Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1062 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Axel Miesner (CDU), eingegangen am 11.11.2013 Ist unsere Stromversorgung auch im Winter gesichert? Am 09.10.2013 war der Presse zu entnehmen, dass bei der Bundesnetzagentur 26 Anträge auf Stilllegung von konventionellen Kraftwerken eingegangen seien. Der Weser-Kurier überschreibt den Artikel vom 09.10.2013 mit „Wo kommt künftig der Strom her? - Konventionelle Kraftwerke immer unrentabler“ und in der Zeitung Die Welt ist am gleichen Tag zu lesen: „26 Gas- und Kohlekraftwerke vor dem Aus“. Im Handelsblatt (Online) ist mit Datum vom 10.10.2013 zu lesen „Kurzfristig könnte ein sehr kalter Winter zu Versorgungsengpässen führen und die Netzstabilität gefährden “. Den Anträgen auf Stilllegung steht auf der anderen Seite die Nachricht gegenüber, dass zur Sicherstellung der Stabilität des Stromnetzes mehr „Reservekraftwerke“ benötigt würden als bisher. Im Weser-Kurier vom 01.10.2013 wird der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, mit den Worten zitiert: „Die Analysen für den Winter 2015/16 zeigen, dass doppelt so viel konventionelle Kraftwerksleistung vorgehalten werden muss wie für den kommenden Winter.“ Für den nun kommenden Winter sollen Reservekraftwerke mit einer Gesamtleistung von ca. 2 500 MW bereitstehen. Die 26 Kraftwerke, die eine Gesamtleistung von 6 735 MW installierter Leistung haben, können nach Meinung ihrer Betreiber nicht mehr rentabel betrieben werden. Begründet wird dieses mit dem Einspeisevorrang und der Zunahme der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Aufgrund ihrer unregelmäßigen, von Angebot und Nachfrage abweichenden Einspeisung und des deutlichen Zubaus von Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien - aktuell sind ca. 34 GW „Photovoltaik “ und ca. 32 GW „Wind“ installiert - sind aber weiterhin Reservekraftwerke nötig, weil es eines Ausgleichs beider Kraftwerkssysteme bedarf, um die Netzstabilität sicherzustellen. Ich frage die Landesregierung 1. Wie bewertet die Landesregierung die Anträge der Kraftwerksbetreiber auf Stilllegung konventioneller Kraftwerke vor dem Hintergrund der Netzstabilität und Versorgungssicherheit? 2. Welche Initiativen sind nach Meinung der Landesregierung nötig, um auch in den kommenden Jahren die Netzstabilität und Versorgungssicherheit sicherzustellen? 3. Wie bewertet die Landesregierung das Tempo des Netzausbaus und den damit verbundenen fehlenden Ausgleich zwischen den Regionen der Stromerzeugung und den Verbrauchszentren vor dem Hintergrund der beschriebenen Engpässe? (An die Staatskanzlei übersandt am 13.11.2013 - II/725 - 488) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 13.12.2013 für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Ref17-01425/17/7/11-0013 - Die Energiewende bedingt eine grundlegende Änderung der Struktur unserer Elektrizitätserzeugung und unseres Stromversorgungssystems. In der Vergangenheit stellten große konventionelle Kraftwerke und Kernkraftwerke die Energieversorgung last- und verbrauchsnah sicher. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist inzwischen beschlossen. 2022 geht auch in Niedersachsen das letzte 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1062 Kernkraftwerk vom Netz. Die Landesregierung strebt zum Schutz des Klimas eine Energieversorgung aus 100 % erneuerbaren Energien an. Mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke werden somit zunehmend durch Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. Spielten die erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren eher eine untergeordnete Rolle im Strommarkt, so sind sie inzwischen zu einem bedeutenden Faktor geworden. In Zukunft werden sie die dominierende Rolle einnehmen. Derzeit sind jedoch dargebotsunabhängige, konventionelle Kraftwerke für eine jederzeit zuverlässige Elektrizitätsversorgung noch unentbehrlich. Sie stellen Strom her, wenn dargebotsabhängige Erzeugungsanlagen wie Photovoltaik- und Windenergieanlagen nicht produzieren. Zudem stellen sie Blindleistung und neben Pumpspeicherkraftwerken und Gasturbinen Regelenergie zur Verfügung . Damit sind sie zurzeit unerlässlich für die Versorgung mit Wechselstrom der richtigen Spannung und Frequenz. Zudem gewährleisten jederzeit einige Großkraftwerke die (n-1-)Sicherheit unseres Elektrizitätsversorgungssystems bei Ausfall von großen Erzeugungseinheiten und Übertragungskapazitäten und stehen für Redispatch-Maßnahmen zur Verfügung. Je weiter der Energiebinnenmarkt zusammenwächst und grenzüberschreitende Übertragungskapazitäten zur Verfügung stehen, könnten diese Aufgaben auch noch stärker als heute von Kraftwerken im Ausland übernommen werden. Nach § 12 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist es Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber unter Berücksichtigung des Austausches mit anderen Netzen eine sichere und zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten. Nach § 13 EnWG sind die Übertragungsnetzbetreiber berechtigt und verpflichtet Störungen und Gefährdungen der Elektrizitätsversorgung abzuwenden. Hierzu können sie einerseits netzbezogene Maßnahmen ergreifen. Andererseits können sie den Einsatz von Regelenergie und anderen Flexibilitäten veranlassen. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien nehmen die Erzeugungskapazitäten zu. Zugleich findet ein Abbau von Erzeugungskapazitäten statt, die nicht wirtschaftlich betrieben werden können. Zudem befinden sich einige alte Kraftwerke am Ende ihres Lebenszyklus und werden zum Teil durch Neubauten mit höherem Wirkungsgrad und weniger Schadstoffausstoß ersetzt. Stilllegungen sind in jedem Fall bei der Bundesnetzagentur anzuzeigen. Falls ein Kraftwerk, das stillgelegt werden soll, als systemrelevant eingestuft wird, verbleibt es am Netz, sodass die Versorgungssicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden kann. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Für die Versorgungssicherheit spielen viele Aspekte eine Rolle. Strom- und Gasnetze müssen in der Lage sein, ihre Transportaufgaben zu erfüllen und ausreichende Erzeugungskapazitäten sind notwendig, um den prognostizierten Energiekonsum zu jedem Zeitpunkt zu decken. Belastbare Regelungsmechanismen müssen sicherstellen, dass die Netzstabilität auch dann gewahrt wird, wenn sich Einspeisungen in und Entnahmen aus dem Netz nicht die Waage halten. Durch die gewollte, vermehrte Einspeisung von Strom aus regenerativen Energien insbesondere im Norden Deutschlands in Kombination mit grundsätzlich hohem Stromverbrauch im Süden Deutschlands und der Abschaltung von Kernkraftwerken insbesondere im Süden Deutschlands entsteht im deutschen Stromübertragungsnetz ein Bedarf an Nord-Süd-Verbindungen. Die entsprechenden Leitungen zum Transport des Stroms in die Verbrauchszentren sind derzeit noch nicht zu jeder Zeit im benötigten Umfang vorhanden. Um die Netzstabilität zu gewährleisten, ist es deshalb bis zur Fertigstellung wichtiger Netzausbauprojekte erforderlich, konventionelle Kraftwerke vorzuhalten, welche den in bestimmten Fällen auftretenden regionalen Netzengpässen in Süddeutschland entgegenwirken . Andere Flexibilitäten können derzeit diese Aufgabe nicht erfüllen. Die Stabilisierung der Netze geschieht in solchen Fällen dadurch, dass geeignete Kraftwerke durch die Übertragungsnetzbetreiber bei Bedarf hoch- und runtergeregelt werden, um das Netz zu entlasten (sogenannter „Redispatch“). Während der Wintermonate ist dieser Bedarf erfahrungsgemäß am höchsten. In dieser Zeit kommt es regelmäßig zu einer vermehrten Windkrafteinspeisung im Norden, während gleichzeitig der 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1062 Stromverbrauch und somit auch die Last in Süddeutschland hoch sind. Die weitere Stilllegung von gesicherten Erzeugungskapazitäten in Süddeutschland würde vor dem Hintergrund der hier im Winter bereits angespannten Versorgungslage zu einer Verschärfung der Situation führen (vgl. hierzu den Bericht der Bundesnetzagentur zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2012/2013 vom 20. Juni 2013). Die jüngste Novelle des EnWG hat daher die Möglichkeiten geschaffen, Erzeugungsanlagen, welche vom Betreiber stillgelegt werden sollen, vorläufig im Betrieb zu halten, wenn dies zur Gewährleistung der Systemsicherheit erforderlich ist. Eine weitere Umsetzung dieser Regelungen erfolgte durch die Reservekraftwerksverordnung, die am 27. Juni 2013 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. Bereits in den vorangegangenen Wintern 2011/2012 und 2012/2013 und vor Inkrafttreten dieser neuen Vorschriften hatten die Übertragungsnetzbetreiber in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur zur Erhöhung der RedispatchMöglichkeiten vertraglich Leistung von stillgelegten Kraftwerken vornehmlich in Süddeutschland und den angrenzenden Staaten gesichert und diese als sogenannte Reservekraftwerke vorgehalten . Die Regelungen kodifizieren das insoweit bisher praktizierte Verfahren, wonach die Übertragungsnetzbetreiber jährlich eine Systemanalyse durchführen, um den Bedarf an gesicherter Erzeugungskapazität dafür zu berechnen. Die Systemanalyse wird von der Bundesnetzagentur überprüft, um anschließend den Bedarf an Netzreserve festzustellen. Für diesen Winter liegt der Bedarf an Reservekraftwerksleistung in der Größenordnung von 2 500 Megawatt. Im Winter 2015/2016 wird der Bedarf an Reservekapazitäten deutlich steigen, insbesondere weil weitere Atomkraftwerke in Süddeutschland vom Netz gehen werden. Reservekraftwerke stehen derzeit allerdings nicht in Niedersachsen, da hier in der Regel ein Erzeugungsüberschuss durch die Vielzahl von Einspeisern aus erneuerbaren Energien bei geringer Last regelmäßig zu einem Überangebot an Kraftwerkskapazitäten führt. Die kontrahierten Reservekraftwerke werden grundsätzlich ausschließlich außerhalb des Energiemarktes zur Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems und somit zum Redispatch eingesetzt. Der Zusammenschluss der Europäischen Strom-Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) geht in seinem am 28. November 2013 veröffentlichten Report davon aus, dass Deutschland selbst bei schlechten Wetterbedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energien ausreichend Erzeugungskapazitäten hat. Auf die Notwendigkeit des Netzausbaus wird darin eingegangen. Zudem wird dort festgestellt, dass auch unter schlechten Wetterbedingungen ein Kapazitätsüberschuss von 43 Gigawatt in Europa besteht. Nach derzeitigem Kenntnisstand stehen in Niedersachsen ausreichend Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung. In Wilhelmshaven ist ein neues Kohlekraftwerk mit einer elektrischen Netto-Leistung von rund 730 Megawatt derzeit im Probebetrieb. Die in den Jahren 1972 und 1973 in Betrieb genommenen Gaskraftwerke in Emden und Landesbergen wurden 2012 und 2013 seitens des Betreibers Statkraft in die unternehmensinterne Kaltreserve überführt. Die beiden Kraftwerke wurden von der Bundesnetzagentur nicht als systemrelevant eingestuft. Ein regionaler Mangel an Erzeugungskapazitäten besteht in Niedersachsen derzeit nicht, anders sieht die Situation in Süddeutschland aus. Entsprechend entscheiden Kraftwerksbetreiber aufgrund der ökonomischen Rahmenbedingungen über den Betrieb oder die Stilllegung ihrer Anlagen. Zu 2: Für die sichere Stromversorgung in ganz Deutschland ist der Ausbau der Stromtrassen von Nordnach Süddeutschland von entscheidender Bedeutung. Zudem müssen Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen zunehmend Systemdienstleistungen übernehmen. Ferner ist es erforderlich, dass jederzeit ausreichend Flexibilitäten in Form von Reservekraftwerken, Speichern und abschaltbaren Lasten zur Verfügung stehen. Entsprechend ist es erforderlich, Speichertechnologien weiter zu entwickeln, damit sie in ausreichendem Umfang kostengünstig zur Verfügung stehen , wenn dies durch einen zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien erforderlich wird. In diesem Kontext kommt dem Strommarktdesign eine wesentliche Bedeutung zu. Das Ziel des Strommarktdesigns sollte sein, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen und ergänzend die Bereitstellung flexibler Erzeugungskapazitäten zu ermöglichen, um auch weiterhin ein ho- 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1062 hes Versorgungssicherheitsniveau zu gewährleisten. Hierzu ist das derzeitige Strommarktdesign bei einer effizienten Ausgestaltung grundsätzlich geeignet. Zu 3: In der Vergangenheit war unsere Energieversorgung vergleichsweise überschaubar aufgebaut. Große Kohle- und Atomkraftwerke erzeugten Strom für last- und verbrauchsnah gelegene Ballungsräume und Industriegebiete. Diese Struktur hat sich durch die eingeleitete Energiewende, bei der die erneuerbaren Energien eine immer größere Rolle spielen, deutlich verändert. Unsere Stromnetze waren bisher nicht auf den Transport erneuerbarer Energien ausgelegt. Statt weniger Großkraftwerke müssen nun viele kleine Windkraft- und Solaranlagen angeschlossen werden . Diese befinden sich zudem häufig weit entfernt von den Verbrauchern - z. B. Windparks auf offener See oder im Norden Deutschlands. Und schließlich schwankt die Leistungsfähigkeit der Anlagen je nach Wind- und Wetterlage. Das Netz der Zukunft muss also in der Lage sein, all diese Herausforderungen zu bewältigen. Um die hohe Versorgungssicherheit in unserem Land auch weiterhin zu garantieren, müssen die Netze ausgebaut werden. Dieser dringend erforderliche Netzausbau im Höchstspannungsnetz liegt deutlich hinter dem Zeitplan zurück. Um die Akzeptanz zu verbessern, setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass bei den Planungen der Netzlückenschlüsse von Nord- nach Süd- und Westdeutschland keine Freileitungen in Wohnbereichsnähe errichtet werden. Dieser Ansatz wurde vom Bundesgesetzgeber aufgegriffen, und für vier Pilotstrecken wurden durch den Erlass des Energieleitungsausbaugesetzes in Deutschland erstmalig bundesrechtliche Teilverkabelungen im Höchstspannungsnetz zugelassen. Niedersachsen profitiert dabei durch drei Pilotstrecken. Stefan Wenzel 4 (Ausgegeben am 20.12.2013) Drucksache 17/1062 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Axel Miesner (CDU), eingegangen am 11.11.2013 Ist unsere Stromversorgung auch im Winter gesichert? Antwort der Landesregierung