Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1547 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat (GRÜNE), eingegangen am 03.04.2014 Schulpflichtverletzungen im Landkreis Osnabrück Die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) berichtete am 4. Februar 2014 in den Artikeln „Beim Schwänzen sofort gegensteuern“ und „Immer weniger Schulschwänzer“ über Schulpflichtverletzungen im Landkreis Osnabrück. Demnach gebe es einen positiven Trend an den Schulen im Landkreis , dass „Schule schwänzen“ in der Fläche dank intensiver Präventionsarbeit immer weiter abnehme . Hauptverantwortlich für diese Präventionsarbeit seien die Schulen selbst sowie der Landkreis und die Gemeinden, wobei sich die Lösungswege hier von Kommune zu Kommune und Lehranstalt zu Lehranstalt unterscheiden. Das „Schule schwänzen“ sei in den einzelnen Gemeinden des Landkreises unterschiedlich ausgeprägt und werde unterschiedlich konsequent verfolgt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele Fälle von Schulpflichtverletzungen im Landkreis Osnabrück sind der Landesregierung seit dem Schuljahr 2010/2011 bekannt (bitte getrennt nach Kommunen sowie je Klassenstufe nach Schultyp und Alter der Schülerinnen und Schüler aufschlüsseln)? 2. Wie viele Fälle der Schulpflichtverweigerung umfassten dabei a) weniger als 10 Tage, b) zwischen 10 und 50 Tage und c) mehr als 50 Tage? 3. Welche Möglichkeiten haben die einzelnen Schulen aktuell, mit Schulpflichtverletzungen umzugehen ? 4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung bzw. plant die Landesregierung, Schulpflichtverletzungen in Zukunft sowohl präventiv als auch reaktiv noch erfolgreicher entgegenzuwirken ? (An die Staatskanzlei übersandt am 09.04.2014 - II/725 - 685) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Kultusministerium Hannover, den 13.05.2014 - 01-0 420/5-685 - Jede Abnahme von Schulabsentismus ist erfreulich, denn das Fernbleiben von der Schule hat neben psychosozialen Folgen und anderen schwerwiegenden Konsequenzen für die einzelne Schülerin oder den einzelnen Schüler auch gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Auswirkungen. Im Folgenden werden zunächst die rechtliche Situation erläutert und die handelnden Akteure benannt , sodann präventiv wirkende Maßnahmen und Programme dargestellt. Nach § 176 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) stellt die Schulpflichtverletzung eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1547 Sobald schulische Maßnahmen, gegebenenfalls in Kooperation mit dem Jugendamt, ausgeschöpft worden sind, fällt die Verfolgung von Schulpflichtverletzungen in die Zuständigkeit der Kommunen. Die Zuständigkeit für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten bei Verstößen gegen die Schulpflicht nach § 176 NSchG folgt aus § 5 Nr. 2 der VO über sachliche Zuständigkeiten für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten - ZustVO-OWi - vom 04.05.2010 (Nds. GVBl. S. 210). Liegt die zu besuchende Schule im Gebietsbereich einer kreisfreien Stadt, einer großen selbstständigen Stadt (§ 14 Abs. 5 NKomVG) oder einer Gemeinde, welche die Rechtsstellung einer selbstständigen Gemeinde (§ 14 Abs. 3 NKomVG) innehat, so ist diese bei Zuwiderhandlungen nach § 176 NSchG zuständige Ordnungsbehörde. In allen anderen Fällen ist der Landkreis, in dessen Gebiet die zu besuchende Schule liegt, zuständig. Nach dem Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz in Verbindung mit dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung können die Kommunen ein Zwangsgeld festsetzen oder eine Ersatzzwangshaft anordnen. Nach § 177 NSchG können die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen der Schule auch zwangsweise zugeführt werden. Den Eltern kann zudem das Personensorgerecht entzogen werden, entweder vollständig oder teilweise bezüglich des Rechts der Aufenthaltsbestimmung und zur Regelung schulischer Angelegenheiten. Eine Unterrichtung der Niedersächsischen Landesschulbehörde (NLSchB) erfolgt in diesen Fällen nicht. Die Zusammenarbeit mit der Polizei findet auf der Ebene „Schule/örtlich zuständige Polizeidienststelle “ gemäß Gem. RdErl. d. MK, d. MI u. d. MJ v. 09.11.2010 (Nds. MBl. S. 1139; SVBl. 1/2011 S. 5) über Sicherheits- und Gewaltpräventionsmaßnahmen in Schulen in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft statt. Diese Zusammenarbeit ist von den regionalen Gegebenheiten abhängig . Sie erfolgt auf der Basis eines gemeinsamen Grundverständnisses sowie einer abgestimmten Zielsetzung der beteiligten Institutionen bzw. Personen. Hierbei ist auch die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und der Polizei eine wichtige Hilfe für die Einflussnahme auf die Schülerinnen und Schüler und deren Erziehungsberechtigte. Die Durchsetzung des Schulbesuchs und die Erziehung junger Menschen sind keine originären Aufgaben der Polizei. Aufgrund des Zusammenhangs von unerlaubtem Fernbleiben vom Schulunterricht und Jugenddelinquenz kommt es im Rahmen jugendspezifischer Präventionskonzepte zu Kooperationen zwischen Polizei und anderen, originär zuständigen Stellen. Bei erkannter Schulpflichtverletzung trifft die bezüglich der Thematik Absentismus sensibilisierte Polizei die erforderlichen Maßnahmen, beispielsweise normverdeutlichende Gespräche, Meldungen an die Schule und/oder an die Eltern sowie die Aufforderung an die Schulschwänzer, unverzüglich die Schule aufzusuchen. Eine landesweite Erfassung der durchgeführten Schulschwänzerkontrollen bzw. eine polizeiliche Erfassung von Schulschwänzern erfolgt allerdings ebenfalls nicht. Die Landesregierung hat schon sehr frühzeitig damit begonnen, die Schulen aktiv in ihrem Bemühen zu unterstützen, dem Problem der Schulverweigerung entgegenzuwirken. Die Vielzahl der überwiegend auf Prävention hin angelegten Projekte in niedersächsischen Schulen zeigt, dass diese schulpolitische Schwerpunktsetzung richtig war und ist. Die von der Landesregierung eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen für die Schulen zielen darauf ab, gemeinsam mit Schulen, Familien und Behörden mögliche Ursachen frühzeitig zu erkennen und diese mit präventiven, früh einsetzenden Maßnahmen abzustellen oder zumindest abzumildern . Konsequentes Hinsehen bei allen Anzeichen für individuelle Störungen bildet die Grundlage zur Vermeidung von Schulverweigerung und damit Schulpflichtverletzungen. Schulverweigerung fällt in der Schule auf, und ihr ist dort zu begegnen. Hilfen dazu müssen von außen kommen und werden in Niedersachsen umfänglich angeboten. Eine landesweite Statistik über das Verhalten Jugendlicher in diesem Bereich bringt dazu keinerlei Erkenntnisgewinn. Auch die Jugendforschung beschränkt sich auf einzelne, exemplarische Untersuchungen, deren Auswertung verallgemeinert werden kann. Auf sie greifen Schulen, alle Projekte in Niedersachsen sowie die Kommunen zurück. Daraus ergibt sich insgesamt einerseits, dass die NLSchB für die Verfolgung von Schulpflichtverletzungen nicht zuständig ist und ihr insoweit auch nicht die erfragten Daten vorliegen und andererseits , dass auch dem Landkreis Osnabrück nur ein eingeschränktes Zahlenmaterial zur Verfügung 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1547 steht. Um die erfragten Daten zu erhalten, müsste die NLSchB alle Schulen im Landkreis Osnabrück bitten, entsprechende Übersichten zu erstellen. Da die Schulen keine entsprechenden Listen führen, müssten alle Zeugnisse im erfragten Zeitraum auf unentschuldigte Fehltage durchgeschaut werden, was einen nicht zu vertretenden Aufwand darstellen würde. Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt: Zu 1: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Zu 2: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Zu 3 und 4: Die Erziehungsmittel werden im jeweiligen Einzelfall nach der Stärke des Pflichtverstoßes und der pädagogischen Einschätzung, wie am besten auf die betroffenen Schülerinnen und Schüler eingewirkt werden kann, eingesetzt. Fehltage sowie darauf fußende Erziehungsmittel oder Ordnungsmaßnahmen werden üblicherweise in der Schülerakte erfasst. Eine zusammenfassende Statistik ist den Schulen aus grundsätzlichen Überlegungen nicht vorgeschrieben. Darum kann über den Erfolg der von den Schulen eingesetzten Erziehungsmittel im Einzelfall und in einzelnen Projekten keine Aussage getroffen werden. Auf der Grundlage der Entschließung „Eingreifen statt wegsehen - gemeinsames Handeln gegen Schulschwänzen“ (Drs. 14/1987) wurde bis 2004 ein Programm der Landesregierung zur Vermeidung von unentschuldigter Abwesenheit vom Unterricht (ProgeSs) durchgeführt und evaluiert. ProgeSs hat durch ein Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen in den Modellschulen die Zahl der Schulschwänzer merklich verringern können. Im Mittelpunkt des Projekts standen unterschiedliche Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Elternhaus und Schule sowie die verbesserte Vernetzung mit Polizei und Jugendamt. Die bei ProgeSs eingesetzten Maßnahmen haben sich als wirksam erwiesen. Die Materialien zu ProgeSs, das Programm selbst, Faltblätter in mehreren Sprachen mit Informationen zum Projekt für Eltern aber auch Muster einer Vereinbarung zwischen Schule, Erziehungsberechtigten sowie Schülerinnen und Schülern und eines Anschreibens der Schule an Erziehungsberechtigte stehen für die Umsetzung als Download zur Verfügung. Eine weitere Initiative des Landes war die Förderung im Rahmen des Programms „Niedersächsische Kooperations- und Bildungsprojekte“. Mit den sogenannten NiKo-Projekten wurde die Vernetzung von Schule und Jugendhilfe in Anknüpfung an das ehemalige Präventions- und Integrationsprogramm PRINT weiterentwickelt. Die landesweite Institutionalisierung der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe ist als ein präventives Maßnahmenbündel angelegt, um schulische und außerschulische Angebote miteinander zu verbinden, u. a. auch zur Vermeidung von Schulverweigerung . Ziel dieses Programms war es, durch lokale Konzepte eine konsistente Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Schule und Familie zu erreichen, um die Bildung, Förderung, Erziehung, gesundheitliche Entwicklung und gesellschaftliche Integration von gefährdeten jungen Menschen insbesondere in sozialen Brennpunkten zu verbessern. Die Projekte zielten darauf, durch Maßnahmen der außerschulischen oder nichtformalen Bildung Kompetenzen in der Erziehung zu stärken, die gesundheitliche Entwicklung zu unterstützen sowie zur Integration in Schule, Beruf und Gesellschaft beizutragen . In den einzelnen Schwerpunkten wurden darüber hinaus die Einrichtung von Erziehungsund Bildungspartnerschaften zwischen Schule, Familie und Jugendhilfe, die umfassende Förderung der gesundheitlichen Entwicklung sowie die Verzahnung schulischer und außerschulischer Bildung und Kompetenzen besonders gefördert. Vom damaligen Niedersächsischen Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung (NiLS) in Hildesheim wurde ein 2007 abgeschlossenes Comenius 2.1 - Projekt „Absentismus - Konzepte, Strategien und Materialien gegen schulvermeidendes Verhalten“, an dem neun europäische Länder mit jeweils einem oder zwei weiteren Partnerländern teilgenommen haben, koordiniert. Innerhalb dieses Vorhabens wurde das englische „Ampel-Modell“, das abgestufte Interventionen vorsieht, auf 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1547 deutsche Verhältnisse angepasst und seine Praxistauglichkeit an drei niedersächsischen Schulen erprobt. Die entstandene Broschüre „AUSWEGE - Praxisprojekte für schulmüde und schulverweigernde Jugendliche in Niedersachsen“ ist auf der Webseite der Stiftung Universität Hildesheim abrufbar . Über die genannten Aktivitäten hinaus existieren landesweit eine Reihe weiterer Modellversuche zur Intervention und/oder Prävention bei Schulabsentismus. Viele Kommunen haben wie der Landkreis Osnabrück die Erkenntnisse der Modellprojekte genutzt, um eigene auf die vor Ort zu findenden Rahmenbedingungen abgestimmte Präventions- und Interventionsprogramme zu entwickeln und umzusetzen und bieten Handreichungen zu diesem Thema für Betroffene an. Sie arbeiten damit erfolgreich gegen Schulmüdigkeit hin zu schulmotivierten und engagierten Kindern und Jugendlichen . Darüber hinaus gibt es aktuell 26 Standorte in Niedersachsen, die im Rahmen des vom Bund mit ESF-Mitteln aufgelegten Programms „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ gefördert werden. In Göttingen, Holzminden, Lüneburg, Salzgitter, Wolfsburg, der Region Hannover sowie den Landkreisen Osnabrück, Emsland und Oldenburg befinden sich sogenannte Koordinierungsstellen. Das Programm läuft zum Juni 2014 aus. Die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen haben sich im Rahmen der Einzelfallhilfe mit dem Thema „Absentismus“ beschäftigt. In diesem Zusammenhang wurden z. B. „Kooperationsregeln zur einzelfallbezogenen Zusammenarbeit zwischen den Schulen und dem Kommunalen Sozialdienst (KSD) der Landeshauptstadt Hannover“ formuliert. Das Kultusministerium und die NLSchB unterstützen verschiedene Programme (Buddy-Projekt, Lions-Quest, Prävention als Chance - PaC, „Sozialkompetenz und Mediation - konfliktfähige Schule “, Mobbinginterventionsteams (MIT) u. a.) zur Förderung der Sozialkompetenz und zur Gewaltprävention . In sogenannten Trainings werden Lehrkräfte mit Übungen vertraut gemacht, die Schülerinnen und Schüler zu prosozialem Verhalten anregen sollen. Ziel ist es, eine Atmosphäre des Vertrauens und der gegenseitigen Achtung zu schaffen, die es Schülerinnen und Schülern ermöglicht , angstfrei und mit Freude am Unterricht teilzunehmen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für einen regelmäßigen Schulbesuch. Patensysteme, die u. a. im Buddy-Projekt initiiert werden, greifen im Falle von Schulpflichtverletzungen schon niederschwellig, indem Mitschülerinnen und Mitschüler Verantwortung für die regelmäßige Teilnahme ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler am Unterricht übernehmen und diese z. B. morgens zu Hause abholen und gemeinsam zur Schule gehen. Streitschlichterprojekte bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Ängste und Probleme , die sie am regelmäßigen Besuch der Schule hindern, mit ihresgleichen zu besprechen und Verständnis und Hilfe zu erfahren. Im Rahmen der Förderung von Jugendwerkstätten besteht die Möglichkeit, dass schulmüde oder schulverweigernde Schülerinnen und Schüler aus dem Berufsvorbereitungsjahr alternativ ihre Schulpflicht in einer Jugendwerkstatt erfüllen können. Es werden jährlich 300 Plätze gefördert. Ziel der Förderung ist es, dass Schülerinnen und Schüler mit fehlender Lernmotivation durch die Nutzung alternativer, außerschulischer Lernorte sozial, schulisch und beruflich eingegliedert werden. Die Landesregierung hat die genannten wirksamen Maßnahmen und Programme stetig weiterentwickelt , ausgebaut, ergänzt und zusammengeführt. Sie beabsichtigt, diesen Weg weiter fortzusetzen . In Vertretung Peter Bräth 4 (Ausgegeben am 26.05.2014) Drucksache 17/1547 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat (GRÜNE), eingegangen am 03.04.2014 Schulpflichtverletzungen im Landkreis Osnabrück Antwort der Landesregierung