Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 28. Januar 2019 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/3037 7. Wahlperiode 29.01.2019 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt, Fraktion DIE LINKE Betreuungswesen in Mecklenburg-Vorpommern und ANTWORT der Landesregierung Die zentralen Ergebnisse der rechtstatsächlichen Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Qualität der rechtlichen Betreuung identifizierte 2018 drei wesentliche Problemfelder: 1. erhielten die Betroffenen bei der Geltendmachung und der Realisierung von Sozialleistungsansprüchen von der zuständigen Stelle nicht die in dem individuell erforderlichen Maß notwendige Unterstützung , 2. entlasteten sich die anregenden Instanzen von notwendigen eigenen Aufgaben, indem diese an rechtliche Betreuerinnen und Betreuer übertragen werden und 3. stünden Hilfen mit dem erforderlichen hohen Funktionsniveau in Bezug auf individuelle Assistenz und umfassendes Fallmanagement nicht (ausreichend) zur Verfügung. 1. Wie schätzt die Landesregierung die Ergebnisse der Untersuchung für Mecklenburg-Vorpommern ein (bitte detailliert darstellen und insbesondere auf die drei aufgeworfenen Problemfelder separat eingehen )? 2. Wie weit ist der Diskussionsprozess der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf der Bundesebene? Welche Ergebnisse liegen bereits vor? Die Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet. Drucksache 7/3037 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Im April 2018 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) als Auftraggeber den Abschlussbericht zur rechtstatsächlichen Untersuchung „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ auf seiner Homepage veröffentlicht (https://www.bmjv.de/Shared Docs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Bet reuung.html). Ziel dieses Forschungsvorhabens war es unter anderem, empirische Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie das Betreuungsrecht in der Praxis umgesetzt wird, welche Qualitätsstandards dabei leitend sind, ob und gegebenenfalls welche strukturellen Qualitätsdefizite mit welchen Ursachen aufgezeigt werden können. Der Abschlussbericht des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (ISG) stellt in Abschnitt 10 die zentralen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der rechtlichen Betreuung dar. Die Eingangsbemerkung der Kleinen Anfrage greift diese Untersuchung auf, nimmt aber hinsichtlich der bezeichneten Problemfelder inhaltlich auf eine weitere rechtstatsächliche Untersuchung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“ Bezug. Dieser Abschlussbericht der IGES Institut GmbH ist zu Beginn des Jahres 2018 auf der Internetseite des BMJV veröffentlicht worden (https://www. bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Abschlussbericht_BandI+II_Forschungsvorhaben _Erforderlichkeitsgrundsatz.html). Beide Forschungsberichte sind zudem in Buchform im Bundesanzeiger Verlag erschienen. Band I des Abschlussberichts zum „Erforderlichkeitsgrundsatz“ umfasst 390 Seiten und beinhaltet zentrale Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Die Landesregierung begrüßt, dass mit dem Abschluss der Forschungsvorhaben zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes und zur Qualität in der rechtlichen Betreuung wichtige Beiträge zur Bewertung und Fortentwicklung des Betreuungswesens geleistet wurden. Anlässlich der 89. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 6. und 7. Juni 2018 haben die Justizministerinnen und Justizminister die damit eingeleitete Diskussion einer Reform des Betreuungsrechts unter anderem in Bezug auf strukturelle Änderungen an der Schnittstelle zum Sozialrecht begrüßt und die Notwendigkeit unterstrichen, nach Vorlage der vorbezeichneten Abschlussberichte die Reformdebatte über das Betreuungswesen nachhaltig fortzuführen und insbesondere dem Erforderlichkeitsgrundsatz stärker Rechnung zu tragen, wonach ein rechtlicher Betreuer als „ultima ratio“ nur dann bestellt werden darf, wenn andere Hilfen nicht in gleicher Weise greifen. Band I des Abschlussberichts zum „Erforderlichkeitsgrundsatz“ weist auf mögliches Potenzial zur Vermeidung rechtlicher Betreuungen beziehungsweise zur Begrenzung der Aufgabenkreise eingerichteter Betreuungen durch eine optimierte Nutzung „anderer sozialer Hilfen“ hin (vergleiche Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage auf Drucksache 7/1953). Nach den Befragungsergebnissen des Forschungsinstituts haben Betreuungsbehörden , Betreuungsrichter und Berufsbetreuer angegeben, dass es im nicht unerheblichen Umfang zu rechtlichen Betreuungen kommt, bei denen die Beantragung, Durchsetzung und Prüfung von Leistungen von Sozialleistungsträgern im Vordergrund stehen und Betroffene nicht in dem individuell erforderlichen Maße unterstützt werden. Ferner benennt die Studie als weiteres Problemfeld, dass rechtliche Betreuungen im stärkeren Maße vermeidbar wären, soweit andere Hilfen mit einem hinreichend hohen Funktionsniveau in Bezug auf individuelle Assistenz und umfassendes Fallmanagement zur Verfügung stünden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/3037 3 Diese Hilfen seien aber nicht durchgängig vorhanden oder mancherorts überlastet. Zudem sei aus den Freitextangaben der Betreuungsbehörden, der Betreuungsrichter und Betreuer sowie aus den Angaben in den qualitativen Interviews erkennbar, dass Betreuungen eingerichtet würden, mit denen sich die anregenden Instanzen nicht selten von aufwendigen Aufgaben entlasten. Zu diesem Problemfeld („Instrumentalisierung“) beinhaltet der Abschlussbericht allerdings keine Quantifizierung der Häufigkeit. Als allgemeine und übergreifende Kriterien für besonders wirksame „andere Hilfen“ hat das Forschungsvorhaben zum Erforderlichkeitsgrundsatz die nachfolgenden Punkte benannt: - personenzentrierter Aufgabenzuschnitt und Aufgabenverständnis, - aufsuchende und nachgehende Arbeitsweise, - Kontinuität der Hilfe und Ansprechpartner, - umfangreiche (sozial-)rechtliche Kenntnisse sowie Vertrautheit mit den regionalen Hilfestrukturen (vergleiche Abschlussbericht Erforderlichkeitsgrundsatz, Band I, Abschnitt 3, Seite 147 ff.) Möglichen Reformüberlegungen steht die Landesregierung aufgeschlossen gegenüber. Es ist zu begrüßen, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nachfolgend zu den Forschungsvorhaben einen partizipativ angelegten Diskussionsprozess mit der Einrichtung von Facharbeitsgruppen nebst Plenum eröffnet hat, in denen die Forschungsergebnisse umfassend auf mögliche Änderungen im Bundesrecht mit Schwerpunkt im Betreuungsrecht ausgewertet werden. Dieser Prozess zur Verbesserung der Qualität im Betreuungswesen und zur weiteren Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen im Sinne von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention ist mit einer Auftaktveranstaltung im Juni 2018 eingeleitet worden. In jeweils drei bis vier mehrtägigen Beratungen werden sich die interdisziplinär besetzten Facharbeitsgruppen bis in den Herbst 2019 mit den Gutachten befassen; zudem sind übergreifend Plenarsitzungen vorgesehen. Deren Ergebnisse sollen nach den Vorstellungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in gegebenenfalls konkrete Handlungsempfehlungen zu gesetzgeberischen Maßnahmen münden. An den Facharbeitsgruppen und im Plenum sind unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Justiz- und Sozialressorts der Länder beteiligt. Ergebnisse stehen bisher aus. Einzelheiten aus dem laufenden Diskussionsprozess sind einer Veröffentlichung nach den Vorgaben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz nicht zugänglich. Die Landesregierung wird diesen Prozess begleiten und ist justizseitig in einer der Facharbeitsgruppen sowie im Plenum vertreten. Drucksache 7/3037 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 3. Plant die Landesregierung mit Blick auf die Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2020/2021 des Landes Mecklenburg- Vorpommern eigene Vorhaben vor Beendigung des Diskussionsprozesses auf Bundesebene? a) Wenn ja, welche? b) Ist insbesondere die Stärkung der Betreuungsvereine durch Aufstockung der entsprechenden Mittel im Landeshausalt vorgesehen? Die Fragen 3, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Zum derzeitigen Zeitpunkt plant die Landesregierung keine eigenen Vorhaben im Sinne der Fragestellung. Die Landesregierung erachtet die Initiierung eigener Vorhaben des Landes bereits vor Beendigung des Diskussionsprozesses auf Bundesebene als ebenso wenig zielführend, wie eine Stärkung der Arbeit der Betreuungsvereine allein durch eine Aufstockung von Landesmitteln, ohne gleichzeitig eine Betrachtung und Bewertung materiell-inhaltlicher Aspekte vorzunehmen. Die Landesregierung bevorzugt demgegenüber eine Gesamtbetrachtung der für die Tätigkeit der Betreuungsvereine relevanten und bestimmenden Faktoren und Indikatoren. 4. Gibt es Pläne zur Änderung der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Betreuungsvereinen? a) Wenn ja, wie sehen diese aus? b) Wie ist der Stand der Umsetzung? Die Fragen 4, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Betreuungsvereinen vom 30. Juli 2008, nach der Projekte zur Durchführung der Querschnittsaufgaben von Betreuungsvereinen in Mecklenburg-Vorpommern gefördert werden können, tritt am 31. Dezember 2019 außer Kraft. Eine Unterstützung der Betreuungsvereine in Mecklenburg-Vorpommern bei der Wahrnehmung von Querschnittsaufgaben durch das Land Mecklenburg-Vorpommern über diesen Zeitpunkt hinaus ist nach Maßgabe des Haushaltes vorgesehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können noch keine konkreten Angaben zu Form und Ausgestaltung sowie zu den Inhalten und zum Umfang der zukünftigen Unterstützung der Betreuungsvereine durch das Land erfolgen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/3037 5 5. Wie hoch waren zum 1. Januar 2019 die Bestände an Betreuungssachen in den jeweiligen Amtsgerichten in Mecklenburg- Vorpommern? Nach den vorläufigen aus den Fachverfahren selektierbaren Bestandszahlen waren am 31. Dezember 2018 (= Bestände zum 1. Januar 2019) insgesamt 32.281 Betreuungsverfahren bei den Amtsgerichten in Mecklenburg-Vorpommern anhängig. Die Verteilung auf die Amtsgerichtsbezirke ist wie folgt: Gericht anhängige Betreuungsverfahren Amtsgericht Greifswald 3.161 Amtsgericht Güstrow 2.832 Amtsgericht Ludwigslust 4.311 Amtsgericht Neubrandenburg 3.932 Amtsgericht Pasewalk 2.715 Amtsgericht Rostock 4.338 Amtsgericht Schwerin 2.180 Amtsgericht Stralsund 3.953 Amtsgericht Waren 2.340 Amtsgericht Wismar 2.519 Gesamt 32.281 6. Wie oft und wo wurden 2018 Gerichtstage für ehrenamtliche Betreuer durchgeführt? a) Wie wurden diese angenommen? b) Ist für 2019 eine Änderung der Durchführung der Gerichtstage vorgesehen? Die Fragen zu 6, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Im Ergebnis und in Auswertung der Evaluierung des Angebotes der Gerichtstage in Betreuungssachen ist die Verordnung über Gerichtstage in Betreuungssachen vom 13. Oktober 2014 (GVOBl. M-V S. 536), geändert mit Verordnung vom 15. Dezember 2015 (GVOBl. M-V S. 641), nicht über den 31. Dezember 2016 hinaus verlängert worden. In 2018 wurden damit keine Gerichtstage für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer durchgeführt. Für 2019 ist keine Änderung vorgesehen. Drucksache 7/3037 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 6 7. Wie lange dauert durchschnittlich die Auszahlung der Vergütung der Gerichte an die Berufsbetreuer (bitte für alle Amtsgerichte separat angeben)? Valide Angaben zur durchschnittlichen Bearbeitungsdauer für sämtliche Amtsgerichte sind nicht möglich, da eine landesweite statistische Erfassung insoweit nicht erfolgt. Zudem variiert die Bearbeitungsdauer je nach Einzelfall, Vorgehensweise und Geschäftsanfall. Soweit Schätzangaben vorliegen, lassen diese auf Bearbeitungszeiten von durchschnittlich zwei bis vier Wochen schließen. Eine manuelle Aufbereitung dieser Massenverfahren in Bezug auf die Fragestellung und der damit verbundene Aufwand wäre mit der aus Artikel 40 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern folgenden Pflicht zur unverzüglichen Beantwortung Kleiner Anfragen nicht vereinbar.