Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1275 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Gabriela Kohlenberg, Burkhard Jasper, Jörg Hillmer, Horst Schiesgeries , Dr. Stephan Siemer und Lothar Koch (CDU), eingegangen am 05.12.2013 Haben die niedersächsischen Staatstheater weniger Innovationspotenzial als freie Theater? Laut NWZ vom 7. November 2013 besuchte die Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Frau Dr. Heinen-Kljajić, einen Kinoladen in Oldenburg. Bei einem Hintergrundgespräch habe die Ministerin das Innovationspotenzial der freien Theaterszene gewürdigt, das deutlich größer sei als bei den Staatstheatern. In ihren Augen würden die freien Theater auch deutlich mehr Menschen erreichen als die Staatstheater. Frau Ministerin Dr. Heinen-Kljajić habe wenig Hoffnung auf institutionelle finanzielle Förderung gemacht . Zwar könnten die Fachverbände, wie die soziokulturelle Theaterszene, Mittel für einzelne Projekte beantragen, es sei allerdings illusorisch, dass der Landeskulturetat aufgestockt werde. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Was bedeutet es für die niedersächsischen Staatstheater, wenn die Kulturministerin ihnen weniger „Innovationspotenzial“ zugesteht als freien Theatern? 2. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um das nach Ansicht der Kulturministerin angeblich geringere „Innovationspotenzial“ der Staatstheater in Niedersachsen zu erhöhen? 3. Wie viele Besucher haben seit 2008 die niedersächsischen Staatstheater und wie viele die freien Theater in Niedersachsen aufgesucht (wir bitten um eine tabellarische Aufstellung)? 4. Unter welchen Bedingungen werden Projektmittel an Fachverbände vergeben? 5. Wurden die Voraussetzung der Projektmittelgewährung unter der rot-grünen Landesregierung verändert? Falls ja, inwieweit? 6. Wäre es wegen des nach Ansicht der Kulturministerin großen Innovationspotenzials sinnvoll, die freien und kommunalen Theater stärker zu fördern? (An die Staatskanzlei übersandt am 11.12.2013 - II/725 - 536) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 03.03.2014 für Wissenschaft und Kultur - M - 01 420-5/536 - Die Theaterlandschaft in Deutschland und in Niedersachsen bezieht ihre Einzigartigkeit aus der Summe von Staatstheatern, Stadttheatern, Landesbühnen und einer vielfältigen Freien Szene. In einer jahrhundertelangen Entwicklung hat sich in Deutschland ein Theatersystem etabliert, das durch stehende Mehrspartentheater in vielen größeren Städten geprägt wird. Diese Staats- oder Stadttheater bieten ihrem Publikum einen vielfältigen Spielplan in einem Repertoirebetrieb, der in allen Sparten parallel mehrere Theaterstücke im Wechsel vorsieht. Dieser Spielplan wird durch fest angestelltes Personal in allen künstlerischen Sparten und allen technischen Gewerken realisiert. Er beinhaltet etwa beim Oldenburgischen Staatstheater in der laufenden Spielzeit 2013/2014 mehr als 55 verschiedene Theaterproduktionen. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1275 Dieser Spielbetrieb setzt eine langfristige Disposition der Proben- und Vorstellungstermine und eine äußerst komplexe Personaleinteilung voraus. Vor allem im Bereich des Musiktheaters betragen die Planungsvorläufe zumeist mindestens zwei bis drei Jahre. Auch bei den Landesbühnen, die das Theater zu den Menschen in der Fläche bringen, sind lange Planungsvorläufe notwendig. Die Freie professionelle Theaterszene ist durch andere Strukturen geprägt. Hier agieren kleinere Gruppen von Künstlerinnen und Künstlern, die nicht vor der Herausforderung stehen, große Spielstätten in einem ganzjährigen Spielbetrieb für ein großes Publikum attraktiv machen zu müssen. Dies gibt den Freien Theatern die Möglichkeit, zielgruppenorientiert zu arbeiten und Produktionen für spezielle Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Sie leisten häufig einen bemerkenswerten Prozess der Anpassung an ihr gesellschaftliches Umfeld und an gesellschaftliche Entwicklungen. Vor diesem strukturellen Hintergrund wird den Freien Theatern ein hohes Maß an Innovationskraft zugeschrieben . Die gesamte Theaterbranche verfolgt das Ziel, Menschen für die darstellende Kunst zu begeistern, indem sie ihre Bühnen zu einem Ort der lebendigen künstlerischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen macht. Von den Staats- über die Stadttheater, die Landesbühnen bis hin zu den Freien Theatern wird angestrebt, möglichst vielen Menschen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Lediglich die Strukturen sind unterschiedlicher Natur. Die Staats- und Stadttheaterlandschaft ist zentralisierter und geprägt durch größere Spielstätten und komplexere Produktionsabläufe. Die Freien Theater bespielen kleinere Spielstätten und häufig auch den ländlichen Raum. Seit einigen Jahren ist die Entwicklung der Theaterbranche durch eine zunehmende Durchlässigkeit für Künstlerinnen und Künstler einerseits und immer häufigere Kooperationen zwischen stehenden Theatern und der Freien Szene andererseits geprägt. Auch und gerade die niedersächsischen Staatstheater kooperieren vielfältig mit Freien Theatergruppen. Das Programm der großen deutschen Theaterfestivals, vor allem der „Theaterformen“ in Hannover/Braunschweig belegt die Durchlässigkeit der Theaterszene und das hohe Innovationspotenzial aller Theaterformen. Dies vorausgeschickt, werden die Fragen namens der Landesregierung wie folgt beantwortet: Zu 1 und 2: Die niedersächsischen Staatstheater haben den kulturpolitischen Auftrag, mit vielfältigen Angeboten möglichst große Teile der Bevölkerung in ihrer Stadt und Region zu erreichen. Der Betrieb ihrer Spielstätten bedingt, ihre Aktivitäten so zu gestalten, dass sie sowohl ihr Publikum langfristig begeistern als auch laufend neue Publikumsschichten hinzugewinnen können. Dies gelingt durch höchstes künstlerisches Niveau, das eine seiner Grundlagen in seinem herausragenden Innovationspotenzial hat. Des Weiteren wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. Zu 3: Die Zuschauerzahlen der drei niedersächsischen Staatstheater sowie der Freien Theater in Niedersachsen in den Kalenderjahren 2008 bis 2012 sind der anliegenden Tabelle zu entnehmen. Die Zuschauerzahlen der Freien Theater wurden vom Landesverband Freier Theater in Niedersachsen e. V. (LaFT) mitgeteilt und beziehen sich auf die Theater, die dort Mitglied sind. Derzeit sind mehr als 90 Freie Theater Mitglied im LaFT. Annähernd die Hälfte dieser Theater hat Angaben zu Besucherzahlen übermittelt, wobei manche Theater eine Schätzung ihrer Zuschauerzahlen vorgelegt haben. Die Tabelle enthält: – die Gesamtzuschauerzahl der Theater, die an der Umfrage teilgenommen haben, – die Zahl der angebenden Theater, – die Mitgliederzahl des Landesverbandes Freier Theater in Niedersachsen e. V., – die durchschnittliche Zuschauerzahl pro Theater, – einen hochgerechneten Gesamtwert unter der Annahme, dass die übrigen 52 Mitgliedstheater ebenfalls die durchschnittliche Zuschauerzahl erreichen. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1275 Zu 4: Derzeit werden keine Projektmittel an Fachverbände vergeben. Die Kulturministerin hat bei ihrem Besuch im Kinoladen Oldenburg darauf Bezug genommen, dass die Fachverbände künftig verstärkt in die Mittelvergabe einbezogen werden sollen. Dies gilt nicht zuletzt für den Landesverband Freier Theater in Niedersachsen e. V. Die Geschäftsführerin des Landesverbandes nimmt beratend an den Sitzungen des Theaterbeirates des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur teil. Zu 5: Die Voraussetzungen wurden nicht verändert. Zu 6: Das große Innovationspotenzial der Freien Theater hat wie eingangs dargelegt seinen Grund in den strukturellen Rahmenbedingungen der Produktionsprozesse. Daraus wird keine Notwendigkeit einer stärkeren Förderung der Freien Theater und der Kommunaltheater abgeleitet. Dr. Gabriele Heinen-Kljajić 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1275 Anlage Zuschauerzahlen an den Freien Theatern und den niedersächsischen Staatstheatern in den Kalenderjahren 2008 bis 2012 Staatstheater Braunschweig 2008 2009 2010 2011 2012 Großes Haus 111 755 103 631 116 923 112 349 112 515 kleines Haus 41 630 54 278 44 904 37 861 40 810 Stadthalle 26 315 25 134 25 154 24 560 24 639 Sonstige Spielstätten und sonstige Veranstaltungen 86 675 88 535 90 132 85 294 85 077 Besucher gesamt 266 375 271 578 277 113 260 064 263 041 Staatstheater Hannover GmbH 2008 2009 2010 2011 2012 Opernhaus* 216 292 213 925 212 348 215 892 170 476 Schauspielhaus 148 499 114 346 83 776 85 621 88 096 Sonstige Spielstätten 79 891 81 772 72 672 77 855 97 035 Besucher gesamt 444 682 410 043 368 796 379 368 355 607 * 2012 erkürzte Spielzeit wg. Erneuerung Bühnenleittechnik Oldenburgisches Staatstheater 2008 2009 2010 2011 2012 Großes Haus** 111 774 111 239 78 679 100 987 91 587 kleines Haus 47 471 41 462 65 447 53 147 47 826 Sonstige Spielstätten und sonstige Veranstaltungen 57 658 41 248 53 563 53 154 64 257 Besucher gesamt 216 903 193 949 197 689 207 288 203 670 ** in Spielzeit 201/11 wegen Sanierung geschlossen, Zuschauer auch Ausweichspielstätte Fliegerhorst Freie Theater Niedersachsen 2008 2009 2010 2011 2012 Gesamt 242 183 254 261 253 102 259 466 273 174 Zahl der angebenden Theater 35 36 38 39 40 Mitgliederzahl 78 84 96 95 95 Schnitt pro Theater 6 920 7 063 6 661 6 653 6 829 Hochgerechneter Gesamtwert 539 722 593 276 639 416 632 033 648 788 4 (Ausgegeben am 10.03.2014) Drucksache 17/1275 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Gabriela Kohlenberg, Burkhard Jasper, Jörg Hillmer, Horst Schiesge-ries, Dr. Stephan Siemer und Lothar Koch (CDU), eingegangen am 05.12.2013 Haben die niedersächsischen Staatstheater weniger Innovationspotenzial als freie Theater? Antwort der Landesregierung Anlage