Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1172 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, JanChristoph Oetjen und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 03.12.2013 Menschenhandel in Niedersachsen Das Arbeitspapier „Trafficking in human beings, 2013 edition“ von Eurostat stellt eine gute Übersicht über den Menschenhandel in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar. Ausweislich des Berichts ist die Anzahl der identifizierten und mutmaßlichen Opfer zwischen 2008 und 2010 um 18 % angestiegen. Europaweit waren 68 % der Opfer Frauen, 17 % Männer, 12 % Mädchen und 3 % Jungen. Die Mehrheit war Opfer sexueller Ausbeutung (62 %). An zweiter Stelle stand die Ausbeutung der Arbeitskraft (25 %). Andere Hintergründe, wie Organhandel oder der Verkauf von Kindern, hatten einen Anteil von 14 %. In Deutschland betrug die Anzahl der Opfer 692 in 2008, 733 in 2009 und 651 in 2010 je 100 000 Einwohner. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie viele sicher identifizierte und mutmaßliche Opfer von Menschenhandel gab es seit 2008 in Niedersachsen in den einzelnen Jahren? 2. Wie verteilen sich diese Opfer nach Geschlecht und Alter? 3. Wie viele Opfer waren von sexueller Ausbeutung betroffen (bitte einzeln nach Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 4. Wie viele Opfer waren von der Ausbeutung der Arbeitskraft der Arbeitskraft betroffen (bitte einzeln nach Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 5. Wie viele Opfer waren von anderen Formen der Ausbeutung betroffen, und welche Formen waren dies (bitte einzeln nach Form, Geschlecht und Alter aufschlüsseln)? 6. Aus welchen Herkunftsländern stammten die Opfer im Einzelnen a) bei sexueller Ausbeutung, b) bei der Ausbeutung der Arbeitskraft, c) bei den weiteren Formen der Ausbeutung? 7. Aus welchen Ländern stammten die (mutmaßlichen) Täter a) bei sexueller Ausbeutung, b) bei der Ausbeutung der Arbeitskraft, c) bei den weiteren Formen der Ausbeutung? 8. Wie ist der aktuelle Sachstand bezüglich des Gesetzesentwurfes gegen Menschenhandel, den die Landesregierung in ihrer Kabinettsitzung vom 18.06.2013 beschlossen und in den Bundesrat eingebracht hat? (An die Staatskanzlei übersandt am 11.12.2013 - II/725 - 534) 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1172 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 21.01.2014 für Inneres und Sport - P 23.24-01425/2 - Der in den Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage zitierte EUROSTAT-Bericht „Trafficking in Human Beings, 2013 edition“ enthält statistische Daten zu dem Phänomen „Menschenhandel“ in den 27 EU-Mitgliedstaaten, bezogen auf die Zeiträume 2008 bis 2010. Als Datengrundlage dienten - laut Bericht, S. 38, - für Deutschland „polizeilich erfasste Daten der identifizierten Opfer“, ohne dass die konkrete Quelle benannt wurde. Auf den Webseiten zu EUROSTAT wird allgemein auf das Statistische Bundesamt sowie die Statistischen Landesämter als Datenquelle verwiesen. Ein Abgleich mit den hier bekannten polizeilichen Datenbeständen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) und des durch das Bundeskriminalamt auf Basis eines bundeseinheitlichen Melderasters erstellten Bundeslagebildes Menschenhandel zeigt in Bezug auf die im EUROSTAT-Bericht genannten Opferzahlen zum Teil erhebliche Abweichungen hierzu auf: Jahr 2008 2009 2010 EUROSTAT-Bericht 692 733 651 Bundeslagebild Menschenhandel* 676 710 610 PKS Bund** 910 1 079 913 * diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung , da die Bundeslagebilder 2009 und 2010 keine Opferzahlen im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft ausweisen. ** PKS des Bundes zu den identifizierten Opfern des Menschenhandels (§§ 232, 233, 233 a StGB). Die Fall- und Opferzahlen der PKS entsprechen aufgrund unterschiedlicher Erfassungsmodalitäten nicht denen des Bundeslagebildes; in der PKS werden u. a. auch strafrechtlich relevante Versuchsdelikte erfasst, die in den Lagebilddarstellungen nicht berücksichtigt werden. Anzumerken ist, dass es sich bei diesen Zahlen jeweils um die Gesamtzahl der bundesweit bekanntgewordenen Opfer pro Jahr handelt und nicht - wie in der Anfrage dargestellt – um eine Häufigkeitszahl in Bezug auf je 100 000 Einwohner. In Niedersachsen werden seit 1998 jährlich Landeslagebilder für den Deliktsbereich des Menschenhandels erstellt, die seit 2005 auch Angaben zum Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft enthalten. Die PKS-Erfassung erfolgt analog zu der des Bundes bislang ebenfalls aufgeschlüsselt nach den Menschenhandelstatbeständen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie der Förderung des Menschenhandels. Weitere Erscheinungsformen, wie Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme, der Ausnutzung von Straftaten oder zur erzwungenen Bettelei sowie der Handel mit Kindern zum Zweck der kommerziellen Ausbeutung, die in der noch nicht in deutsches Recht umgesetzten EU-Richtlinie 2011/36/EU (Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer) bzw. 2011/93/EU (Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie) aufgeführt sind, sind in Deutschland derzeit strafrechtlich noch nicht erfasst, sodass hierzu keine statistischen Aussagen getroffen werden können. Zur Beantwortung der detaillierten Fragen wird nachfolgend ausschließlich auf die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik Niedersachsen der Jahre 2008 bis 2012 zurückgegriffen. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1172 Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage auf Grundlage der Berichterstattung des Landeskriminalamtes Niedersachsen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1 und 2: In der PKS sind für Niedersachsen folgende Opferzahlen für Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie der Förderung des Menschenhandels erfasst, die sich nach Geschlecht und Alter wie folgt differenzieren: Zeitraum 2008 2009 2010 2011 2012 männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. Altersstufen unter 14 J. 0/1 14 bis unter 18 J. 0/12 0/6 0/10 0/4 0/24 18 bis unter 21 J. 2/44 0/42 0/28 1/31 0/73 21 bis und älter 10/41 16/37 30/42 3/25 2/36 Gesamt (m/w) 12/97 16/85 30/80 4/60 2/134 Summe 109 101 110 64 136 Zu den mutmaßlichen Opfern des Menschenhandels kann keine belastbare Aussage getroffen werden, es ist jedoch von einem beträchtlichen Dunkelfeld auszugehen. Zu 3: Von sexueller Ausbeutung waren folgende Menschenhandelsopfer betroffen: Zeitraum 2008 2009 2010 2011 2012 männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. Altersstufen unter 14 J. 0/1 14 - unter 18 J. 0/12 0/6 0/10 0/4 0/21 18 - unter 21 J. 2/44 0/38 0/28 0/29 0/69 21 - und älter 6/41 6/33 4/39 2/21 0/35 Gesamt (m/w) 8/97 6/77 4/77 2/54 0/126 Zu 4: Von der Ausbeutung der Arbeitskraft waren folgende Menschenhandelsopfer betroffen: Zeitraum 2008 2009 2010 2011 2012 männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. männl./weibl. Altersstufen unter 14 J. 14 - unter 18 J. 18 - unter 21 J. 0/1 1/0 21 - und älter 3/0 10/2 1/1 1/2 1/1 Gesamt (m/w) 3/0 10/3 1/1 2/2 1/1 Zu 5: Zu weiteren Erscheinungsformen, wie Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme, der Ausnutzung von Straftaten oder zur erzwungenen Bettelei sowie der Handel mit Kindern zum Zweck der kommerziellen Ausbeutung, existieren in Deutschland noch keine speziellen Straftatbestände (siehe Vorbemerkungen). Eine entsprechende Erfassung in der PKS erfolgt insofern noch nicht. Zu 6: In Niedersachsen ist in der PKS eine opferbezogene Auswertung für den Bereich des Menschenhandels erst seit 2012 möglich (auf Bundesebene erst seit 2013 verpflichtend). 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1172 Staatsangehörigkeit Opferzahl sexuelle Ausbeutung Opferzahl Ausbeutung der Arbeitskraft Albanien 1 0 Bulgarien 14 0 Dominikanische Republik 1 0 Ghana 1 0 Lettland 2 0 Libanon 1 0 Litauen 7 0 Nigeria 1 0 Polen 6 0 Rumänien 25 0 Russische Föderation 3 0 Slowakei 5 0 Slowenien 0 1 Syrien, Arabische Republik 2 0 Tschech. Republik 1 0 Türkei 1 0 Ukraine 1 0 Ungarn 16 0 ungeklärt 2 0 ohne Angabe 3 1 Nichtdeutsch 90 1 Deutschland 33 0 Gesamt 126 2 Zu 7: Zu den Tatverdächtigen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sind in der PKS folgende Staatsangehörigkeiten erfasst: Herkunftsstaat 2008 2009 2010 2011 2012 Albanien 1 1 Bosnien und Herzegowina 1 Bulgarien 6 14 22 12 9 China VR Dänemark 1 Ghana 1 Griechenland 1 Irak 1 1 Italien 1 1 Kosovo 2 1 2 Lettland 1 1 Libanon 2 Litauen 5 2 Mazedonien 1 1 1 2 1 Niederlande 1 1 1 Nigeria 2 13 2 Österreich 1 1 Polen 8 1 3 5 Portugal 1 Rumänien 5 2 4 14 Russ. Föderr. 1 Serbien 1 1 3 1 3 Serb. u. Mont 1 Slowakei 1 1 3 Spanien 1 1 Syrien 1 1 1 4 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1172 Herkunftsstaat 2008 2009 2010 2011 2012 Thailand 1 1 Tschechische Republik 1 2 2 Türkei 7 6 5 3 12 Ungarn 1 1 16 ohne Angabe 1 1 2 Staatenlos 2 1 Nichtdeutsch 43 31 56 39 77 Deutsche TV 60 54 36 28 53 Zu den Tatverdächtigen des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft sind in der PKS folgende Staatsangehörigkeiten erfasst: Herkunftsstaat 2008 2009 2010 2011 2012 China VR 5 Polen 1 1 Serbien 1 Türkei 2 1 Nichtdeutsch 1 3 5 1 Deutsche TV 0 1 1 5 1 Zu 8: Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (BR-Drs. 528/13) ist in der 912. Sitzung des Bundesrats am 5. Juli 2013 vorgestellt und an die Ausschüsse überwiesen worden. Die beteiligten Ausschüsse - der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Frauen und Jugend sowie der Ausschuss für Innere Angelegenheiten - haben jeweils beschlossen, die Beratung der Vorlage bis zum Wiederaufruf durch das antragstellende Land zu vertagen. Boris Pistorius 5 (Ausgegeben am 28.01.2014) Drucksache 17/1172 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling, Jan-Christoph Oetjen und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 03.12.2013 Menschenhandel in Niedersachsen Antwort der Landesregierung