Der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 22. Mai 2012 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/700 6. Wahlperiode 23.05.2012 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten David Petereit, Fraktion der NPD Inklusion und ANTWORT der Landesregierung Deutliche Kritik übte kürzlich der Gründungsdirektor des Zentrums für Begabungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München an den aus seiner Sicht übertriebenen Erwartungshaltungen, die den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung betreffen. So jedenfalls geht es aus einem in der Schweriner Volkszeitung (Ausgabe 31.03./01.04.2012) veröffentlichten Gespräch hervor. So werde der „Inklusionsbegriff“ „geradezu als pädagogisches Allheilmittel propagiert “. Die Verantwortlichen erhofften sich damit den „Durchbruch“ von den Einheits- und Gesamtschulen gegenüber dem gegliederten Sekundarschulsystem . Das geschehe, „obwohl die internationalen Schulstudien wie die PISA-Untersuchung beim sogenannten längeren gemeinsamen Lernen … Leistungs- und Sozialisationsnachteile“ der erstgenannten Schulformen nachwiesen. Zum einen konnte eine Verringerung der Ungleichartigkeit bei gleichzeitiger optimaler Leistungsförderung aller Schüler nach Aussage des Wissenschaftlers nicht bestätigt werden. Zum zweiten „haben sich die von den Einheitsschulsystemen vielfach erhofften Sozialisationsvorteile gegenüber dem gegliederten Sekundarschulsystem“ keineswegs erfüllt. Überhaupt lägen für die Annahmen der Inklusions-Pädagogik „keine belastbaren wissenschaftlichen Forschungsbelege“ vor. Im sonderpädagogischen Bereich seien die Erwartungen ebenfalls überzogen . Unter Verweis auf seine langjährigen Erfahrungen als Sonderschullehrer für Gehörlosen-, Schwerhörigen- und Sprachheilpädagogik zeigte sich der Wissenschaftler gegenüber dem „Allheilkonzept“ Inklusion „eher skeptisch eingestellt“. Sozialpädagogische Effekte dürften „am ehesten“ bei Sprachgeschädigten, Schwerhörigen und Verhaltensgestörten zu erwarten sein, „sofern entsprechendes ,Teamteaching’ im Klassenzimmer ermöglicht wird.“ Eine Inklusion „extrem Sinnesgeschädigter oder gar stark Lernbehinderter dürfte mehr Nach- als Vorteile für die betroffenen Schüler mit sich bringen.“ Drucksache 6/700 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 2 1. Wie bewertet die Landesregierung die im Vortext wiedergegebenen Auffassungen? Im März 2009 trat in Deutschland das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Behindertenkonvention) in Kraft. Mit Artikel 24 dieser Konvention hat sich Deutschland verpflichtet, jedem Kind inklusive Bildung zu ermöglichen. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist für den Bund, die Länder und die Kommunen völkerrechtlich verbindlich. Die Landesregierung versteht die Umsetzung des Übereinkommens als gesamtgesellschaftliches komplexes Vorhaben, das nur längerfristig und schrittweise umsetzbar ist. Der Landesregierung ist der wissenschaftliche Diskurs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bekannt. Daher hat sie im Januar 2012 eine Expertenkommission „Inklusive Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020“ unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis, der Wissenschaft, der Kommunen und anderer Institutionen eingesetzt. Die Expertenkommission hat die Aufgabe, ein Langzeitkonzept zur schrittweisen Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern zu entwickeln. Eine Begleitgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaften und Verbänden, Eltern- und Schülervertretungen sowie anderen Einrichtungen und Expertinnen beziehungsweise Experten wird die Arbeit der Expertenkommission begutachten. 2. Inwieweit beabsichtigt die Landesregierung, in die Arbeit der Expertenkommission „Inklusive Bildung in MecklenburgVorpommern bis zum Jahr 2020“ auch Wissenschaftler einzubeziehen , die zur Inklusion bzw. zum inklusiven Lernen differenzierend -kritische Standpunkte wie die im Vortext skizzierten vertreten? a) Welche Wissenschaftler im eben genannten Sinne sollen in die Arbeit der Expertenkommission einbezogen werden? b) Ab wann sollen sie in die Arbeit der Expertenkommission einbe- zogen werden? c) Welche differenzierend-kritischen Standpunkte zur Inklusion vertreten die Wissenschaftler (bitte einzeln skizzieren)? 3. In welcher konkreten Form soll die Einbeziehung dieser Wissenschaftler in die Arbeit der Expertenkommission erfolgen? Die Fragen 2 und 3 werden zusammenhängend beantwortet. Die Expertenkommission „Inklusive Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020“ hat unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Koch (Universität Rostock) im Januar 2012 die Arbeit aufgenommen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode Drucksache 6/700 3 Über die Zusammensetzung der Expertenkommission hat das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit den Presseinformationen 188/11 und 2/12 Auskunft erteilt. Aufgrund der Einbeziehung von Professorinnen und Professoren verschiedener Universitäten mit differenzierten Standpunkten zur Inklusion ist in der oben genannten Expertenkommission ein breites Meinungsspektrum vom Ko-Konstruktivismus bis hin zur Radikalinklusion vertreten. In Abhängigkeit von den Arbeitsergebnissen werden weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Arbeit einbezogen und der Landesregierung Empfehlungen zur schrittweisen Umsetzung eines Gesamtkonzepts zur Inklusion bis 2020 vorlegen. Diese gilt es abzuwarten. 4. Sind der Landesregierung bereits differenzierend-kritische Stellungnahmen zum Thema Inklusion zugegangen? Wenn ja, a) welche Wissenschaftler und/oder Forschungseinrichtungen haben der Landesregierung differenzierend-kritische Stellungnahmen zur Inklusion zukommen lassen? b) Welchen Inhalt haben die Stellungnahmen (bitte die jeweiligen Standpunkte skizzieren)? c) Wo sind die Stellungnahmen abrufbar (z. B. PDF-Dokumente)? Die Fragen 4, 4 a), 4 b) und 4 c) werden zusammenhängend beantwortet. Auf dem Ersten Inklusionskongress im Mai 2012 hat die Expertenkommission „Inklusive Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020“ erste Ergebnisse der Arbeit präsentiert. Darüber hinaus haben Herr Prof. Dr. Wocken (Pro) und Herr Prof. Dr. Flaig (Contra) zum Thema „Braucht Inklusion ein neues Menschenbild?“ kontrovers referiert. Die Ergebnisse des Ersten Inklusionskongresses gehen in die Empfehlungen der Expertenkommission „Inklusive Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020“ ein. Zum Ersten Inklusionskongress wird eine Tagungsdokumentation veröffentlicht werden. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. Drucksache 6/700 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode 4 5. Inwieweit werden die Standpunkte in die Arbeit der Experten- kommission mit einbezogen? 6. Welche differenzierend-kritischen Standpunkte zur Inklusion sind der Landesregierung bisher bekannt geworden (bitte die Standpunkte unter Angabe der Autoren und der Abrufmöglichkeit der jeweiligen Dokumente jeweils skizzieren)? 7. Welche Stellungnahmen zur inklusiven Pädagogik hat die Experten- kommission bislang angefordert? a) Bei wem wurden entsprechende Stellungnahmen angefordert (bitte die Wissenschaftler und/oder die Forschungseinrichtungen nennen)? b) Wann wird die Expertenkommission mit den entsprechenden Unterlagen arbeiten können? Die Fragen 5, 6, und 7 werden zusammenhängend beantwortet. Es wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 sowie 4 verwiesen.