Die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 25. August 2016 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/5895 6. Wahlperiode 29.08.2016 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Silke Gajek, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Potenziale des Doppelresidenzmodells und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Das Doppelresidenzmodell, auch Pendel- oder Paritätsmodell genannt, ist eine Form der Gestaltung der Betreuung und des Umgangs von getrennt lebenden Eltern mit ihrem Kind. Die Umsetzung dieses Modells ist an den Willen der Eltern und die Akzeptanz des Kindes geknüpft, danach leben zu wollen und dies zu gestalten. Es sind dabei verschiedene hauptsächlich an den Einzelfall geknüpfte Voraussetzungen und Lebensumstände zu berücksichtigen. Die hier mit der Anfrage erforderte Darstellung der Sicht der Landesregierung kann sich daher nur auf allgemeine fachliche Aussagen beziehen, die unter Umständen bei familienrechtlichen Einzelfällen keine Gültigkeit haben (können). Drucksache 6/5895 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 In Mecklenburg-Vorpommern teilten sich im Jahr 2014 in 96 Prozent der Ehescheidungen beide Elternteile das Sorgerecht, da kein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge nach § 1671 Absatz 1 BGB gestellt worden war. Bei den verbliebenen 4 Prozent der Ehescheidungen wurde das Sorgerecht in 16 Prozent der Fälle an beide Elternteile übertragen. Sorgerechtsverfahren gibt es jedoch nicht nur im Zuge von Ehescheidungen, sondern auch zwischen verheirateten oder eben nicht mehr verheirateten Ehepartnern. Im Jahr 2014 betrug in diesen Fällen der Anteil der Sorgerechtsübertragungen an beide Ehepartner 21 Prozent, in den Fällen, in denen die Eltern zu keiner Zeit miteinander verheiratet waren, 35 Prozent. Das gemeinsame Sorgerecht bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die Kinder mit beiden Elternteilen gleich viel Zeit verbringen. Zumeist wird das sogenannte Residenzmodell praktiziert: Die Kinder leben bei einem Elternteil und haben mit dem anderen Elternteil am Wochenende oder in den Schulferien Umgang. In der Fachwelt werden demgegenüber zunehmend die Vorteile des sogenannten Doppelresidenzmodells herausgestellt. Dabei wohnen die Kinder nach einer Trennung bei beiden Elternteilen und verbringen dadurch auch ungefähr gleich viel Zeit mit ihnen. Bei diesem Modell können beide Elternteile auch nach der Trennung wichtige Bezugspersonen für ihre Kinder bleiben. Zudem soll es zwischen den Eltern weniger Konflikte geben. 1. In wie vielen Fällen kam nach Kenntnis der Landesregierung in Mecklenburg- Vorpommern seit dem Jahr 2009 nach einer Trennung das Doppelresidenzmodell zur Anwendung? In anhängigen Verfahren bei Gericht wird unter dem Verfahrensgegenstand Elterliche Sorge nur erfasst, auf wen die elterliche Sorge übertragen worden ist (gemeinsam, auf die Mutter, auf den Vater oder auf einen Dritten). Die Statistik gemäß „Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Familiensachen“ enthält keine Aussage darüber, ob das Doppelresidenzmodell zwischen den Elternteilen praktiziert wird. 2. Welche Vor- und Nachteile hat das Doppelresidenzmodell aus Sicht der Landesregierung? Aus Sicht der Landesregierung können bei der Umsetzung des Doppelresidenzmodells folgende Vorteile bestehen: - Das Kind erlebt den Alltag mit seinen Eltern. - Mutter und Vater sind in der Ausübung ihrer Verantwortung gleichberechtigt, was seltener zum Ablehnen eines Elternteils führt. - Beide Eltern bleiben in der Verantwortung für das Kind, sodass Überforderung eines Elternteils beziehungsweise negative Entwicklungen bei den Kindern früher entdeckt werden können. - Das Modell bedeutet zeitliche Entlastung für Vater und Mutter und im Ergebnis kann teilweise eine Befreiung von der Belastung eintreten, die bei Alleinerziehenden entsteht. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5895 3 Folgende Nachteile können potentiell bei der Umsetzung des Modells auftreten: - Es ist eine hohe Anpassungsleistung des Kindes erforderlich. - Es bestehen unterschiedliche Werte und Vorstellungen zur Erziehung, unterschiedliche Ansichten sowie Lebensumstände der Eltern. - Zwischen den Eltern besteht Konfliktpotenzial. - Im Ergebnis besteht eine fehlende Stabilität für das Kind. Das Wechselmodell erfordert zusätzliche Ausgaben der Eltern für Wohnraum (Kinderzimmer ) und teilweise doppelte Ausstattung bezüglich Kleidung, Spielzeug, Fahrrädern und so weiter. 3. Welche Potenziale hat das Doppelresidenzmodell aus Sicht der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern? Eine gesicherte, durch wissenschaftliche Studien belegte Aussage zu den Potenzialen dieser Form der Umgangsregelung in Mecklenburg-Vorpommern kann seitens der Landesregierung nicht getroffen werden. 4. Welche Fortbildungen zum Thema Doppelresidenz werden Familienrichterinnen und Familienrichtern sowie pädagogischen Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe in Mecklenburg-Vorpommern angeboten ? Im Jahresprogramm der Deutschen Richterakademie werden für das Jahr 2016 acht mehrtägige Tagungen angeboten, die sich speziell an Familienrichterinnen und Familienrichter wenden, darunter sechs Tagungen zu den umfassenden Themen Sorge- und Umgangsrecht sowie Wechselmodell. Daneben gibt es für Familienrichterinnen und Familienrichter des Landes Mecklenburg- Vorpommern weitere Fortbildungsangebote zu den Themen Sorge- und Umgangsrecht durch Fortbildungen der norddeutschen Länder (Nordverbund) und die Justizakademie des Landes Brandenburg. Die Bildungsstätte Schabernack - Zentrum für Praxis und Theorie der Jugendhilfe e. V. - als staatlich anerkannte Weiterbildungseinrichtung bietet den pädagogischen Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe in Mecklenburg-Vorpommern verschiedene Fortbildungen zu den ebenfalls das Thema Doppelresidenz/Wechselmodell umfassenden Themen des Sorge- und Umgangsrechts an. Konkret gab es in diesem Segment vier Fortbildungen: - Rechtsgrundlagen für die Arbeit in der Jugendhilfe - Das Kindschaftsrecht Drucksache 6/5895 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 - Ich hab doch beide lieb - Umgangsrecht/Umgangspflegschaft/Umgangsbegleitung - Pädagogik und Recht Über Fortbildungsangebote für pädagogische Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zu Themen des Sorge- und Umgangsrechts, die von Bildungseinrichtungen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unterbreitet wurden, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Welche Unterstützungsangebote können getrennt lebende Eltern in Anspruch nehmen, die den Umgang mit ihren Kindern nach dem Doppelresidenzmodell gestalten wollen? Gemäß §§ 17 und 18 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) haben Mütter und Väter gegenüber dem örtlich zuständigen Jugendamt insbesondere Anspruch auf Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung sowie auf Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts. Diese Leistungen der Jugendhilfe werden von Trägern der freien als auch der öffentlichen Jugendhilfe erbracht, zum Beispiel in Familienberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen .