Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1165 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Kai Seefried (CDU), eingegangen am 11.12.2013 Warum hat die Landesregierung ihre rechtlichen Möglichkeiten in dem Disziplinarverfahren gegen einen verurteilten Lehrer nicht ausgeschöpft? Laut Bild-Zeitung vom 4. Dezember 2013 und der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 5. Dezember 2013 ist an einer Schule in der Region Hannover ein Konrektor tätig, der vom Amtsgericht Springe wegen des Besitzes von 571 kinderpornographischen Schriften rechtskräftig verurteilt worden ist. In einem Verfahren auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis hat das Verwaltungsgericht Hannover entschieden, dass dieser Konrektor von den Verwaltungsaufgaben entbunden wird, jedoch als Lehrkraft eingesetzt werden darf. Nach Auskunft des Kultusministeriums sei kein Rechtsmittel eingelegt worden, da man die Aussicht auf Erfolg als gering einschätze. Hierzu hat das Verwaltungsgericht Hannover in einer Pressemitteilung vom 5. Dezember 2013 erklärt: „Die 18. Kammer des Gerichts hatte mit Beschluss vom 24.10.2013 festgestellt, dass der Lehrer eines Dienstvergehens schuldig ist und ihn deshalb in das Amt eines Realschullehrers zurückgestuft. Das Kultusministerium ließ dazu erklären: ‚Das Verwaltungsgericht hat entschieden, von der Höchststrafe abzusehen. Damit sind der Landesschulbehörde die Hände gebunden.’ (HAZ vom 05.12.2013). Diese Erklärung ist so nicht richtig. Die Entscheidung des Gerichts erging nicht durch Urteil, gegen das Rechtsmittel möglich gewesen wären, sondern durch einen Beschluss nach § 54 Niedersächsisches Disziplinargesetz (NDiszG). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss eine Disziplinarmaßnahme aussprechen (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 NDiszG). Vor Erteilung der Zustimmung hat das Verwaltungsgericht den Beteiligten die beabsichtigte Entscheidung nach Art und Höhe mitzuteilen (§ 54 Abs. 1 Satz 3 NDiszG). So wurde im vorliegenden Fall verfahren. Die Landesschulbehörde hat vor Erlass des Beschlusses ihre Zustimmung zu der Verfahrensweise und zu der Maßnahme (Zurückstufung statt Entfernung aus dem Amt) erteilt. Der mit der Erklärung des Kultusministeriums vermittelte Eindruck, die Landesschulbehörde habe sich einer Entscheidung des Gerichts gebeugt, mit der sie nicht einverstanden gewesen ist, ist falsch.“ Kultusminister a. D. Dr. Bernd Althusmann hatte in Verfahren mit sexuellem Hintergrund in der Vergangenheit die Linie vertreten, dass sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft werden müssen, und ausweislich der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 15. September 2010 entschieden, dass die Landesschulbehörde in Disziplinarverfahren bei Vorwürfen mit sexuellem Hintergrund gegen Lehrkräfte immer das Kultusministerium zu informieren hat. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Ist der betroffene Lehrer weiterhin als Lehrkraft alleine in einer Klasse eingeteilt? 2. Welche präventiven Maßnahmen hat die Landesregierung zum Schutz der Schülerinnen und Schüler ergriffen, und wurden die betroffenen Eltern informiert? 3. Hat die Landesregierung ihre Auffassung geändert, dass gegen Lehrkräfte, die unter einem Verdacht einer Straftat mit sexuellem Hintergrund stehen bzw. verurteilt wurden, sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft werden müssen, um Dienst zu entfernen? 4. Aus welchen Gründen hat die Landesschulbehörde, stellvertretend für das Kultusministerium und die Landesregierung, ihre Zustimmung zum Beschluss erteilt? 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1165 5. Wurde das Kultusministerium rechtzeitig von der Landesschulbehörde informiert, bevor mit Zustimmung bzw. Billigung von einer Suspendierung im Vorfeld der Verurteilung abgesehen wurde? 6. Ist vor dem Hintergrund der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Hannover vom 5. Dezember 2013 die Aussage des Pressesprechers der Kultusministerin haltbar, dass ein Rechtsmittel aufgrund der geringen Erfolgsaussichten nicht eingelegt wurde? (An die Staatskanzlei übersandt am 17.12.2014 - II/725 - 544) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Kultusministerium Hannover, den 20.01.2014 - 01-0 420/5-544 - Landesregierung, Kultusministerium und Niedersächsische Landesschulbehörde (NLSchB) haben großes Verständnis für die Sorgen der Elternschaft. Sie haben ebenso wie diese das Wohl der Kinder als hohes und zu schützendes Gut im Fokus. Zugleich besteht eine Fürsorgepflicht gegenüber der betreffenden beamteten Lehrkraft (u. a. im Hinblick auf den Datenschutz, das Übermaßverbot und die amtsangemessene Beschäftigung). Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass jedes einzelne Verfahren in seiner Individualität durch seinen gesetzlichen Richter bewertet wird. Ein weiterer elementarer Grundsatz unseres Rechtsstaats ist in der Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz zu erblicken. Im konkreten Verfahren hat das zuständige Verwaltungsgericht (VG) Hannover in einer Verfügung vom Oktober 2013 seine Absicht mitgeteilt, durch Beschluss zu entscheiden und den Beklagten damit in das Amt eines Realschullehrers zurückzustufen. Gestützt wurde diese Absicht auf die bindenden Feststellungen im Strafbefehl, die Würdigung der tatsächlichen Umstände des begangenen Dienstvergehens sowie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Maßnahmenbemessung . Die Bewertung des Gerichts war in der Gesamtbewertung der Tatumstände nachvollziehbar. Im vorliegenden Fall - wie auch in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen - ist das Verwaltungsgericht dem Antrag der NLSchB, den verbeamteten Lehrer aus dem Dienstverhältnis zu entfernen , nicht gefolgt, sondern hat als Disziplinarmaßnahme die Zurückstufung in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt beschlossen. Das VG Hannover führt im vorliegenden Fall des Besitzes kinderpornografischen Bildmaterials unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG1 zur Verhältnismäßigkeit der Disziplinarmaßnahme „Entfernung aus dem Beamtenverhältnis“ Folgendes aus: Welche Disziplinarmaßnahme verhältnismäßig sei, „ist gem. § 14 NDiszG2 nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens ist angemessen zu berücksichtigen.“3 Dabei sei auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt habe. Zur Disziplinarmaßnahme gegen einen Lehrer, der sich kinderpornografisches Material verschafft hatte, hat das BVerwG nach den Ausführungen des VG Hannovers wiederum Folgendes festgestellt : 1 Beschluss v. 05.04.2013 (2 B 79/11), Urteile vom 19.08.2010 (2 C 5/10 und 2 C 13/10), zitiert nach VG Hannover, Beschluss vom 24.10.2013 (18 A 5986/13). 2 Niedersächsisches Disziplinargesetz. 3 VG Hannover, Beschluss vom 24.10.2013 (18 A 5986/13). 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1165 Für strafbares außerdienstliches Verhalten sei „die gesetzliche Strafandrohung Orientierungsrahmen für die Maßnahmenbemessung (...). Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch diesen Strafrahmen bestimmt, sodass bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges und einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich in Betracht kommt.“4 Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens müsse sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen. So hat das BVerwG beim außerdienstlichen Besitz kinderpornografischer Schriften im Fall eines Zollinspektors einen solchen Dienstbezug verneint und im Fall eines Lehrers bejaht, weil ein Lehrer nach Bekanntwerden eines derartigen Fehlverhaltens bei der Aufgabenwahrnehmung zumindest stark beeinträchtigt sei. Er habe elementare Rechte gerade derjenigen Personengruppe verletzt, deren Schutz und Erziehung ihm als Dienstpflicht obliegen und anvertraut seien. Insoweit genüge die bloße Eignung, zu einem konkreten Ansehensschaden oder konkreten Übergriffen müsse es nicht gekommen sein.5 Im vorliegenden Fall sieht das VG jedoch eine Zurückstufung als angemessen an, da sich die Straftat des Beamten am unteren Rande des Strafrahmens des § 184 b StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe halte. Der Beamte sei lediglich zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Auch sei der Beamte in der Vergangenheit disziplinarrechtlich nicht aufgefallen und habe sich mit besonderem Engagement seiner beruflichen Tätigkeit gewidmet. Nach Eintritt der Rechtskraft der zuvor angekündigten gerichtlichen Entscheidung war die Suspendierung des Beamten aufzuheben und ist der Beamte wieder amtsentsprechend zu beschäftigen. Die NLSchB hat als Personalstelle auch die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht für den Beamten zu berücksichtigen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt: Zu 1: Der Lehrer ist derzeit nicht als Lehrkraft tätig. Es werden zurzeit außerschulische wie schulische Einsatzmöglichkeiten geprüft. Zu 2: Im Falle eines schulischen Einsatzes besteht ein Katalog präventiver Maßnahmen, die auf den konkreten Fall abgestimmt werden: – Es wird der Lehrkraft geraten, offen mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen umzugehen. – Es wird angestrebt, die Lehrkraft in Klassen mit älteren Schülerinnen und Schülern einzusetzen. – Mit einer erfahrenen Schulleiterin oder einem erfahrenen Schulleiter werden ausführliche Gespräche geführt, um sie in Bezug auf die jeweilige Problemlage zu sensibilisieren und einen möglichen Einsatz genau zu besprechen. Die NLSchB bleibt in engem Kontakt mit der Schulleitung , lässt sich in regelmäßigen Abständen berichten und bietet Beratung und Unterstützung an. Dies erstreckt sich auch auf eine mögliche psychologische Betreuung der Lehrkraft. – Grundsätzlich gilt: – Die betroffene Lehrkraft nimmt nicht an Schulfahrten teil. – Je nach Unterrichtsversorgung soll ein Einsatz als Tandemlehrkraft ermöglicht werden. Da der Lehrer zurzeit nicht an einer Schule tätig ist, hat sich eine Elterninformation erübrigt. 4 BVerwG, Beschluss v. 05.04.2013 (2 B 79/11), zitiert nach VG Hannover, a.a.O. 5 Hierzu BVerwG, Urteil vom 19.08.2010 (2 C 5/10), Beschlüsse vom 22.12.2010 (2 B 18/10) und vom 25.05.2012 (2 B 133/11), zitiert nach VG Hannover, a.a.O. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1165 Zu 3: Nein. Die Landesregierung hält an der Auffassung fest, dass in jedem Einzelfall einer nicht nachvollziehbaren gerichtlichen Entscheidung die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln zu prüfen sind. Straf- und Disziplinarmaßnahmen sind tat- und täterangemessen festzusetzen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 4: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Zu 5: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Das Kultusministerium wurde nach Erteilung der Zustimmung informiert. Zu 6: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Weil hinreichende Erfolgsaussichten für eine anders geartete Entscheidung in dieser oder der Berufungsinstanz nicht festzustellen waren, wurde die Zustimmung zu der beabsichtigten Beschlussentscheidung erteilt. Im Übrigen kann gemäß § 62 Abs. 2 Niedersächsisches Disziplinargesetz (NDiszG) gegen einen nach § 54 Abs. 1 NDiszG ergangenen Beschluss lediglich eine Beschwerde wegen des Fehlens der Zustimmung der Beteiligten eingelegt werden. Damit ist ein Angriff gegen den Beschluss im Hinblick auf seinen materiellen Inhalt nicht möglich, der Beschluss ist insofern unanfechtbar. Die Pressestelle des Kultusministeriums ist bezüglich des Beschlusses des VG Hannover von der NLSchB dahin gehend informiert worden, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen nur eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit bei Beschwerdeeinlegung vorgelegen habe. Die Pressestelle sah keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln. In Vertretung des Staatssekretärs Michael Markmann 4 (Ausgegeben am 27.01.2014) Drucksache 17/1165 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Kai Seefried (CDU), eingegangen am 11.12.2013 Warum hat die Landesregierung ihre rechtlichen Möglichkeiten in dem Disziplinarverfahren gegen einen verurteilten Lehrer nicht ausgeschöpft? Antwort der Landesregierung