Die Justizministerin hat namens der Landesregierung die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 16. Juni 2017 beantwortet. LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 7/652 7. Wahlperiode 19.06.2017 KLEINE ANFRAGE der Abgeordneten Prof. Dr. Ralph Weber und Dr. Matthias Manthei, Fraktion der AfD Kindgerechte Justiz und ANTWORT der Landesregierung Das Recht auf Zugang zum Recht ist ein Menschenrecht. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIfM) stellte in seinem Bericht „Kindgerechte Justiz - Wie der Zugang zum Recht für Kinder und Jugendliche verbessert werden kann“ (2015, S. 21) fest: „Die Situation von Kindern und Jugendlichen in Gerichtsverfahren in Deutschland entspricht derzeit weder den internationalen, menschenrechtlichen Anforderungen noch den Vorgaben des Europarats zu kindgerechter Justiz. Sie muss dringend verbessert werden.“ 1. Mit welchen konkreten Maßnahmen wurden die Empfehlungen des DIfM bisher in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt? 2. Mit welchen ganz konkreten Maßnahmen wurden bisher die „Leitlinien für eine Kindergerechte Justiz“ des Europarates von 2010 umgesetzt? 3. Mit welchen ganz konkreten Maßnahmen wurde die kindgerechte Gestaltung der Gerichtsverfahren unterstützt? Die Fragen 1, 2 und 3 werden zusammenhängend beantwortet. Adressat der Empfehlungen und Leitlinien ist, soweit es sich um das strafgerichtliche Verfahren nach der Strafprozessordnung (StPO) und um das familiengerichtliche Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) handelt, der Bundesgesetzgeber. Drucksache 7/652 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 2 Insbesondere die Verbesserung der Qualität von Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren war Gegenstand des Koalitionsvertrages auf Bundesebene für die 18. Wahlperiode. Mit dem Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG sind am 15. Oktober 2016 gesetzliche Neuregelungen zum Sachverständigenrecht in Kraft getreten, die die Gewährleistung der Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger sowie die Verbesserung der Qualität von Gutachten zum Ziel haben (BGBl. 2016 I S. 2222). Speziell in Kindschaftssachen gibt der Bundesgesetzgeber zur Verbesserung der Qualität der Gutachten Qualifikationsanforderungen für Sachverständige vor (§ 163 FamFG). In den Kindschaftsverfahren nach § 151 Nummer 1 bis 3 FamFG sind Gutachten durch einen geeigneten Sachverständigen zu erstatten, der mindestens über eine psychologische, psychotherapeutische , kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen soll. Verfügt der Sachverständige über eine pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation, ist der Erwerb ausreichender diagnostischer und analytischer Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation nachzuweisen. Ferner hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Maßnahmen initiiert und begleitet, um Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht aufzuzeigen. Eine zu diesem Zweck eingerichtete Arbeitsgruppe „Familienrechtliche Gutachten“ hat hierzu im Jahr 2015 die unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themenseiten/FamilieUndPartnerschaft/Mindestanforderun genSachverstaendigengutachtenKindschaftsrecht.html veröffentlichten Empfehlungen erstellt. Aufgrund des in Kindschaftssachen vorgesehenen Gebots zur beschleunigten Verfahrensdurchführung kann das Familiengericht mit der Beweisanordnung zugleich eine Frist setzen, in der die Begutachtung zu erfolgen hat. Daneben kann das Familiengericht in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, auch eine lösungsorientierte Begutachtung anordnen, die mit qualitativ höheren Anforderungen an das Vorgehen des Sachverständigen verbunden ist. Weitere spezielle Anforderungen an die persönliche Anhörung des Kindes stellt § 159 FamFG. Eine kindgerechte Ausgestaltung beinhaltet auch § 163a FamFG, der eine Vernehmung des Kindes als Zeugen oder als Beteiligten ausschließt. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält auf seiner Homepage eine spezielle Publikation zum Kindschaftsrecht vor. Diese beinhaltet Fragen und Antworten zum Recht der elterlichen Sorge, zum Umgangsrecht, zum Namensrecht, zum Kindesunterhaltsrecht und zum gerichtlichen Verfahren. Eine weitere Publikation ist dort in Bezug auf das familiengerichtliche Gewaltschutzverfahren unter dem Titel „Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt“ verfügbar. Auf Initiative der Deutschen Chirurgie Stiftung (DCS) ist zudem das interdisziplinäre Kompetenzzentrum für Gutachten (http://www.chirurgiestiftung.de/kompetenzzentrumgutachten .php) eingerichtet worden. Qualitätsgesichert und fachlich begleitet wird es durch einen interdisziplinären, ehrenamtlich tätigen Fachbeirat aus Wissenschaft, Lehre und Praxis. Das Kompetenzzentrum hat sich zum Ziel gesetzt, auf eine weitere Qualitätsverbesserung und Qualitätssicherung von psychologischen und medizinischen Sachverständigengutachten hinzuwirken. Dies lässt auch einen verbesserten Öffentlichkeitstransfer und möglicherweise eine Beförderung der Forschung und Wissenschaftlichkeit im Gutachterwesen erwarten. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/652 3 In allen Amts- und Landgerichten sowie bei dem Oberlandesgericht des Landes Mecklenburg- Vorpommern ist die Ausstattung mit einem Warteraum für Kinder und Jugendliche Standard. Der Warteraum soll über eine kinder- und jugendgerechte Ausstattung verfügen und in warmer und beruhigender Wandfarbe ausgeführt werden. Gesonderte Vernehmungszimmer für Kinder und Jugendliche sind nicht eingerichtet. Allerdings können die Warteräume für Kinder und Jugendliche auch für Anhörungen und Vernehmungen genutzt werden. Dies gilt auch für die Mediationsräume in den Landgerichten, dem Oberlandesgericht und den Gerichten der Fachgerichtsbarkeit, die eine angenehme und beruhigende Gesprächsatmosphäre insbesondere durch die Raumakustik sowie die Gestaltung der Wandflächen und des Fußbodenbelages mit einem warmen beruhigenden Farbton gewährleisten sollen. Aus dem Bereich des Strafverfahrensrechts ist die psychosoziale Prozessbegleitung zu nennen. Insoweit wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt und Barbara Borchardt, Fraktion DIE LINKE, „Kinder und Jugendliche als Zeugen in Fällen von häuslicher und sexualisierter Gewalt im Strafprozess“, Drucksache 6/2200, verwiesen. Die psychosoziale Prozessbegleitung, die zunächst ein Projekt des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern war, ist nunmehr bundesrechtlich in § 406g der Strafprozessordnung verankert. Danach können sich Verletzte - auch Kinder - des Beistandes eines psychosozialen Prozessbegleiters bedienen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht sogar ein Anspruch auf Beiordnung eines Prozessbegleiters. Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung, einschließlich der Anforderungen an die Qualifikation der Prozessbegleiter, werden in dem seit dem 01.01.2017 geltenden Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren geregelt. Videobefragungen von Kindern zur Vermeidung von direkter Konfrontation zwischen Täter und Opfer werden schon seit vielen Jahren ermöglicht. 4. Welche Haushaltsmittel wurden seit 2014 für eine kindgerechte Justiz aufgewendet (bitte aufschlüsseln nach Jahr und Verwendungszweck)? Für die psychosoziale Prozessbegleitung von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden wurden in den Jahren 2014 159.059,47 Euro 2015 163.797,01 Euro 2016 190.997,60 Euro bis 12.06.2017 63.872,89 Euro aufgewendet. Über anderweitige Aufwendungen von Haushaltsmitteln für Verwendungszwecke der kindgerechten Justiz liegen der Landesregierung keine statistisch erhobenen Daten vor. Drucksache 7/652 Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode 4 5. Welche Barrieren bei ihrem Zugang zum Recht bestehen nach Kenntnis der Landesregierung aus Sicht der Kinder und Jugendlichen? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor. 6. Wurden Maßnahmen dafür getroffen, dass für Kinder und Jugendliche, die ihre Rechte in familien- und strafrechtlichen Verfahren verletzt sehen, niederschwellige Anlaufstellen zur Verfügung stehen? Wenn ja, welche Die Jugendämter halten im Zuständigkeitsbereich des Sozialgesetzbuchs, Achtes Buch, Kinderund Jugendhilfe, niedrigschwellige Beratungsangebote vor. 7. Mit welchen konkreten Maßnahmen wurde die Aus- und Fortbildung von Familienrichtern, Verfahrensbeiständen, Jugendrichtern und Staatsanwälten und Polizeibeamten zur kindgerechten Justiz, z. B. zu Themen wie „Kindeswohl“ und „kindgerechten Verfahren“ unterstützt, die die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen einbeziehen? Die Fortbildung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten erfolgt regelmäßig durch Teilnahme an Tagungen der Deutschen Richterakademie. Die Programmkonferenz der Deutschen Richterakademie hat das Tagungsprogramm für das Jahr 2018 beschlossen und hierbei in einer Vielzahl von Tagungen Themen einer kindgerechten Justiz in sein Tagungsprogramm aufgenommen. Damit setzt die Programmkonferenz ihre bereits in den Vorjahren begonnenen Schwerpunktsetzungen fort. Themen einer kindgerechten Justiz finden sich beispielsweise in folgenden Veranstaltungen: Tagung 01a Einführung in das Ehe- und Familienrecht, Tagung 08b Einführung in das Familienrecht, Tagung 10b Gewalt in Familien Familien- und strafrechtliche Aspekte, Glaubhaftigkeitsbeurteilungen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch, Tagung 14a Familienpsychologische Gutachten, Tagung 122a Praktische Fragen des Familienrechtes, Tagung 29d Konfliktlösung im Sorge- und Umgangsrecht, Tagung 36d Aktuelle Entwicklungen im Opferschutz - psychosoziale Prozessbegleitung, Tagung 37a Strafverfolgung bei sexuellen Übergriffen. Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 7. Wahlperiode Drucksache 7/652 5 Die ausrichtenden Landesjustizverwaltungen sind darauf bedacht, dem Thema „Kindgerechte Justiz“ verstärkt in der Fortbildung Geltung zu verschaffen. Hiermit wird auch eine Initiative der Familienministerkonferenz umgesetzt. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen der Deutschen Richterakademie kann von einer gewissen Schwerpunktsetzung im Fortbildungsprogramm für Richterinnen und Richter, besonders für diejenigen der Familiengerichtsbarkeit, gesprochen werden. Auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter in Strafverfahren stehen diese Fortbildungsangebote zur Verfügung. Im Rahmen der Auswahl der Dozentinnen und Dozenten wurde auf einen interdisziplinären Austausch Wert gelegt. Leitlinien des Europarates und sonstige Gutachten und Berichte werden in den Tagungen erörtert. Darüber hinausgehende landeseigene Fortbildungsprogramme werden nicht angeboten. Soweit im Rahmen der Fortbildungskooperation mit der Landesjustizverwaltung Berlin/Brandenburg Fortbildungsveranstaltungen zum angefragten Themenfeld in der Justizakademie Königs Wusterhausen angeboten werden, stehen der Landesjustizverwaltung Mecklenburg- Vorpommern auch hier Fortbildungsplätze zur Verfügung, die nicht nur auf Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte beschränkt sind. Im Übrigen können freie Fortbildungskapazitäten anderer Länderjustizverwaltungen im gegenseitigen Einvernehmen in Anspruch genommen werden. 8. Welche Mittel wurden zur Konzeption und Durchführung von partizipativen und reflexiven Forschungsvorhaben zu Themen wie „Kindeswohl“ und „kindgerechten Verfahren“, die die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen einbeziehen, bereitgestellt? Wird die Bereitstellung von Mitteln für derartige Forschungsvorhaben zur Evaluation der Praxis geplant? Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.