Der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 16. September 2016 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/5900 6. Wahlperiode 19.09.2016 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Dr. Ursula Karlowski, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökokontomaßnahme „Ökologische Aufwertung des Diedrichshäger Moores“ bei Warnemünde und ANTWORT der Landesregierung Seit März dieses Jahres (2016) werden ca. 100.000 m³ Torf aus dem Diedrichshäger Moor vor Warnemünde abgegraben. Dies ist wesentlicher Bestandteil einer über 3 Millionen teuren Maßnahme, die als „Ökologische Aufwertung des Diedrichshäger Moores“ bezeichnet wird und im Auftrag der Hafen-Entwicklungsgesellschaft Rostock mbH (HERO) zur „naturschutzfachlichen Kompensation von Ausbauvorhaben im Seehafen Rostock als Ökokontomaßnahme“ dienen soll. Auf Basis eigener Untersuchungen haben Umweltverbände noch vor Beginn der Maßnahme auf hieraus resultierende Umweltbelastungen hingewiesen. Sie sind jedoch vor den zuständigen Behörden gescheitert, die Umsetzung der Maßnahme für eine abschließende Klärung auszusetzen. Eine von den Umweltverbänden angeforderte Stellungnahme des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz (MLUV) ging auf die aufgeworfenen Fragen und Probleme nur unzureichend ein. Drucksache 6/5900 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Wie bewertet die Landesregierung die Torfabgrabung im Diedrichshäger Moor mit Blick auf die Anforderungen und Vorgaben des Landesbodenschutzgesetzes (u. a. §§ 1 und 11 LBodSchG M-V)? a) Wurden und werden die rechtlichen Vorgaben zum Bodenschutz durch diese Maßnahme eingehalten? b) Ist das Vorhaben aus bodenschutzfachlicher und -rechtlicher Sicht positiv oder negativ zu bewerten? c) Kommt es nach Freilegung und Brackwasserüberstauung der aktuell nicht oder nur gering zersetzten Torfschichten zu fortschreitender Torfzehrung? Zu 1 und a) Die Zielsetzung und Grundsätze des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) und des Landesbodenschutzgesetzes M-V (LBodSchG M-V) sind gemäß § 1 Absatz 3 LBodSchG im Rahmen der planerischen Abwägung zu berücksichtigen. Der Planfeststellungsbeschluss wurde unter fachlicher Beteiligung der unteren Bodenschutzbehörde erlassen und ist rechtskräftig. Wie im Planfeststellungsbeschluss festgelegt, sollen während der laufenden Baumaßnahme konkrete Vorgaben für den Baubetrieb und das Bodenmanagement sowie eine ökologische Baubegleitung sicherstellen, dass die baubedingten Auswirkungen auf den Boden so gering wie möglich gehalten werden. Die Anwendung einer bodenkundlichen Baubegleitung und Erweiterung des vorgesehenen Monitorings bezüglich der Auswirkungen auf den Boden wird durch die oberste Bodenschutzbehörde empfohlen. Zu b) Angesichts der starken Degradierung des Moorstandortes haben Fachgutachter und im Planfeststellungsverfahren beteiligte Behörden die nach der Abgrabung prognostizierten Verhältnisse insgesamt als ökologische Aufwertung und damit positiv bewertet. Es gibt jedoch auch abweichende Fachmeinungen hinsichtlich der Vorhabensauswirkungen auf den Boden, denn aus Bodenschutzsicht wird im Regelfall die Notwendigkeit gesehen, auf tief entwässerten Moorstandorten die Grundwasserstände so weit wie möglich zu erhöhen, um den fortschreitenden Torfabbau aufzuhalten, vergleiche hierzu auch das Konzept zum Schutz und zur Nutzung der Moore Mecklenburg-Vorpommern. Aufgrund der vorgegebenen Rahmenbedingungen am Standort Diedrichshäger Moor wurde eine Anhebung der Wasserstände jedoch als nicht realisierbar eingeschätzt. Der Abgrabung überwiegend stark geschädigten Torfs im Diedrichshäger Moor steht ein begrenzt mögliches nachfolgendes Torfwachstum gegenüber. Lokal kommt es zur Abgrabung und Freilegung wertvoller, wenig geschädigter Torfschichten. Aus diesem Grund wird ein Monitoring durchgeführt, das die prognostizierte positive Entwicklung belegen soll. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5900 3 Zu c) Die Freilegung nicht oder nur gering zersetzter Torfschichten führt zum Torfabbau, soweit keine oberflächennahen Wasserstände die Belüftung des zuvor unterlagernden Torfes verhindern. Da der abgesenkte Grundwasserspiegel im Vorhabensgebiet nicht wesentlich angehoben werden kann, werden die zersetzten und gering zersetzten Torfschichten auf Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses abgetragen, teilweise bis unterhalb des mittleren Grundwasserspiegels. In den ausreichend nassen tieferen Bereichen wird Torfwachstum erwartet. Die Torfzehrung in den höher gelegenen Abgrabungsbereichen kann in Abhängigkeit vom Moorwasserstand beschleunigt werden. 2. Stellt die Entnahme von ca. 100.000 m³ gewachsenem Torf aus einem Niedermoor selbst einen erheblichen Eingriff im Sinne des § 14 BNatSchG dar, der als solcher speziell zu bewerten und entsprechend auszugleichen wäre? a) Hätte in einem solchen Fall der Eingriff entsprechend § 15 BNatSchG untersagt werden müssen, da Beeinträchtigungen vermeidbar gewesen wären, da das Entwicklungsziel sehr wahrscheinlich auch mit geringeren Auswirkungen auf Natur und Landschaft in gleicher oder besserer Weise erreicht werden kann, wie von den Umweltverbänden dargelegt? b) Trifft dies insbesondere zu, da die durchgeführte Maßnahme nicht die Optimalvariante darstellt, wie von Seiten des MLUV bereits bestätigt wurde? c) Ist aus Sicht der Landesregierung die Entnahme von ca. 100.000 m³ gewachsenem Torf und die Abgrabung von ca. 30 ha schutzwürdigem Boden von den zuständigen Behörden im Planfeststellungsverfahren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben vollumfänglich berücksichtigt und bei der Abwägung entsprechend gewürdigt worden? Grundsätzlich stellt die Entnahme von ca. 100.000 m3 gewachsenem Torf aus einem Niedermoor selbst einen erheblichen Eingriff im Sinne des § 14 Bundes-Naturschutzgesetzes (BNatSchG) dar, der als solcher speziell zu bewerten und entsprechend auszugleichen wäre. Bei Betrachtung des Gesamtvorhabens und der prognostizierten Entwicklung zu Gunsten von Natur und Landschaft wird auf Basis der Anwendung der „Hinweise zur Eingriffsregelung“ davon ausgegangen, dass kein Eingriff vorliegt. Insgesamt wird eine Verbesserung der Situation durch die ökologische Aufwertungsmaßnahme prognostiziert. Drucksache 6/5900 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 Zu a) Nach Einschätzung der für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und das Planfeststellungsverfahren zuständigen Behörden der Hansestadt Rostock waren die genannten Darlegungen der Umweltverbände nicht durchschlagend. Rechtsbehelfe gegen die getroffene Entscheidung wurden durch die Verbände nicht eingelegt. Zu b) Neben naturschutzfachlichen Aspekten wurden im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie (UVS) auch Wirkungen auf die anderen Schutzgüter des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) bei der Auswahl der Antragsvariante berücksichtigt. Zu c) Der Planfeststellungsbeschluss ist seit 2009 bestandskräftig. Die oberste Bodenschutzbehörde hat 2016 Kenntnis von dem Vorhaben erlangt und bodenschützende Hinweise im Rahmen des rechtlich Möglichen gegeben. Im anschließenden Vor-Ort-Termin hat sich die Landesregierung einen Eindruck zum Vorhaben verschafft. Es wird von den betroffenen Akteuren alles durchgeführt, um die positive Prognose zu realisieren. 3. Welche Position hat die Landesregierung zur CO2-Bilanz und Klimarelevanz dieser Maßnahme? a) Wie bewertet sie mit Blick auf die CO2-Bilanz und Klimaschutzprobleme den Beitrag der Maßnahme aufgrund der kurzfristigen, vollständigen oxidativen Zersetzung der abgegrabenen ca. 100.000 m³ Torf, die das System Niedermoor verlassen? b) Wie bewertet sie den mit Abgrabung, Deponierung, Verladung, Transport, Aufmietung und Feld-Ausbringung von ca. 100.000 m³ Boden (Torf) verbundenen Energie- und Ressourcenaufwand und die entsprechende CO2-Bilanz und Klimarelevanz dieser Maßnahme? c) Welche umwelt- und naturschutzrelevanten Ziele wären von der Maßnahme zu fordern, um die kurzfristig hohe negative CO2-Bilanz und Klimarelevanz dieser Maßnahme zu rechtfertigen? Zu 3, a), b) und c) Die CO2-Bilanz und die Klimarelevanz der Maßnahme können von der Landesregierung erst nach Abschluss des Pilotvorhabens näher beurteilt werden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5900 5 4. Kann aus Sicht der Landesregierung eine Maßnahme, die nicht im Sinne des Landesbodenschutzgesetzes ist und/oder selbst einen Eingriff in Natur und Landschaft darstellt und/oder eine negative CO2-Bilanz und Klimarelevanz aufweist, als Ökokontomaßnahme geeignet sein? a) Unter welchen besonderen Umständen sind Maßnahmen mit derartigen Eigenschaften bzw. rechtlichen Problemen als Ökokontomaßnahme überhaupt geeignet? b) Treffen solche Umstände auf die Maßnahme im Diedrichshäger Moor zu? Zu 4, a) und b) Als Ökokontomaßnahmen sind nur Maßnahmen mit positiver Eingriffs-/Ausgleichsbilanz geeignet. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 5. Ist es aus Sicht der Landesregierung sinnvoll und zulässig, eine Maßnahme als Ökokontomaßnahme festzulegen, für die nachweislich und erklärtermaßen keinerlei Sicherheit über Qualität und Quantität der sich zukünftig einstellenden ökosystemarischen Faktoren und Prozesse besteht, und für die keine Erfahrungen aus vergleichbaren Gebieten oder Maßnahmen vorliegen, wie die Abgrabung eines brackwassergeprägten Moorstandortes (= Projekt mit Pilotcharakter im Sinne des MLUV)? a) Ist es natur- und umweltschutzfachlich sinnvoll und zweckmäßig, aus einem Pilotprojekt oder einer Maßnahme mit Unwägbarkeit der sich daraufhin einstellenden geo-hydro-chemischen Standortbedingungen sowie der sich durch die Maßnahme ändernden Pflanzen- und Tiergesellschaften bereits im Vorfeld konkrete Kompensationsflächenäquivalente abzuleiten? b) Ist es natur- und umweltrechtlich zulässig, aus einem Pilotprojekt oder einer Maßnahme mit Unwägbarkeit der sich daraufhin einstellenden geo-hydro-chemischen Standortbedingungen sowie Pflanzen- und Tiergesellschaften bereits im Vorfeld konkrete Kompensationsflächenäquivalente abzuleiten? Zu 5, a) und b) Bei den in Mecklenburg-Vorpommern zur Anwendung empfohlenen Hinweisen zur Eingriffsregelung wird im Wesentlichen über das Biotopwertverfahren und den Vorher- Nachher-Vergleich der Wertigkeiten der Biotoptypen das Kompensationsflächenäquivalent prognostisch ermittelt. Vergleichbare Projekte mit flächigem Moorbodenabtrag sind nicht bekannt. Drucksache 6/5900 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 6 6. Welche Nachweise sind aus Sicht der Landesregierung zu erbringen, damit eine bereits eingeleitete Maßnahme, die nach Auffassung des MLUV Pilotcharakter hat und deren ökosystemarischer Erfolg hinsichtlich der formulierten Natur- und Moorschutzziele gänzlich offen ist, als Ausgleichs- oder Ökokontomaßnahme anerkannt werden kann? a) Ist es im Hinblick auf das Diedrichshäger Moor notwendig, die im Planfeststellungsbeschluss konkret formulierten wesentlichen Ziele des Moorschutzes: Etablierung torfbildender Vegetation, Torfneubildung, Wiederherstellung der Kohlenstoffsenkenfunktion mit hierfür konkret geeigneten wissenschaftlichen Methoden und in einem am Entwicklungsziel orientierten sinnvollen Zeitrahmen zu überprüfen? b) Sind deshalb über den bisher planfestgestellten Untersuchungsumfang hinaus u. a. folgende Prozesse und Parameter in das Monitoring aufzunehmen: Torfneubildung, Torfzehrung, Torferosion, Gas- und Stoffaustausch der freigelegten Torfe mit der Umgebung, Gradienten und Sukzession der osmotischen Bodenwasserwerte? Zu 6, a) und b) Für die Bewertung als Ausgleichs- oder Ökokontomaßnahme ist eine Bewertung im Sinne der Hinweise zur Eingriffsregelung notwendig. Die genannten Monitoringmaßnahmen sind dafür regelmäßig nicht erforderlich. 7. Welche Konsequenzen würden sich aus Sicht der Landesregierung aus naturschutzfachlicher und naturschutzrechtlicher Sicht für die Ökokontomaßnahme „Aufwertung Diedrichshäger Moor“ der HERO ergeben, wenn sich bei zukünftigen Erfolgskontrollen herausstellt, dass die prognostizierten Ziele im Diedrichshäger Moor gar nicht oder nur in Teilen (unvollständig) erreicht werden oder die Umweltwirkungen in ihrer Summe sogar negativ sind? Die Landesregierung geht davon aus, dass sich die positiven Prognosen realisieren werden. Andernfalls wäre das Vorhaben neu zu bewerten. Es wären dann von der Planfeststellungsbehörde im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gegebenenfalls ausreichend Kompensationsmaßnahmen festzulegen und durch den Vorhabenträger umzusetzen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/5900 7 8. Wie bewertet die Landesregierung den realen Verlust von Naturraumpotential durch die Maßnahme „Aufwertung Diedrichshäger Moor“, welche sich z. B. auch im Verlust von 30 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche niederschlägt und damit in der Unmöglichkeit, zukünftig Naturschutz und ökologische Landnutzung in einem Landschaftsschutzgebiet sinnvoll und der Region angemessen zu verknüpfen, so wie dies in anderen Küstenmooren in M-V angestrebt wird? Hätte die Mehrfachfunktion des Diedrichshäger Moores (Naturschutz + Landnutzung) in der Abwägung verschiedener Aufwertungsvarianten im Verlauf des Planfeststellungsverfahrens eine wesentliche Rolle spielen müssen? Es wird davon ausgegangen, dass alle Belange angemessen in die Entscheidungsfindung eingeflossen sind. Auch die geprüften Alternativvarianten mit vollständiger beziehungsweise teilweiser Wasserstandserhöhung hätten eine Einschränkung der bestehenden Grünlandnutzung bewirkt. 9. Welche von den Interessen der jeweiligen Vorhabenträger unabhängigen Qualitätskontrollen gibt es für Maßnahmen und Vorhaben mit Eingriffs- oder Aufwertungswirkung in M-V, die die naturschutzfachliche und -rechtliche Zielerreichung sicherstellen? a) Besteht aus Sicht der Landesregierung die Notwendigkeit von Qualitätskontrollen im Naturschutz? b) Wenn ja, wie wird diese gewährleistet oder wie sollen diese in Zukunft gewährleistet werden? c) Wäre die Etablierung eines unabhängigen Expertengremiums zur Qualitätskontrolle für Maßnahmen des Naturschutzes im Land M-V aus Sicht der Landesregierung wünschenswert und sinnvoll? Vorhaben, die einen Eingriff darstellen oder als Ökokonto anerkannt werden sollen, sind regelmäßig genehmigungspflichtig und werden fachlich durch die zuständigen unteren Naturschutzbehörden beurteilt. Zu a), b) und c) Eine über die gesetzlichen Zuständigkeiten hinausgehende regelmäßige Qualitätskontrolle ist aus Sicht der obersten Naturschutzbehörde nicht erforderlich, soweit nicht im Einzelfall Anlass für fachaufsichtliches Handeln besteht. Drucksache 6/5900 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 8 10. Ist das Vorhaben (bzw. die mit ihm verbundenen Maßnahmen) a) als eine nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 NatSchAG M-V „behördlich durchgeführte oder angeordnete Maßnahme zur Pflege und Entwicklung von geschützten Gebieten“ zu werten oder b) als ein behördlich (durch Planfeststellung) zugelassenes Vorhaben eines privatwirtschaftlichen Vorhabenträgers (TdV: HERO mbH) zu werten? Zu 10 a) und 10 b) Die oberste Naturschutzbehörde geht vom Fall b) aus.