Der Minister für Inneres und Europa hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 15. Januar 2019 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/2875 7. Wahlperiode 17.01.2019 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Karen Larisch, Fraktion DIE LINKE Abschiebung eines abgelehnten tschetschenischen Asylbewerbers und ANTWORT der Landesregierung Das Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern wies in der Pressemitteilung Nr. 161 vom 19. November 2018 vom Flüchtlingsrat Hamburg erhobene Vorwürfe im Zusammenhang mit der Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers aus der Russischen Föderation entschieden zurück Quelle: https://www.regierung-mv.de/Landesregierung /im/Aktuell/?id=144929&processor=processor.sa.pressemitteilung . 1. Wann und unter welchen Umständen wurde der traumatisierte und suizidgefährdete, abgelehnte Asylbewerber und tschetschenische Familienvater Ruslan A. mit dem Ziel der Abschiebung zum Zwecke seiner Verbringung nach Hamburg in Stralsund festgenommen? Herr A. sprach am 13. November 2018 zur Verlängerung seiner Duldung bei der zuständigen Ausländerbehörde vor. Da zum einen keine Duldungsgründe vorlagen und zum anderen sowohl die Ausreisefrist abgelaufen war und Herr A. zudem ein Verhalten gezeigt hatte, welches erwarten ließ, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln würde, wurde im Vorfeld von der Ausländerbehörde der Antrag auf Ausreisegewahrsam beim Amtsgericht Stralsund gestellt. Der Beschluss zur vorläufigen Ingewahrsamnahme lag für den 13. November 2018 vor. Bei Vorsprache wurde Herr A. dann durch die Beamten der Polizeiinspektion (PI) Stralsund vorläufig festgenommen. Drucksache 7/2875 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 2. Inwieweit ist es in diesem Fall zutreffend und ansonsten üblich, dass Abschiebehäftlinge gefesselt und mit Sichtschutzbrillen versehen transportiert werden? In diesem Fall wurde dem Abzuschiebenden während des Transports eine Sichtschutzbrille angelegt. Nach vorliegenden Erkenntnissen bestand eine Gefährdung sowohl für die eingesetzten Beamten als auch für den Abzuschiebenden selbst. Zudem wurde aufgrund medizinischer Belange eine Schonhaltung vereinbart. Daher wurden die Hände ausnahmsweise vor dem Körper gefesselt. Daraus ergab sich für den Abzuschiebenden die Möglichkeit, sich abschnallen zu können. Mit der Sichtschutzbrille sollte verhindert werden, dass der Abzuschiebende in irgendeine Richtung gezielt und vorbereitet agieren kann. Die während eines Transports eines Abschiebehäftlings zu treffenden Maßnahmen beruhen jeweils auf Einzelfallentscheidungen der Polizeibehörden. 3. Durch a) wen, b) wann und c) wo erfolgte die medizinische Untersuchung, durch die festgestellt wurde, dass der Häftling reisefähig und nicht traumatisiert und suizidgefährdet ist? Die Frage 3, a), b) und c) werden zusammenhängend beantwortet. Nach § 60a Absatz 2d Aufenthaltsgesetz ist der Ausländer verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztlichen Bescheinigungen nach Absatz 2c über Erkrankungen, die eine Abschiebung beeinträchtigen können, unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen , es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Seitens Herrn A. wurden bis Ablauf des 14. November 2018 keine medizinischen Unterlagen vorgelegt, die auf eine eventuelle Traumatisierung, Suizidgefahr oder ähnliches hindeuteten. Erst zwei Tage nach der Ingewahrsamnahme, am 15. November 2018, reichte die Bevollmächtigte eine ärztliche Stellungnahme, datiert am 14. November 2018, ein. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2875 3 Ungeachtet der Tatsache, dass die ärztliche Stellungnahme nicht unverzüglich vorgelegt wurde, erfolgte am 17. November 2018 eine Untersuchung zu den medizinischen Bedingungen während der Rückführung in der Rückführungseinrichtung in Hamburg durch einen Arzt für Nervenheilkunde. Ergebnis der Begutachtung war, dass hinsichtlich der Reisefähigkeit keine ärztlichen Bedenken bei der geplanten Rückführung auf dem Land- und Luftweg bestehen, sofern die Maßnahme durch einen Arzt begleitet würde, was in der Folge auch geschah. 4. Welche Medikamente durfte der Abschiebehäftlinge mitführen? a) Warum durfte er gegebenenfalls keine Medikamente mit sich führen? b) Durch wen erfolgte während der Durchführung der Maßnahme (Festnahme und Zuführung nach Hamburg) eine Medikamentengabe ? Die Frage 4, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Grundsätzlich dürfen Abschiebehäftlinge alle notwendigen Medikamente mit sich führen beziehungsweise den Polizeibehörden zum Transport aushändigen. Herr A. führte im Zeitpunkt der Gewahrsamnahme allerdings keine Medikamente bei sich. Anlässlich der Prüfung der Hafttauglichkeit sofort nach der vorläufigen Festnahme wurden ihm auch keine Medikamente verordnet. Insofern erfolgte während der Durchführung der Maßnahme auch keine Medikamentengabe. 5. Inwieweit und mit welchem Ergebnis wurde bei der amtsärztlichen Untersuchung in Stralsund, Hamburg und/oder Berlin neben dem reinen Transportvorgang (Reisefähigkeit) auch die Frage der Anschlussbehandlung und die Frage der gesundheitlichen Verfassung kurz nach der Abschiebung nach Entlassung durch die Bundespolizei von der Amtsärztin/dem Amtsarzt untersucht? a) Falls dies nicht der Fall war, womit wird dies begründet? b) Mit welcher Begründung will sich die Landesregierung keine Kenntnis darüber verschaffen, falls sie keine Kenntnis darüber hat? Die Frage 5, a) und b) wird zusammenhängend beantwortet. Die Frage der generellen Möglichkeit einer Anschlussbehandlung für Tschetschenen in der russischen Föderation ist durch das Auswärtige Amt gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) positiv bestätigt. Über diese, auf das Zielland der Abschiebung bezogenen Hindernisse, hat das BAMF gegenüber Herrn A. bestandskräftig entschieden. Es stand danach fest, dass er in die Russische Föderation abgeschoben werden konnte. Drucksache 7/2875 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 An diese Entscheidung ist die Ausländerbehörde gebunden [§ 42 Satz 1 Asylgesetz (AsylG)]. Die für die Durchführung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde hat nur über andere (inlandsbezogene) Vollstreckungshindernisse zu entscheiden. Dazu gehören krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können. Die „Reisefähigkeit“ in diesem Sinne besteht nicht bei der Gefahr einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei oder aufgrund der Abschiebung, soweit diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Dies ist nicht nur anzunehmen, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das Verwaltungsgericht Greifswald hat mit seinem Beschluss vom 16. November 2018 die Rechtsauffassung der Ausländerbehörde bestätigt, dass die fehlende Reisefähigkeit mit dem Inhalt der durch den Antragsteller vorgelegten ärztlichen Begutachtungen nicht glaubhaft gemacht wurde. Die Reisefähigkeit im engeren Sinne ist dort nicht in Frage gestellt. Dass darüber hinaus Herrn A. durch die Abschiebung als solche eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr drohen würde, lässt sich den von ihm vorgelegten Begutachtungen ebenfalls nicht entnehmen. Die Reisefähigkeit wurde am 17. November 2018 durch die medizinische Untersuchung in der Rückführungseinrichtung in Hamburg bestätigt. Die Frage der tatsächlichen gesundheitlichen Verfassung kurz nach der Abschiebung nach der Entlassung durch die Bundespolizei kann nicht im Vorfeld der Maßnahme durch die Amtsärztin/den Amtsarzt untersucht werden. Die Abschiebung erfolgte aufgrund einer ärztlichen Prognose zur Reisefähigkeit. In diesem Fall war auch eine medizinische Begleitung während des gesamten Fluges gewährleistet. Mit der Ankunft im Herkunftsstaat ist die Abschiebung beendet. Es besteht keine Zuständigkeit und kein Recht einer medizinischen Untersuchung nach erfolgter Abschiebung. 6. Für welchen Zeitraum war während der Maßnahme in Stralsund und bei der Verbringung von Stralsund nach Hamburg ein Dolmetscher /eine Dolmetscherin anwesend? Wenn dies nicht oder nur für einen Bruchteil der Fall war, womit wird dies begründet? Die Fragen werden zusammenhängend beantwortet. Bei der Anhörung vor dem Haftrichter am Amtsgericht Stralsund war ein Dolmetscher anwesend. Jedoch kann sich Herr A. gut in deutscher Sprache verständigen. Auch liegt ein Sprachnachweis Niveau A2 vor. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/2875 5 7. Inwieweit ist es zutreffend, dass die Ausländerbehörde des Landkreises ein psychiatrisches Gutachten nicht anerkannt hat? Auf welcher Begründung fußt die Nichtanerkennung? Die Fragen werden zusammenhängend beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 8. Inwieweit ist es zutreffend, dass die Beamten in Hamburg bei der nochmaligen Begutachtung und Befragung die Anwesenheit der Anwältin und eines Dolmetschers verhindert haben? Wenn die Landesregierung darüber keine Kenntnis hat, warum verschafft sie sich diese nicht? Die Fragen werden zusammenhängend beantwortet. Nach Kenntnis der Landesregierung stand zu keinem Zeitpunkt in Rede, dass die Anwältin bei der Begutachtung am 17. November 2018 anwesend sein wollte. Hinsichtlich des Dolmetschers wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 9. Inwieweit hat die Landesregierung Kenntnis davon, dass immer wieder Vorwürfe gegen die Bedingungen der Unterbringung und das praktizierte Verfahren im Abschiebegewahrsam Hamburg erhoben werden? a) Welches wäre der nach Hamburg nächstgelegene Abschiebegewahrsam ? b) Mit welcher Begründung wird dieser nicht von der Landesregierung genutzt? Die Fragen 9, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse hierzu vor, dass Vorwürfe gegen die Bedingungen der Unterbringung und das praktizierte Verfahren im Abschiebgewahrsam Hamburg erhoben werden. Da das Land Mecklenburg-Vorpommern keine eigene Abschiebegewahrsamseinrichtung betreibt, ist es auf die Verfügbarkeit von Plätzen anderer Bundesländer angewiesen. Danach richtet sich die Auswahl der Einrichtung in erster Linie. Der bezogen auf die Fahrzeit nach Hamburg nächstgelegene Abschiebegewahrsam befindet sich in Hannover- Langenhagen. Dieser Abschiebegewahrsam wird auch von der Landesregierung genutzt, sofern Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Drucksache 7/2875 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 6 10. Wie bewertet die Landesregierung den Beschluss des 107. Deutschen Ärztetages im Zusammenhang mit der Rückführung zur Ausreise verpflichteter Ausländerinnen und Ausländer, der unter anderem fordert, „die Beschränkung einer medizinischen Begutachtung auf bloße „Reisefähigkeit“ eindeutig abzulehnen, da sie nicht mit den ethischen Grundsätzen ärztlichen Handels vereinbar ist.“ und den Gesetzgeber auffordert, „die Grundlage dafür zu schaffen, dass eine kompetente, umfassende und der ärztlichen Sorgfalt entsprechende Begutachtung zu jeder Zeit der Inanspruchnahme bei der Rückführung von Ausländern sichergestellt wird.“ (Quelle: https://www.bundesaerztekammer .de/aerztetag/beschlussprotokolle-ab-1996/107-daet-2004/zupunkt -vi-der-tagesordnung-taetigkeitsbericht-der-bundesaerztekammer /sonstiges/begutachtung-der-rueckfuehrungsfaehigkeit-von-auslaendern /)? Die Landesregierung vertritt die Auffassung, dass das aktuelle Asyl- und das Aufenthaltsrecht die bundes- und europarechtlich ausgestalteten Rechte von Ausländerinnen und Ausländern wahrten. Insbesondere im Rahmen von Chartermaßnahmen, wie in dem hier vorliegenden Fall, ist die Möglichkeit einer ärztlichen Inanspruchnahme zu jedem Zeitpunkt der Rückführung sichergestellt.