Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 9. September 2019 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/4007 7. Wahlperiode 10.09.2019 KLEINE ANFRAGE des Abgeordneten Horst Förster, Fraktion der AfD Einführung der elektronischen Gerichtsakte und ANTWORT der Landesregierung Vorbemerkung Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist - wie auch der Bund und die anderen Bundesländer - verpflichtet, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften bis Ende 2025 das Führen von Papierakten durch die elektronische Akte zu ersetzen. Dies ergibt sich aus dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl I 2017, 2208). Begleitend hat das Land die Verordnung zur elektronischen Aktenführung (EAktVO M-V) vom 10. August 2018 und die an den Projektverlauf angepasste Verwaltungsvorschrift (EAktVV M-V) erlassen. Bei diesem Projekt handelt es sich um ein sehr aufwendiges, hochkomplexes und dynamisches Digitalisierungsvorhaben. Neben den Änderungen in der Informationstechnik (Software, Hardware, Infrastruktur) geht mit der Einführung der elektronischen Akte (im Weiteren als eAkte bezeichnet) vor allem eine Veränderung der Arbeitsprozesse einher. Drucksache 7/4007 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Bis Anfang 2026 soll die elektronische Gerichtsakte in allen Gerichtszweigen eingeführt sein. Seit rund einem Jahr läuft die Pilotierung der eAkte am Landgericht Rostock. Sie soll nunmehr flächendeckend bei den Gerichten des Landes eingeführt werden. 1. Ist die Pilotierung in allen Gerichtszweigen erfolgreich und praxistauglich abgeschlossen? Die Pilotierung ist nicht abgeschlossen. Seit September 2018 wird die zu führende eAkte bei einzelnen Kammern des Landgerichts Rostock im Zivilrecht pilotiert. Derzeit sind fünf Kammern mit entsprechender Hard- und Software ausgestattet. Im Herbst 2019 ist eine Erweiterung der Pilotierung auf die restlichen Zivilkammern vorgesehen. Ferner ist zum Jahresende die Erweiterung der Pilotierung (im Bereich Zivilrecht) auf ein Amtsgericht im Landgerichtsbezirk Rostock beabsichtigt. Ein Zeitplan für die flächendeckende Einführung unterliegt noch pilotierungsbedingten Veränderungen. 2. Welche Probleme stehen einer Umsetzung in der Praxis derzeit noch entgegen? Ziel der nicht abgeschlossenen Pilotierung ist unter anderem, die im Einsatz befindliche Software in allen Bereichen der technischen Betriebsumgebung (Oberflächengestaltung, Servertechnik, Scan-Subsystem und Dokumentenmanagementsystem sowie die grundsätzliche Performance) vollumfänglich zu erproben und vor einer landesweiten Einführung zu optimieren. Dieser Prozess, der in enger Abstimmung mit den beteiligten Ländern des Entwicklerverbundes und dem Softwarehersteller erfolgt, ist noch nicht beendet. 3. An welchen Gerichten liegen die räumlichen Verhältnisse für die elektronische Veraktung und befristete Aufbewahrung des Schriftmaterials in einem Papierarchiv (Scan-Strecke) vor? An welchen müssen ggf. erst noch bauliche Maßnahmen für die sogenannte Scan-Strecke geschaffen werden (bitte Gerichte und Maßnahmen auflisten)? Bei der Errichtung von Scanstellen ist zwischen der grundsätzlichen Verfügbarkeit von geeigneten Räumen und der Umsetzung der Anforderungen aus der technischen Richtlinie des Bundesinstituts für Sicherheit in der Informationstechnik zum ersetzenden Scannen (BSI TR Resiscan - 03138) zu unterscheiden. Eine erste Bestandsaufnahme deutet für einzelne Gerichte darauf hin, dass diese derzeit noch nicht über geeignete Räume verfügen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/4007 3 Jedoch sind die Prüfung sowie die etwaige Bereitstellung von Lösungen durch das Projekt noch nicht abgeschlossen. Unabhängig von den räumlichen Verhältnissen sind in allen Dienststellen bauliche Maßnahmen zu treffen, um insbesondere die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Diese Maßnahmen umfassen unter anderem die Einbindung in eine elektronische Zutrittskontrollanlage, das Anbringen eines Rauchmelders sowie das Einbauen einer Sicherheitstür. Welche konkreten Maßnahmen umgesetzt werden müssen, ist für jede Dienststelle im Einzelfall nach einer Vor-Ort-Besichtigung zu entscheiden. Die entsprechenden Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. 4. Mit welchem personellen Mehraufwand ist für die sogenannte Scan- Strecke, insbesondere im Wachtmeisterbereich, zu rechnen? Wie soll dieser Mehraufwand ausgeglichen werden? Ein personeller, allenfalls temporärer Mehraufwand lässt sich angesichts des gegenwärtigen Stands der Pilotierung nicht valide ermitteln. Denn der Aufwand, der durch das ersetzende Scannen entsteht, ist in erster Linie vom Umfang der täglich zu scannenden Dokumente abhängig. Ersetzend gescannt wird die in Papier eingehende Post, das heißt es werden weder Bestandsakten noch in elektronischer Form übersandte Dokumente in ein digitales Medium transferiert. Demzufolge resultiert der Umfang der täglich zu scannenden Dokumente nicht nur aus der Größe und der Art der jeweiligen Dienststelle, sondern insbesondere auch aus dem gewählten Übermittlungsweg. Da die professionellen Einreicher, insbesondere Rechtsanwälte und Behörden, spätestens ab 1. Januar 2022 verpflichtet sind, den elektronischen Übermittlungsweg (zum Beispiel über das besondere elektronische Anwaltspostfach - beA) zu nutzen, wird der Anteil zu scannender Posteingänge - und damit der personelle Aufwand für das Scannen - zurückgehen. Durch die Automatisierung von Arbeitsschritten oder sonstige Verbesserungen an der Hard- und Software können sich Arbeitserleichterungen ergeben. Hierzu zählt die Implementierung des elektronischen Postausgangs, der nunmehr auch für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbereitet wird. Dem zusätzlichen Aufwand beim Scannen steht der Wegfall von Aufgaben, wie zum Beispiel die Behandlung von Papierakten (mehrfacher Transport, Versand, Aufbewahrung, Archivierung) gegenüber. 5. Wie soll den zusätzlichen Belastungen der Wachtmeister (extreme Einseitigkeit, hohe Verantwortung) Rechnung getragen werden? Wird ein tägliches mehrstündiges Einscannen für zumutbar gehalten? Am Pilotgericht wird für den Einsatz der Justizwachtmeister das Rotationsprinzip angewandt. Hierdurch wird der Gefahr einer sich stets wiederholenden, wenig abwechslungsreichen Tätigkeit begegnet. Aber auch der Scanprozess ermöglicht zwei verschiedene Aufgaben, nämlich das Scannen und die Metadatenpflege beziehungsweise die Qualitätssicherung und Signatur. Im Scanprozess ist mithin ein Vier-Augen-Prinzip etabliert, das heißt der Wechsel des Bearbeiters. Drucksache 7/4007 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 So können Fehler bei der Erfassung frühzeitig erkannt werden. Darüber hinaus werden die gescannten Dokumente nicht umgehend vernichtet, sondern für mindestens sechs Monate aufbewahrt. Die für das Verfahren zuständigen Bediensteten können im Zweifelsfall um die Vorlage der Papieroriginale bitten oder einen erneuten Scan veranlassen. Das tägliche Einscannen wird - auch unter Beachtung eines Rollenwechsels - nicht als unzumutbar angesehen, da es als eine erweiterte Form der Posteingangsbearbeitung zu betrachten ist. 6. Wie soll die Schulung der Bediensteten für den Umgang mit der eAkte erfolgen? Wie soll der entsprechende Mehraufwand für die sogenannten Kompetenzteams an den Gerichten personell ausgeglichen werden? Die Schulung der Bediensteten wird in Abhängigkeit der Ergebnisse der Pilotierung fortentwickelt. Gegenwärtig werden die Bediensteten in ihren jeweiligen Laufbahngruppen (Richterinnen/Richter; Rechtspflegerinnen/Rechtspfleger; Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Serviceeinheiten; Wachtmeisterinnen/Wachtmeister) ein- beziehungsweise mehrtägig durch jeweils zwei Dozenten (als Tandem) geschult. Eine Vor-Ort-Betreuung an den jeweiligen Standorten schließt sich an. Mehrere Wochen nach der Einführung der eAkte werden für die Bediensteten Workshops beziehungsweise Vertiefungsschulungen angeboten. Zudem erhalten die Bediensteten die Möglichkeit, an Schulungen zur Verbesserung der IT-Grundkompetenzen und Stärkung sowie Auffrischung der Fertigkeiten in den IT-Fachverfahren teilzunehmen. 7. Ist es geplant, zusätzliches Personal zur Verfügung zu stellen? a) Wenn ja, in welchem Umfang soll Personal aufgestockt werden? b) Für welche Bereiche soll Personal aufgestockt werden? b) Wenn nicht, wie soll gleichwohl die erforderliche Akzeptanz bei den ohnehin schon stark belasteten Bediensteten für die Einführung der eAkte erreicht werden? Die Fragen 7, a), b) und c) werden zusammenhängend beantwortet: Angesichts der noch nicht abgeschlossenen Pilotierung der eAkte kann noch keine Aussage zu einem etwaigen, temporären Personalmehrbedarf getroffen werden. Die mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungen werden im Projektverlauf durch Akzeptanzmaßnahmen begleitet. Denn die Digitalisierung bietet eine Reihe von Vorteilen, die für die Bediensteten sichtbar gemacht werden können. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/4007 5 8. Ergeben sich nach den Erfahrungen der Pilotierung für die gerichtliche Praxis kurz- oder mittelfristig konkrete Vorteile hinsichtlich der Effizienz der Arbeitsabläufe und damit konkret der Erledigungsdauer der Verfahren (bitte auflisten)? Die Landesregierung setzt mit dem Projekt einen gesetzlichen Auftrag um. Die Modernisierung der Justiz wird unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels weiter vorangetrieben. Eine verstärkte Bürgernähe wird ermöglicht, die einen effektiven und schnellen Rechtsschutz garantiert. Geschäftsabläufe lassen sich anpassen, standardisieren und gegebenenfalls automatisieren. Eine Verzögerung des Verfahrensfortgangs (zum Beispiel durch Aktenversendung/-einsicht) entfällt. Die eAkte weist eine hohe Verfügbarkeit (unabhängig von Ort und Zeit) auf. Zudem ist es möglich, dass mehrere Richter desselben Spruchkörpers zeitgleich auf die eAkte zugreifen. Die inhaltliche Aufbereitung und Durchdringung der Akten (zum Beispiel mittels Volltextsuche, elektronische Notizen) lässt sich verbessern. Anwendungen und juristische Datenbanken können integriert werden. Schließlich können digitalisierte Daten, soweit sie medienbruchfrei geliefert werden, in den Justizsystemen weiterverarbeitet werden. Dies reduziert den Erfassungs- und Eingabeaufwand erheblich. Der Landesregierung liegen konkrete Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen eAkte und der Dauer des Verfahrens nicht vor. 9. Teilt das Ministerium die Auffassung, dass der Richter darauf bestehen kann, nur mit einer Papierakte (Kopie der eAkte) zu arbeiten oder besteht für Richter die rechtliche Verpflichtung, die Arbeitsweise auf die eAkte umzustellen? Richterinnen und Richter haben keinen Anspruch darauf, dass die Justizverwaltung nach Einführung der elektronischen Akte auf Wunsch für sie daneben weiterhin Papierakten führt. Sofern sie es bei der Bearbeitung eines Verfahrens für erforderlich halten, dürfen Richterinnen und Richter selbstverständlich Ausdrucke von Aktenbestandteilen selbst anfertigen. Drucksache 7/4007 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 6 10. Hält das Ministerium die Frist 1. Januar 2026 für die Einführung der eAkte angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten und Hemmnisse für realistisch? a) Wenn ja, bitte begründen. b) Wenn nicht, sollte nicht bereits jetzt, insbesondere auch aus Gründen der Akzeptanz und der personellen Engpässe, auf eine Flexibilisierung des Zeitfensters hingearbeitet werden? Die Fragen 10, a) und b) werden zusammenhängend beantwortet. Die Landesregierung hat derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten werden können.