Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 9. November 2018 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/2740 7. Wahlperiode 12.11.2018 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Holger Arppe, fraktionslos Umsetzung des KMK-Beschlusses „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ in der Fassung vom 11. Oktober 2018 in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung 1. Welche Inhalte dieses Beschlusses gehen unmittelbar auf Anregungen des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur bzw. der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern zurück? Was hat die Vertreter von Mecklenburg-Vorpommern zu diesen inhaltlichen Impulsen bewogen? 2. Was war der Anlass für eine Neufassung des ursprünglichen Beschlusses vom 6. März 2009? Die Fragen 1 und 2 werden zusammenhängend beantwortet. Angesichts veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und aktueller politischer Herausforderungen sah es die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) als notwendig an, den Beschluss der KMK zur „Stärkung der Demokratieerziehung“ vom 6. März 2009 zu überarbeiten. Die Überarbeitung erfolgte durch die Gremien der Kultusministerkonferenz. Es gibt keine konkreten Inhalte des Beschlusses, die unmittelbar auf Anregungen des Landes Mecklenburg- Vorpommern zurückgehen. Drucksache 7/2740 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 3. Was genau versteht die Landesregierung darunter, wenn in dem genannten Papier davon die Rede ist, „dass es nicht ausreicht, sich auf den Willen einer Mehrheit zu berufen, um Demokratie als Herrschaftsform zu legitimieren“ (siehe KMK-Beschluss, Seite 2)? Inwiefern erscheint es der Landesregierung ggf. gerechtfertigt, bestimmte politische Ziele notfalls auch gegen den Willen der Mehrheit durchzusetzen ? Die vollständige Textpassage lautet: „Elementar ist die Einsicht, dass es nicht ausreicht, sich auf den Willen einer Mehrheit zu berufen, um Demokratie als Herrschaftsform zu legitimieren . Entscheidend ist die Bindung an Menschenrechte und Menschenwürde, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz sowie die Verfahren des Rechtsstaats, mögen diese auch mitunter langwierig und mühsam erscheinen.“ Von daher werden Mehrheitsentscheidungen nicht infrage gestellt, diese sind aber nur in der Rückbindung an elementare Grundrechte, wie sie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschreibt, auch als demokratisch legitim anzusehen. Damit werden weiterführende Kriterien zur Legitimation von Demokratie, die über Mehrheitsentscheidungen hinausgehen, dargelegt. Der KMK-Beschluss folgt hier dem Vorbild des Grundgesetzes. 4. Was genau versteht die Landesregierung darunter, wenn in dem KMK-Beschluss von einem „differenzierten Demokratiebegriff“ die Rede ist, „der zwischen demokratischen Umgangsformen im Hinblick auf Demokratie als Lebensform und den Demokratieprinzipien im Hinblick auf die politische Ausgestaltung als Herrschaftsform unterscheidet “ (siehe Seite 8, letzter Absatz)? Funktionierende Demokratien können sich nicht nur auf die Aufrechterhaltung von staatlichen Institutionen und demokratischen Verfahren beschränken. Demokratie benötigt darüber hinaus auch eine politische Kultur, verstanden als Gesamtheit der Einstellungen und Grundhaltungen von Bürgerinnen und Bürgern zur Demokratie, die den normativen Gehalt des freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaates grundsätzlich mitträgt. Weiterhin setzt eine lebendige Demokratie mündige und handlungsfähige Bürgerinnen und Bürger voraus, die sich an der politischen Willensbildung beteiligen. Unter dieser in der Wissenschaft unbestrittenen Prämisse kann sich die Auseinandersetzung mit Demokratie in der Schule nicht auf die Vermittlung der Funktionsweise von politischen Institutionen beschränken. Vielmehr müssen auch die persönlichen Voraussetzungen, um aktiv an demokratischen Prozessen teilhaben zu können, entwickelt werden. Die Achtung der Menschenwürde und die Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Lebensweisen sind personale Grundvoraussetzungen, ohne die Demokratien nicht funktionieren. Auf die schulische Praxis bezogen heißt das unter anderem, dass demokratische Prinzipien im Rahmen des Möglichen auch vorgelebt und eingeübt werden müssen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2740 3 5. In dem Papier werden durchgängig Begriffe wie Demokratiefeindlichkeit , Geschichtsrevisionismus, vereinfachende Gesellschaftsbilder , gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Fundamentalismus , Sexismus, Homophobie, politischer Extremismus usw. verwendet. Wie können aus Sicht der Landesregierung diese Begriffe so definiert werden, dass sie nicht zu einseitigen bzw. ideologisch aufgeladenen „Kampfvokabeln“ im Dienste aktueller politischer Auseinandersetzungen werden? Die Begriffe werden größtenteils im wissenschaftlichen Diskurs verwendet und unterliegen daher entsprechenden Definitionen oder Definitionsversuchen. Dabei sind trotz aller üblichen Variationen zentrale Elemente in der seriösen wissenschaftlichen Debatte Konsens: - Rassismus ist eine Ideologie, die eine prinzipielle, mit biologischen Argumenten begründete Ungleichheit zwischen Menschen behauptet, daraus den Überlegenheitsanspruch der jeweils eigenen Rasse oder Gruppe ableitet und diskriminierendes Verhalten gegenüber Fremden fördert. - Der Sammelbegriff gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit umfasst abwertende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. - Sexismus bezeichnet im Allgemeinen jede Form der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts, die auf Vorstellungen der sozialen Ungleichheit von Frauen und Männern basieren und sich in Stereotypen und Verhaltensweisen zeigen. - Unter Homophobie ist die Feindseligkeit gegenüber Menschen zu verstehen, die homosexuell sind oder eine andere sexuelle Orientierung haben. - Politischer Extremismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er die Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates ablehnt oder einschränkt, entweder hinsichtlich seiner konstitutionellen Komponenten (zum Beispiel Gewaltenteilung, Grundrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit ), oder seiner normativ demokratischen Komponenten (zum Beispiel Volkssouveränität , Ethos menschlicher Fundamentalgleichheit). - In ähnlicher Weise wird der Begriff demokratiefeindlich verwendet. - Der Begriff Fundamentalismus ist vielschichtig, meint aber im hiesigen Kontext vor allem die theoretischen, auch religiösen Grundlegungen und praktischen Organisationsformen eines Anti-Modernismus. - Geschichtsrevisionismus ist ein wesentlicher Bestandteil rechtsextremer Ideologien, der Geschichtsschreibung zum Beispiel über den Nationalsozialismus aus politischer Motivation umdeutet, um so die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren. Die Lehrinhalte in der Schule basieren grundsätzlich auf Wissenschaftlichkeit, insofern werden hier auch die gebräuchlichsten Begriffsdefinitionen genutzt. Eine einseitige oder ideologische Verwendung wird zudem durch die Pflicht zur Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses im Schulunterricht verhindert. Der Konsens besagt vor allem, dass Schülerinnen und Schüler nicht indoktriniert oder in ihrer Meinungsbildung durch Vorgaben der Lehrkräfte überwältigt werden dürfen. Drucksache 7/2740 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 Außerdem muss die Kontroversität von gesellschaftlichen Debatten zu politischen Themen, die sich nicht zuletzt in den Haltungen der unterschiedlichen Parteien widerspiegelt, auch stets in der Bildungsmaßnahme abgebildet werden. Meinungen, Haltungen und Aktivitäten, die sich gegen den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes richten, können sich freilich nicht auf das Kontroversitätsgebot berufen. Ihnen darf und muss widersprochen werden. Von der Sphäre der staatlichen Bildung und der Wissenschaft ist jedoch der Gebrauch der oben aufgeführten Begriffe im Rahmen des politischen Wettbewerbs zu unterscheiden. 6. Wie will die Landesregierung in der täglichen Schulpraxis sicherstellen , dass es nicht trotz des Beutelsbacher Konsenses zu einer politischen Indoktrination der Schüler durch ihrerseits sich politisch positionierende Lehrkräfte einerseits oder an den Schulen tätige sogenannte zivilgesellschaftliche Akteure andererseits kommen kann? Die Arbeit der Lehrkräfte erfolgt auf Basis klarer Regelungen und Vorgaben (Schulgesetz) und nicht zuletzt auch unter besonderer Beachtung des Beutelsbacher Konsenses. Lehrkräfte dürfen und sollen gleichzeitig aktiv für die Werte des Grundgesetzes und die Bildungs- und Erziehungsziele des Schulgesetzes, wie Menschenrechte oder die Grundsätze demokratischer Partizipation, eintreten. Hierzu gehört im Unterricht auch eine Behandlung von in der Öffentlichkeit breit diskutierten Äußerungen einzelner Personen oder Gruppierungen, die sich gegen die Menschenwürde oder unsere freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Im Übrigen ist es bei Bedarf jederzeit möglich, das Gespräch mit der Lehrkraft, der Schulleitung oder der Schulaufsicht zu suchen. 7. Wen genau hat die Landesregierung im Auge, wenn im KMK-Beschluss wiederholt von „zivilgesellschaftlichen Akteuren“ die Rede ist, welche für Unterstützungsangebote herangezogen werden sollen (Abschnitte 5 und 6)? a) Sollten diese „zivilgesellschaftlichen Akteure“ aus Sicht der Landesregierung das gesamte politische Spektrum in Mecklenburg-Vorpommern abbilden? b) Wenn nicht, nach welchen Kriterien soll an dieser Stelle selektiert werden? Die Fragen 7, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Unter Zivilgesellschaft versteht man allgemein den nicht-staatlichen politischen Raum, in dem freiwillige Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern öffentlich agieren. Gemeinhin wird eine große Bandbreite an Akteuren zur Zivilgesellschaft gezählt, unter anderem Vereine, Stiftungen, Kirchen, Verbände, Bürgerinitiativen oder internationale Nichtregierungsorganisationen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2740 5 Die Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses, insbesondere das darin beschriebene Kontroversitätsgebot, stellt die Abbildung des gesellschaftlichen Meinungsspektrums und damit gleichzeitig die Pluralität von Zivilgesellschaft im Unterricht sicher. Die Grenzen dieses Spektrums ergeben sich aus dem Grundgesetz, der Landesverfassung und dem Schulgesetz. 8. Wird die Landesregierung die im KMK-Beschluss angekündigte „Anerkennung und Auszeichnung von bürgerschaftlichem Engagement , beispielsweise durch Hinweise auf den Zeugnissen“, umsetzen? a) Wenn ja, in welcher Form? b) Wie genau definiert die Landesregierung „bürgerschaftliches Engagement“? c) Was will die Landesregierung mit solchen Maßnahmen konkret erreichen? Die Fragen 8, a), b) und c) werden zusammenhängend beantwortet. Unter bürgerschaftlichem Engagement versteht man im Allgemeinen die freiwillige und unentgeltliche Tätigkeit von Bürgerinnen und Bürgern für das demokratische Gemeinwesen, die in vielen unterschiedlichen Teilbereichen der Gesellschaft (beispielsweise Soziales, Kultur, Politik, Umwelt oder Bildung) erfolgen kann. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität der Demokratie ist ein breites bürgerschaftliches Engagement unabdingbar. Vor diesem Hintergrund ist Lernen durch Engagement eine Lehr- und Lernform, die den Unterricht in der Schule und den Einsatz von Schülerinnen und Schülern für das Gemeinwohl außerhalb der Schule miteinander verbinden kann. Schülerinnen und Schüler können hierdurch ihre sozialen und demokratischen Kompetenzen erweitern, indem erlerntes Wissen mit Praxiserfahrungen verknüpft wird. Ein gesetzlicher Anspruch auf Ausstellung eines Zeugnisses oder einer Bescheinigung über ehrenamtliche Tätigkeiten besteht nicht. Dennoch ist ein entsprechender Hinweis beispielsweise unter „Vermerke“ (Verwaltungsvorschrift über die Allgemeinen Bestimmungen über die Zeugnisse und für die Zeugniserteilung allgemeinbildender Schulen) oder über ein Beiblatt zum Schulzeugnis möglich. 9. Kann sich die Landesregierung Sanktionen gegen Schüler vorstellen, deren Verhalten im Widerspruch zu den im vorliegenden KMK-Beschluss dargelegten Grundsätzen steht? Wenn ja, welche? Schulische Sanktionen gegenüber Schülerinnen und Schülern beruhen ausschließlich auf den gesetzlichen Regelungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Formen der Sanktionen sind in §§ 60, 60a des Schulgesetzes festgeschrieben.