Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1135 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Meta Janssen-Kucz und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 13.12.2013 Videoaufzeichnungen durch die Bundespolizei am Bahnhof Haste im Rahmen der Abreise von Demonstrantinnen und Demonstranten aus Bad Nenndorf Am 02.11.2013 fand in Bad Nenndorf ein Naziaufmarsch mit ca. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Mehrere Hundert Menschen demonstrierten gegen diesen Aufmarsch. Im Rahmen der verschiedenen Versammlungen waren Landes- und Bundespolizei im Einsatz. Die Zuständigkeit der Bundespolizei erstreckt sich vor allem auf die Sicherung der Bahnhofsbereiche sowie der Anund Abreise der Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Eine größere Gruppe von Gegendemonstrantinnen und -demonstranten wurde auf dem Rückweg von der Gegendemonstration beim Umsteigen am Bahnhof Haste von der Bundespolizei um ca. 17.28 Uhr gefilmt. Laut Aussagen von Zeuginnen und Zeugen wurde dazu von einem Bundespolizisten eine Kamera auf die Gruppe gerichtet, als diese die Treppe zu einer Unterführung herunterging . Zudem sei ein rotes Leuchten an der Kamera zu erkennen gewesen, was auf eine aktive Aufnahmefunktion schließen lässt. Die betroffene Gruppe habe den Beamten durch Zuruf auf die mögliche Rechtswidrigkeit der Maßnahmen hingewiesen, worauf aber keine Reaktion erfolgt sei. Daraufhin hätten sich zwei Personen wieder auf die obere Bahnsteigebene begeben, um das Gespräch mit dem Beamten zu suchen. Der Beamte mit der Kamera sei jedoch nicht mehr angetroffen worden. Laut Aussage der Zeuginnen und Zeugen hätten die anderen Bundespolizisten lediglich auf den Einsatzleiter vor Ort verwiesen, welcher aber zu diesem Zeitpunkt für ein Gespräch nicht zur Verfügung stand. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welche Bild- und Tonaufnahmen hat die Polizei in Niedersachsen am 02.11.2013 im Zusammenhang mit den Versammlungen angefertigt? 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu Bild- und Tonaufnahmen durch die Bundespolizei im Zusammenhang mit der Versammlung am 02.11.2013 am Bahnhof Haste vor? 3. Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landespolizei vor Einsätzen bei Großveranstaltungen und Versammlungen organisiert, koordiniert und sichergestellt? 4. Wie und in welcher Form werden Einsätze nachbereitet und fließen in die nächste gemeinsame Einsatzplanung/-vorbereitung ein? 5. Wie werden die beteiligten Einheiten der Polizei (inklusive Bundespolizei bzw. Einheiten aus anderen Bundesländern) im Vorfeld von Versammlungen informiert, unter welchen Umständen Bild- und Tonaufzeichnungen nach dem NVersG zulässig sind? 6. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass von den sich auf der Rückreise befindlichen Demonstranten erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen? 7. Hat die Landesregierung Informationen darüber, wie seitens der Bundespolizei mit den angefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen im Anschluss weiter verfahren wurde (§ 12 Abs. 3 NVersG)? 8. Gemäß § 12 NVersG sind Bild- und Tonaufnahmen von Demonstrationsteilnehmern nur bei erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass das Niedersächsische Versammlungsgesetz auf dem Gelände der Deutschen Bahn eingehalten wird? (An die Staatskanzlei übersandt am 19.12.2013 - II/725 - 545) 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1135 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 15.01.2014 für Inneres und Sport - 01425/2-2/10668/13 - Zur Beantwortung dieser Kleinen Anfrage habe ich die Polizeidirektion Göttingen um Stellungnahme gebeten. Diese beruht auf dem derzeit bekannten Sachstand und bildet die Grundlage meiner Ausführungen. Für den in Rede stehenden Polizeieinsatz der Landespolizei am 02.11.2013 in Bad Nenndorf wurde der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg die Gesamteinsatzleitung übertragen. Der Einsatz wurde im Wege der sogenannten Auftragstaktik geführt. Die Einsatzabschnittsleiter handelten grundsätzlich eigenverantwortlich und selbstständig im Rahmen der Vorgaben des Gesamteinsatzleiters . Die Vorgaben des Gesamteinsatzleiters wurden in einem umfassenden Einsatzbefehl dargestellt und sahen u. a. Einsatzleitlinien und Entscheidungsvorbehalte zu Bild- und Tonübertragungen sowie deren Aufzeichnungen vor. Darüber hinaus wurde den Einsatzkräften mit dem Einsatzbefehl eine Handreichung mit einer Übersicht der wesentlichen Eingriffsmaßnahmen anlässlich versammlungsrechtlicher Einsatzlagen und diesbezüglicher Rechtsgrundlagen zur Verfügung gestellt . Unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung sowie Erfahrungen aus zurückliegenden polizeilichen Einsatzlagen wurden im Einsatzbefehl - auch unter Hinweis auf die spezifische Rechtslage - weitergehende Regelungen zu Bild- und Tonübertragungen sowie deren Aufzeichnungen getroffen. Dabei handelte es sich u. a. um den Entscheidungsvorbehalt des Gesamteinsatzleiters zum Einsatz des DVB-T-Teams sowie für das Aktivieren der Aufzeichnungsfunktion, die Verpflichtung zu einer detaillierten Dokumentation durchgeführter Bild- und Tonaufnahmen mit Angaben zu Beginn und Ende der Aufzeichnungen, Standort, Filmrichtung, Auftrag und Situationsbeschreibung in einer Erfassungsliste für polizeiliche Maßnahmen, die Übersendung von gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen mit Auswertebericht an das zuständige Fachkommissariat im Zentralen Kriminaldienst der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, die Festlegung der Trageweise bzw. Abdeckung mitgeführter nicht verwendeter Videokameras, die Dokumentation des sichtbaren Bereithaltens von Videokameras im Einsatzraum sowie das Verbot der Verwendung privater Smartphones. Die Bundespolizei führte anlässlich der Einsatzlage am 02.11.2013 in Bad Nenndorf im Rahmen ihrer originären Zuständigkeit einen eigenen Polizeieinsatz durch. Zielrichtung war hier die Gewährleistung der störungsfreien An- und Abreise von Veranstaltungsteilnehmern sowie der Sicherheit der Fahrgäste, der Anlagen und des Betriebes der Bahn. Zu den Angelegenheiten des Bundes nimmt die Landesregierung grundsätzlich nicht Stellung. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Während des Einsatzes erfolgten Bildübertragungen durch ein DVB-T-Team in den Führungsstab des Gesamteinsatzleiters. Diese Übertragungen dienten der Beurteilung der polizeilichen Lage und wurden auf Grundlage des § 12 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes wie folgt durchgeführt: 10.40 Uhr bis 10.45 Uhr: Bildübertragung (Übersicht) der Großbaustelle vor dem Bahnhof Bad Nenndorf aus dem auf der Bahnhofstraße in Richtung Bahnhof fahrenden Dienstfahrzeug des DVB-T-Teams. In diesem Zeitraum befanden sich keine Versammlungsteilnehmer in diesem Bereich; eine zu dem Zeitpunkt bestätigte Versammlungsroute war ebenfalls nicht betroffen. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1135 14.05 Uhr bis 15.50 Uhr: Bildübertragung (Übersichten) der Versammlung „Gedenkbündnis Bad Nenndorf“ vor dem Wincklerbad anlässlich der Auftaktkundgebung sowie vor der Lokalität „Stargrill“ während einer dort durchgeführten Gefährderansprache. Um 15.50 Uhr wurde die DVB-T-Kamera abgeschaltet. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. Zu 2: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse zu Bild- und Tonaufnahmen der Bundespolizei am Bahnhof Haste vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. Zu 3: Soweit im Rahmen von Großveranstaltungen oder Versammlungen polizeiliche Maßnahmen im sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei erforderlich sind, werden diese seitens der Bundespolizei grundsätzlich in einem eigenständigen Einsatz gewährleistet. Die Einsatzmaßnahmen der Bundespolizei erfolgen parallel zum Einsatz der örtlich zuständigen Dienststelle der Landespolizei. Die erforderlichen Abstimmungen zwischen Landes- und Bundespolizei während der Einsatzvorbereitungen werden in der Regel bei Einsätzen dieser Größenordnung durch temporär eingerichtete Vorbereitungsstäbe vorgenommen. Lageinformationen und Einsatzunterlagen werden im erforderlichen Umfang aktualisiert und ausgetauscht. Zeitnah vor dem Einsatz wird regelmäßig eine Einsatzvorbesprechung zwischen Landes- und Bundespolizei initiiert, um den aktuellen Sachstand zu den Einsatzplanungen auszutauschen und Schnittstellen abzustimmen. Im Falle von Paralleleinsätzen von Landes- und Bundespolizei ist auch der Austausch bzw. die Entsendung von Verbindungsbeamten obligatorisch. Zu 4: Polizeiliche Einsätze werden institutionalisiert nachbereitet. Art und Umfang der Nachbereitung orientieren sich dabei im Wesentlichen an der Bedeutung des Einsatzanlasses sowie den aus der Einsatzvorbereitung und dem tatsächlichen Einsatzverlauf gewonnenen Erkenntnissen und Optimierungsansätzen . Die im Verlauf des Einsatzes gewonnenen Erfahrungen werden ausgewertet, analysiert, bewertet und bei Bedarf in einer Einsatznachbesprechung bzw. einem Erfahrungsbericht aufbereitet und u. a. mit benachbarten Behörden, z. B. der Bundespolizei, ausgetauscht. Daraus resultierende Optimierungsansätze finden sich in zukünftigen Einsatzplanungen wieder. Zudem werden aktuelle Rechtsprechungen und Erkenntnisse aus anhängigen Verwaltungsverfahren zu vorangegangenen Einsatzlagen bei den Vorbereitungen künftiger Einsätze berücksichtigt. Zu 5: Die Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Einsatzeinheiten des Landes Niedersachsen, insbesondere die gezielt eingesetzten und besonders fortgebildeten Beweissicherungs- und Dokumentationstrupps , werden umfangreich und fortgesetzt in zentralen sowie dezentralen Fortbildungsmaßnahmen in die Vorschriften des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes und somit auch in die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Bild- und Tonübertragungen bei Versammlungen sowie deren Aufzeichnung eingewiesen. Einsatzeinheiten aus anderen Ländern sowie der Bundespolizei (soweit diese der Landespolizei unterstellt sind) beziehen ihre Informationen u. a. zum Niedersächsischen Versammlungsgesetz im Rahmen der Einsatzvorbesprechung, aus gezielten Einweisungen während der Einsatzvorbereitung sowie dem Einsatzbefehl des Gesamteinsatzleiters. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1135 Zu 6: Der einsatzführenden Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg lagen keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte zu erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch rückreisende Versammlungsteilnehmer im Verantwortungsbereich der Landespolizei vor. Die Bundespolizei hatte in ihrem Verantwortungsbereich eigenständig Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rückreise von Versammlungsteilnehmern durchgeführt. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. Zu 7: Siehe Beantwortung zu Frage 2. Zu 8: Der Schutzbereich der in Artikel 8 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit umfasst grundsätzlich auch die An- und Abreise von Versammlungsteilnehmern. Auf Bahnhöfen und Bahnanlagen der Deutschen Bahn AG ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit allerdings eingeschränkt, insofern gilt auch das Niedersächsische Versammlungsgesetz nicht unmittelbar. Der Gewährleistungsumfang der Versammlungsfreiheit umfasst neben dem Zeitpunkt, der Art und dem Inhalt zwar auch die freie Ortswahl einer Versammlung. Dies beinhaltet jedoch kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere nicht zu solchen Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder denen nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Das Recht der freien Ortswahl umfasst nicht generell die Befugnis, sich auf jedem beliebigen Grundstück zu versammeln . Grundstücke, die einem Privateigentümer wie der Deutschen Bahn AG gehören, können nur mit Einwilligung des Eigentümers für Versammlungszwecke genutzt werden. Das Hausrecht des Eigentümers kann hier die Versammlungsfreiheit einschränken. Auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG ist die Bundespolizei originär örtlich und sachlich zuständig . Ihr obliegt auch die Durchsetzung des Hausrechts für die Deutsche Bahn AG. Gemäß § 3 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes hat die Bundespolizei die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen. Insofern ist die Bundespolizei auch für den Schutz von an- und abreisenden Versammlungsteilnehmern auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG bzw. für die Abwehr der von diesen Personen ausgehenden Gefahren verantwortlich. Erforderliche polizeiliche Maßnahmen stützen sich auf die Befugnisregelungen des Bundespolizeigesetzes gegebenenfalls in Verbindung mit spezialgesetzlichen Bestimmungen. Originär zuständige Behörde für die Anwendung des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes ist nach Versammlungsbeginn nur die Polizei des Landes Niedersachsen. Die Bundespolizei besitzt hier keine Kompetenzen, soweit sie nicht mit Teileinheiten der Landespolizei Niedersachsen unmittelbar unterstellt ist. Eine Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen nach § 12 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes durch die Bundespolizei in einem eigenen Einsatz ist daher ausgeschlossen. Bildund Tonaufzeichnungen, die gegebenenfalls nach anderen Rechtsvorschriften durch die Bundespolizei angefertigt werden dürfen, bleiben davon unberührt. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. Boris Pistorius 4 (Ausgegeben am 20.01.2014) Drucksache 17/1135 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Meta Janssen-Kucz und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 13.12.2013 Videoaufzeichnungen durch die Bundespolizei am Bahnhof Haste im Rahmen der Abreise von Demonstrantinnen und Demonstranten aus Bad Nenndorf Antwort der Landesregierung