? c) In wie vielen Fällen erfolgte die Scheidung einvernehmlich? Zu Frage 1 liegen aus der Justizgeschäftsstatistik in Familiensachen folgende Angaben vor: - Anzahl der eingegangenen Scheidungsverfahren, - Anzahl der erledigten Scheidungsverfahren. Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 Die Untergliederung nach Geschlecht der Antragsteller kann aus der Statistik in Familiensachen nur wie folgt dargestellt werden: Scheidungsverfahren* 2006 2007 2008 01.01.2009 - 31.08.2009 Eingänge 3.761 ** 3.827 2.614 Erledigungen 3.783 3.589 3.776 2.583 durch Urteil erledigte Ehesachen 3.333 3.103 3.292 2.285 Geschlecht der Antragsteller Von durch Urteil erledigten Eheverfahren wurden betrieben von der Ehefrau 1.942 1.719 1.844 1.242 von dem Ehemann 1.007 1.063 1.089 803 von beiden Parteien 384 321 359 240 von der zuständigen Verwaltungsbehörde 0 0 0 0 * Mit Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) am 01.09.2009 erfolgte auch eine Umstellung der bei den Gerichten geführten Statistik in Familiensachen (aus Urteil wurde Beschluss pp). ** Aufgrund eines Softwareproblems im Jahr 2007 konnten für das Jahr 2007 keine korrekten Bilanzierungstabellen erstellt werden, sodass u. a. keine Angaben zu den Eingängen einzelner Sachgebiete oder Verfahrensgegenstände vorliegen. Scheidungsverfahren 01.09.2009 - 31.12.2009 2010 2011 2012 Eingänge 1.268 3.833 3.577 3.379 Erledigungen 1.130 3.845 3.885 3.667 durch Beschluss erledigte Ehesachen 995 3.324 3.499 3.330 Geschlecht der Antragsteller Von durch Beschluss erledigten Eheverfahren sind betrieben worden von der Ehefrau 537 1.841 1.933 1.824 von dem Ehemann 344 1.125 1.182 1.144 von beiden Beteiligten 114 358 383 362 von der zuständigen Verwaltungsbehörde 0 0 1 0 Scheidungsverfahren 2013 2014 2015 Eingänge 3.327 3.131 3.162 Erledigungen 3.309 3.532 2.944 durch Beschluss erledigte Ehesachen 2.935 3.109 2.624 Geschlecht der Antragsteller Von durch Beschluss erledigten Eheverfahren sind betrieben worden von der Ehefrau 1.628 1.615 1.397 von dem Ehemann 1.021 1.160 935 von beiden Beteiligten 286 334 292 von der zuständigen Verwaltungsbehörde 0 0 0 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5346 3 Zu a) und b) Zu der anwaltlichen Vertretung können nur bis 31.08.2009 Zahlen mitgeteilt werden. Mit Inkrafttreten des FamFG am 01.09.2009 erfolgte eine Änderung in der Erhebung der statistischen Daten in Familiensachen. Bis zur Änderung wurden die Scheidungsverfahren als eigenes Sachgebiet in der Statistik in Familiensachen erhoben. Bei den Sachgebieten erfolgt auch eine gesonderte Erhebung im Hinblick auf eine anwaltliche Vertretung der Parteien. Seit der Änderung der Statistik, also mit Inkrafttreten des FamFG zum 01.09.2009, werden die Scheidungsverfahren nur noch als Verfahrensgegenstand unter dem jetzigen Sachgebiet „Familiensachen“ erhoben. Das heißt, dass zwar zu dem Sachgebiet „Familiensachen“ weiterhin die anwaltliche Vertretung der Parteien erfasst wird, jedoch nicht zu dem Verfahrensgegenstand "Scheidung". Zu den Verfahrensgegenständen werden in der Statistik lediglich die Eingänge, Erledigungen und Bestände ausgewiesen. Darüber hinaus werden keine weiteren Daten erhoben. In den erledigten Verfahren waren durch Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen vertreten 2006 2007 2008 01.01.2009 - 31.08.2009 nur der/die Antragsteller/in (Kläger/in) 1.728 1.639 1.698 1.189 nur der die Antragsgegner/in (Beklagte) 3 5 10 2 beide Parteien 2.051 1.941 2.060 1.389 keine Partei 1 4 8 3 Zu c) Statistische Daten werden nicht erhoben. 2. In wie vielen Verfahren spielten Kindschaftssachen eine Rolle? a) In wie vielen dieser Verfahren wurden einstweilige Anordnungen über das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Kindes/der Kinder beantragt (bitte untergliedert nach Geschlecht der Antragsteller darstellen)? b) In wie vielen dieser Verfahren wurde die vollständige Aussetzung des Umgangsrechts beantragt (bitte untergliedert nach Geschlecht der Antragsteller darstellen)? Die dem Familiengericht zugewiesenen Kindschaftssachen sind seit Inkrafttreten des FamFG am 01.09.2009 in § 151 FamFG geregelt. Seit diesem Zeitpunkt werden in der bei den Gerichten geführten Statistik in Familiensachen im Hinblick auf die Kindschaftssachen folgende in die Zuständigkeit des Richters fallende Verfahrensgegenstände erfasst: Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 1. elterliche Sorge 2. Umgangsrecht 3. Kindesherausgabe 4. Unterbringung nach § 1631b BGB 5. Unterbringung nach öffentlichem Recht nach § 151 Nummer 7 FamFG 6. sonstige Kindschaftssache* (* Diese Position umfasst u. a. die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft, sofern dafür der Richter zuständig ist.) Ferner werden in der Statistik für Familiensachen die in die Zuständigkeit des Rechtspflegers fallenden Vormundschaften und Pflegschaften erhoben, wobei nicht unterschieden wird, ob es sich um eine Pflegschaft für einen Minderjährigen oder Erwachsenen handelt. Vor Inkrafttreten des FamFG am 01.09.2009 wurden in der Statistik für Familiensachen betreffend Kindschaftssachen folgende in die richterliche Zuständigkeit fallende Verfahrensgegenstände erfasst: 1. Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge 2. Regelung des Umgangs 3. Herausgabe des Kindes 4. Unterbringung eines Kindes gemäß § 1631b BGB Die vormals noch in die Zuständigkeit der Vormundschaftsgerichte fallenden Vormundschaften und Pflegschaften wurden bis zum Inkrafttreten des FamFG in der Statistik für den Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, der Geschäftsübersicht über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, erfasst. Allerdings wurden nur die jeweils am Jahresende anhängigen Vormundschaften und Pflegschaften ausgewiesen, sodass keine Angaben zu den Eingängen vorliegen. Neuzugänge nach Verfahrensgegenständen; hier: 2006 2007 2008 01.01.2009 - 31.08.2009 Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge 962 * 1.376 972 Regelung des Umgangs 444 * 776 547 Herausgabe des Kindes 47 * 67 47 Unterbringung eines Kindes gemäß § 1631b BGB 63 * 101 50 Vormundschaften und Pflegschaften keine gesonderte Erfassung der eingegangenen Vormundschaften und Pflegschaften * Aufgrund eines Softwareproblems im Jahr 2007 konnten für das Jahr 2007 keine korrekten Bilanzierungstabellen erstellt werden, sodass u. a. keine Angaben zu den Eingängen einzelner Sachgebiete oder Verfahrensgegenstände vorliegen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5346 5 Neuzugänge nach Verfahrensgegenständen; hier: 01.09.2009 - 31.12.2009 2010 2011 2012 elterliche Sorge 399 1.430 1.998 2.249 Umgangsrecht 204 784 1.051 1.057 Kindesherausgabe 16 51 33 60 Unterbringung nach § 1631b BGB 31 87 108 114 Unterbringung nach öffentlichem Recht nach § 151 Nummer 7 FamFG 12 40 26 26 sonstige Kindschaftssache 375 893 198 148 Vormundschaften und Pflegschaften 298 1.085 816 828 Neuzugänge nach Verfahrensgegenständen; hier: 2013 2014 2015 elterliche Sorge 2.514 2.472 3.297 Umgangsrecht 1.197 1.132 1.174 Kindesherausgabe 71 65 64 Unterbringung nach § 1631b BGB 137 103 125 Unterbringung nach öffentlichem Recht nach § 151 Nummer 7 FamFG 39 31 37 sonstige Kindschaftssache 129 111 614 Vormundschaften und Pflegschaften 737 782 1.481 Zu a) und b) Statistische Daten werden nicht erhoben. 3. Wie hoch war der Anteil der Verfahren, in denen das Jugendamt beteiligt wurde? a) In wie vielen dieser Verfahren favorisierte das Jugendamt den Verbleib des Kindes/der Kinder bei der Mutter (bitte danach untergliedern , ob es sich um ein Beibehalten des Status quo oder eine Änderung handelt)? b) In wie vielen dieser Verfahren favorisierte das Jugendamt den Verbleib des Kindes/der Kinder bei dem Vater (bitte danach untergliedern , ob es sich um ein Beibehalten des Status quo oder eine Änderung handelt)? Zu 3, a) und b) Es liegen der Landesregierung keine statistischen Angaben vor. Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 Verfahrensrechtlich ist auf Folgendes hinzuweisen: Im familiengerichtlichen Verfahren ist in Kindschaftssachen unter den Voraussetzungen des § 162 FamFG eine Mitwirkung des Jugendamtes vorzusehen. Das Gericht hat danach in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, das Jugendamt anzuhören. Unterbleibt die Anhörung wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen. In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB ist das Jugendamt zu beteiligen. Im Übrigen ist das Jugendamt auf seinen Antrag am Verfahren zu beteiligen. 4. Worauf stützt sich die bevorzugte Umgangspraxis, die Kinder jedes zweite Wochenende Umgang mit dem anderen Elternteil pflegen zu lassen? Eine bevorzugte Umgangspraxis, die Kinder jedes zweite Wochenende Umgang mit dem anderen Elternteil pflegen zu lassen, besteht bei den Familiengerichten des Landes Mecklenburg-Vorpommern nicht. Häufigkeit und Dauer des Umgangs hängen von vielen Faktoren des Einzelfalls ab, insbesondere vom Alter und der Belastbarkeit des Kindes/der Kinder, der Qualität seines/ihrer Bindung zum Umgangsberechtigten, der Distanz zwischen den Wohnorten der Eltern und der Berufstätigkeit der Eltern. Die Umgangsregelung muss das kindliche Zeitempfinden berücksichtigen, sodass bei ganz kleinen Kindern ein häufiger, aber kürzerer Umgang besser ist, z. B. ein- bis zweimal die Woche einige Stunden. Bei etwas älteren Kindern (Kindergartenkinder und Schulkinder) sind die Regelmäßigkeit und die Verlässlichkeit des Umgangs wichtiger als die Häufigkeit. Die Eltern wünschen dann zum Teil eine Vereinbarung dahingehend, dass ein zweiwöchiger Rhythmus eingehalten wird, an dem sie und die Kinder sich orientieren können. Es gibt aber auch Umgangsberechtigte, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit (Schichtdienst; Pflege-/Serviceberufe) oder aufgrund ihrer räumlichen Distanz zum Wohnort - auch aus Kostengründen - einen solchen Rhythmus nicht einhalten können. Dann findet der Umgang manchmal nur alle vier Wochen statt, aber die Feiertags- und Ferienumgänge werden dann deutlich ausgedehnt. Wenn die Kinder älter werden, möchten sie selbst auch ein Wochenende für sich und ihre Freunde/Freizeitaktivitäten haben, sodass z. B. ein dreiwöchiger Umgangsrhythmus vereinbart oder beschlossen werden kann. Im Rahmen der elterlichen Sorge und in Ansehung des Umgangsrechts müssen die Familiengerichte die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern wie auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Nach dem Kindeswohlprinzip (§ 1697a BGB) trifft das Gericht diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Die Betreuungsregelung kann daher nur nach der jeweiligen Lage des Einzelfalls getroffen werden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5346 7 In welcher Form das Umgangsrecht umzusetzen ist, ist nicht konkret gesetzlich geregelt. § 1626 BGB bestimmt (1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). … (3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist. § 1684 BGB bestimmt ergänzend: (1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. (2) Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet. (3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. Es kann die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung der in Absatz 2 geregelten Pflicht anhalten. Wird die Pflicht nach Absatz 2 dauerhaft oder wiederholt erheblich verletzt, kann das Familiengericht auch eine Pflegschaft für die Durchführung des Umgangs anordnen (Umgangspflegschaft). Die Umgangspflegschaft umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes zur Durchführung des Umgangs zu verlangen und für die Dauer des Umgangs dessen Aufenthalt zu bestimmen. Die Anordnung ist zu befristen. … (4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist. … Maßgeblich sind damit das Kindeswohl und die Förderung der Entwicklung des Kindes. Ein besonderer Vorrang eines Elternteils, der sich in der zeitlichen Verteilung des Umgangs niederschlagen soll, ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Die Häufigkeit der Kontakte zwischen Kind und Elternteilen sowie die Ausgestaltung des Umgangs orientieren sich an den Bedarfen und dem Wohl des Kindes. Die Mehrheit der Kinder und Eltern wollen auch nach einer Trennung zu gleichen Teilen den Alltag und die Wochenenden mit ihren Eltern beziehungsweise Kindern verleben und für sie gleichberechtigt und in gleichem Umfang verantwortlich sein. Die früher häufig vertretene Regelung eines vierzehntägigen Wochenendumgangs resultiert meist aus einem traditionellen Rollenverständnis und einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen Mutter und Vater und weniger aus den Bedürfnissen der Kinder. Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 8 Kinder haben auch nach Trennung der Eltern das Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen gleichermaßen. Sind die Eltern nicht in der Lage, sich zu einigen, werden die individuelle Situation, die Bedürfnisse und die Möglichkeiten des Kindes sowie der Eltern Grundlage einer Entscheidung des Familiengerichts. In strittigen Fragen wird vom Familiengericht ein Verfahrenspfleger bestellt, der die Interessen des Kindes würdigt und vor dem Familiengericht gesondert darstellt. Erfahrungen aus der Beratungspraxis der Jugendämter zeigen, dass eine Umgangsregelung, welche die Möglichkeiten und Grenzen der beteiligten Eltern und Kinder präzise berücksichtigt und bereits vorhandene Alltagsrhythmen integriert, deutlich tragfähiger sein kann als die stereotypische Anordnung eines vierzehntäglichen Wochenendumgangs anhand traditioneller Rollenmuster. 5. Wie viele Fälle von durch ein Elternteil widerrechtlich ins Ausland mitgenommenen und/oder dort zurückbehaltenen Kindern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Mecklenburg-Vorpommern haben bzw. hatten, sind in den Jahren 2006 bis 2015 bekannt geworden bzw. wurden zur Anzeige gebracht? 6. In wie vielen Fällen, auf welche Weise und in welchem Zeitraum konnte eine Rückführung widerrechtlich ins Ausland verbrachter bzw. dort zurückbehaltener Kinder erwirkt werden? Zu 5 und 6 Für widerrechtliche Verbringungen in das Ausland sind grundsätzlich die ausländischen Gerichte nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ), dem Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) und §§ 11, 12 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes (IntFamRVG) zuständig. Nur wenn ein Kind in den Bezirk des Oberlandesgerichts Rostock entführt worden ist, ist das Amtsgericht Rostock zuständig. Statistiken zu den wenigen internationalen Fällen, in denen das Amtsgericht Rostock zuständig ist, werden nicht geführt. Zu den Fragen hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) in seiner Funktion als Zentrale Behörde nach § 3 IntFamRVG mitgeteilt, dass dort keine statistischen Zahlen einzelner Bundesländer geführt werden. Auf die allgemeine statistische Übersicht auf der dortigen Website https://www.bundesjustizamt .de/DE/Themen/Buergerdienste/HKUE/Statistik/Statistik_node.html ist verwiesen worden. Diesen Übersichten können die Gesamtzahl der ausgehenden HKÜ-Rückführungsfälle entnommen werden, also Fälle, in welchen das Kind aus Deutschland ins Ausland verbracht oder dort widerrechtlich zurückgehalten wurde. Hinsichtlich der Fahlzahlen betreffend die Rückführung von Kindern aus dem Ausland nach Deutschland gibt die Statistik „Erledigungen in Rückführungsverfahren nach dem HKÜ, 2. Ausgehende Verfahren“ einen Überblick. Die Rückkehr des Kindes kann dabei entweder durch gerichtliche Entscheidung, gerichtliche oder außergerichtliche Einigung der Parteien, freiwillige Rückführung des Kindes oder auf sonstigem Weg erfolgen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5346 9 Die Statistik des BfJ erfasst nur diejenigen Fälle, in welchen der Antrag über das BfJ als zentrale Behörde gestellt wurde. Es ist auch möglich, dass ein Antragsteller einen Antrag auf Rückführung direkt bei der jeweiligen Zentralen Behörde im Ausland oder (gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts) beim zuständigen dortigen Gericht einreicht. Das Verfahren nach dem HKÜ ist ein rein zivilrechtliches Verfahren. Es läuft unabhängig von einem (möglicherweise parallel laufenden) strafrechtlichen Verfahren. Beim Statistischen Amt Mecklenburg-Vorpommern liegen ab dem Jahr 2007 folgende Angaben aus der Strafverfolgungsstatistik vor: Strafgesetzbuch (StGB) § 235 Entziehung Minderjähriger Absatz 2 „Ebenso wird bestraft, wer ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger 1. entzieht, um es in das Ausland zu verbringen oder 2. im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.“ Jahr 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 § 235 Absatz 2 Nr. 1 keine Angaben 0 0 1 0 0 0 0 1 1 § 235 Absatz 2 Nr. 2 keine Angaben 0 0 1 0 0 0 0 0 0 7. Welche konkreten Hilfestrukturen gibt es in Mecklenburg- Vorpommern für Eltern, deren Kinder widerrechtlich ins Ausland verbracht bzw. dort zurückbehalten wurden? Die Rückführung eines Kindes, welches widerrechtlich aus dem Staatsgebiet eines Staates in einen anderen Staat verbracht wurde, kann mit Hilfe des Haager Übereinkommens (HKÜ) über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 beantragt werden. Zuständig für die Entgegennahme von Anträgen zur Rückführung des Kindes nach dem HKÜ ist die zentrale Behörde, die in jedem Mitgliedsland eingerichtet ist. Die zentrale Behörde in Deutschland ist das Bundesamt für Justiz in Bonn. Ein zurückgelassener Elternteil in Deutschland hat daher unabhängig vom jeweiligen Bundesland die Möglichkeit, über das Bundesamt für Justiz in seiner Funktion als Zentrale Behörde nach § 3 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes einen Antrag auf Rückführung des Kindes zu stellen. Dieser Antrag kann aber auch an die betreffende ausländische Zentrale Behörde oder direkt beim zuständigen Gericht im Ausland gestellt werden. Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 10 Eltern, deren Kinder widerrechtlich ins Ausland verbracht bzw. dort zurückbehalten werden, können ihren gesetzlich normierten Beratungs- und Unterstützungsanspruchs (vergleiche §§ 17 und 18 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII)) gegenüber dem zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe geltend machen. Im Rahmen der genannten Beratungsstrukturen haben sich freie Träger auf diesen Beratungsschwerpunkt spezialisiert. Darüber hinaus können Eltern sich anwaltlich vertreten lassen beziehungsweise an die entsprechende konsularische Vertretung wenden. Möglicherweise kann auch eine Mediation sinnvoll sein. Weiterhin wird zu grenzüberschreitenden Umgangs- und Sorgerechtskonflikten sowie zur internationalen Kindesentführung bei der zentralen Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte (ZANK) beim Internationalen Sozialdienst (ISD) in Berlin beraten. 8. Welche fachlichen Qualifikationen müssen Familienrichter nachweisen und welche Weiterbildungsmaßnahmen sind für Familienrichter über die Berufsjahre vorgesehen? Besondere fachliche Qualifikationen für Familienrichterinnen und Familienrichter sind - über die in § 5 Deutsches Richtergesetz (DRiG) geregelten Anforderungen zur Befähigung zum Richteramt hinaus - nicht gesetzlich normiert. Es besteht allerdings die Einschränkung, dass gemäß § 23b Abs. 3 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Richterinnen und Richter auf Probe erst nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Ernennung die Geschäfte des Familienrichters wahrnehmen dürfen. Für Familienrichter gibt es über die allgemeinen Fortbildungspflichten für Richterinnen und Richter hinaus keine spezifischen Fortbildungspflichten und auch keine Fortbildungsprogramme , die kontinuierlich über den Zeitraum der Aufgabenwahrnehmung verpflichtend wahrzunehmen wären. Für Familienrichterinnen und Familienrichter werden jedes Jahr im Fortbildungsprogramm der Deutschen Richterakademie eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen angeboten. Hierbei handelt es sich zum einen um Fachtagungen, zum anderen um Tagungen mit interdisziplinären Bezügen, bei denen Psychologen, Therapeuten und Sozialarbeiter als Dozenten eingesetzt werden. So bietet die Deutsche Richterakademie in 2016 Fortbildungen zu folgenden Themenbereichen an: - Einführung in das Familienrecht, - Einführung in das Ehe- und Familienrecht, - Familienrecht für Fortgeschrittene, - Familienpsychologische Gutachten, - Kindschaftsrecht in der familiengerichtlichen Praxis mit interdisziplinären Bezügen, - Gewalt in der Familie - Familien- und strafrechtliche Aspekte, Stalking und Kindesmissbrauch , - Unterhalt, - Die Anhörung/Vernehmung von Kindern und Jugendlichen, - Kindesschutz, Jugendhilfe und familiengerichtliche Gutachten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5346 11 Darüber hinaus werden für Familienrichterinnen und Familienrichter weitere Fortbildungsveranstaltungen im Verbund der norddeutschen Länder sowie an der Justizakademie des Landes Brandenburg angeboten. 9. Welche fachlichen Qualifikationen müssen Mitarbeiter der Jugendämter nachweisen und welche Weiterbildungsmaßnahmen sind für Mitarbeiter der Jugendämter über die Berufsjahre vorgesehen? Gemäß § 72 SGB VIII sind bei den Jugendämtern hauptberuflich nur Personen zu beschäftigen , die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung vorweisen (Fachkräfte) oder auf Grund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen. Die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sicherzustellen und stellt einen immanenten Bestandteil der beruflichen Tätigkeit dar. In den Arbeitsbereichen des Sozialpädagogischen Dienstes (zum Beispiel Hilfen zur Erziehung, Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren sowie Kinderschutz) werden Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung, Diplomsozialpädagogen bzw. Bachelor of Arts (B.A.) Soziale Arbeit und in der Fortsetzung Master of Arts (M.A.) Soziale Arbeit eingesetzt. Fort- und Weiterbildungsangebote beziehen sich auf das ganze Spektrum der beruflichen Anforderungen. 10. Wie wird aktuell der Begriff Kindeswohl definiert und worauf stützt sich diese Definition? Richtschnur der elterlichen Sorge ist das Wohl des Kindes. Das Kindeswohl ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im familienrechtlichen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches an verschiedenen Stellen verwendet wird (zum Beispiel §§ 1626 Absatz 3, 1666 Absatz 1, 1697a BGB), jedoch nicht näher definiert ist. Zum Begriff des Kindeswohls bietet die Regelung des § 1 SGB VIII eine Orientierung: § 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe (1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. ….. Drucksache 6/5346 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 12 (3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere 1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, 2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, 3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen, 4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen. Das Kindeswohl ist sowohl im Jugendhilferecht als auch im Familienrecht der zentrale Maßstab, an dem sich alle Entscheidungen, seien es pädagogische Hilfen, Sorgerechts- oder Umgangsrechtsentscheidungen, ausrichten. Zum Begriff des Kindeswohl hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung und in der Sozialwissenschaft eine umfangreiche Literatur entwickelt. Das Kindeswohl umfasst das körperliche und geistige und seelische Wohlbefinden des Kindes. Innerhalb dieser Grenzen des Kindeswohls steht den Eltern verfassungsrechtlich das natürliche Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu (Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz). Unter geistigem Wohl versteht man eine Erziehung, die dem Kind oder Jugendlichen Anregungen für seine geistige Entwicklung gibt, ihm die Chance, entsprechend seinen Bedürfnissen zu lernen, ermöglicht und Anregungen schafft, „die Welt zu entdecken“. Das körperliche Wohl des Kindes umfasst u. a. die körperliche Unversehrtheit, eine angemessene Ernährung, die Fürsorge für die Gesundheit und eine möglichst gewaltfreie Erziehung. Das seelische Wohl des Kindes ist im Hinblick darauf, dass der Kindeswohlbegriff auf eine gute Entwicklung des Kindes abstellt, nicht nur der Verzicht auf Handlungen, die der Psyche des Kindes schaden könnten, sondern muss vielmehr auch positive Merkmale wie beispielsweise Vermitteln von Mitgefühl, Wert von Bindungen und ähnliches umfassen. Das Kindeswohl ist insgesamt unter dem Aspekt der Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu sehen. Der Begriff Entwicklung macht hierbei deutlich, dass es bei der Beurteilung des Kindeswohls nie ausschließlich um die aktuelle Situation des Kindes gehen kann, sondern dass immer Prognosen hinsichtlich der Zukunft zu treffen sind, wenn versucht wird, das Kindeswohl im Einzelfall zu bestimmen.