Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1548 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Almuth von Below-Neufeldt, Sylvia Bruns, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 28.01.2014 Legastheniker-Förderung an niedersächsischen Hochschulen Seit Jahrzehnten ist wissenschaftlich belegt, dass Legasthenie keinen Einfluss auf die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen hat und viele Legastheniker hochbegabt sind. Bundesweit sind nach Expertenschätzungen etwa 2 % der Studierenden in Deutschland, also 40 000 Menschen, betroffen . Auch unter den niedersächsischen Studentinnen und Studenten gibt es einige Betroffene. Nach der Definition der WHO ist Legasthenie eine Behinderung. Und als Behinderte können Studierende mit Legasthenie auch an der Hochschule Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen. Dadurch können sie z. B. eine Zeitverlängerung bei Klausuren, Diplom-, Seminar- oder Examensarbeiten erhalten, und es können schriftliche Prüfungen in mündliche umgewandelt werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie hoch ist die Zahl der Betroffenen an Niedersachsens Hochschulen? 2. Wie viele niedersächsische Hochschulen halten Förderprogramme für Legastheniker vor, und wie gestalten sich diese konkret? 3. Welche Planungen sieht die Landesregierung künftig für Legastheniker an den Hochschulen vor, und, wenn sie Maßnahmen plant, wann ist mit konkreten Änderungen zu rechnen? (An die Staatskanzlei übersandt am 11.02.2014 - II/725 - 604) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 08.05.2014 für Wissenschaft und Kultur - M - 01 420-5/604 - Legasthenie - offiziell Lese- und Rechtschreibstörung bzw. auch Lese-Rechtschreib-Schwäche oder abgekürzt LRS genannt - ist die massive und lang andauernde Störung des Erwerbs der Schriftsprache. Legasthenikerinnen und Legastheniker haben Schwierigkeiten mit der Umsetzung der gesprochenen in geschriebene Sprache und umgekehrt. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie geht davon aus, dass in Deutschland 4 % der Schülerinnen und Schüler von einer Legasthenie betroffen sind. Bundesweit studieren laut einer Umfrage des Deutschen Studentenwerks (Quelle: Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011) 7,1 % aller befragten Studierenden mit einer Legasthenie/Dylexie/Dyskalkulie (Tabelle 9.1 der Datenerhebung) bzw. 8 % der befragten Studierenden in Niedersachsen mit einer Teilleistungsstörung (z. B. Legasthenie - Tabelle 1.42 der Datenerhebung). Die Beherrschung der Schriftsprache spielt bei der Verständigung, beim Wissens- und Informationserwerb in Schule, Ausbildung und Studium sowie für den Zugang zum Beruf und im Berufsleben selbst eine bedeutende Rolle. Legasthenie gilt als Behinderung. Betroffene haben ein Recht auf Nachteilsausgleich. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1548 Weil Menschen mit Legasthenie auch im Hochschulbereich benachteiligt sind, können sie z. B. mehr Zeit für Prüfungen beantragen. Welcher Nachteilsausgleich in Betracht kommt, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und richtet sich nach den einschlägigen Ordnungen der Hochschulen. Die Betroffenen sollten das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen und entsprechende spezifische Vereinbarungen treffen. Dies vorausgeschickt werden die Fragen namens der Landesregierung wie folgt beantwortet: Zu 1: Statistische Erhebungen für das Merkmal „Legasthenie“ werden an den niedersächsischen Hochschulen nicht durchgeführt. Zur Wahrung von Persönlichkeitsrechten besteht keine Auskunftspflicht der Studierenden über Behinderungen oder chronische Erkrankungen. Belastbares Datenmaterial steht daher nicht zur Verfügung. Zu 2: Die niedersächsischen Hochschulen halten keine speziellen Förderprogramme für Studierende mit Legasthenie vor, da die Ordnungen der Hochschulen bereits Regelungen über Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderung beinhalten, die auch Studierende mit Legasthenie in Anspruch nehmen können. Zudem bieten die niedersächsischen Hochschulen einzelfallbezogene Beratung und Hilfestellung an. Zum Beispiel ist im Allgemeinen Teil der Prüfungsordnung für die Studiengänge an der Technischen Universität Braunschweig der Nachteilsausgleich wie folgt geregelt (APO § 9, Abs. 13): „Macht der Prüfling durch einen geeigneten Nachweis gegenüber dem Prüfungsausschuss glaubhaft , dass er wegen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, die Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form abzulegen, kann der Prüfungsausschuss die Erbringung gleichwertiger Studien- und/oder Prüfungsleistungen in einer bedarfsgerechten Form, ggf. auch innerhalb einer entsprechend verlängerten Bearbeitungszeit, gestatten. Dauerleiden können jedoch nur insoweit ausgeglichen werden, als dass diese die Fähigkeit zur Darstellung des Wissens in der Prüfung betreffen. Dauerleiden, welche sich gerade auf die durch die Prüfung zu ermittelnde Leistungsfähigkeit beziehen, werden grundsätzlich nicht ausgeglichen. Letzteres gilt nicht, wenn dem Prüfling nur solche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die ihm später auch in seiner beruflichen Praxis zur Verfügung stehen würden. Überkompensationen sind zu vermeiden. Ein Nachteilsausgleich nach Satz 1 kann insbesondere in folgender Form gewährt werden: Verlängerung des Gesamtprüfungszeitraums , Verlängerung der Bearbeitungszeit (z. B. bei Klausuren, Haus- und Abschlussarbeiten ), Unterbrechung durch individuelle Erholungspausen (z. B. bei Klausuren), Splitten einer Prüfung in Teilleistungen, Mitbestimmungsmöglichkeit bei der Festlegung von Prüfungsterminen, Ersatz von schriftlichen durch mündliche Leistungen oder praktische durch theoretische Leistungen und jeweils umgekehrt, Befreiung von evtl. gegebener Anwesenheitspflicht (durch kompensatorische Leistung), Zulassung von notwendigen Hilfsmitteln und Assistenzleistungen (z. B. Gebärdensprachdolmetscher ) sowie zur Verfügung stellen von adaptierten (Prüfungs-)Unterlagen (z. B. Großschrift). Für Studierende, die sich in einer besonderen sozialen Situation (z. B. Schwangerschaft, Erziehung von Kindern und Pflege von Angehörigen) befinden, gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend. Mutterschutzfristen sowie die Inanspruchnahme von Elternzeit sind zu berücksichtigen.“ An der Hochschule Osnabrück können Studierende mit Behinderung beispielsweise in Bezug auf die Erbringung von Prüfungsleistungen nach § 4 Abs. 4 Allgemeiner Teil der Prüfungsordnung der Hochschule Osnabrück (ATPO) einen Nachteilsausgleich beantragen. Dieser kann in Form einer Verlängerung der Bearbeitungsdauer oder Erbringung der Leistung in alternativer Prüfungsform gewährt werden. Die Entscheidung trifft die Studiendekanin/ der Studiendekan. Die Regelung können auch Legasthenikerinnen und Legastheniker in Anspruch nehmen. Die Legasthenie muss durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen werden. Die „Allgemeine Prüfungsordnung für Bachelor- und Masterstudiengänge sowie sonstige Studienangebote an der Georg-August-Universität Göttingen (APO)“ enthält Regelungen zum Nachteilsausgleich sowie für die Teilnahme an Lehrveranstaltungen. Beispielsweise und nicht abschließend sind hier zu nennen: 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1548 – Information und Beratung: Die Georg-August-Universität Göttingen bietet ein umfangreiches Informations- und Beratungsangebot für chronisch kranke und behinderte Studierende. Sowohl Studierende selbst als auch Lehrende, die Informationen zu Fragen rund um das Thema „Studieren mit Behinderung und chronischer Erkrankung“ haben, können dieses Beratungsangebot in Anspruch nehmen. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) bietet im Sozialreferat Beratung für diese Studierendengruppe . Neben der Universität übernimmt auch das Studentenwerk Göttingen wichtige Funktionen bei der Sozialberatung von Studierenden mit Behinderung. Die Beratungsangebote erstrecken sich neben den individuellen Beratungsterminen und zusätzlichen offenen Sprechzeiten auf Informationsveranstaltungen, Informationen über die Homepage (www.uni-goettingen.de/barrierefrei-studium) sowie Flyer und sonstige Druckerzeugnisse. Inhaltlich stehen die Beratungsstellen u. a. zu Themen wie Studienorganisation, Nachteilsausgleiche im Studium, Studienfinanzierung, Beantragung von Assistenzen und technischen Hilfen und zum Umgang mit besonderen Belastungssituationen zur Verfügung. Die Erfahrungen der verschiedenen Beratungsstellen decken sich mit den Ergebnissen der Sonderauswertung „beeinträchtigt studieren“ des Instituts für Höhere Studien (IHS), Wien vom Dezember 2012. – Finanzielle Unterstützung: Der Universitätsbund Göttingen e. V. stellt Stiftermittel für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen zur Verfügung. Die Beihilfen sollen den Mehrbedarf im persönlichen Budget (z. B. Mietzuschüsse, Verpflegungszuschüsse, notwendiges technisches Gerät, apparative Ausstattung) ausgleichen. Die Mittel werden über das Studentenwerk Göttingen, die Abteilung Studium und Lehre der Universität Göttingen und das Sozialreferat des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) bewilligt. In diesem Rahmen haben Studierende mit Legasthenie die Anschaffung von Software bewilligt bekommen, die als Schreibunterstützung für Legasthenikerinnen und Legastheniker und weiterer Personen mit Schreibschwächen dient. Diese Software bietet mehr Unterstützung als eine gewöhnliche Rechtschreibprüfung z. B. von Microsoft Word. Die Software wurde von Studierenden mit Legasthenie empfohlen. Die niedersächsischen Hochschulen setzen mit Blick auf die jeweilige Beeinträchtigung schwerpunktmäßig auf individuelle Hilfemaßnahmen und Nachteilsausgleichregelungen, z. B. Verlängerung der Bearbeitungsdauer oder Erbringung von Leistungen in alternativen Prüfungsformen. Die Beratungsstellen der Hochschulen und anderer Einrichtungen (z. B. der Studentenwerke) informieren Studierende mit Behinderung über Nachteilsausgleiche und unterstützen diese zudem bei der Beantragung von Nachteilsausgleichen. Die Hochschule Hannover bietet z. B. für Studierende mit Handicap einen speziellen Orientierungstag für Studienanfängerinnen und Studienanfänger an (http://www.zsb.uni-hannover.de/mit_ handicap.html). Die Behindertenberatung des Studentenwerks Oldenburg bietet z. B. spezielle Informationen für Legasthenikerinnen und Legastheniker sowie Lehrende zum Thema Legasthenie an. Diese Informationen sind auf der Homepage des Studentenwerks einsehbar: http://www.studentenwerk-oldenburg.de/de/beratung/behindertenberatung/nachteilsausgleiche-imstudium /studium-mit-legasthenie.html. Im Lese- und Schreibzentrum der Universität Hildesheim sind technische Unterstützungen wie speziell eingerichtete Computer für Prüfungen vorhanden. Die Forschungs- und Lehrambulanz „Kind im Mittelpunkt“ (KiM) des Instituts für Psychologie der Universität Hildesheim bietet Diagnostik und Beratung für Legastheniker an. Im KiM sind bereits Fälle in Diagnostik und Beratung bei Dyskalkulie und Hochbegabung bei Studierenden erfasst worden. An der Hochschule Osnabrück werden im Rahmen des Projekts „Voneinander Lernen lernen“ (Qualitätspakt Lehre) Kurse zum Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten angeboten, die allen Studierenden kostenlos angeboten werden. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1548 Zu 3: Aufgrund der bisherigen Erfahrungen plant die Landesregierung derzeit keine speziellen Maßnahmen zur Förderung von Studierenden mit Legasthenie. Dr. Gabriele Heinen-Kljajić 4 (Ausgegeben am 26.05.2014) Drucksache 17/1548 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Almuth von Below-Neufeldt, Sylvia Bruns, Björn Försterling und Christi an Dürr (FDP), eingegangen am 28.01.2014 Legastheniker-Förderung an niedersächsischen Hochschulen Antwort der Landesregierung