Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 26. April 2018 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/1953 7. Wahlperiode 27.04.2018 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt, Fraktion DIE LINKE Reform des Betreuungswesens und ANTWORT der Landesregierung In einer Erklärung vom 20. März 2018 teilte das Justizministerium mit, dass die Gesamtausgaben des Landes für Betreuer und Pfleger in Betreuungssachen im vorigen Jahr auf 28 Mio. Euro gestiegen sind. Im Jahre 2008 waren es noch 20 Mio. Euro. Je nach Einzelfall habe die Intensität der Betreuungen zugenommen. Weiterhin gebe es Gespräche unter den Justizministerinnen und Justizministern, das Aufgabenfeld des Betreuungsrechts zukunftsfest auszugestalten. In der Ostsee-Zeitung wurde die Ministerin wie folgt zitiert: „Wir brauchen eine Zäsur, um die Zahl der Betreuungen zu reduzieren.“ 1. Inwieweit sieht die Landesregierung konkret Reformbedarf im Betreuungswesen ? Die im Koalitionsvertrag des Bundes enthaltene Zielstellung, das Betreuungsrecht einschließlich der Vergütung einer strukturellen Überprüfung zu unterziehen, wird grundsätzlich unterstützt. Vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse zur Qualität und zum Erforderlichkeitsgrundsatz in der rechtlichen Betreuung hatte die Justizministerkonferenz im November 2017 auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine umfassende Struktur- und Reformdebatte über das Betreuungswesen zu führen. Die vom Bund im Lichte dieser Forschungsergebnisse im Dezember 2017 eingeleitete Qualitätsdiskussion ist insbesondere im Interesse eines effektiven Hilfesystems, das einerseits den Bedürfnissen hilfebedürftiger Erwachsener und anderseits dem Vorrang anderer sozialer Hilfen gegenüber der rechtlichen Betreuung Rechnung trägt, zu begrüßen. Drucksache 7/1953 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Diese vornehmlich im Bundesrecht verhaftete Überprüfung betreuungsvermeidender aber auch betreuungsgewährender Strukturen hat sich auch an den berechtigten Interessen rechtlich betreuter Erwachsener auszurichten. 2. Wie definiert die Landesregierung die Kernaufgaben von Betreuungsrichtern ? Welche derzeit von den Betreuungsrichtern ausgeübten Tätigkeiten gehören nicht dazu? Die gesetzlichen Aufgaben der Betreuungsgerichte folgen aus den bundesrechtlichen Regelungen der §§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und den diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 271 ff. Familienverfahrensgesetz - FamFG). In Bezug auf die Grundrechtsbetroffenheit unterliegen insbesondere die Einrichtung, Aufhebung oder Verlängerung einer Betreuung sowie weitere freiheitsbeschränkende Maßnahmen , wie etwa im Fall der Unterbringung dieser Kernaufgabe des Richtervorbehaltes. Eine verbesserte Anwendung des Vorranges anderer sozialer Hilfen auch bereits im gerichtlichen Vorfeld der den Betreuungsbehörden obliegenden Beratungs- und Vermittlungspflichten stellt ein geeignetes Mittel dar, um den ausgeprägten Beratungs- und Unterstützungsbedarf Betroffener ortsnah und personenzentriert zu steuern (vergleiche insbesondere § 4 Absatz 2 des Betreuungsbehördengesetzes - BtBG). Das gerichtliche Verfahren kann diese und weitere soziale Hilfesysteme und deren Vernetzung nicht ersetzen. Zugleich ermöglicht das gerichtliche Betreuungsverfahren die im Einzelfall notwendige Rechtsgewährung im Wege des Richtervorbehaltes . Zu berücksichtigen ist, dass die Sachverhaltsermittlung der Betreuungsbehörde innerhalb des gerichtlichen Verfahrens bei der Prüfung der Erforderlichkeit gleichermaßen wesentliche Bedeutung hat. Im Übrigen wird auch insoweit die strukturelle Überprüfung des Betreuungswesens abzuwarten sein. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 3. In welchem Umfang rechnet die Landesregierung mit einer Reduzierung der Zahl von Betreuungsverfahren, falls es zu der angestrebten Reform des Betreuungswesens kommen sollte? Der Landesregierung liegen dazu keine verifizierbaren Daten vor. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/1953 3 Die Ergebnisse des vom Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen (IGES Institut) im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz im Oktober 2017 vorgelegten Gutachtens (Forschungsvorhaben zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“ unter besonderer Berücksichtigung des am 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde) weisen auf Potenzial zur Vermeidung rechtlicher Betreuungen beziehungsweise zur Begrenzung der Aufgabenkreise eingerichteter Betreuungen durch eine optimierte Nutzung „anderer sozialer Hilfen“ hin. Die Vielgestaltigkeit des betreuungsrechtlichen und sozialrechtlichen Instrumentariums, dessen Wechselwirkung und die unterschiedlichen Ortsspezifika lassen eine nähere rechnerische Eingrenzung nicht zu. Gleichwohl deuten die Ergebnisse der bundesweiten Untersuchung an, dass in der Mehrzahl aller Regionen ein prinzipielles Vermeidungspotenzial durch „andere Hilfen“ zwischen fünf und 15 Prozent der Neufälle anzunehmen ist. 4. Wie beurteilt die Landesregierung vor dem Hintergrund der gestiegenen Intensität der Betreuungsverfahren die derzeitigen Vergütungen und abrechenbaren Zeitansätze für Berufsbetreuer? a) Wird man sich im Bund (unabhängig von der entsprechenden Vereinbarung im Koalitionsvertrag) für eine Erhöhung einsetzen? b) Wenn ja, wie hoch sollte diese ausfallen? Die Fragen 4, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Grundsätzlich hat sich das pauschalierte Abrechnungssystem seit der Umstellung im Jahr 2005 bewährt und zu einer erheblichen Abrechnungsvereinfachung beigetragen (vergleiche die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage auf Drucksache 6/5026). Allerdings zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Qualität in der rechtlichen Betreuung veranlassten Untersuchung, dass die den Pauschalen zugrunde liegende Mischkalkulation einer Überprüfung bedarf. Die Vergütungsproblematik lässt sich angesichts unterschiedlicher Interessen sachlich nicht ohne angemessene Berücksichtigung der Forschungsergebnisse und der daraus folgenden Strukturdebatte lösen. Die Landesregierung begrüßt es daher, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Dialog mit weiteren Bundesressorts und den Ländern eröffnet hat, um möglichst zeitnah nach Lösungen zu suchen, die den unterschiedlichen Interessen angemessen Rechnung tragen soll. Zu diesem laufenden Prozess, der vom Bund gesteuert wird, liegen der Landesregierung noch keine Ergebnisse vor. 5. Hält die Landesregierung weiterhin daran fest, dass die ehrenamtliche Betreuung gegenüber der Berufsbetreuung den Vorrang hat? Ja. Drucksache 7/1953 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 6. Wenn ja, wie und in welchem Umfang gedenkt die Landesregierung die ehrenamtlichen Betreuer und Betreuungsvereine zu stärken? Der Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung gegenüber der beruflichen Betreuung entspricht dem gesetzlichen Leitbild (§ 1897 Absatz 6 und Absatz 7 BGB). Bei der Stärkung der ehrenamtlichen Betreuung nimmt das Thema Öffentlichkeits- und Querschnittsarbeit als Daueraufgabe einen wichtigen Raum ein. Die finanzielle Förderung seitens des Landes und die komplementäre Förderung durch die Kommunen kommt den anerkannten Betreuungsvereinen (§ 1908f BGB) für die Querschnittsarbeit zugute. Daneben tragen Betreuungsbehörden und Gerichte zur Unterstützung der ehrenamtlich tätigen Betreuerinnen und Betreuer bei. Diese Beratungstrias soll auch zukünftig das Wissensmanagement für dieses Ehrenamt gewährleisten. Das Justizministerium unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit durch Broschüren und durch eigene Veranstaltungen, die sowohl der Information als auch der Anerkennung des Ehrenamtes dienlich sind. Dabei sieht die Landesregierung in der (noch) stärkeren Verbreitung und Beratung zur Vorsorgevollmacht ein erhebliches Potenzial zur Vermeidung rechtlicher Betreuungen. Zugleich wird als wichtiges Instrument die Vernetzung der Akteure im Betreuungswesen beworben. 7. Wann ist die ursprünglich für 2017 angedachte Überarbeitung der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Betreuungsvereinen von 2008 abgeschlossen? Welche konkreten Änderungen sind geplant? Die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Betreuungsvereinen vom 30. Juli 2008 (AmtsBl. M-V 2008, S. 843) wurde zuletzt geändert durch die Zweite Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Betreuungsvereinen vom 18. Oktober 2016 (AmtsBl. M-V 2016, S. 1050). Sie tritt am 31. Dezember 2019 außer Kraft. Erste und vorläufige Arbeitsentwürfe des Fachressorts zur Änderung der Richtlinie vom 30. Juli 2008 sehen Vereinfachungen für das Förderverfahren vor. Zur Änderung dieser Förderrichtlinie ist das Einvernehmen mit dem Finanzministerium, dem Justizministerium und dem Landesrechnungshof herzustellen. Darüber hinaus ist eine breit angelegte Verbandsbeteiligung angezeigt und beabsichtigt.