Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1726 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU), eingegangen am 26.05.2014 Tierschutzplan: Was wurde vereinbart, was wird umgesetzt? Im Februar 2011 wurde der Tierschutzplan Niedersachsen durch den damaligen Landwirtschaftsminister Gert Lindemann initiiert. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Vereinbarungen und Vorgaben wurden im Tierschutzplan mit welchem Zeitplan zum Thema „Schwänzekupieren bei Schweinen“ getroffen? 2. Welche Maßnahmen wurden seither ergriffen, um Lösungswege für einen Ausstieg aus dem Schwänzekupieren zu erarbeiten? 3. Welche Ergebnisse wurden zwischenzeitlich in den Arbeitsgruppen und Forschungsprojekten im Tierschutzplan zum Schwänzekupieren erreicht? 4. Mussten Versuche zum Verzicht auf Schwänzekupieren zwischenzeitlich abgebrochen werden ? 5. Welche Probleme könnten nach Ansicht der Landesregierung auftreten, wenn der Landwirtschaftsminister an seinem Plan festhält, den Ausstieg aus dem Schwänzekupieren bis zum Jahr 2016 verbindlich vorzugeben? 6. Welche Auswirkungen hat das Auftreten von Kannibalismus in Schweinebeständen? 7. In welcher Höhe sind Mittel in den Tierschutzplan und insbesondere in Projekte zum Ausstieg aus dem Schwänzekupieren geflossen? 8. Wie soll der angekündigte Tierschutzindikator bei den verschiedenen Tierarten umgesetzt werden? 9. Wie hoch beziffert die Landesregierung die zusätzlichen Kosten, die auf die Landwirte durch den Tierschutzindikator zukommen? 10. Welche Probleme und Schwierigkeiten könnten aus Sicht der Landesregierung bei der Einführung eines Tierschutzindikators bei den verschiedenen Tierarten auftreten? (An die Staatskanzlei übersandt am 02.06.2014 - II/725 - 763) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 03.07.2014 für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - 204.1 – 01415 – 484 (N) - Seit 2011 arbeiten verschiedene, zumeist tierartbezogene Facharbeitsgruppen an der Umsetzung des Tierschutzplans Niedersachsen mit dem Ziel, gesellschaftlich akzeptierte und vom Tierhalter leistbare Haltungsbedingungen für Nutztiere zu etablieren, die das Tierwohl belegbar gewährleisten und das Vertrauen des Verbrauchers in die so erzeugten Lebensmittel stärken. Im Rahmen des Tierschutzplans sollen u. a. Wege gefunden werden, um schmerzhafte Eingriffe bei Nutztieren, wie 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1726 z. B. das Kürzen des Schwanzes oder das Kastrieren von Schweinen bzw. das Schnabelkürzen bei Legehennen und Puten, zu vermeiden. Ergänzend befasst sich eine weitere Facharbeitsgruppe mit der Etablierung von Tierschutzindikatoren. Der Verzicht auf das routinemäßige Kupieren der Schwänze bei Schweinen gehört mit zu den Zielen des Tierschutzplans. EU-weit besteht ein grundsätzliches Verbot für das routinemäßige Kupieren von Schwänzen bei Schweinen. Nach geltendem EU-Recht darf der Eingriff nur vorgenommen werden, wenn Schwanzbeißen von der Tierhalterin bzw. dem Tierhalter nachgewiesen worden ist und andere durchgeführte Maßnahmen keine Problemlösung bewirkt haben. Das Tierschutzgesetz, das die einschlägige EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzt, legt fest, dass der Eingriff nur im Einzelfall durchgeführt werden darf und zum Schutz des Tieres oder zum Schutz anderer Tiere unerlässlich sein muss. Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Der im April 2011 veröffentlichte Tierschutzplan Niedersachsen (www.ml.niedersachsen.de) sieht für Schweine (Ferkel) den Ausstieg aus dem routinemäßigen Schwänzekupieren bis 2016 in folgenden Schritten vor: Der Fokus liegt auf der Erstellung einer Leitlinie (= Praxisempfehlungen) „Maßnahmen zur Verhinderung von Schwanzbeißen, Kannibalismus“. Nach einer Konzepterstellung im Jahr 2011 ist laut Plan die Erprobung u. a. auf Pilotbetrieben ab 2012 und die Umsetzung der Praxisempfehlungen ab 2016 vorgesehen. Im Tierschutzplan wurden für die Realisierung folgende verantwortliche Gruppen aufgelistet: Facharbeitsgruppe Schwein des Tierschutzplans Niedersachsen, Wirtschaft, Tierhalter, Wissenschaft, Behörde. Zu 2: Im Rahmen des Tierschutzplans Niedersachsen erarbeitet die Facharbeitsgruppe Schwein Praxisempfehlungen zur Verringerung der Schwanzbeiß-Problematik unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Forschungsprojekten und von Praxiserfahrungen. Dabei werden insbesondere die Erkenntnisse aus drei vom Land Niedersachsen finanzierten bzw. mitfinanzierten Projekten einbezogen, bei denen praxistaugliche Lösungen zum Verzicht auf das routinemäßige Kupieren der Schwänze bei Schweinen auf Praxisbetrieben unter wissenschaftlicher Begleitung getestet werden bzw. eine Management-Hilfe mit Schwachstellenanalyse zur Erkennung von betriebsspezifischen Risikofaktoren (z. B. unzureichende Beschäftigung, schlechtes Stallklima) in Schweine haltenden Betrieben Anwendung findet. In die Erarbeitung der Praxisempfehlungen fließen ebenfalls Erkenntnisse aus anderen Staaten (u. a. Schweden, Finnland, Schweiz, Norwegen) ein, die bereits auf die Amputation verzichten. Weiterhin werden Ergebnisse aus den ca. 20 bundesweiten Projekten zum Verzicht auf das Schwänzekupieren berücksichtigt, die teilweise kurz vor dem Abschluss stehen. Als weitere und zwingend zu berücksichtigende Basis dienen Leitlinien der Europäischen Kommission zum Verzicht auf Schwänzekupieren und zum Beschäftigungsmaterial, die gegenwärtig noch im Entwurfsstadium vorliegen. Zu 3: Die Erfahrungen aus den Pilotprojekten zeigen, dass für das multifaktoriell bedingte Auftreten von Schwanzbeißen und Kannibalismus bei Schweinen neben dem Platzangebot und ausreichend geeignetem Beschäftigungsmaterial wie Stroh weitere Faktoren (z. B. das Sozialgefüge, ein guter Gesundheitsstatus , artgemäße und ausreichende Futter- und Wasserversorgung) entscheidend sind. Für alle Haltungsphasen gilt, dass den Grundbedürfnissen der Tiere hinreichend Rechnung getragen werden muss. Eine besonders kritische Phase für das Auftreten des Schwanzbeißens ist die Aufzucht. In diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit der betreuenden Personen, rechtzeitig Anzeichen für beginnendes Schwanzbeißen zu erkennen, von großer Bedeutung. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1726 Zu 4: Zur Diskussion steht lediglich eine Änderung im Untersuchungsdesign eines einzelnen Projektes. Aufgrund vermehrten Auftretens von Schwanzverletzungen ist der in das Projekt einbezogene Erzeugerbetrieb von der Facharbeitsgruppe Schweine des Tierschutzplans besucht und von den Mitgliedern der Facharbeitsgruppe Weiterentwicklungsbedarf zum Projekt aufgezeigt worden. Zu 5: Das Ziel des Verzichts auf das prophylaktische Schwänzekupieren ab 2016 ist bereits von der niedersächsischen Vorgängerregierung festgelegt worden. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland in der konventionellen Schweinehaltung üblicherweise die Amputation durchgeführt wird, wurde von der Europäischen Kommission gegen Deutschland ein Beschwerdeverfahren eingeleitet. Jüngst hat erneut die schwedische Regierung eine Umsetzung des geltenden EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten eingefordert, sodass standardmäßig bei keinen Ferkeln mehr der Eingriff erfolgt. Um Probleme durch Schwanzbeißen zu vermeiden, sind Beratung und Informationen im Hinblick auf eine Optimierung der Lebensbedingungen der Tiere und zur adäquaten Betreuung und Beobachtung der Tiere notwendig. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Sauen haltenden Betriebe, denn einheitliche und gesunde Ferkel, die unter den v. g. Bedingungen aufgezogen werden, sind die unabdingbare Basis für gesunde und nicht schwanzbeißende Mastschweine. Ferner ist nicht auszuschließen, dass angesichts des Mehraufwands vor allem für die Tierbetreuung und den damit verbundenen Kosten vor allem bei einer nicht einheitlichen Umsetzung des EU-Rechts Ferkel mit kupierten Schwänzen aus anderen Mitgliedstaaten und möglicherweise sogar mit entsprechend langen Transportstrecken aus Drittländern bezogen werden. Vor diesem Hintergrund strebt die Landesregierung an, dass künftig Tiere, bei denen nicht zulässige Amputationen vorgenommen worden sind, nicht in Deutschland gehalten werden dürfen. Zu 6: Schwanzbeißen und daraus resultierend Kannibalismus weisen auf eine Verhaltensstörung hin. Das Bedürfnis von Schweinen nach explorativem Schnüffeln und Wühlen gilt mit als eines der Hauptmotive für diese Störung. Schwanzbeißen kann Hinweis auf ein beeinträchtigtes Wohlergehen geben. Insofern sind die Haltungsbedingungen und das Management so zu gestalten, dass dieses Fehlverhalten möglichst nicht auftritt; ansonsten sind sofortige Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Das Schwanzbeißen geht mit einer Reihe pathologischer Veränderungen einher, die von kleinen Verletzungen der Haut bis hin zu Abszessen im Wirbelkanal oder Sepsis (Blutvergiftung) führen können. Solche Veränderungen können zu einem Minderwachstum oder, in ernsteren Fällen, zur kompletten Untauglichkeit des Schlachtkörpers führen. Zu 7: Bisher sind insgesamt Mittel in Höhe von 1 633 791,68 Euro in den Tierschutzplan Niedersachsen geflossen, davon 497 345,00 Euro für Projekte zum Ausstieg aus dem Schwänzekupieren. Zu 8: Tiergerechtheit, d. h. die Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Schäden und die Gewährleistung des Wohlbefindens von Tieren, hat in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zur Sicherstellung der Anforderungen des § 2 Tierschutzgesetz (z. B. angemessene Ernährung, Pflege, verhaltensgerechte Unterbringung und artgemäße Bewegung) sind aufgrund § 11 Abs. 8 Tierschutzgesetz von Tierhalterinnen und Tierhaltern im Rahmen der Eigenkontrolle geeignete tierbezogene Merkmale (Tierschutzindikatoren) zu erheben und zu bewerten. In der amtlichen Begründung wird dazu ausgeführt: „Ziel der tierschutzbezogenen betrieblichen Eigenkontrollen soll sein, eine Einschätzung des Wohlergehens der Tiere zum Beispiel anhand geeigneter Indikatoren wie etwa der Fußballengesundheit, der Mortalität oder 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1726 der Organbefunde am Schlachthof vorzunehmen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung zu planen und umzusetzen.“ Die Facharbeitsgruppe Tierschutzindikatoren des Tierschutzplans Niedersachsen hat entsprechend tierbezogene Indikatoren in Form von objektiven Prüfgrößen bestimmt, um mit vertretbarem Aufwand die Situation im Betrieb einzuschätzen und gegebenenfalls verbessern zu können. Tierschutzindikatoren werden gegenwärtig auch von anderen Institutionen erarbeitet, sodass es das Anliegen der Landesregierung ist, dass diese Aktivitäten gebündelt werden und valide Tierschutzindikatoren in der Praxis etabliert werden. Zu geeigneten Tierschutzindikatoren gehört beispielsweise der Antibiotikaeinsatz in Tierhaltungen. Seit dem 1. April 2014 ist das Antibiotika-Minimierungskonzept der 16. Arzneimittelgesetz-Novelle in Kraft getreten, das als Indikator die „Therapiehäufigkeit“ festgelegt hat. Ziel ist eine nachhaltige Verbesserung der Tiergesundheit und auf diese Weise eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes. Das Konzept wendet sich an alle berufs- und gewerbsmäßigen Halter von Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten, deren Tiere zur Fleischgewinnung (Mast) bestimmt sind. Die Umsetzung des Antibiotika-Minimierungskonzepts erfolgt in mehreren Stufen. Im Rahmen eines Benchmarkings soll eine Verbesserung der Tiergesundheit u. a. durch Hinzuziehung von Beratung durch den bestandsbetreuenden Tierarzt oder beispielsweise bei Nichtumsetzung von Maßnahmenplänen zur Optimierung der Tiergesundheit erforderlichenfalls durch behördliche Anordnungen (z. B. zur Reduzierung der Besatzdichte) erfolgen. Weitere geeignete Tierschutzindikatoren sind u. a. die Tierverlustrate, die Fußballengesundheit bei Nutzgeflügel oder Schlachthofbefunde, die gegenwärtig bereits im Rahmen der amtlichen Schlachttier - und Fleischuntersuchung erhoben werden. Die Etablierung von Tierschutzindikatoren ist am weitesten bei der Haltung von Masthühnern umgesetzt : Zu den für Masthühner geeigneten tierbezogenen Indikatoren zählen neben dem Antibiotikaeinsatz insbesondere die Fußballengesundheit, die Tierverlustrate und auf dem Transport vom Erzeugerzum Schlachtbetrieb verendete Masthühner. Diese Indikatoren sind inzwischen bundesweit zwischen den Ländern abgestimmt. In den größeren niedersächsischen Schlachtbetrieben wird die Fußballengesundheit von jedem geschlachteten Tier mittels eines kameragestützten Systems erfasst und die Ergebnisse den Tierhaltern wie auch zunehmend den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt. Dieses Verfahren wird gegenwärtig für einen Zeitraum von einem Jahr im Rahmen des Tierschutzplans Niedersachsen weiterentwickelt. Werden bei der Fußballengesundheit je nach Schweregrad der Veränderung bzw. Entzündung und je nach Häufigkeit des Auftretens von Fußballenveränderungen Schwellenwerte überschritten, sind mehrere Reaktionsstufen vorgesehen: Während in der ersten Stufe der Tierhalter informiert wird, damit er Maßnahmen zur Verbesserung (z. B. Beratung) einleiten kann, ist in der letzten Stufe (wiederholte Überschreitung) auch eine Meldung an die zuständige Veterinärbehörde vorgesehen. Diese kann erforderlichenfalls risikoorientierte Vor-Ort-Kontrollen durchführen und nach geltendem Tierschutzrecht beispielsweise Anordnung zur Verbesserung der Haltungsbedingungen (z. B. in Bezug auf die Einstreu) oder zur Besatzdichtereduzierung treffen. Zu 9: Die Kosten für die Durchführung der Eigenkontrollen unter Nutzung von Tierschutzindikatoren können derzeit nicht beziffert werden. Im Übrigen werden für Masthühner mit gesunden Fußballen von einigen Schlachtbetrieben Zuschläge gezahlt. Zu 10: Inwieweit mit der Etablierung von Tierschutzindikatoren Probleme und Schwierigkeiten verbunden sind, lässt sich derzeit noch nicht darstellen. Die Erfassung des Antibiotikaeinsatzes wie auch der Tierverluste in Nutztierhaltungen ist nach gegenwärtigem Arzneimittel- und Tierschutzrecht bereits verpflichtend. Als Tierschutzindikatoren ge- 4 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1726 eignete Schlachthofbefunde werden auch jetzt schon amtlicherseits erhoben. Das einschlägige EURecht sieht ebenfalls vor, dass Erkenntnisse aus der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Sinne des Tierschutzes Verwendung finden. Christian Meyer 5 (Ausgegeben am 10.07.2014) Drucksache 17/1726 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU), eingegangen am 26.05.2014 Tierschutzplan: Was wurde vereinbart, was wird umgesetzt? Antwort der Landesregierung