Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1604 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU), eingegangen am 23.04.2014 Längeres Leben für männliche Eintagsküken - Welche Ansätze sieht die Landesregierung? Die Agrarzeitung vom 04.10.2013 berichtet in dem Artikel „Männliche Legehybriden beschäftigen die Justiz“ Folgendes: In Nordrhein-Westfalen sollen nach Plänen des Agrarministeriums männliche Eintagsküken von Legerassen künftig länger leben. „Wie das in der Praxis umgesetzt werden könnte , ist bislang jedoch noch nicht klar, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der Agrarzeitung (az).“ In der Pressemitteilung Nr. 27 teilte das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit, dass der Bund in Rahmen der AMK in Cottbus mittels eines einstimmigen Beschlusses aufgefordert worden sei, das Töten von jährlich rund 50 Millionen Eintagsküken zu beenden und Alternativen wie die Früherkennung im Ei und das Mehrnutzungshuhn zu forcieren. Einige Betreibe entscheiden sich, auch die „Bruderhähne“ aufzuziehen und die zusätzlichen Kosten über einen erhöhten Eierpreis auszugleichen. Die Agrarzeitung vom 16.02.2014 berichtet dazu in dem Artikel „Minister prüft Stopp der Küken-Tötung“: „Zwölf Höfe von Flensburg bis zu den Alpen haben sich bereits entschieden, auch männliche Küken aufzuziehen, die üblicherweise abgetötet werden.“ Und weiter: „Auch Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) (…) begrüßte die Initiative als Schritt in die richtige Richtung.“ Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Alternativen zur derzeitigen Praxis sind der Landesregierung bekannt? 2. Wie weit ist die Erforschung von Alternativverfahren, insbesondere vor dem Hintergrund des Tierschutzplans der Landesregierung? 3. Wie beurteilt die Landesregierung den Ressourcenverbrauch im Bruderhahnprojekt hinsichtlich : a) des Futterverbrauchs, b) der notwendigen Flächen zur Futtererzeugung, c) der Ökobilanz - Ausstoß von klimaschädlichen Gasen - d) und der Kosten für Erzeuger und Verbraucher? 4. Wie viele zusätzliche Stallplätze müssten in Deutschland bzw. in Niedersachsen für die Bruderhähne gebaut werden, um diese unterzubringen und die gleiche Menge an Eiern zu erzeugen ? 5. Welche Produktschienen kann das Fleisch der Bruderhähne bedienen, und wie groß schätzt die Landesregierung den Bedarf ein? 6. Wie sollen die entsprechenden Mengen an Fleisch aus der Bruderhahnproduktion im Wettbewerb mit der klassischen Hähnchenproduktion wirtschaftlich bestehen? 7. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über das Problem des Federpickens bei der Haltung von Bruderhähnen? Wie werden diese gelöst? 8. Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass die niedersächsischen Brütereien nicht in andere EU-Mitgliedstaaten verlegt werden und das Problem somit nicht gelöst, sondern nur örtlich verlagert wird? (An die Staatskanzlei übersandt am 30.04.2014 - II/725 - 700) 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1604 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 02.06.2014 für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - 204.1-01425-479 - Legehennenlinien werden auf eine hohe Legeleistung, nicht aber auf Fleischansatz gezüchtet. Männliche Küken dieser Linien werden aufgrund des geringen Fleischansatzes und der damit nicht gegebenen Wirtschaftlichkeit nicht für die Fleischerzeugung nachgefragt. Weltweit werden daher die männlichen Tiere in der Legehennenhaltung routinemäßig unmittelbar nach dem Schlupf getötet (ca. 40 Millionen Tiere allein in Deutschland pro Jahr). Im Jahr 2011 hat sich der die Landesregierung beratende Tierschutzbeirat des Landes mit diesem Thema befasst und den Beschluss gefasst, dass die Tötung männlicher Eintagsküken allein aus ökonomischen Gründen nicht zuletzt aus ethisch-moralischen Gründen abzulehnen ist, eine Tötung der Jungtiere allein aus ökonomischen Gründen insofern keinen vernünftigen Grund im Sinne des § 1 des Tierschutzgesetzes darstellt und lediglich als Übergangslösung - bis beispielsweise zur Praxisreife einer Geschlechtsbestimmung im Hühnerei oder der Etablierung von Zweinutzungshühnern - nach vorheriger tierschutzgerechter Betäubung (z. B. durch ein Kohlendioxid-SauerstoffGemisch ) und nur bei Verwendung der Tiere in Zoos, Falknereien etc. als Ersatz für andere Futtertiere (z. B. Mäuse) erfolgen darf. Das Fachministerium hat den Beschluss per Erlass umgesetzt. In diesem Zusammenhang wird das sogenannte Bruderhahnprojekt von der Landesregierung als eine von mehreren Alternativen und somit „als Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt. Die Initiatoren der Bruderhahn Initiative Deutschland (BID) selbst sehen ihr Projekt zunächst als einen „Tropfen auf den heißen Stein“ und vor allem als wichtigen Denkanstoß. Es soll Aufmerksamkeit auf die Problematik lenken und erste Veränderungen anstoßen. Zurzeit beteiligen sich laut „BID-Entwicklungsbericht 2013/2014“ insgesamt 18 Betriebe (elf Bioland-, sieben Demeter-Betriebe) an der BID. Voraussichtlich werden 2014 etwa zehn weitere Betriebe dazukommen, die Hennen und Hähne nach BID-Richtlinien (s. auch www.bruderhahn.de) halten. 2013 wurden insgesamt rund 4 Millionen BID-Eier verkauft und dazu ca. 17 000 Hennen gehalten; insgesamt gibt es in Deutschland etwa 38,4 Millionen Legehennen, davon rund 3,3 Millionen Biohennen. Parallel wurden ca. 10 000 Bruderhähne aufgezogen, für die restlichen etwa 7 000 Hähne ist eine zeitnahe Aufstallung sichergestellt . Im Rahmen der BID wird angestrebt, die Aufzucht der „Bruderhähne“ in den nächsten Jahren auf einen größeren Tierbestand auszuweiten - auch aufgrund der bereits jetzt großen Nachfrage nach Eiern und Fleisch aus diesem Projekt. Alle an dem Projekt Beteiligten und auch die Landesregierung sehen dieses Vorgehen jedoch sowohl aus ökonomischen (Kosten für Erzeuger und Verbraucher ) als auch ökologischen Gründen (Ressourcenverbrauch, Ökobilanz) nur als Zwischenlösung für ein beschränktes Marktsegment. Langfristiges Ziel ist in diesem Zusammenhang der Einsatz von Geflügelrassen, die sich wirtschaftlich sowohl für die Eierproduktion als auch für die Mast eignen . Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Der Landesregierung sind derzeit neben der BID u. a. die nachfolgend genannten Alternativen zur Praxis des Tötens von männlichen Eintagküken bzw. folgende Ansätze für Alternativverfahren bekannt : a) Hormonelle Bestimmung des Geschlechts aus den embryonalen Ausscheidungsprodukten (ca. ab Tag 9 der Bebrütung), b) Geschlechtsbestimmung der Blastodermzellen in der Keimscheibe an Tag 3 der Bebrütung (Spektroskopisches (= optisches) Verfahren), 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1604 c) Geschlechtsbestimmung anhand der Chromosomen aus den kernhaltigen Erythrozyten (= rote Blutkörperchen) durch Blutentnahme in den ersten Tagen der Bebrütung, d) Geschlechtsbestimmung anhand der Gefiederfarbe im Ei bei Legehennenlinien, bei denen sich Hahn und Henne aufgrund der Gefiederfarbe deutlich unterscheiden, e) Zweinutzungshuhn (z. B. Lohmann Dual): Derzeit liegt die Legeleistung noch unter der der „klassischen“ Legehennenlinien (ca. 60 bis 80 Eier) und der Hahn muss aufgrund der geringeren Futterverwertung etwas länger gemästet werden (zwei Wochen bei konventioneller, drei Wochen bei Bio-Haltung), f) Reduktion der Produktion von Legehennen und somit auch von männlichen Eintagsküken durch längere Nutzung der Legehennen (z. B. durch Mauser). Zu 2: Im Rahmen des Tierschutzplans Niedersachsen wird u. a. ein Forschungsverbund unter Leitung der Universität Leipzig gefördert, dessen Ziel die Geschlechtsdifferenzierung im Hühnerei ist. Grundsätzlich ist für die Erforschung insbesondere der Geschlechtsdifferenzierung im Hühnerei von einem Zeithorizont von etwa drei bis fünf Jahren auszugehen. Außerdem fördert die Landesregierung ein Projekt zur Verlängerung der Nutzungsdauer von Legehennen durch Mauser in mobilen Ställen eines ökologisch erzeugenden Betriebes. Der Abschlussbericht hierzu wird im Frühjahr 2015 vorliegen. Zudem wurde vor kurzem ein Antrag zur Durchführung eines Projekts zur Haltung einer neuen 2-Nutzungslinie („Lohmann Dual“) seitens der Landesregierung genehmigt (Kurztitel: „2-Nutzungslinie für die ökologische Legehennenhaltung mit ökologischer Hahnenmast im Mobilstall“); das Projekt wird von der Hochschule Osnabrück durchgeführt. Zu 3: Die derzeitige Aufzucht der „Bruderhähne“ ist eine - aus Sicht der Akteure wie auch der Landesregierung - noch suboptimale, aber richtungsweisende Übergangslösung. Um Alternativen zum derzeitigen Töten der Eintagsküken zu entwickeln, ist der vorübergehende und auf ein kleines Marktsegment beschränkte höhere Ressourceneinsatz realisierbar und gerechtfertigt. Derzeit übersteigt die Nachfrage nach Eiern und Fleisch aus dem Bruderhahnprojekt das Angebot. Dieses macht deutlich, dass sowohl Händler als auch Kunden den Mehrpreis von „4 Cent für die Ethik“ akzeptieren und damit die Arbeit an Lösungen für dieses Problem honorieren. Zu 4: Wie einleitend erläutert, steht dieses Szenario nicht zur Diskussion. Zu 5: Derzeit ist ein Babykosthersteller der Hauptabnehmer des Fleisches der „Bruderhähne“. Daneben gibt es einige sehr interessierte Abnehmer im Gastronomiebereich und auch beim Biofachhandel. Zurzeit übersteigt die bereits in kurzer Zeit stark gestiegene Nachfrage das bisher noch sehr eingeschränkte Angebot. Zu 6: Dieser Wettbewerb existiert aus den einführend genannten Gründen nicht. Zu 7: Grundlage für die BID-Zertifizierung sind die Geflügel-Richtlinien der Verbände Bioland und Demeter , ergänzt um einige erweiterte BID-Kriterien. So wird gewährleistet, dass den Hähnen u. a. ausreichend Auslauf und Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden. Die Tiere wachsen somit unter sehr guten Haltungsbedingungen und mit 100 % hochwertigem Bio-Futter in etwa 18 bis 22 Wochen heran. Nach Auskunft der beteiligten Betriebe stellt Federpicken bei Gruppen von bis zu 2 500 Tieren unter Einhaltung der o. a. Vorgaben bei der in der BID-Aufzucht gewählten Besatzdichte von 16 kg/m2 kein Problem dar. Für größere Bestände liegen keine Erfahrungen vor. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1604 Zu 8: Die Produktion von Legehennen erfolgt in Deutschland vorrangig in Niedersachsen. Niedersachsen trägt daher eine besondere Verantwortung im Hinblick auf die Etablierung von praxisreifen Alternativen zur Tötung von männlichen Eintagsküken. Um eine bundesweit einheitliche Regelung zu finden , haben die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder am 4. April dieses Jahres den Bund gebeten, Forschungsaktivitäten für bessere Alternativen auch weiterhin intensiv zu unterstützen und schnellstmöglich Ergebnisse vorzulegen mit dem Ziel, auf das Töten von männlichen Eintagsküken zu verzichten. Sobald praktikable und rentable Lösungen vorliegen, besteht kaum ein Grund für niedersächsische Brütereien, ihre Produktion in andere EU-Mitgliedstaaten zu verlagern. Christian Meyer 4 (Ausgegeben am 20.06.2014) Drucksache 17/1604 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU), eingegangen am 23.04.2014 Längeres Leben für männliche Eintagsküken - Welche Ansätze sieht die Landesregierung? Antwort der Landesregierung