Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 22. Juli 2019 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/3795 7. Wahlperiode 23.07.2019 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt, Fraktion DIE LINKE „Containern“ von Lebensmitteln und ANTWORT der Landesregierung Das sogenannte „Containern“ bleibt auch weiterhin eine Straftat. Ein entsprechender Antrag zur Legalisierung des Hamburger Justizsenators Till Steffen wurde auf der Justizministerkonferenz in Lübeck am 5./6. Juni 2019 mehrheitlich abgelehnt. 1. Wie hat sich die Landesregierung zum o. g. Antrag des Hamburger Justizsenators, „Containern“ straffrei zu stellen, verhalten? Die Justizministerin Mecklenburg-Vorpommerns hat auf der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister in Lübeck gegen den vorgenannten Antrag gestimmt. Hinsichtlich der Position der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Drucksache 7/3795 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 2. Aus welchen Gründen bzw. mit welcher Begründung hat sich die Landesregierung so verhalten und entsprechend abgestimmt? 3. Welche Meinung vertritt die Landesregierung im Hinblick darauf, dass die Entnahme von Lebensmitteln aus Abfallbehältern auch künftig unter Strafe gestellt ist (bitte mögliche Argumente dafür und dagegen darstellen)? Die Fragen 2 und 3 werden zusammenhängend beantwortet. Gesetzesänderungen auf dem Gebiet des Strafrechts können das Problem der Lebensmittelverschwendung nicht nachhaltig lösen. Die geltenden Normen des Strafgesetzbuchs (StGB) in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) enthalten bereits nach aktuellem Recht ausreichend differenzierte Regelungen für mögliche Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren. So ist die Wegnahme weggeworfener Lebensmittel nicht in jedem Fall strafbar. Vielmehr kann das Wegwerfen der Lebensmittel als Eigentumsaufgabe (sog. Dereliktion) im Sinne von § 959 BGB zu bewerten sein. In diesem Fall wird die weggeworfene Sache herrenlos. Die Mitnahme herrenloser Sachen erfüllt den Tatbestand des Diebstahls gemäß §§ 242, 243 StGB nicht. Ob die Voraussetzungen einer Eigentumsaufgabe vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nach der Rechtsprechung ist das Entsorgen von Sachen in den Müll regelmäßig dann mit einer Eigentumsaufgabe verbunden, wenn dem Wegwerfenden das weitere Schicksal der Sache ersichtlich gleichgültig ist und er erkennbar nichts dagegen hätte, dass beliebige Dritte sich die Sachen aneignen und nach ihrem eigenen Gutdünken mit ihnen verfahren. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn Waren in einen öffentlich zugänglichen Abfallcontainer geworfen werden, der der Entsorgung als „Restmüll“ oder „Biomüll“ dient. An einer Eigentumsaufgabe fehlt es jedoch, wenn die entsorgten Sachen erkennbar für den Wegwerfenden noch bedeutsam sind (z. B. weil er diese anderen überlassen will) oder wenn ersichtlich ist, dass der Wegwerfende aus anderen Gründen ausschließlich die Vernichtung der Sache wünscht. Das ist beispielsweise der Fall, wenn in Supermärkten Lebensmittel (schon aus Sicherheitsgründen ) in Müllcontainern auf einem verschlossenen Betriebsgelände entsorgt werden und/oder die Container selbst mit einem Schloss gesichert sind. Unter solchen Umständen erfüllt das „Containern“ den Straftatbestand des Diebstahls. Diese Differenzierung bei der strafrechtlichen Einordnung ist ausgewogen und sachgerecht. Darüber hinaus bietet das Strafverfahrensrecht ausreichende Möglichkeiten, allen denkbaren Fallkonstellationen im Einzelfall Rechnung zu tragen. Die Strafprozessordnung (StPO) und das Jugendgerichtsgesetz (JGG) eröffnen beispielsweise ausdrücklich Optionen, von der Strafverfolgung abzusehen oder das Strafverfahren wegen geringer Schuld des Täters einzustellen. Der Verschwendung von verwertbaren Lebensmitteln ist auf anderem Weg als durch die grundsätzliche Entkriminalisierung des „Containerns“ Einhalt zu gebieten. Es sollte frühzeitig bei den Ursachen der Lebensmittelverschwendung angesetzt und bereits die Entstehung von Lebensmittelabfällen sowie die Entsorgung genießbarer Ware in den Müll vermieden werden. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/3795 3 4. Warum existiert aus Sicht der Landesregierung überhaupt das Phänomen des „Containerns“? Der Begriff des „Containerns“ beschreibt die Mitnahme/Entnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern von Lebensmittelhändlern und Fabriken. Die Gründe für dieses Vorgehen sind vielfältig und individuell verschieden. So handelt es sich bei den betreffenden Personen zum Teil um Bedürftige mit geringem Einkommen, die auf diese Weise Geld für Lebensmittel sparen wollen. Darüber hinaus „containern“ aber auch Personen, die keinen unmittelbaren Bedarf an günstigen Lebensmitteln haben, sondern sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln einsetzen und für eine ökologische und nachhaltige Lebensweise engagieren wollen. 5. Was kann nach Auffassung der Landesregierung dem „Containern“ von Lebensmitteln entgegengesetzt werden? Welche Maßnahmen sollten unverzüglich ergriffen werden? Wesentliche Ursache des „Containerns“ ist die massenhafte Verschwendung und Vernichtung noch verwertbarer Lebensmittel. Dementsprechend ist die vordringlichste Maßnahme zur Verminderung von „Containern“ das weitgehende Eindämmen einer übermäßigen Lebensmittelverschwendung. Eine Ursache für die Lebensmittelverschwendung liegt in der Überproduktion einiger Nahrungsmittel und in der Idealvorstellung vieler Verbraucher begründet, nach der Lebensmittel mit geringfügigen Abweichungen von der Norm bereits nicht mehr für den Kauf in Frage kommen. Hinzu kommt, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln oft fälschlicherweise als Verfallsdatum angesehen wird und Lebensmittel aus diesem Grund gemieden, beziehungsweise entsorgt werden, obwohl sie noch nicht verdorben sind. Der „Abfallvermeidungsplan des Bundes unter der Beteiligung der Länder“ (BMU 2013) sieht vor, dass Abfallvermeidungsmaßnahmen vor allem bei Unternehmen (entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette) und Konsumenten (Sensibilisierung durch Aufklärungskampagnen) anzusetzen sind. Da jedoch ein gewisser Lebensmittelüberschuss gleichwohl nicht zu vermeiden ist, ist zu prüfen, inwieweit eine geregelte Weitergabe übrig gebliebener Lebensmittel an wohltätige Organisationen und Einrichtungen (z. B. Tafeln) oder deren anderweitige Nutzung möglich ist. Drucksache 7/3795 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 6. Welche Position vertritt die Landesregierung zu dem im Rahmen der Justizministerkonferenz gefassten Alternativbeschluss gegen Lebensmittelverschwendung ? Die Landesregierung teilt die Auffassung des Beschlusses, dass die Verschwendung und Vernichtung noch verwertbarer Lebensmittel zu vermeiden ist. In diesem Zusammenhang unterstützt die Landesregierung das Ziel, alternative Abgabeformen überschüssiger Lebensmittel an Dritte zu entwickeln und umzusetzen. 7. Wie soll der gefasste Alternativbeschluss bundesweit und konkret in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt werden? Mit dem sogenannten Alternativbeschluss wird die Bundesregierung gebeten, unter Beteiligung der entsprechenden Fachministerkonferenzen alternative Abgabeformen von Lebensmitteln zu entwickeln, die es insbesondere großen Lebensmittelanbietern ermöglichen, Lebensmittel freiwillig und ohne Nachteile an Dritte, etwa die Tafeln für Bedürftige, abzugeben. In diesem Zusammenhang wird auch darum gebeten, die wechselseitigen Abhängigkeiten der umwelt-, abfall-, lebensmittel- und steuerrechtlichen Vorschriften zu untersuchen, um dieses Ziel zu erreichen. Sofern die Bundesregierung diesen Bitten nachkommt, wären unter Beteiligung der Arbeits- und Sozial-, Gesundheits-, Verbraucherschutz -, Agrar-, Finanz-, Umwelt- und Justizministerkonferenz mögliche Lösungsansätze und die gegebenenfalls erforderlichen Gesetzesänderungen zu prüfen. Bei den Fachministerkonferenzen ist Mecklenburg-Vorpommern jeweils vertreten. Derzeit ist noch offen, welche möglichen Lösungsansätze zu einer erfolgversprechenden Verbesserung beitragen könnten. 8. Wird sich die Landesregierung in Zukunft für eine Entkriminalisierung des „Containerns“ einsetzen? a) Wenn ja, wann und wie? b) Wenn nicht, warum nicht? Nein. Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen.