Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 24. August 2018 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/2516 7. Wahlperiode 27.08.2018 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Henning Foerster, Fraktion DIE LINKE Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie sogenannte Wolfskinder und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Die Anfrage benennt ganz unterschiedliche Betroffenengruppen von Unrecht und Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges und fragt nach den Möglichkeiten ihrer Entschädigung. Es wird deshalb darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff „Zwangsarbeiter“ zum einen Menschen bezeichnet werden, die während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Regime, die deutsche Besatzungsmacht beziehungsweise deutsche Firmen leisten mussten. Dies kann sowohl Häftlinge aus Konzentrationslagern und andere Zivilisten als auch Kriegsgefangene betreffen. Zum anderen fallen unter den Begriff „Zwangsarbeiter“ gemäß § 1 der Richtlinie über eine Anerkennungsleistung an ehemalige deutsche Zwangsarbeiter (ADZ-Anerkennungsrichtlinie) auch die „deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen, die als Zivilpersonen während und nach dem Zweiten Weltkrieg für eine ausländische Macht Zwangsarbeit leisten mussten“. Mit dem Begriff „Wolfskinder“ im engeren Sinn gemeint sind Personen, die als Kinder in Ostpreußen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges elternlos wurden, ins Baltikum flüchteten oder dorthin gebracht wurden. Drucksache 7/2516 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 „Viele Jahre mussten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf eine Entschädigung warten. … Zwischen 2001 und 2007 erhielten die Überlebenden eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700 Euro. Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieben von der Entschädigung ausgeschlossen. …KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten den Maximalbetrag von 7.669 Euro (Kategorie A), Inhaftierte in Arbeitserziehungslagern und sogenannten ,anderen Haftstätten‘ bekamen zwischen 3.068 und 7.669 Euro, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie in der Regel 2.556 Euro (Kategorie B).… Im Rahmen der Öffnungsklausel erhielten unter anderem in der Landwirtschaft Eingesetzte und Kinderhäftlinge zwischen 536 und 2.235 Euro. Wenn die Betroffenen nach 1999 verstorben waren, hatten die Angehörigen Anspruch auf die Leistung. Gesonderte Entschädigungen wurden aus den weiteren Mitteln der Stiftung für Versicherungs-, Vermögens - und ,sonstige Personenschäden‘ gezahlt.“ Quelle: http:// www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/227273/derlange -weg-zur-entschaedigung. Die Schweriner Volkszeitung (SVZ) berichtete am 18. Januar sowie am 4./5. August 2018 über das Schicksal der sogenannten Wolfskinder. Demnach konnten noch lebende Personen auf Initiative der Gesellschaft für bedrohte Völker 2017 im Rahmen der Zwangsarbeiter-Entschädigung einen Antrag auf Zahlung einer symbolischen Summe von 2.500 Euro stellen. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung bezüglich der Anzahl der derzeit in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter? a) Wie viele der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter haben bundesweit sowie in Mecklenburg- Vorpommern einen Antrag auf Entschädigung gestellt? b) Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zum aktuellen Bearbeitungsstand (bewilligt, abgelehnt, in Bearbeitung etc.)? c) Inwieweit ist bzw. war die Antragstellung zeitlich begrenzt? Zu 1) Daten zur Anzahl der noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für das nationalsozialistische Regime beziehungsweise die deutsche Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges liegen der Landesregierung nicht vor. Zu a) Bundesweit sind bei der im Jahr 2000 zum Zweck der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingerichteten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) 2.316.517 Anträge eingegangen. Gesonderte Daten zu Mecklenburg- Vorpommern liegen nicht vor. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2516 3 Zu b) In der abschließenden Antragsstatistik der Stiftung EVZ vom 9. Juli 2008 (Deutscher Bundestag Drucksache 16/9963) werden hierzu folgende Zahlen benannt: Positiv entschiedene und ausgezahlte Anträge 1.659.132 Positiv entschiedene, aber nicht ausgezahlte Anträge („verfallen“) 12.559 Abgelehnte Anträge 644.826 Insgesamt wurden an 1,66 Mio. ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter 4,37 Mrd. Euro ausgereicht. Die Leistungen an die einzelnen Anspruchsberechtigten beliefen sich auf 500 bis 7.700 Euro. Gesonderte Daten zu Mecklenburg-Vorpommern liegen nicht vor. Zu c) Anträge bei der Stiftung EVZ konnten bis zum 31. Dezember 2001 gestellt werden, in Fällen unverschuldeter Fristversäumung bis zum 31. Dezember 2002. 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung bezüglich der Anzahl der derzeit in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern noch lebenden sogenannten Wolfskinder? a) Wie viele der noch lebenden sogenannten Wolfskinder haben bundesweit sowie in Mecklenburg-Vorpommern einen Antrag auf Entschädigung gestellt? b) Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zum aktuellen Bearbeitungsstand (bewilligt, abgelehnt, in Bearbeitung etc.)? c) Inwieweit ist bzw. war die Antragstellung zeitlich begrenzt? Zu 2) Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker leben in Litauen noch etwa 55 sogenannte „Wolfskinder“, in Deutschland einige hundert. Gesonderte Zahlen zu Mecklenburg- Vorpommern liegen nicht vor. Zu a) Zum 1. August 2015 trat die Anerkennungsrichtlinie für die Anerkennungsleistungen für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter (ADZ) in Kraft. Bis zum 31. Dezember 2017 konnten Anträge beim Bundesverwaltungsamt auf eine einmalige Leistung in Höhe von 2.500 € gestellt werden. Per 31. Mai 2018 lagen nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes 46.227 Anträge vor. Die Betroffenengruppe der „Wolfskinder“ wurde auf Initiative der Gesellschaft für bedrohte Völker im August 2017 nachträglich in den Kreis der Anspruchsberechtigten der ADZ aufgenommen . Für die Betroffenen galt ebenfalls die Antragsfrist 31. Dezember 2017. Drucksache 7/2516 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 Von den „Wolfskindern“ aus Litauen wurden 51 Anträge gestellt. Weitere Zahlen liegen nicht vor. Zu b) Bis zum 30. Juni 2018 wurden nach Information des Bundesverwaltungsamtes (BVA) von den 46.227 ADZ-Anträgen 16.442 Anträge abschließend bearbeitet. In 13.705 Fällen konnte ein Anerkennungsbescheid erteilt werden. 2.534 Anträge wurden abgelehnt. Gesonderte Zahlen zu Mecklenburg-Vorpommern liegen nicht vor. Zu c) ADZ-Anträge konnten bis zum 31. Dezember 2017 gestellt werden. 3. Bei welcher Behörde, Institution oder Einrichtung können in beiden Fällen ggf. noch Anträge auf eine Entschädigung gestellt werden? Zuständig für die Bearbeitung der Anträge war die Projektgruppe ADZ in der Außenstelle Hamm des Bundesverwaltungsamtes. Die Fristen zur Antragstellung sind abgelaufen. 4. Wie bewertet die Landesregierung den Stand der Aufarbeitung und Forschung zur Zwangsarbeit auf dem Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland sowie des jetzigen Bundeslandes Mecklenburg- Vorpommern in der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg ? Welchen weiteren Handlungsbedarf sieht sie diesbezüglich? Zur Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges liegt bundesweit inzwischen eine große Fülle an wissenschaftlichen Publikationen vor. Für Mecklenburg-Vorpommern ist der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern an vielen Orten vor allem in Einzelstudien dokumentiert. Als übergreifende Darstellungen sei auf die durch das Land geförderte Wanderausstellung und den Ausstellungkatalog „Zwangsarbeit im Ostseeraum 1939 bis 1945“ (herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Rostock e. V., Rostock 2006), die Publikation „Rüstung und Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Mecklenburg und Vorpommern“ (herausgegeben von Martin Albrecht, Schwerin, 3. Auflage 2007) sowie die Tagungsdokumentation „Zwangsarbeit in Pommern von 1939 bis 1950. Sachstand und Perspektiven der Forschung und der historischen Bildungsarbeit in Deutschland und Polen. Dokumentation der gemeinsamen Tagung des Stadtarchivs Greifswald und des Staatsarchivs Stettin in Greifswald am 29./30. November 2012, Greifswald/Szczecin 2014“ hingewiesen . Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2516 5 Träger der historisch-politischen Bildung, wie unter anderem das Dokumentationszentrum Prora e. V., laden zudem regelmäßig ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu Begegnungswochen mit Schülerinnen und Schülern nach Mecklenburg-Vorpommern ein. Beispielhaft für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema kann der Lehrpfad „Zwangsarbeit in der Nordstadt Neubrandenburgs 1939 bis 1945“ genannt werden. Auf insgesamt fünf Informationsstelen wird auf die Orte der Zwangsarbeit in der Stadt hingewiesen. 5. Wie bewertet die Landesregierung den Stand der Aufarbeitung und Forschung zur Geschichte der sogenannten Wolfskinder sowohl im nördlichen als auch im südlichen Teil des damaligen Ostpreußen (heute Polen)? Welchen weiteren Handlungsbedarf sieht sie diesbezüglich? Die Aufarbeitung und Forschung zur Geschichte der sogenannten Wolfskinder ist Gegenstand von über 30 deutschsprachigen Veröffentlichungen, darunter auch in den vergangenen Jahren entstandene Filmdokumentationen. 6. Welche parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen hat die Landesregierung in der Vergangenheit selbst ins Leben gerufen oder unterstützt, mit denen die Würde und Gerechtigkeit für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zumindest symbolhaft wieder hergestellt wird? a) Welche parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen bzw. Projekte beabsichtigt die Landesregierung, in naher Zukunft diesbezüglich ins Leben zu rufen oder zu unterstützen? b) Mit welcher Begründung beabsichtigt die Landesregierung, ggf. in naher Zukunft keine diesbezüglichen parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen bzw. Projekte ins Leben zu rufen oder zu unterstützen? Die Fragen 6, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die Landesregierung hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von Projekten und Initiativen unterstützt, die die Schicksale von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ins öffentliche Bewusstsein bringen und würdigen und wird dies auch in Zukunft tun. Unterstützung fanden in der Vergangenheit unter anderem Zeitzeugenbegegnungen, Publikationen, Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema. Drucksache 7/2516 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 6 Zudem sei darauf hingewiesen, dass das Thema „Zwangsarbeit“ bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen auf vielen Ebenen eine wichtige Rolle spielt. Deshalb finden sich beispielsweise auch in den Dauerausstellungen in der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin, im Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland in Schwerin oder im Historisch-Technischen Museum Peenemünde Informationen zum Themenkomplex „Zwangsarbeit“, wenngleich dieses Thema an den genannten Orten nicht im Mittelpunkt steht. Die jüngsten Initiativen zur Würdigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter betreffen die Bemühungen um die Erhaltung und pädagogische Erschließung ehemaliger KZ-Außenlager , in denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter untergebracht waren. So wird für das sogenannte ehemalige Lager Waldbau bei Neubrandenburg mit Unterstützung durch den Strategiefonds des Landes ein Konzept zur Sicherung, Erschließung und Gestaltung erarbeitet und umgesetzt. Im Ortsteil Retzow der Gemeinde Rechlin befindet sich ein ehemaliges Außenlager des KZ Ravensbrück, in dem Häftlingsfrauen untergebracht waren, die in Zwangsarbeit am Ausbau des Flugplatzes Lärz beteiligt waren. Nach Plänen der Gemeinde soll das Gelände in würdiger Form instand gesetzt und mit Informationselementen versehen werden. Das Land wird diese Initiative unterstützen. 7. Welche parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen bzw. Projekte hat die Landesregierung in der Vergangenheit selbst ins Leben gerufen oder unterstützt, mit denen die Würde und Gerechtigkeit für die sogenannten Wolfskinder zumindest symbolhaft wieder hergestellt wird? a) Welche parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen bzw. Projekte beabsichtigt die Landesregierung, diesbezüglich in naher Zukunft ins Leben zu rufen oder zu unterstützen? b) Mit welcher Begründung beabsichtigt die Landesregierung, diesbezüglich ggf. keine parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen bzw. Projekte ins Leben zu rufen oder zu unterstützen ? Die Fragen 7, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Parlamentarische oder außerparlamentarische Initiativen der Landesregierung zu diesem Themenbereich sind nicht geplant.