Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1083 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Karin Bertholdes-Sandrock (CDU), eingegangen am 16.10.2013 Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Sommerhochwasser 2013? Die Hochwasserschutzanlagen an Flüssen werden so ausgelegt, dass das Bemessungshochwasser (BHW) abgeleitet werden kann, ohne Schaden anzurichten. Das ist das maximale Hochwasser, das unter Berücksichtigung aller dazugehörender Einflüsse erwartet werden kann. Dieses Ereignis wird über die Wahrscheinlichkeit definiert, mit der es auftreten kann, bzw. über die Zeiträume, in denen es einmal zu erwarten ist. Typische Wahrscheinlichkeiten sind z. B. ein Ereignis in 50, 100, 1 000 oder 10 000 Jahren. Die Hochwasserereignisse in 2002, 2003, 2006 und 2011 haben Pegelstände in Höhe des jetzigen BHW erreicht, jedoch haben die Abflüsse den Bemessungsabfluss nicht erreicht. Sie lagen deutlich unter 4 000 m3/sec. Das diesjährige Hochwasser hat nun bewiesen, dass sogar Abflüsse über 4 000 m3/sec. deutlich höhere Wasserstände verursachen. Der Bundestag hat im Juni beschlossen, den Bemessungswasserabfluss entlang der Elbe von 4 000 m3/sec. auf 4 545 m3/sec. zu erhöhen. Jedoch gibt es bisher keine einheitliche Empfehlung der Länder. Ich frage die Landesregierung: 1. Hat die Landesregierung die Absicht, ein neues Bemessungshochwasser festzulegen? 2. Wird sie den Termin für den Beginn des Gehölzrückschnitts auch in den kommenden Jahren auf den 01.08. legen? 3. Wird die Landesregierung Nachpflanzungen in für den Wasserabfluss relevanten Bereichen durch die Biosphärenreservatsverwaltung, wie in der Vergangenheit geschehen, künftig kritisch begleiten, damit Neuanpflanzungen nicht kontraproduktiv zum Gehölzrückschnitt stehen ? 4. Wird die Freihaltung des Vorlandes durch nachhaltige Maßnahmen gefördert, z. B. Beweidung mit Schafen oder Wasserbüffeln? 5. Wird die Landesregierung in diesem Sinne auf Erfahrungen in anderen Teilen Deutschlands zurückgreifen? 6. Werden Sedimente beseitigt, die zu höheren Wasserständen führen? 7. Werden weitere Flächen als mögliche Flutmulden untersucht? 8. Ist die Landesregierung bereit, dieser Untersuchung mindestens dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken wie dem Gutachten zur Bepflanzung des Elbevorlandes? 9. Werden gegenwärtige Deichminderhöhen ausgeglichen? 10. Welche finanziellen Mittel sind für diese Maßnahmen nötig? 11. Wann werden diese zur Verfügung stehen? 12. Werden notwendige Maßnahmen zur Einhaltung von hochwasserschutzrechtlichen Vorschriften ergriffen (Beispiel Hitzacker, wo an der neuen Schutzwand nur ein Freibord von 70 cm vorhanden war - in Ortslage sind 1,20 m vorgeschrieben)? 13. Welche finanziellen Mittel sind für diese Maßnahmen nötig? 14. Wann werden diese zur Verfügung stehen? 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1083 15. Werden die Hochwasserprognosesysteme, gerade aus Magdeburg, die zu falschen, d. h. viel zu niedrigen Vorhersagen führten, überprüft und umgearbeitet? (An die Staatskanzlei übersandt am 22.10.2013 - II/725 - 449) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 20.12.2013 für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Ref17-01425/17/7/02-0032 - Die mit den Hochwasserereignissen vom Januar 2011 und Juni 2013 erneut aufgetretene Diskrepanz zwischen der tatsächlich abgeflossenen Wassermenge und den an niedersächsischen Pegeln gemessenen Wasserständen sowie ein Gutachten der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) für die künftige Bemessungswasserspiegellage haben das Land Niedersachsen zu grundsätzlichen Überlegungen und Lösungsansätzen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes an der Elbe auch unter Einbeziehung von Naturschutzaspekten veranlasst. Im November 2008 wurde von den Staatssekretären der Elbanrainerländer ein maßgebender Bemessungsabfluss für ein 100-jährliches Hochwasser von 4 545 m3/s am Pegel Wittenberge festgelegt . Auf dieser Basis hat die BfG mit dem Bericht Nr. 1650 in 2009 eine Bemessungswasserspiegellage für Niedersachsen ermittelt. Diese wurde in den vergangenen Jahren aufgrund neuer Erkenntnisse und Einflüsse mehrfach überprüft. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Wasserspiegellinie für einen Abfluss von 4 545 m3/s, bis auf lokale Abweichungen, im Mittel um 50 cm über der Wasserspiegellinie liegt, die sich aus dem bisherigen Bemessungshochwasserabfluss von 4 000 m3/s ergibt. Diese neue Bemessungswasserspiegellinie für den Bemessungshochwasserabfluss von 4 545 m3/s wäre die Grundlage zur Festsetzung des Besticks an der Elbe in einem Verfahren gemäß §§ 3 und 4 Niedersächsisches Deichgesetz und in der Zukunft bei allen Deichbaumaßnahmen an der Elbe zu berücksichtigen. Infolge des Elbehochwassers im Juni beabsichtigen die Elbeländer die Bemessungsansätze zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Dieses Vorgehen wurde auch aktuell von der 6. Elbeministerkonferenz am 5. Dezember 2013 in Berlin bestätigt. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Vor diesem Hintergrund wird Niedersachsen kurzfristig kein reines Deicherhöhungsprogramm von Geesthacht bis Schnackenburg (circa 113 km) mit einem erforderlichen Mittelvolumen im dreistelligen Millionenbereich beginnen, sondern es sollen zunächst die Auswirkungen von Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserabflusses im Deichvorland wie z. B. Gehölzmanagement und Abgrabungen untersucht werden. Darüber hinaus sollen, wo dies möglich ist, auch Deichrückverlegungen und (steuerbare) Polder untersucht werden. Es kommen nur solche Maßnahmen in Betracht , die mit der Konzeption größtmöglicher Schonung der durch die Richtlinie 92/43/EWG (FFH-RL) und die Richtlinie 2009/147/EG (VS-RL) geschützten Rechtsgüter vereinbar sind (vgl. VG Regensburg, Urteil v. 11.01.2011 - RN 4 K 09.1873 - Nr. II 3 der Gründe, S. 19). Es ist beabsichtigt, mithilfe eines 2D-Modells effiziente Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserabflusses auf einem Abschnitt von circa 113 km zu identifizieren und in einem fach- und länderübergreifenden Rahmenplan zusammenzufassen. Auf der fachlichen Basis dieses Rahmenplans sowie der durchgeführten naturschutzfachlichen Bestandserhebungen (bereits vorhandene Daten werden einbezogen) soll ein gemeinsamer Umweltbericht erstellt werden. Dieser soll die Grundlage für eine Strategische Umweltprüfung und die erforderlichen naturschutzfachlichen Prüfungen (FFH, Vogelschutz, Artenschutz) bilden. Ergänzend zu den Planungen für bauliche bzw. einmalige Veränderungen sollen auch die wiederkehrenden Gehölzrückschnittsmaßnahmen und Unterhaltungsmaßnahmen wie z. B. Maßnahmen des Auen- und Sedimentmanagements in den Rahmenplan aufgenommen werden. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1083 Der aktuelle Zeitplan sieht eine Fertigstellung des Rahmenplans bis Mitte 2015 vor. Für alle Deichbaumaßnahmen , die bereits vorher begonnen werden müssen, wird von den zuständigen Behörden im Einzelfall festgelegt, welche Bemessungswasserstände für den jeweiligen Deichbauabschnitt zugrunde zu legen sind. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Siehe Vorbemerkungen. Zu 2: Gehölze sollen künftig - wie bisher - insgesamt nur einen geringen Anteil des überwiegend als Grünland genutzten Deichvorlands einnehmen. Deshalb erfolgten in den letzten Jahren mit Zustimmung des MU in Bereichen, in denen die Auwald-Lebensraumtypen gemäß FFH-Richtlinie nicht direkt betroffen waren, Gehölzrückschnitte, die zwischen den Landkreisen und der Biosphärenreservatsverwaltung abgestimmt wurden. Zurzeit ist die Landesregierung dabei, die Erlasslage mit dem Ziel der Vereinfachung zu überprüfen . Zu 3: Ja. In dem o. g. Rahmenplan werden alle abflussrelevanten Maßnahmen im Deichvorland betrachtet und im Hinblick auf die Abflussverbesserung optimiert. Dies gilt sowohl für die dauerhafte Beseitigung von Gehölzen an Stellen, wo sie aus hydraulischer Sicht den Wasserabfluss besonders stark bremsen, als auch für Ersatzpflanzungen, die gemäß FFH-Richtlinie erforderlich sind. Sie sollen dort, wo es hydraulisch vertretbar ist, angelegt und dauerhaft erhalten werden. Zu 4: Ja. In dem o. g. Rahmenplan werden auch die für die dauerhafte Freihaltung der abflussrelevanten Bereiche notwendigen Maßnahmen betrachtet. Die Beweidung soll im Rahmen eines „integrierten Auenmanagements“ sichergestellt werden. Derzeit wird von der Biosphärenreservatsverwaltung ein Vorschlag für entsprechende Strukturen erarbeitet. Zu 5: Ja. In die Überlegungen der Landesregierung sind z. B. bereits die Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten an der Donau eingeflossen (siehe Vorbemerkungen/Verweis Gerichtsurteil). Zu 6: Bei der Auswahl von geeigneten abflussverbessernden Maßnahmen, die in den o. g. Rahmenplan einfließen sollen, wurden grundsätzlich auch Vorlandabgrabungen untersucht. Zu 7: Bei der Auswahl von geeigneten abflussverbessernden Maßnahmen, die in den o. g. Rahmenplan einfließen sollen, wurden grundsätzlich auch Flutmulden untersucht. Zu 8: Die Landesregierung misst der Auswahl und Umsetzung von geeigneten abflussverbessernden Maßnahmen eine hohe Bedeutung bei. Dies zeigt sich nicht nur in der o. g. länderübergreifenden Zusammenarbeit mit der BfG, sondern insbesondere auch dadurch, dass seit Anfang 2012 eine Mitarbeiterin des MU zur „Beauftragten des MU für den Hochwasserschutz an der Unteren Mittelelbe “ ernannt worden ist. Unter Leitung der Beauftragten des MU wurden in einem Arbeitskreis vor Ort die abflussverbessernden Maßnahmen entwickelt. Diese Einzelmaßnahmen werden aktuell mithilfe des 2D-Modells auf ihre Wirksamkeit untersucht und fließen anschließend in den o. g. Rahmenplan ein. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1083 Zu 9: Soweit förderrechtlich möglich, werden Deichminderhöhen im Rahmen der Aufbauhilfe mit beseitigt . Darüber hinaus werden aus dem Bau- und Finanzierungsprogramm Hochwasserschutz im Binnenland mehrere Deichbauplanungen und -maßnahmen an der Elbe gefördert, die zum Ziel haben , Deichminderhöhen (z. B. in Wussegel) und Bereiche mit fehlenden Deichstrecken (z. B. in Neu Darchau und Vietze) zu beseitigen. Zu 10: Diese Frage kann noch nicht abschließend beantwortet werden, da aktuell die Planungen laufen (vgl. Vorbemerkungen). Zu 11: Mittel für die Elbe stehen im Jahr 2013 und den Folgejahren sowohl aus dem Bau- und Finanzierungsprogramm Hochwasserschutz im Binnenland als auch aus der Aufbauhilfe zur Verfügung. Die Landesregierung erhofft sich zudem zusätzliche Mittel aus dem neuen nationalen Hochwasserschutzprogramm . Hierfür ist im Entwurf des Koalitionsvertrags des Bundes zwischen CDU, CSU und SPD das Finanzierungsinstrument „Sonderrahmenplan Präventiver Hochwasserschutz“ festgeschrieben . Zu 12: Die für den Hochwasserschutz an der Elbe verantwortlichen Deichverbände werden auf Basis der künftig geltenden Bemessungswasserspiegellinie (vgl. Vorbemerkungen) überprüfen, für welche Deichstrecken sich ein Nacherhöhungsbedarf ergibt. Zu 13: Diese Frage kann noch nicht abschließend beantwortet werden, da aktuell die Planungen laufen (vgl. Vorbemerkungen und Antwort zu Frage 12). Zu 14: Siehe Antwort zu Frage 11. Zu 15: Eine zuverlässige Hochwasservorhersage ist ein wichtiges Element der Hochwasservorsorge. Daher unterstreicht die Landesregierung die Notwendigkeit einer bestmöglichen Hochwasservorhersage und stellt fest, dass sich die mit der gemeinsamen „Verwaltungsvereinbarung zur Wasserstands - und Hochwasservorhersage für die Bundeswasserstraßen Elbe, Saale und Untere HavelWasserstraße (Havelberg Stadt)“ geschaffenen organisatorischen Grundlagen bewährt haben. Allerdings ist es notwendig, diese Hochwasservorhersage zu optimieren. Sowohl die SonderUmweltministerkonferenz Hochwasser vom 2. September 2013 als auch die Elbeministerkonferenz vom 5. Dezember 2013 enthalten entsprechende Beschlüsse. Die Arbeitsgremien der Flussgebietsgemeinschaft Elbe und der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser erarbeiten dafür die Grundlagen. Niedersachsen wird diese Arbeiten durch eine entsprechende Mitarbeit in den Arbeitsgruppen unterstützen. Stefan Wenzel (Ausgegeben am 08.01.2014) 4 Drucksache 17/1083 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Karin Bertholdes-Sandrock (CDU), eingegangen am 16.10.2013 Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Sommerhochwasser 2013? Antwort der Landesregierung