Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1365 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dirk Toepffer (CDU), eingegangen am 28.01.2014 Sind die Nordspitze des Seelhorster Friedhofs und das Grundstück der Firma Gundlach mit Giftgasresten kontaminiert? Laut einem Presseartikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 12.11.2013 soll an der Nordspitze des Seelhorster Friedhofs zwischen Peiner Straße und Grävemeyerstraße in der Landeshauptstadt Hannover ein neuer jüdischer Friedhof entstehen. Der Kaufvertrag für die 20 000 m2 große Fläche zwischen der Jüdischen Gemeinde Hannover und der Stadt Hannover sei nicht zustande gekommen, weil das Gelände mit Giftgasresten aus dem Ersten Weltkrieg kontaminiert sein könnte. Dazu wird der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hannover mit den Worten zitiert : „Wir verhandeln schon sehr lange über den Friedhof. Wenn es stimmt, dass die Stadt Kenntnis über das Munitionslager hatte, dann wäre es schon fahrlässig, dass das bisher nicht überprüft wurde.“ Aus dem HAZ-Beitrag ergibt sich, dass das Areal früher eine Einheit mit dem Grundstück jenseits der Peiner Straße, auf dem die Firma Gundlach jetzt Wohnungen errichten wolle, bildete. Von 1870 bis 1945 soll das gesamte Areal militärisch als Munitionsanstalt genutzt worden sein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dort von 1919 bis 1921 Munition zerlegt. Die Stadt vermutet auf dem Gelände Flaschen mit dem Kampfgas Blaukreuz und Handgasbomben. Eine Recherche beim Völkerbundarchiv ergab, dass die Akten über Eingang und Ausgang der Kampfgase in dem Seelhorster Depot unvollständig sind. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Altlasten auf dem Grundstück der Firma Gundlach sowie darüber, dass die Landeshauptstadt Hannover der Jüdischen Gemeinde ein kontaminiertes Grundstück verkaufen wollte und kurz vor Vertragsschluss von ihrer Entscheidung abgewichen ist? 2. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung gemeinsam mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Niedersachsen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen, um die Kampfmittelrückstände zu beseitigen? 3. Wer ist verantwortlich, wenn sich nach dem Wohnungsbau der Firma Gundlach herausstellt, dass der kontaminierte Boden für die Bewohner eine nicht hinnehmbare Belastung bedeutet? (An die Staatskanzlei übersandt am 11.02.2014 - II/725 - 600) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 16.03.2014 für Inneres und Sport - 43.23 – 12243-3-20 N - Im zitierten Zeitungsartikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 12.11.2013 wird das Areal, auf dem sich auch die angefragten Flächen befinden, richtig als ehemalige Munitionsanstalt (Muna) bezeichnet. Dieses Areal ist der Landesregierung unter der Bezeichnung „Muna - Seelhorst“ als Rüstungsaltlastenstandort bekannt. Bereits im Jahr 1994 wurde das Niedersächsi- 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1365 sche Landesamt für Ökologie in Hildesheim durch die Landesregierung beauftragt, auch für diesen Rüstungsaltlastenstandort ein Gutachten zur Erfassung und Erkundung zu erstellen. Das Gutachten wurde durch das Institut für angewandte Hydrogeologie GbR in Garbsen erarbeitet und liegt der Landesregierung vor. Mitte der 90er-Jahre ließ die Landeshauptstadt Hannover (LHH) für die Aufstellung mehrerer Bebauungspläne diese Recherche erweitern und hat zudem Boden- und Grundwasseruntersuchungen , insbesondere auch auf Sprengstoffe hin, durchgeführt. Für diverse Bauvorhaben auf der Fläche der ehemaligen Muna fanden in den letzten Jahren ebenfalls Bodenuntersuchungen statt. Sämtliche Untersuchungen haben keine Umweltbelastungen im Zusammenhang mit der ehemaligen Muna ergeben. Im Frühjahr 2013 hat die LHH ein Konzept für Bodenuntersuchungen sowie Kampfmittelräumung für den Bebauungsplan 1140 - Vor der Seelhorst - im Bereich der ehemaligen Gärtnerei erstellen lassen, in dem umfangreiche Aktenbestände ausgewertet wurden. Auf der Fläche des Bebauungsplans 1140 an der Peiner Straße soll Wohnbebauung entstehen. Bauträger ist die Firma Gundlach. Aufgrund der Vornutzung im Rahmen der Muna als „Neues Lager“ wurden hier vor und während des 1. Weltkriegs Kampf- und Sprengstoffe gelagert, die in späteren Jahren zerlegt, vergraben und auch verbrannt wurden. Problematische Bodenbelastungen sind daher nicht auszuschließen. Darüber hinaus befinden sich hier zwei verfüllte Bombentrichter. Dieser Problematik hat man sich in einer Konzepterstellung für Bodenuntersuchungen sowie Kampfmittel-/Kampfstoffräumung im Bereich des Bebauungsplanes 1140 angenommen. Der Bericht liegt seit Mai 2013 vor. Im Zentrum steht der mögliche Verdacht auf Kampfstoffe (z. B. Blaukreuz , Gasgranaten etc.), die hier oder aber auch auf anderen Flächen der ehemaligen Muna vergraben sein könnten, da nach Auswertung der Unterlagen nicht für alle auf der Fläche gesammelten Kampfstoffe der Nachweis des Abtransportes erbracht werden konnte und derartige Vergrabungen in anderen Bereichen des Bundesgebiets vereinzelt entdeckt worden sind. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist dem Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Niedersachsen (KBD) jedoch noch kein Kampfstofffund in diesem Bereich gemeldet worden. Es ergibt sich somit bislang auch kein konkreter Verdacht, dass überhaupt Kampfstoffmunition auf dem Gelände verblieben ist. Im 2. Weltkrieg waren die vorhandenen Lagerstätten und das dortige Umfeld Luftangriffen ausgesetzt , die zum Vorhandensein von Bombenblindgängern führten. Diese werden vom KBD in Abstimmung mit der LHH als zuständiger Gefahrenabwehrbehörde stets anlassbezogen beseitigt. Auf dem heutigen Areal des Seelhorster Friedhofs wurden bislang eine 500 lbs-Sprengbombe (10.08.2001) und drei Brandbomben vom KBD gefunden, geborgen und entsorgt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über ein Grundstücksgeschäft der LHH mit der Jüdischen Gemeinde für die in Rede stehenden Flächen vor. Der Begriff „Altlasten“ ist im Bodenschutzrecht (§ 2 Abs. 5 Bundes-Bodenschutzgesetz [BBodSchG]) definiert. Die aktuelle Bearbeitung des hier angesprochenen Vorgangs erfolgt allerdings federführend nicht seitens der unteren Bodenschutzbehörde (Region Hannover), sondern maßgeblich unter den Gesichtspunkten der Vorbereitung einer Bauleitplanung sowie der Kampfmittelbeseitigung . Sowohl für die Bauleitplanung, durch die gemäß § 1 Abs. 6 Baugesetzbuch (BauGB) gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse für eine geplante Nutzung zu gewährleisten sind, als auch für die Aufgaben der Gefahrenabwehr (Kampfmittelbeseitigung) ist die LHH zuständige Behörde. Gemäß § 3 Abs. 2 BBodSchG ist eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten der Kampfmittelbeseitigung (einschließlich Kampfstoffen) einerseits und Maßnahmen des Bodenschutzes andererseits geboten ; hierfür gelten - wie dargestellt - unterschiedliche Zuständigkeiten. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1365 Konkrete Erkenntnisse über das Vorhandensein von Altlasten, d. h. Bodenkontaminationen durch im Boden verteilte Kampfmittelreste, liegen bislang nicht vor. Im Vordergrund steht der Verdacht auf das Vorhandensein von Kampfstoffen. Zu 2: Die Kampfmittelbeseitigung ist eine Aufgabe der Gefahrenabwehr, für die die Gemeinden im Rahmen der Auffangregelung nach § 97 Abs. 1 Nds. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) zuständig sind. Zur Unterstützung der Gemeinden hält das Land personelle und technische Mittel vor, die im Rahmen der Amtshilfe für die zuständigen Gemeinden eingesetzt werden. Diese ausführende Organisationseinheit ist der KBD. Der KBD ist durch die LHH in die Bauleitplanung involviert und wird von ihr anlassbezogen zu Planungsbesprechungen eingeladen. Er hat in der Vergangenheit auf Wunsch der LHH auch an einer von der Stadt veranstalteten Bürgerversammlung zur Kampfmittelproblematik in dem betreffenden Gebiet teilgenommen und die Bürger ausführlich informiert und deren Fragen beantwortet. Im Hinblick auf die derzeit nicht nachweisbare Giftgasbelastung hat sich die LHH im Februar 2014 in Absprache mit dem Ing.-Büro Mull & Partner, dem Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover und dem KBD dazu entschieden, das entsprechende Areal im Hinblick auf eventuelle Bombenblindgänger untersuchen zu lassen. Diese konventionelle Kampfmittelräumung wird von der LHH ausgeschrieben und im Anschluss von einer gewerblichen Kampfmittelräumfirma unter Aufsicht des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hannover und der fachtechnischen Begleitung durch den KBD ausgeführt. Zu 3: Die Verantwortlichkeit für Bodenbelastungen richtet sich öffentlich-rechtlich nach § 4 BBodSchG, privatrechtlich nach den geschlossenen Grundstückskaufverträgen. Da für die Fläche der Bebauungsplan 1140 aufgestellt wird, ist allerdings nicht zu erwarten, dass sich diese Frage überhaupt stellen wird. Im Aufstellungsverfahren sind die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung zu berücksichtigen. Hinweisen auf Bodenkontaminationen muss daher im Bebauungsplanverfahren nachgegangen werden . Als Vornutzung ist neben der Muna Seelhorst lediglich eine Gärtnerei bekannt, die nicht als altlastenrelevant anzusehen ist. Allerdings ist teilweise eine anthropogene Auffüllung vorhanden, in der erfahrungsgemäß Schadstoffe nicht ausgeschlossen werden können. Im Rahmen der Erkundung der Kampfmittelfreiheit wird die Firma Gundlach in Abstimmung mit der LHH daher auch klären lassen , ob relevante Bodenbelastungen vorliegen und diese gegebenenfalls beseitigen. Boris Pistorius 3 (Ausgegeben am 25.03.2014) Drucksache 17/1365 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dirk Toepffer (CDU), eingegangen am 28.01.2014 Sind die Nordspitze des Seelhorster Friedhofs und das Grundstück der Firma Gundlach mit Giftgasresten kontaminiert? Antwort der Landesregierung