Der Minister für Inneres und Europa hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 26. April 2019 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/3284 7. Wahlperiode 30.04.2019 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Nikolaus Kramer, Fraktion der AfD Schutz der Demokratie und Meinungsfreiheit und ANTWORT der Landesregierung 1. Wer entscheidet nach Kenntnis der Landesregierung in Deutschland darüber, ob eine zugelassene Partei demokratisch ist oder nicht? Definiert die Landesregierung die AfD vor diesem Hintergrund als demokratische Partei? Nach Kenntnis der Landesregierung sieht das Grundgesetz und das daraus abgeleitete Parteienrecht keine Instanz außerhalb der Judikative vor, die rechtsverbindlich darüber entscheidet, ob eine Partei auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes steht. Im Übrigen ist die Gründung von Parteien gemäß Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz frei. Einer Zulassung bedarf es daher nicht. Das aus den Erfahrungen der Weimarer Republik entwickelte Prinzip der wehrhaften Demokratie sieht jedoch Maßnahmen gegen Parteien vor, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Sie können gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und als Rechtsfolge verboten oder gemäß Artikel 21 Absatz 3 Grundgesetz von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden. In diesen Verfahren werden Parteien also vollständig aus dem demokratischen Prozess entfernt beziehungsweise in ihren politischen Wirkungsmöglichkeiten eingeschränkt. Dem vorgelagert ist die Sammlung von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Verfassungsschutzbehörden. Sie dient auch dazu, die Öffentlichkeit unter strenger Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes über Parteien zu informieren, von denen derartige Gefahren ausgehen. Ein Ausschluss dieser Parteien aus dem demokratischen Willensbildungsprozess in der Bevölkerung ist damit nicht verbunden. Drucksache 7/3284 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Die Landesregierung weist in diesem Zusammenhang auf das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) vom 15. Januar 2019 hin, wonach bei der Jugendorganisation der „Alternative für Deutschland“, „Junge Alternative“, und der Sammlungsbewegung innerhalb der „Alternative für Deutschland“, „Der Flügel“, tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. 2. Was sind nach Einschätzung der Landesregierung gegenwärtig die größten Herausforderungen für den Schutz der demokratischen Grundordnung im Land Mecklenburg-Vorpommern? Sieht die Landesregierung eine Gefahr für die Demokratie, wenn ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung Sorgen hat, partizipativ einen freien Diskurs zu stark umstrittenen Themen zu führen? Ausweislich des Verfassungsschutzberichtes 2017 für Mecklenburg-Vorpommern bildet der Rechtsextremismus hierzulande weiterhin den Schwerpunkt. Auch die linksextremistischen Strukturen mit ihren Einflussmöglichkeiten dürfen als Gefahr für die Demokratie nicht verkannt werden. Die bundesweit größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden bleibt jedoch der islamistische Terrorismus. Wie die im Jahr 2017 gerade noch rechtzeitig unterbundenen Anschlagsvorbereitungen in Schwerin zeigen, dürfen die vom Islamismus ausgehenden Gefahren in Mecklenburg-Vorpommern daher keinesfalls unterschätzt werden und bedürfen intensiver Beobachtung. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass eine Diskussion auch über stark umstrittene Themen in einem freien, aber fairen Diskurs zum Wesen der Demokratie gehört. Insoweit sieht sie darin keine Gefahr für die Demokratie. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/3284 3 3. Welche Definition von Extremismus verwendet das Landesamt für Verfassungsschutz bei seiner Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern? a) Wie unterscheidet das Landesamt für Verfassungsschutz auf Grundlage der oben genannten Definition radikale von extremistischen Aussagen? b) Wie würde vor diesem Hintergrund eine extremistische Aussage lauten, die den noch vertretbaren radikalen Denkansatz hinter sich gelassen hat (bitte anhand von Beispielen aufzeigen)? Zu 3 Der Extremismusbegriff der Landesbehörde für Verfassungsschutz ergibt sich aus § 5 Absatz 1 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern. Extremistisch in diesem Sinne sind unter anderem politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss , die darauf gerichtet sind, einen Verfassungsgrundsatz nach § 6 Absatz 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Zu a) Die Landesbehörde für Verfassungsschutz folgt hier der herrschenden Rechtsmeinung, nach der sich radikale Aussagen im politischen Raum noch im demokratischen Rahmen bewegen. Extremistische Äußerungen sind demgegenüber nicht mehr mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Zu b) Nach den vorgenannten Definitionen liegt eine extremistische Aussage unter anderem dann vor, wenn sie bestimmten Menschengruppen die Menschenwürde abspricht. Es ist immer im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine Aussage als extremistisch zu bewerten ist, wobei es neben Form und Formulierung der Aussage auch auf den Kontext, in dem diese geäußert wurde, ankommt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, kontextfreie, hypothetische Einzelbeispiele im Sinne der Fragestellung aufzulisten. Drucksache 7/3284 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 4. Wie lange kann eine Verdachtsbeobachtung durch Behörden des Verfassungsschutzes aufrechterhalten werden? a) In wie vielen Fällen seit Gründung des Landesamtes für Verfassungsschutz fand eine Verdachtsbeobachtung in Mecklenburg-Vorpommern nur temporär statt? b) In wie vielen Fällen führte seit Gründung des Landesamtes für Verfassungsschutz eine Verdachtsbeobachtung in Mecklenburg- Vorpommern zu einer im Anschluss festgestellten verfassungsgemäßen Betätigung der beobachteten Organisation? Die Fragen 4, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die Dauer der Verdachtsfallbeobachtung richtet sich gemäß § 7 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . Dieser gesetzlichen Vorgabe folgend wird die Beobachtungsnotwendigkeit in allen Fällen halbjährlich geprüft. Ein bestimmter Zeitraum ist für die Verdachtsfallbearbeitung gesetzlich nicht vorgegeben. Eine temporäre Verdachtsfallbeobachtung fand in dem angefragten Zeitraum nur in wenigen Einzelfällen statt. Gleiches gilt für den Wegfall eines Extremismusverdachtes . Statistisches Zahlenmaterial zu entsprechenden Fällen seit Gründung des Landesamtes für Verfassungsschutz liegt hierzu nicht vor. Die Ermittlung konkreter Zahlen wäre mit der Durchsicht des gesamten Aktenbestandes der Verfassungsschutzbehörde seit dem Jahr 1992 verbunden. Dies wäre mit einem Aufwand verbunden, der schon mit der aus Artikel 40 Absatz 1 Satz 1 Landesverfassung folgenden Pflicht zur unverzüglichen Beantwortung Kleiner Anfragen nicht zu vereinbaren ist. 5. Schließt sich das Landesamt für Verfassungsschutz der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, nach der auch das Grundgesetz einen an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes kennt? a) Wenn ja, wie definieren sich nach Lesart des Landesamtes für Verfassungsschutz diese ethnischen Kategorien im Kontext des Grundgesetzes? b) Wenn nicht, aufgrund welcher rechtlichen Argumentation ist nach Lesart des Landesamtes für Verfassungsschutz eine ethnische Kategorie gänzlich vom Grundgesetz ausgeschlossen? c) Wie definiert das Landesamt für Verfassungsschutz den Begriff „Ethnizität“ vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts? Die Fragen 5, a), b) und c) werden zusammenhängend beantwortet. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/3284 5 Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil im Verbotsverfahren gegen die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ vom 17. Januar 2017 (Randziffer 690) kennt das Grundgesetz keinen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes. Im Weiteren heißt es, dass Menschen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft Teil des Volkes sind. Diese verfassungsrechtlichen Festlegungen sind auch für die Verfassungsschutzbehörde des Landes bindend. 6. Inwiefern unterscheidet der Verfassungsschutz bei seiner Arbeit zwischen einer aktiven Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und kritischen Meinungsbekundungen der Bürger? Wie werden entsprechende Unterschiede zwischen einer „Bestrebung“ und einer „Meinung“ in der alltäglichen Arbeit der Behörden definiert und angewendet? Nach § 6 Absatz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg- Vorpommern sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung durch politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gekennzeichnet, die darauf gerichtet sind, einen der in § 6 Absatz 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Nach § 6 Absatz 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern ist eine solche Bestrebung insbesondere dann gegeben, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet ist oder sie ein sonst kämpferisches und aggressives Verhalten aufweist. Schließlich handelt gemäß § 6 Absatz 4 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg- Vorpommern derjenige für einen Personenzusammenschluss, wer ihn nachdrücklich unterstützt . Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind kritische und selbst radikale Einzelmeinungen von Bürgern für die Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht von Relevanz, es sei denn, dass eine derartige Meinungsäußerung auf die Planung von extremistischen Gewalttaten hindeutet (vergleiche § 6 Absatz 4 Satz 2 Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern). Extremistische Aussagen sind jedenfalls dann verboten, wenn sie gegen Strafnormen verstoßen. Öffentliche Äußerungen von Funktionären verfassungsfeindlicher Parteien, die einen Bezug zu deren Programmatik oder ihrer sonstigen Propaganda aufweisen, sind unter den gesetzlichen Bestrebungsbegriff zu subsumieren und fallen damit in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes . Drucksache 7/3284 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 6 7. Ist die Ansicht, dass die politische Kohäsion in Mecklenburg- Vorpommern aufgrund von kultureller Homogenität gestärkt und damit die demokratische Grundordnung stabilisiert wird, eine für den Verfassungsschutz verdächtige Äußerung oder legitimer Teil des politischen Meinungsspektrums (bitte Antwort vor dem Hintergrund der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz begründen)? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die Demokratie durch die Achtung der Grundrechte und der verfassungsmäßigen Ordnung aller Menschen, Kulturen und Parteien in Mecklenburg-Vorpommern gestärkt würde. Demgegenüber ist die Ansicht, dass eine „kulturelle Homogenität“ die demokratische Grundordnung in Mecklenburg-Vorpommern stabilisieren würde, vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung der Weimarer Republik und der Vernichtung jüdischer und anderer Kulturen, die im Holocaust mündeten, nicht nur als falsch und widerlegt, sondern zugleich als mindestens radikal zu werten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 b) und zu Frage 6 verwiesen.