Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1231 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha, Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 16.12.2013 Stromtrasse zwischen Wahle und Mecklar CDU, CSU und SPD schreiben in ihrer Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene zum Netzausbau: „In ausgewählten Pilotlinien sollen neu zur Verfügung stehende Gleichstromtechnologien (Mehrpunktfähigkeit ), wie z. B. der DC-Leistungsschalter bzw. Regelungstechniken und Kabelverlegetechniken , erprobt und gegebenenfalls aus Mitteln der Technologieförderung auch gefördert werden . Als Ausgangspunkt ist hierfür ein zentraler Verteilerpunkt im Drehstromnetz sinnvoll.“ Als mögliche Pilottrasse zur Erprobung dieser Techniken wird vielfach u. a. die geplante Trasse zwischen dem niedersächsischen Wahle (Kreis Peine) und dem hessischen Mecklar (Kreis Hersfeld -Rotenburg) vorgeschlagen. Während der heutige Landwirtschaftsminister Christian Meyer in einer Pressemitteilung vom 12.08.2011 eine nicht vollständige Erdverkabelung als „Einknicken vor den wirtschaftlichen Interessen der Hochspannungslobby zulasten der Bevölkerung“ bezeichnete, verteidigte Umweltminister Stefan Wenzel am 04.11.2013 den Verzicht auf eine vollständige Erdverkabelung aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wird die Landesregierung die Trasse Wahle–Mecklar als Pilottrasse für Gleichstromtechnologie vorschlagen, und wie bewertet sie diesen Vorschlag? 2. Wie sind der aktuelle Stand der Planung und der aktuelle Zeitplan zum Bau der Stromtrasse Wahle–Mecklar? 3. Wie steht die Landesregierung zur Gleichstromtechnologie? 4. Wird die Landesregierung aufgrund des Koalitionsvertrages eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Stromtrasse Wahle–Mecklar durchführen? 5. Weshalb ist nach Aussage von Umweltminister Wenzel eine vollständige Erdverkabelung zwischen Wahle und Mecklar nicht möglich, obwohl der heutige Landwirtschaftsminister Meyer eine Teilverkabelung in einer Pressemitteilung vom 12.08.2011 abgelehnt hat? 6. Inwieweit sieht die Landesregierung den Verzicht auf eine vollständige Erdverkabelung als „Einknicken vor den wirtschaftlichen Interessen der Hochspannungslobby zulasten der Bevölkerung “ (Zitat Christian Meyer vom 12.08.2011)? 7. Wie hoch wäre der finanzielle Mehraufwand bei einer vollständigen Erdverkabelung im Vergleich zur derzeitigen Planung? 8. Welche Gleichstromtechnologien könnten konkret erprobt werden? (An die Staatskanzlei übersandt am 19.12.2014 - II/725 - 551) 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1231 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 17.02.2014 für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Ref17-01425/17/7/11-0017 - Netzausbau ist die zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Im Vordergrund stehen dabei die Verstärkung und Erweiterung des bestehenden Verbundnetzes durch den Ausbau der 380-kV-Höchstspannungsleitungen, ergänzt durch punktuelle Nord-SüdGleichstromleitungen , sowie die Errichtung der erforderlichen Anbindungsleitungen von OffshoreWindparks . Bei der Netzausbaumaßnahme von Wahle nach Mecklar handelt es sich um einen Netzlückenschluss im vermaschten Drehstromnetz, der Norddeutschland mit dem hessischen Lastschwerpunkt im Raum Frankfurt/Main verbinden soll. Der Bundesgesetzgeber hat durch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) die Möglichkeit geschaffen, dass in dieser Maßnahme Teilverkabelungsabschnitte zur Erprobung zum Einsatz kommen können, wenn Mindestabstände zu Siedlungen von 400 m und Einzelhäusern von 200 m nicht eingehalten werden können. Diese Regelungen greifen Regelungsinhalte auf, die das Land Niedersachsen im Jahr 2007 mit dem Niedersächsischen Erdkabelgesetz in Verbindung mit dem Landes-Raumordnungsprogramm geschaffen hatte. Obwohl durch die bundes- und landesrechtlichen Abstandsregelungen zu Wohnbebauungen in den EnLAG-Pilotprojekten ein weit über das sonst übliche Maß hinaus gehender Wohnumfeldschutz erreicht wird, reicht einem Teil der Trassenanlieger und einigen Kommunen diese Teilverkabelungsoption in siedlungsnahen Bereichen nicht aus. Es wird von ihnen vorgeschlagen, den Netzausbau auf der gesamten Ausbaustrecke als Erdkabel bevorzugt in Hochspannungsgleichstromtechnik zu errichten. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Netzlückenschlüsse im Drehstromnetz, wie die Maßnahme von Wahle nach Mecklar, sind im EnLAG in Freileitungsbauweise mit Teilverkabelungsoption vorgesehen. Diese Netzausbaumaßnahme ist nicht nur für den Stromferntransport von Nord nach Süd von großer Bedeutung, sie dient auch der Aufnahme von Strom aus den in Südniedersachen und Nordhessen geplanten Stromerzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien und bestehenden bzw. geplanten Pumpspeicherkraftwerken im Leinetal. Über die Netzverknüpfungspunkte zum 110-KV-Netz wird dieser Strom aufgenommen und in die Lastschwerpunkte weitergeleitet. Von großer Bedeutung ist auch, dass die Lastzentren und Industriekomplexe im Raum Hannover/Braunschweig/Wolfsburg/Salzgitter sowie die Region Göttingen nach der geplanten Abschaltung des Atomkraftwerks in Grohnde und der schrittweisen Außerbetriebnahme konventioneller Kraftwerke über das vermaschte Drehstromnetz ausreichend versorgt werden können. Es liegt daher im Entwicklungsinteresse des Landes Niedersachsen und hier insbesondere des südniedersächsischen Raums, diesen Netzlückenschluss in Drehstromtechnik auszugestalten. Gleichstromsysteme werden in der Regel als Punkt zu Punkt Systeme errichtet. Sie sind erst ab einer abzweigfreien Trassenlänge von mehreren Hundert Kilometern wirtschaftlich zu errichten und zu betreiben. Bereits bei der Beratung zum Niedersächsischen Erdkabelgesetz im Jahr 2007 schnitt bei einer in der Anhörung des Umweltausschusses vorgetragenen wissenschaftlichen Vergleichsuntersuchung von Prof. Oswald von der Leibniz Universität Hannover die Gleichstromerdkabelvariante für die Maßnahme von Wahle nach Mecklar als mit Abstand unwirtschaftlichste Variante äußerst ungünstig ab. Dies war neben den sehr hohen Mehrkosten für die Erdverkabelung insbesondere auch in den hohen Energieverlusten durch die notwendige Konvertierung begründet. Der Einsatz von Gleichstromtechnik auf derart kurzen Streckenabschnitten ist aufgrund dieser hohen Energieverluste auch aus klimapolitischen Gründen nicht sinnvoll. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1231 Aufgrund der beschriebenen Zweckbestimmung für den Netzlückenschluss von Wahle nach Mecklar ist hier keine Errichtung in Gleichstromtechnik sinnvoll oder zweckmäßig und aufgrund der derzeitigen Rechtslage rechtlich nicht planfeststellbar und wird daher von der Landesregierung auch nicht angestrebt. Zu 2: Das Netzausbauprojekt Wahle–Mecklar wurde aus verfahrensökonomischen Gründen vom Vorhabenträger - der TenneT TSO GmbH - in vier Ausbauabschnitte geteilt, von denen drei in Niedersachsen liegen. Für den ersten Bauabschnitt zwischen Wahle und Lamspringe wurde im November 2013 das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Die öffentliche Auslegung der Planunterlagen wurde im Dezember 2013 beendet. Die Antragsunterlagen für den zweiten niedersächsischen Streckenabschnitt von Lamspringe nach Hardegsen werden vom Vorhabenträger derzeit vorbereitet. Die Planungen der TenneT TSO GmbH sehen vor, noch zum Beginn des zweiten Quartals 2014 für diesen Abschnitt ins Planfeststellungsverfahren zu gehen. Die Antragstellung für den dritten Abschnitt ist seitens der TenneT TSO GmbH zum Oktober 2014 geplant. Die Inbetriebnahme der ersten drei Abschnitte ist für 2017 und für den vierten Abschnitt in Hessen für 2018 geplant. Zu 3: Zum Einsatz von Gleichstromsystemen stellt sich die Situation aus Sicht der Landesregierung wie folgt dar: Moderne Hochspannungsgleichstromübertragungssysteme wie z. B. VSC (Voltage Source Converter )-HGÜ-Systeme sind selbstgeführt und damit schwarzstartfähig und werden derzeit ausschließlich zur Netzanbindung von Offshore-Windparks in der Nordsee eingesetzt. Im vermaschten Übertragungsnetz hingegen werden diese VSC-HGÜ-Systeme bisher weltweit noch nicht eingesetzt. Aufgrund fehlender Erfahrungen zum Systemverhalten in drehstrom-dominierten Übertragungsnetzen entspricht diese Technologie derzeit noch nicht dem Stand der Technik und soll nach dem Bundesbedarfsplangesetz zunächst nur in ausgewählten, überregionalen Netzausbauprojekten pilotiert werden. Wie die Wechselstromtechnik wird auch die Gleichstromübertragungstechnik auf den höheren Spannungsebenen der Übertragungsstromnetze in der Regel als Freileitungstechnik und nicht als Erdkabel errichtet. Unabhängig von der Frage Freileitung oder Erdkabel ist zu beachten, dass die derzeit verfügbaren Gleichstromübertragungstechniken sogenannte Punkt zu Punkt Verbindungen sind, die keine Stromzuführungen, wie beispielsweise die Einbindung des Pumpspeicherwerks Erzhausen oder Stromentnahmen im Trassenverlauf zulassen. Bei den großen Gleichstromtrassen, die im Bundesbedarfsplangesetz durch Nord- und Ostdeutschland vorgesehen sind, handelt es sich hingegen um mehrere Hundert Kilometer lange abzweigfreie Fernleitungen. Diese Technik ist daher nur als Ergänzung zum Ausbau des vermaschten Drehstromnetzes aber nicht als Ersatz für Drehstromnetzlückenschlüsse geeignet. Netzlückenschlüsse, wie die Maßnahme von Wahle nach Mecklar, werden daher ausschließlich in Wechselstromtechnik geplant und errichtet. Zu beachten ist auch, dass die Gleichstromtechnik erst ab einer abzweigfreien Trassenlänge von mehreren hundert Kilometern zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten errichtet und betrieben werden kann. Zu 4: Bereits bei der Beratung des Niedersächsischen Erdkabelgesetzes im Jahr 2007 ist die Frage des wirtschaftlichen Vergleichs der verschiedenen Ausbauvariationen und Techniken intensiv untersucht und beraten worden. Dabei ist deutlich geworden, dass die später auch im EnLAG vorgesehene Ausbauvariante in Freileitungstechnik mit Mindestabständen zu den Wohngebäuden von 400 m im beplanten Bereich und 200 m im Außenbereich und einer Teilverkabelungsoption bei Unterschreiten dieser Abstände sowohl sehr weitgehenden Wohnumfeldschutz, als auch verantwortbare wirtschaftliche Ergebnisse ermöglicht. Durch regelmäßige Überprüfungen der technischen Entwicklung und der Kostenentwicklungen durch die Landesregierung, ist deutlich geworden, dass die Gleichstromsysteme in Erdverkabelung im Einsatz bei relativ kurzen Ausbaustrecken weiterhin die teuerste und unwirtschaftlichste Ausbauvariante darstellen. Die Landesregierung sieht daher derzeit keine Veranlassung für neue Wirtschaftlichkeitsberechnungen. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1231 Zu 5 und 6: Die Netzausbaumaßnahme von Wahle nach Mecklar ist eines von vier Pilotvorhaben in Deutschland im vermaschten Drehstromnetz, um den Einsatz von Erdkabeln auf Teilabschnitten auf der Höchstspannungsebene im Übertragungsnetz zu erproben. Diese Leitung kann vom Vorhabenträger nach Maßgabe des Absatzes 2 des § 2 EnLAG nur in Teilabschnitten als Erdkabel errichtet und betrieben oder geändert werden. Auch auf Verlangen der für die Zulassung des Vorhabens zuständigen Behörde kann eine Teilverkabelung im Höchstspannungsnetz beim Vorhaben von Wahle nach Mecklar auf einem technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitt errichtet und betrieben oder geändert werden. Eine vollständige Erdverkabelung zwischen Wahle und Mecklar ist rechtlich dagegen nicht vorgesehen und kann vom Vorhabenträger nicht beantragt und von der Planfeststellungsbehörde nicht genehmigt werden. Im politischen Raum sind in der Vergangenheit von Vertretern aller politischen Strömungen Forderungen nach höheren Erdverkabelungsanteilen bis hin zur vollständigen Erdverkabelung erhoben worden. Die jetzt im Energierecht vorgesehenen Ausbauoptionen entsprechen dem im Bundestag und Bundesrat dazu erreichten Regelungsinhalt. Das Land Niedersachsen hat sich zuletzt bei der Beratung des Bundesbedarfsplangesetzes im Mai 2013 für eine Ausweitung dieser Teilverkabelungsoptionen auf alle Netzausbaumaßnahmen ausgesprochen , dafür aber keine ausreichende Unterstützung bei der damaligen Bundesregierung und den anderen Bundesländern gefunden. Es ist weiterhin das Ziel der Landesregierung, Teilverkabelungsmöglichkeiten für alle Netzausbaumaßnahmen zu erreichen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Abgeordnete von Oppositionsfraktionen derartige gesetzliche Regelungen und die ihnen zugrunde liegenden Kompromisse anders bewerten als die Regierungsfraktionen. Zu 7: In der Landtags-Anhörung zum Niedersächsischen Erdkabelgesetz im Jahr 2007 hatte Prof. Oswald von der Leibniz-Universität Hannover am Beispiel der Trasse von Wahle nach Mecklar vorgetragen , dass die Energieverluste bei kurzen Gleichstromstrecken gegenüber der Drehstromtechnik aufgrund des notwendigen Konvertereinsatzes deutlich höher sind. Im Kostenvergleich der Investitions -, Verlust- und Gesamtkosten (Barwerte) lag die Freileitungstrasse in der geplanten Drehstromtechnik bei circa 172 Mio. Euro. Die Gleichstromerdkabeltechnik dagegen bei circa 938 Mio. Euro. Jeder Leistungsschalter, der auf einer Gleichstromstrecke zusätzlich eingebaut würde, würde diese Kosten noch einmal deutlich erhöhen. Zu 8: Der Netzentwicklungsplan Strom (NEP) enthält vier HGÜ-Neubaukorridore. Aufgrund des derzeitigen Entwicklungsstands der VSC-HGÜ-Technik handelt es sich um reine Punkt zu Punkt Verbindungen , die auch aufgrund noch nicht verfügbarer und nicht dem Stand der Technik entsprechenden Gleichstromleistungsschalter noch nicht mehrpunktfähig sind und somit kein weiteres Ein- und Auskoppeln von zusätzlichen Erzeugungskapazitäten zwischen den Endpunkten erlauben. Dies betrifft auch die Übertragungsstrecke von Schleswig-Holstein über Niedersachsen nach BadenWürttemberg und Bayern. Die Landesregierung hält es aber für sinnvoll, die von der Industrie entwickelten und bisher nicht eingesetzten neuen Leistungsschalter für die Gleichstromtechnik bei einem Offshore-Netzanbindungsprojekt oder einem der vier im NEP vorgesehenen Gleichstromkorridore zu erproben. Ziel der Erprobung könnte neben der Überprüfung der technischen Leistungsfähigkeit der Systeme, auch der Gewinn von Erkenntnissen über die wirtschaftlichen Aspekte des Einsatzes sein. Eine entsprechende Anregung hat das Land im Rahmen der Konsultation zum zweiten Entwurf des Netzentwicklungsplans Strom 2013 bereits an die Bundesnetzagentur übermittelt . Einflüsse auf die derzeit laufenden oder in Vorbereitung befindlichen Planfeststellungsverfahren zu den Drehstromnetzlückenschlüssen, wie der Maßnahme von Wahle nach Mecklar, hätte eine solche Erprobung aber nicht, da auch zukünftig der Einsatz von Gleichstromübertragungstechniken auf diesen Drehstromnetzlückenschlüssen auszuschließen ist. Stefan Wenzel 4 (Ausgegeben am 25.02.2014) Drucksache 17/1231 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha, Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP), ein-gegangen am 16.12.2013 Stromtrasse zwischen Wahle und Mecklar Antwort der Landesregierung