Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/2833 7. Wahlperiode 03.01.2019 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Christel Weißig, Fraktion der BMV Archivierung und Vernichtung von Adoptionsakten der DDR und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gab es Fälle politisch motivierter Kindesentziehung. Das Familiengesetzbuch der DDR bot die Möglichkeit, Eltern das Erziehungsrecht zu entziehen und Kinder aus politischen Gründen in Heime einzuweisen. Auch die Durchführung von Zwangsadoptionen war in der DDR möglich. Über den Umfang der Zwangsadoptionen in der DDR liegen aber keine belastbaren Zahlen vor. In der Beratungsarbeit der Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR wird in der Unterscheidung zu einer „normalen“ Adoption mit folgender Definition einer Zwangsadoption abgegrenzt: Kindesentzug aufgrund politischen Verhaltens der Eltern ohne vorherige Gefährdung des Kindeswohls und die Adoption der Kinder ohne Vorliegen der elterlichen Einwilligung. Ergänzend hierzu müssen auch Sachverhalte entsprechend gewertet werden, in denen unter massiver Einwirkung die elterliche Einwilligung erwirkt worden ist. In der DDR gab es ausschließlich die Inkognitoadoption. Das heißt, abgebende Eltern erhielten keine Informationen über die Entwicklung und über den Werdegang ihres Kindes und eine Begleitung des erwachsenen Adoptierten, der seine natürlichen Wurzeln sucht, war ebenfalls nicht vorgesehen. Die Adoptionsakten in der DDR sind zudem in keinster Weise mit den heutigen Akten vergleichbar. Das Wissen der Akteure in den Referaten Jugendhilfe resultierte nach Erkenntnissen der Landesregierung aus der pädagogisierten Ausbildung und gegebenenfalls aus der selbst erfahrenen Sozialisation mit den entsprechenden Werten. Drucksache 7/2833 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Welche Informationen und mit welcher Bewertung durch den Jugendfürsorger an die Adoptiveltern weitergegeben oder archiviert wurden, lag im Ermessen der einzelnen Jugendfürsorger . Wie auch aus der Vorstudie („Dimension und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren, 1966 bis 1990) hervorgeht, ist es sinnvoll, neben den (oft sehr „dünnen“) Adoptionsakten weitere Akten hinzuziehen, wie beispielsweise Jugendhilfeakten, polizeiliche Führungsakten, Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Gerichtsakten und andere. Soweit Akten aus der DDR vorhanden waren, wurden diese von den einzelnen Gebietskörperschaften in Mecklenburg-Vorpommern übernommen. Indes ist darauf hinzuweisen, dass in einzelnen Archiven, wie zum Beispiel im Stadtarchiv der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, Aktenbestände aus den Zeiträumen bis in die 1960er-Jahre nie angekommen sind. Diese Akten gelten bis heute als verschollen. Im Ergebnis kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Adoptionsakten aus der DDR-Zeit vorhanden sind. 1. Wie lange und auf welcher Rechtsgrundlage werden Adoptionsakten der DDR aufbewahrt? Soweit Aktenbestände vorhanden waren beziehungsweise sind, werden diese nach § 9b des Adoptionsvermittlungsgesetzes (AdVermiG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010), 100 Jahre ab Geburt des Kindes aufbewahrt - zuvor waren es 60 Jahre. 2. Wie viele Adoptionsakten, die aus den Archiven der DDR stammen, wurden seit der Wiedervereinigung in Mecklenburg-Vorpommern übernommen? Wie viele Adoptionsakten a) wurden archiviert? b) betrafen politisch motivierte Zwangsadoptionen? c) wurden zwischenzeitlich vernichtet? Zu den Fragen 2, a), b) und c) kann die Landesregierung keine Aussagen treffen, da keine statistischen Erhebungen hierzu erfolgten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2833 3 3. Wie viele Menschen haben seit Bestehen des Landes Mecklenburg- Vorpommern nach ihrer Zwangsadoption nach ihren Angehörigen gesucht bzw. suchen nach ihnen? Betroffene Familien mit Anfragen zu diesem Themenbereich können sich an die Zentrale Adoptionsstelle , die jeweiligen Adoptionsvermittlungsstellen und die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR wenden. Im Land Mecklenburg-Vorpommern wandten sich im angefragten Zeitraum über 100 Betroffene im Zusammenhang mit der Klärung von Adoptionsverfahren an die Landesbeauftragte . Die Zentrale Adoptionsstelle sowie die Adoptionsvermittlungsstellen haben ebenfalls im angefragten Zeitraum entsprechende Beratungen sowie Begleitungen getätigt. Es konnte beobachtet werden, dass die Betroffenen in nahezu allen Fällen mehrere Beratungsstellen entweder zeitgleich oder nacheinander in Anspruch genommen haben. Zudem wenden sich viele Betroffene parallel an alle Zentrale Adoptionsstellen entweder bundesweit und/oder in den neuen Bundesländern . 4. Wie wurden bzw. werden diese Menschen dabei unterstützt? Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, die Zentrale Adoptionsstelle sowie die Adoptionsvermittlungsstellen des Landes stehen für Beratung, Unterstützung bei den notwendigen Archivrecherchen und für die Begleitung der betroffenen Familien als Ansprechpartner zur Verfügung. Die beteiligten Fachstellen handeln, wissend um die Sensibilität der Thematik, in den Fällen, in denen sich Betroffene mit der Vermutung einer Zwangsadoption an sie wenden, verantwortungsvoll und feinfühlig. Nach der geltenden Rechtslage haben Adoptierte nach ihrem sechzehnten Geburtstag ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht, um über ihre Herkunft und Lebensgeschichte Auskunft zu bekommen (§ 9b Absatz 2 AdVermiG). Eine Zustimmung der Adoptiveltern ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich. Bis zur Volljährigkeit des Adoptivkindes ist die Akteneinsicht dem gesetzlichen Vertreter und der gesetzlichen Vertreterin gestattet. Die Einsichtnahme erfolgt stets unter Begleitung durch eine Fachkraft. Die Herausgabe der Akte an die Betroffenen oder deren Bevollmächtigte (zum Beispiel Rechtsanwalt, kommerzieller Suchdienst) ist nicht vorgesehen. Soweit ein Einsichtsrecht in die Adoptionsakten besteht, können Kopien angefertigt und ausgehändigt werden. Die Akteneinsicht bezieht sich auf alle Informationen, die Herkunft und Lebensgeschichte des Adoptierten selbst betreffen. Daten, die darüber hinaus zusätzlich oder ausschließlich andere Personen betreffen (zum Beispiel Adresse der leiblichen Mutter, Name angeblicher leiblicher Väter) dürfen dagegen nicht eingesehen werden, wenn die fraglichen Personen ein berechtigtes Interesse auf Geheimhaltung haben, welches das Interesse des Suchenden an der Kenntnis der Daten überwiegt. Drucksache 7/2833 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 Vor der Einsichtnahme in personenbezogene Daten Dritter sind diese zu informieren und über entgegenstehende Interessen zu befragen. Eine Einsicht mit Einverständnis der Betroffenen ist stets möglich. Dieses sollte aktenkundig gemacht werden. Kann die Adresse der gesuchten Person vom Jugendamt nicht ermittelt werden und ergeben sich auch aus den Akten keinerlei Hinweise auf entgegenstehende Interessen, so dürfen die entsprechenden Informationen vom Adoptierten eingesehen werden. Führt die Interessenabwägung zu der Überzeugung, dass nach § 9b Absatz 2 AdVermiG eine Akteneinsicht nur zum Teil zu gewähren ist, soll so offen wie möglich über die Natur der nicht zur Kenntnis gegebenen Dokumente informiert werden. Während der Einsichtnahme können in der Akte für herausgenommene Seiten leere Blätter mit Hinweis auf den Charakter der entnommenen Unterlagen eingefügt werden. Allgemeine Hinweise sind stets möglich, sofern sie einer konkreten Person nicht zugeordnet werden können. Andere Personen, wie zum Beispiel leibliche Eltern, Großeltern oder leibliche Geschwister, haben grundsätzlich keinen rechtlichen Anspruch auf die Herausgabe von Informationen über Familienmitglieder, die zur Adoption gegeben wurden. Hier stellt sich den Adoptionsfachkräften die Aufgabe, Adoptierte über Informations- oder Kontaktwünsche zu informieren, um ihnen eigene Entscheidungen zu ermöglichen. Das Einverständnis der Betroffenen in die Weitergabe von Informationen hat stets schriftlich zu erfolgen, soweit nicht wegen der besonderen Umstände eine andere Form angemessen ist (vergleiche § 67b Absatz 2 Satz 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X). Grundsätzlich gelten diese Ausführungen auch für die DDR-Adoptionsakten. Bereits in der in der Vorbemerkung angeführten Vorstudie sowie in den derzeit laufenden Vorbereitungen zur Hauptstudie zeigt sich, dass es eines besonderen Datenschutzkonzeptes sowie entsprechend geschulter sowie erfahrener Fachkräfte bedarf, um Adoptionsakten zu lesen beziehungsweise auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten untersuchen zu können. Weiter ist zu beachten, dass in der DDR ausschließlich Inkognitoadoptionen durchgeführt worden sind. Auch wenn mittlerweile die meisten Adoptierten allein durch eine eigene Eheschließung bedingt Kenntnis darüber haben dürften, dass sie adoptiert sind (zur Aufgebotsbestellung werden entsprechende standesamtsrechtliche Personenstandsurkunden ausgestellt, das heißt auch die Geburtsurkunden sind dann mit den Namen der abgebenden Eltern versehen), sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Adoptierte nichts von seiner Adoption weiß. In diesen Fällen muss mit außerordentlicher Sensibilität und entsprechender fachlicher Begleitung agiert werden. 5. Gibt es seitens der Landesregierung Überlegungen, sich im Land und auf Bundesebene dafür einzusetzen, durch Zwangsadoptionen in der DDR bewirktes Unrecht durch eine Öffnung bereits archivierter Adoptionsakten aufzuklären? Datenschutzrechtliche Regelungen, insbesondere die speziellen des Adoptionsvermittlungsgesetzes lassen eine Öffnung der Adoptionsunterlagen nicht zu. Zu beachten sind zudem das Bundes- und die jeweiligen Länderdatenschutzgesetze, die Europäische Datenschutzverordnung und die betreffenden Archivgesetze. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2833 5 § 1758 des Bürgerlichen Gesetzbuches spricht grundsätzlich das Verbot aus für jegliche Informationsweitergaben , die auf die Adoption und ihre Umstände schließen lassen könnten, außer wenn die Annehmenden und der Adoptierte dem zustimmen. Es besteht das Offenbarungs- und Ausforschungsverbot. Die Notwendigkeit der Erforschung und Aufklärung der Thematik „Zwangsadoptionen in der DDR“ wurde durch Bund und Länder aber bereits gesehen und 2017/2018 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und der damaligen Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Länder eine Vorstudie zum Thema erstellt (siehe Vorbemerkung). Im Sinne einer Machbarkeitsstudie lieferte diese Vorstudie konzeptionelle und praktische Überlegungen für eine ab 2019 geplante Hauptstudie „Politisch motivierte Kindesentzüge mit dem Ziel der Adoption in der DDR 1949 bis 1990“.