Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1416 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dr. Max Matthiesen (CDU), eingegangen am 19.02.2014 Wie geht es weiter mit der Komplexleistung Frühförderung im Sinne von § 30 SGB IX? Die interdisziplinären Frühförderstellen sind familien- und wohnortnahe Dienste, in denen medizinisch -therapeutische und pädagogische Fachkräfte zusammenarbeiten, um bei Kindern im Vorschulalter eine drohende Behinderung zu erkennen, ihr vorzubeugen und die Folgen einer bestehenden Behinderung auszugleichen oder zu mildern. Das Land Niedersachsen hat zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden sowie den Krankenkassen im Jahr 2003 eine Landesrahmenempfehlung zur Umsetzung der Frühförderungsverordnung in Niedersachsen erarbeitet. Die Arbeitsgemeinschaft der Caritas-Einrichtungen der Behindertenhilfe Niedersachsen hat im Januar 2014 ihre Beteiligung an der Landesrahmenempfehlung zur Umsetzung der Frühförderungsverordnung vom 24. Juni 2003 zum Ende des Jahres aufgekündigt. Ich frage die Landesregierung: 1. Warum hat die Arbeitsgemeinschaft der Caritas-Einrichtungen ihre Beteiligung an der Landesrahmenempfehlung zum Ende des Jahres aufgekündigt? 2. Wie viele interdisziplinäre Frühförderstellen auf Grundlage der Landesrahmenempfehlung gibt es derzeit in Niedersachsen? 3. Wie viele heilpädagogische Frühförderstellen gibt es in Niedersachsen? 4. Wie viele Kinder werden im Rahmen der interdisziplinären Frühförderstellen aktuell betreut? 5. Wie viele Kinder werden derzeit durch die klassische heilpädagogische Frühförderung gefördert ? 6. Ist derzeit geplant, die Landesrahmenempfehlung zu evaluieren? 7. Wie wird die Einrichtung der interdisziplinären Frühförderstellen in anderen Bundesländern umgesetzt und evaluiert? 8. Finden aufgrund der Kündigung der Caritas Gespräche über die Landesrahmenempfehlung zwischen dem Sozialministerium, den Krankenkassen, den kommunalen Spitzenverbänden sowie der LAG der Freien Wohlfahrtspflege statt? Wenn nein, warum nicht? 9. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, die wirkungsvolle Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung gemäß § 30 SGB IX sicherzustellen? (An die Staatskanzlei übersandt am 25.02.2014 - II/725 - 631) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 31.03.2014 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 103.21-43114/10.3 - Die Vorteile eines interdisziplinären Angebots zur Versorgung von Kindern mit Behinderung und von Behinderung bedrohter Kinder wurden Ende der 1990er-Jahre erkannt und mit der Schaffung des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) 2001 im § 30 SGB IX gesetzlich verankert. Ergänzend zum SGB IX wurde im Juni 2003 seitens des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) die 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1416 Frühförderungsverordnung (FrühV) erlassen, die die Vorgaben des SGB IX präzisiert und vertieft. Die Komplexleistung Frühförderung im Sinne des § 30 SGB IX umfasst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und heilpädagogische Leistungen. Das Angebot beinhaltet zum einen die Früherkennung und zum anderen die Frühförderung von Kindern in der Altersspanne von der Geburt bis zum Schuleintritt. In Niedersachsen ist im Oktober 2008 die Landesrahmenempfehlung zur Umsetzung der Frühförderungsverordnung (LRE) als Grundlage für die interdisziplinären Frühförderstellen (IFF) ratifiziert worden und in Kraft getreten. Unter Moderation des Landes Niedersachsen vertreten durch das Sozialministerium sind nachfolgend aufgeführte Verbände Partner der Vereinbarung: – Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (außer Paritätischer Niedersachsen), – Verbände der gesetzlichen Krankenkassen, – Kommunale Spitzenverbände. Die wesentlichen Inhalte der LRE in Niedersachsen sind: 1. Mindestens drei Fachkräfte sollen festangestellt werden, wobei sowohl der pädagogische als auch der medizinisch-therapeutische Bereich vertreten sein muss. 2. Offene Beratung für Eltern mit Kindern gemäß § 2 SGB IX. 3. Die Zugangssteuerung erfolgt über einen Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin oder den örtlichen Träger der Sozialhilfe. Hierüber schließen die Kostenträger vor Ort eine Vereinbarung. 4. Bestandteil der LRE ist die Empfehlung für Vergütungsvereinbarungen, nach der eine einmalige Diagnostikpauschale pro Kind in Höhe von 379,31 Euro (ab 01.01.2013) gezahlt wird. Die Kostenbeteiligung der Krankenkassen beträgt 80 %, die des örtlichen Sozialhilfeträgers 20 %. Bei der Frühförderpauschale in Höhe von 1 192,12 Euro (ab 01.01.2013), die pro Quartal und Kind gezahlt wird, tragen die Krankenkassen einen Anteil von 22,5 % und die örtlichen Sozialhilfeträger einen Anteil von 77,5 %. Beide Pauschalen basieren rechnerisch auf zwölf Fördereinheiten pro Quartal (Ferienzeiten etc. sind einberechnet) und einer Dauer der Fördereinheit von 110 Minuten. Ausgegangen wird dabei von einem rechnerischen Durchschnitt, sodass es pro Kind auch zu mehr oder weniger Einheiten kommen kann. Auf der Grundlage der LRE wurden bisher lediglich drei IFF eingerichtet. Dabei ist in Niedersachsen nach derzeitigem Stand das bestehende breite Leistungsangebot (Sozialpädiatrische Zentren, Ärzte, Therapeuten, Beratungs- und Früherkennungsteams, IFF sowie ergänzend die über 90 heilpädagogischen Frühförderstellen) im Bereich Früherkennung und -förderung in Niedersachsen ausreichend . Es bestehen gute Kooperationen und Vernetzungen. Bundesweit hat sich in der praktischen Umsetzung der FrühV herausgestellt, dass die mit der FrühV verbundenen Hoffnungen - ein flächendeckendes vergleichbares Angebot der interdisziplinären Frühförderung - nur unzureichend erfüllt wurden. Sowohl die Umsetzung als auch die Inhalte der interdisziplinären Frühförderung sind auf Länderebene sehr unterschiedlich. Einige Bundesländer haben keine oder wenige IFF, andere Bundesländer haben eine große Anzahl. Das Verständnis von der „Komplexleistung Frühförderung“ ist sehr unterschiedlich. Hier liegen jeweils gewachsene , länderspezifische Strukturen zugrunde, wie der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlichte Forschungsbericht vom März 2012 (BMAS - Forschungsberichte - Strukturelle und finanzielle Hindernisse bei der Umsetzung der interdisziplinären Frühförderung) darlegt. Das BMAS hat im August 2012 die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation gebeten, Vorschläge zur Weiterentwicklung der Komplexleistung Frühförderung zu erarbeiten. Ein Abschlussbericht über die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation liegt noch nicht vor. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1416 Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Arbeitsgemeinschaft der Caritas-Einrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen hat mit Schreiben vom 16.01.2014 die Kündigung der LRE durch die drei Caritas-Spitzenverbände zum 31.12.2014 übersandt. Eine Begründung enthält das Schreiben nicht. Laut einer telefonischen Rückfrage halten die Caritasverbände die Rahmenbedingungen und die Vergütungen nach der LRE nicht für ausreichend. Zu 2: In Niedersachsen bestehen drei IFF nach der LRE und zwar in Leer, Osnabrück und Brake. Zu 3: Die heilpädagogischen Frühförderstellen bieten ambulante Angebote nach dem SGB XII an, die in der Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe (Landkreise, kreisfreie Städte und Region Hannover) liegen. Mit über 90 heilpädagogischen Frühförderstellen in Niedersachsen wird die flächendeckende ambulante Förderung der Kinder mit einer Behinderung und der von einer Behinderung bedrohten Kinder sichergestellt. Zu 4: Aktuell werden 249 Kinder (Stand: 10.03.2014) von den drei genannten IFF betreut. Zu 5: In Niedersachsen erhielten 2012 insgesamt etwa 8 000 Kinder Leistungen der Frühförderung. Diese Zahl basiert auf den Ausgaben 2012 der örtlichen Träger der Sozialhilfe für die heilpädagogischen Leistungen für Kinder außerhalb von Einrichtungen in Höhe von ca. 37,3 Mio. Euro und Kosten von etwa 4 600 Euro pro Kind im Jahr für Frühförderung. Ein Teil dieser Kinder erhält neben der heilpädagogischen Frühförderung medizinische Leistungen, insbesondere in Form von Heilmitteln. Zu 6: Gemäß § 17 Abs. 1 LRE gelten die ersten drei Jahre nach Abschluss der LRE als Erprobungsphase . In dieser Phase sollte eine Evaluation durchgeführt werden, um zu prüfen, ob die Komplexleistungen der Früherkennung und Frühförderung zweckmäßig, bedarfsgerecht und ausreichend erbracht werden. Die Ergebnisse der Evaluation sollen laut der LRE als Grundlage für Verhandlungen über Modifikationen an den Vergütungsgestaltungen dienen. Da zunächst erst eine, dann zwei und später lediglich eine dritte IFF eingerichtet worden sind, bestand in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der LRE unter den Vertragsparteien Einvernehmen, den Beginn der Evaluation zu verschieben, bis zusätzliche IFF entstanden sind, um eine Evaluation auf einer größeren Datenbasis durchführen zu können. Im Jahr 2012 haben sich dann jedoch einzelne Leistungsanbieter der IFF und einzelne örtliche Träger der Sozialhilfe bezüglich des Starts der Evaluation an das Land gewandt. Das Land hat daraufhin die Vertragsparteien angeschrieben und Gespräche mit den Vertragsparteien zur Frage der Durchführung einer Evaluation geführt. Bisher haben jedoch nicht alle Vertragsparteien der Durchführung einer Evaluation auf der Grundlage von drei IFF zugestimmt. Zu 7: Auf die Vorbemerkung und den vom BMAS veröffentlichten Forschungsbericht wird verwiesen. Zu 8 und 9: Die LRE kann nicht durch einen hoheitlichen Akt, sondern nur durch Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien verändert werden. Das Land würde sich erneut bereit erklären, die Verhandlungen zu moderieren. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Vertragspartner über folgendes Grundziel einig sind: Den Kindern mit Behinderung und den von Behinderung bedrohten Kindern werden alle Leistungen gewährt, die sie zur Verbesserung ihrer zukünftigen Teilhabe benötigen. Cornelia Rundt 3 (Ausgegeben am 07.04.2014) Drucksache 17/1416 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dr. Max Matthiesen (CDU), eingegangen am 19.02.2014 Wie geht es weiter mit der Komplexleistung Frühförderung im Sinne von § 30 SGB IX? Antwort der Landesregierung