Der Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/5466 6. Wahlperiode 22.06.2016 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Dr. Ursula Karlowski, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hintergründe zur Müllverbrennungsanlage Rostock und ANTWORT der Landesregierung Am 05.04.2016 hat das Oberverwaltungsgericht Greifswald entschieden, dass die Änderungsgenehmigung der Müllverbrennungsanlage Rostock nicht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Öffentlichkeitsbeteiligung hätte erteilt werden dürfen (siehe Pressemitteilung des OVG vom 05.04.2016). Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sowie der EU-Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG, AbfRRL) ist eine fünfstufige Abfallhierarchie zu verwirklichen, darin hat in der Verwertungskaskade die werkstoffliche und/oder rohstoffliche Verwertung Vorrang vor einer Verbrennung (thermischen Verwertung) der verwertungsfähigen Fraktionen. Die Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (EVG) stellt nach gültigem Abfallwirtschaftskonzept der Hansestadt Rostock (AWK-HRO) neben einer deponierfähigen Fraktion von ca. 60.000 Tonnen im Jahr mehrere nach EU Verwertungskaskade verwertbare Fraktionen her. Nach dem AWK-HRO gewährleistet die EVG Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft mbH Rostock mit ihrer mechanischbiologischen Abfallbehandlungsanlage (MBA) seit dem 01.06.2005 die Entsorgungssicherheit für die HRO sowie für zwei weitere Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern. Drucksache 6/5466 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Warum erfolgt für die ca. 50.000 t Fraktion (heizwertreiche Fraktion) keine Verwertung auf höchstem Niveau, wie im Abfallgesetz und nach EU-Richtlinie vorgeschrieben? Gemäß § 6 Absatz 2 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sind bei der Auswahl der Maßnahmen der Abfallhierarchie die technischen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Zumutbarkeit und die sozialen Folgen der Maßnahmen zu beachten. Nach diesen Kriterien entspricht die energetische Nutzung der heizwertreichen Fraktion der vorgegebenen Abfallhierarchie. 2. Welche Kontrollmechanismen werden von der Landesregierung eingesetzt, um die nach Abfallgesetz vorgeschriebene Verwertungskaskade zu gewährleisten? Die Kontrolle von Abfallentsorgungsanlagen erfolgt durch regelmäßige immissionsschutzund abfallrechtliche Überwachungen. Diese sind beispielsweise in § 52 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) normiert. Danach sind unter anderem die Überwachung der Einhaltung der anlagenbezogenen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gefordert. In diesem Zusammenhang findet auch ein Abgleich der vorgegebenen Abfallhierarchie statt. 3. Warum wurde bzw. soll durch eine Landesgenehmigungsbehörde zugelassen werden, dass eine dieser Fraktionen (die heizwertreiche Fraktion) verbrannt wird, obwohl die werkstoffliche bzw. die rohstoffliche Verwertung aus Sicht des Umweltschutzes die höherwertige Stufe darstellen würde? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die energetische Verwertung der heizwertreichen Fraktion entspricht zudem dem Stand der Technik. Die Anforderungen der Siebzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen) (17. BImSchV) werden eingehalten. Derzeit sind keine geeigneten Recyclingverfahren bekannt, um die heizwertreiche Fraktion unter Berücksichtigung des § 6 Absatz 2 KrWG wirtschaftlich zumutbar stofflich oder werkstofflich zu verwerten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5466 3 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass es sich bei den Fraktionen (einschließlich der heizwertreichen Fraktion) nach einer mechanisch-biologisch Behandlung um lagerfähige Wirtschaftsgüter handelt? a) Wie begründet sie dies für die einzelnen Fraktionen (z. B. anhand der Fraktionen „Fließbild“ AWK-HRO S. 30)? b) Wie begründet sie dies insbesondere für die heizwertreiche Fraktion unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Verwertungskaskade ? Die Fragen 4, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die separierten Stoffströme stellen Abfälle im Sinne des KrWG dar, die nicht langfristig lagerfähig sind, sondern nur kurzfristig zwischengelagert werden können. Ab einer Lagerdauer von mehr als drei Jahren sind Zwischenläger als Langzeitlager nach den Anforderungen der Deponieverordnung zu errichten und zu betreiben. Dies gilt sowohl für die separierten Stoffströme als auch für die heizwertreiche Fraktion. Aus dem Fließbild, welches immer nur eine vereinfachte Darstellung ist, ergibt sich weder der Hinweis auf ein Wirtschaftsgut noch auf die Lagerfähigkeit. 5. Warum erwägt die Landesgenehmigungsbehörde eine genehmigungsrechtliche Nachbesserung der Rostocker Müllverbrennungsanlage („Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerk“), statt die lagerfähigen Fraktionen so lange auf vorhandenen Deponien zwischenzulagern, bis mit geeigneten Recyclingverfahren im Bundesland Mecklenburg- Vorpommern (analog zum „urban mining“) eine neue Wertschöpfungskette etabliert werden kann? Warum wird diese Chance für die Entwicklung eines Technologievorsprungs mit der Ausbildung zahlreicher neuer Arbeitsplätze durch die Landesregierung für das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht genutzt? Bezüglich der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Greifswald vom 05.04.2016 liegt dem zuständigen Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg (StALU MM) die Begründung bisher nicht vor. Diese ist Voraussetzung, um über weitere Verfahrensschritte zu entscheiden. Bei einer Langzeitlagerung auf Deponien müssen die Vorschriften der Deponieverordnung eingehalten werden. Diese Einlagerung ist unzulässig, weil die Annahmekriterien nicht eingehalten werden können. Die Landesregierung unterstützt auch Vorhaben der Abfallentsorgung bei der Entwicklung von neuen Technologien mit der Richtlinie Forschung, Entwicklung und Innovation. Drucksache 6/5466 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 6. Warum nutzt die Landesregierung diesen unter 5 genannten wichtigen Beitrag für einen nachhaltigen Klimaschutz nicht? Die Nutzung der separierten heizwertreichen Fraktion als Ersatzbrennstoff stellt gegenüber einer Deponierung beziehungsweise Langzeitlagerung eine nachhaltige Klimaschutzmaßnahme dar. Neben der Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen aus Deponien können mit der Erzeugung von Energie aus Abfällen konventionelle Energieträger substituiert und CO2-Emissionen reduziert werden. 7. Warum wurde durch die Landesbehörde die umwelt- und gesundheitsbelastende Müllverbrennung („Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerk“ Rostock) ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Notwendigkeit genehmigt? Warum wurden durch diese Änderungsgenehmigung erhebliche Abfalltransporte zur Auslastung der Rostocker Müllverbrennungsanlage aus dem näheren und ferneren Umland in Kauf genommen? Für die mit Bescheid vom 04.09.2000 genehmigte Restabfallbehandlungsanlage mit MBA und thermischer Abfallbehandlungsanlage wurden eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. Im Zuge der vor Gericht strittigen Änderungsgenehmigung vom 06.02.2007 wurde im Ergebnis einer UVP-Vorprüfung keine UVP und keine Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 16 Absatz 2 BImSchG durchgeführt. Eine Begründung seitens des OVG Greifswald bezüglich der Entscheidung vom 05.04.2016 liegt dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg (StALU MM) bisher nicht vor. Im Rahmen der Genehmigung wurde der Genehmigungsbehörde eine entsprechende Schallprognose nach den Vorgaben der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vorgelegt. Weil die anlagenbezogenen Voraussetzungen nach § 6 BImSchG erfüllt wurden, war die beantragte Anlage zu genehmigen. 8. Warum findet in einem „Gesundheits- und Tourismusland“ durch die Landesregierung keine generelle Abwägung zwischen klimaschädlicher Müllverbrennung und einem hochwertigem Stoffstrommanagement mit höchstmöglicher werkstofflicher Verwertung gefolgt von stofflicher Verwertung statt? Ein hochwertiges Stoffstrommanagement wird auch in Zukunft nicht ohne Müllverbrennung für die stofflich nicht verwertbaren Fraktionen auskommen. Daher ist es nur folgerichtig, für die im Land erzeugten Abfälle auch eigene Verbrennungskapazitäten zur Verfügung zu haben. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5466 5 Die Landesregierung hat mit dem Abfallwirtschaftsplan Mecklenburg-Vorpommern 2015 Ziele und Grundsätze der Kreislaufwirtschaftspolitik benannt. Danach ist die Optimierung der Abfallverwertung ein wesentlicher Punkt, der von allen Beteiligten zu berücksichtigen ist. Im Rahmen der Erarbeitung des Abfallwirtschaftsplan Mecklenburg-Vorpommern 2015 wurde im Übrigen ein Anhörungsverfahren durchgeführt und nach Abwägung der Anmerkungen der Plan einvernehmlich von der Landesregierung verabschiedet. 9. Warum war es möglich, dass die Landesgenehmigungsbehörde das Gebot zur Luftreinhaltung (EU „Mutter- und Tochterverordnungen“) nicht berücksichtigt? Die 17. BImSchV und die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) sind die für die Luftreinhaltung einschlägigen Rechtsvorschriften, die eingehalten werden. 10. Welche Risiken ergeben sich aus der Müllverbrennung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der Hauptwirtschaftszweigen M-V’s (Tourismus-, Gesundheitswirtschaft und der Landwirtschaft )? a) Welche Maßnahmen kann die Landesregierung einleiten, um durch eine Stilllegung der Müllverbrennungsanlage erhebliche Luftbelastungen und damit verbundene gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden und welcher Imagegewinn ist für das Urlaubs- und Gesundheitsland M-V dadurch zu erwarten? b) Warum wurde und wird die Gefährdung der Tourismus-, Gesundheits- und der Landwirtschaft durch die Änderungsgenehmigung für die Müllverbrennung Rostock so leichtfertig und ohne Not, also bei gegebener Entsorgungssicherheit von der Landesregierung hingenommen? Die Fragen 10, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Bei Einhaltung der Anforderungen der Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen sind keine Risiken der Müllverbrennung zu erwarten. Im Rahmen der Genehmigung war unter anderem nachzuweisen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können und Vorsorge nach Stand der Technik getroffen wird.