Der Minister für Inneres und Europa hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 25. Januar 2018 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/1548 7. Wahlperiode 26.01.2018 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Nikolaus Kramer, Fraktion der AfD Radikalisierungsprävention gegenüber dem islamistischen Terrorpotenzial in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung Im Jahr 2017 sorgten verschiedene Antiterroreinsätze in Mecklenburg- Vorpommern für öffentliches Aufsehen. Die Frage der Prävention gegenüber Radikalisierungsprozessen wurde im Dezember in einer von der Fraktion der AfD beantragten Aussprache des Landtages zum Thema „Kampf dem Terrorismus von nebenan“ angesprochen. 1. Welche präventiven Maßnahmen gegenüber Radikalisierungsprozessen von Islamisten verfolgt oder fördert die Landesregierung gegenwärtig? a) Welche neuen präventiven Maßnahmen gegenüber Radikalisierungsprozessen von Islamisten plant die Landesregierung zukünftig ? b) Welche neuen präventiven Maßnahmen gegenüber Radikalisierungsprozessen von Islamisten erwägt die Landesregierung gegenwärtig ? Die Fragen 1, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Grundlagen der Islamismusprävention im Land sind das Nationale Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus und das Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“. Drucksache 7/1548 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Ein Träger in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Jahr 2017 mit dem Aufbau einer Fachstelle für die Prävention von religiös begründetem Extremismus beauftragt. Die Fachstelle wird künftig an der Fortbildung von Fachkräften mitwirken, ein Beratungsangebot vorhalten und strategische Überlegungen für die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit einbringen. Im Rahmen des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus ist eine Aufstockung der Jugendmigrationsdienste in Mecklenburg-Vorpommern zum Einsatz in der Präventionsarbeit vorgesehen. Das im Jahr 2017 aufgelegte phänomenübergreifende Präventionsprojekt „PräRaDEx - Prävention von Radikalisierung, Distanzierung vom Extremismus im Strafvollzug“ zielt auf die Prävention sowohl von rechtsextremer als auch von religiös begründeter Radikalisierung im Strafvollzug ab. In Abstimmung mit den Schulen hat die Landeszentrale für politische Bildung ein Angebot der politischen Bildung für jugendliche Geflüchtete an beruflichen Schulen (BVJA-Klassen) in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt. Die einzelnen Module decken verschiedene Themenbereiche ab (zum Beispiel Politik, Grundrechte, Religion, Ausbildung, Landeskunde, Teilhabe). Das Ende 2016 begonnene Projekt wird aufgrund der positiven Resonanz 2018 fortgesetzt (www.lpb-mv.de/projekte/politische-bildung-fuer-bvja-klassen). 2. In welcher Form dient das Landesprogramm „Demokratie und Toleranz stärken“ der Prävention gegenüber Radikalisierungsprozessen von Islamisten? a) Fanden diesbezüglich Neujustierungen des Landesprogramms mit Bezug zur Radikalisierungsprävention von Islamisten statt? b) Welcher personellen oder finanziellen Art waren etwaige Neujustierungen mit Bezug zur Radikalisierungsprävention von Islamisten ? c) In welcher Form ist eine Neujustierung oder Verbesserung des Landesprogramms „Demokratie und Toleranz stärken“ für eine verbesserte Präventionsarbeit zukünftig geplant? Im aktuellen Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ ist die Stärkung von Demokratie und Toleranz als Querschnittsaufgabe definiert. Das Programm dient damit auch der Prävention von Radikalisierungsprozessen im Bereich des religiös begründeten Extremismus. Zu a) Die Projekte des landesweiten Beratungsnetzwerkes „Demokratie und Toleranz“ haben grundsätzlich den Auftrag, auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen zu reagieren. Auf erste Anfragen im Themenfeld der Islamismusprävention wurde deshalb ab 2016 bereits mit entsprechenden Angeboten und Fortbildungen reagiert. Das Projekt „Jump!“ erhielt 2016 den Auftrag, neben Anfragen aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus auch Anfragen aus dem Bereich des religiös begründeten Extremismus zu bearbeiten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/1548 3 Nach einer ersten Bedarfserhebung 2015 und der Erörterung der Relevanz islamistischer Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern hat die Interministerielle Arbeitsgruppe „Handlungsrahmen für Demokratie und Toleranz“ der Landeszentrale für politische Bildung 2016 den Auftrag erteilt, zunächst ein Angebot der politischen Bildung für jugendliche Geflüchtete an Berufsschulen zu entwickeln (siehe Antwort auf Frage 1). Die Interministerielle Arbeitsgruppe hat 2017 die Landeszentrale für politische Bildung mit der Koordinierung der Präventionsmaßnahmen gegen islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern und der Einrichtung einer Unterarbeitsgruppe „Islamismusprävention“ beauftragt. Zu b) Über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ wird eine Personalstelle in der Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz finanziert, die unter anderem mit der Koordinierung der Präventionsmaßnahmen im Bereich Islamismus betraut ist. Ebenfalls über das Bundesprogramm finanziert werden die mit zwei Personalstellen geplante Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus, das phänomenübergreifende Präventionsprojekt „PräRaDEx“ (Prävention von Radikalisierung, Radikalisierung vom Extremismus) im Strafvollzug sowie Fortbildungen der Mitglieder des landesweiten Beratungsnetzwerkes Demokratie und Toleranz. Zur Aufstockung der Jugendmigrationsdienste (JMD) in Mecklenburg-Vorpommern zum Einsatz in der Präventionsarbeit stellt der Bund Mittel für zehn zusätzliche befristete Stellen bei den JMD zur Verfügung. Zu c) Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung am 19. Oktober 2017 mit der Fortschreibung des Landesprogramms „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ beauftragt . Das Landesprogramm soll „allen demokratiefeindlichen Haltungen, Bestrebungen und Strukturen entschieden entgegentreten“. Im Zusammenhang mit dem Fortschreibungsprozess werden auch die aktuellen Herausforderungen im Bereich Islamismus Berücksichtigung finden. Die Präventionsarbeit im Bereich Islamismus soll künftig durch die Kooperation auf Bundesund Landesebene sowie die Koordinierung unterschiedlicher Maßnahmen im Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ verankert werden. 3. Welche Ursachen für Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Terrorismus sieht die Landesregierung in Mecklenburg- Vorpommern? Zu den Ursachen von Radikalisierungsprozessen kann grundsätzlich festgestellt werden, dass jede Radikalisierung individuell verläuft. Drucksache 7/1548 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 Ausgangspunkt ist in der Regel das Zusammenwirken verschiedener Faktoren von Unmut und Frust über die eigene Lebenssituation, die beispielsweise aus fehlendem Selbstbewusstsein, einer Identitätskrise, Scheitern von Lebensentwürfen oder auch aus Gefühlen von Diskriminierung und Entwurzelung herrühren können. Relevant sind in diesem Zusammenhang weniger objektive Zustände, als vielmehr subjektive Eindrücke. Ein weiteres Element einer Radikalisierung ist in der Regel der Anschluss an eine Gruppe von Gleichgesinnten beziehungsweise von Gleichaltrigen. Derartige Gruppen bieten dem sich Radikalisierenden meist klare und einfache Lösungen für die Unzufriedenheit mit seiner Lebenssituation und binden ihn mittels gruppendynamischer Prozesse sozial ein. Eine Radikalisierung erfolgt in diesem Zusammenhang insbesondere dann, wenn sich die Bindungen in der Gruppe verstärken, die Regeln der Gruppe ideologisiert sind, klare moralische und soziale Normen umfassen und die Gruppe sich von der Mehrheitsgesellschaft distanziert. Bei einer islamistisch motivierten Radikalisierung wird der Zusammenhalt der Gläubigen gegenüber den „Ungläubigen“ betont und die Grundlage für einen Rückzug von der westlichen Mehrheitsgesellschaft geschaffen. Verschiedene Faktoren , wie der Kontakt zu entsprechenden spirituellen Führern und die Bestätigung durch Gleichgesinnte , können für eine zusätzliche Mobilisierung sorgen. Für eine Radikalisierung, welche die Stufe des Terrorismus erreicht, bedarf es einer zusätzlichen Mobilisierung, die vor allem darin besteht, den Einsatz von terroristischer Gewalt als legitimes Mittel anzuerkennen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. .. Eine für das Land Mecklenburg-Vorpommern charakteristische Form von islamistischer Radikalisierung kann nicht festgestellt werden. 4. Welchen Einfluss auf Radikalisierungspotenziale hatte nach Meinung der Landesregierung die Grenzöffnung im Jahr 2015 gehabt? Bei den meisten Personen, die sich islamistisch radikalisieren, handelt sich nach den Erkenntnissen der Landesregierung um Muslime, die eine Revitalisierung ihres Religionsverständnisses verfolgen. Der Anteil von Personen, die erst zum Islam konvertieren und sich im Anschluss radikalisieren, ist demgegenüber gering. Es liegen bislang keine Untersuchungen vor, die genauere Aussagen zur Korrelation zwischen der „Grenzöffnung im Jahr 2015“ und dem Radikalisierungspotential im Land ermöglichen. Insgesamt ist festzustellen, dass aufgrund des im Vergleich zu anderen Bundesländern nach wie vor niedrigen muslimischen Bevölkerungsanteils auch die Zahl der islamistischen Radikalisierungen in Mecklenburg-Vorpommern vergleichsweise gering ist. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/1548 5 5. Hält es die Landesregierung zukünftig für nötig, gegen wachsende Radikalisierungspotenziale eine Kommission gegen islamistische Radikalisierung zu initiieren? a) Wenn ja, warum? b) Wenn nicht, warum nicht? Die Fragen 5, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die Landesregierung hat eine Unterarbeitsgruppe „Islamismusprävention“ der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Handlungsrahmen für Demokratie und Toleranz“ eingerichtet, um weitere Vorgehensweisen abzustimmen. 6. Auf welche wissenschaftlichen Expertisen greift die Landesregierung bei Fragen zur Radikalisierung von Islamisten zurück? Die Landesregierung greift auf die Expertise von verschiedenen Bund-Länder-Arbeitsgruppen der Sicherheitsbehörden zurück, in denen die Landesregierung mitarbeitet und in denen unter Heranziehung der aktuellen Forschungsergebnisse islamistische Radikalisierung behandelt wird. Die Unterarbeitsgruppe „Islamismusprävention“ wird die Expertise der im Aufbau befindlichen Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus einbinden und weitere wissenschaftliche Expertisen bei Bedarf hinzuziehen. Das Ministerium für Inneres und Europa, der Verfassungsschutz, das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern und die Landeszentrale für politische Bildung sind seit 2016 assoziierte Partner des länderübergreifenden Forschungsprojektes „RadigZ“ (Radikalisierung im digitalen Zeitalter - Risiken, Verläufe und Strategien der Prävention) und befinden sich im regelmäßigen Austausch mit den Projektverantwortlichen. An diesem Projekt sind das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e. V., die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol), die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Georg-August-Universität Göttingen, die Gottfried Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover und die Universität zu Köln beteiligt.