Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1781 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 05.06.2014 Diensttauglichkeitsuntersuchungen bei der Polizei - Verhältnismäßigkeit gewahrt? Die Diensttauglichkeitsuntersuchungen bei der Polizei gehören zum polizeilichen Alltag. Unlängst gerieten die Untersuchungen, besonders bezüglich möglicher Brustimplantate bei Polizistinnen, in die Kritik. Die Praxis bei Fahrtauglichkeitsuntersuchungen, Polizistinnen auch nach Brustimplantaten abzusuchen, wurde in Nordrhein-Westfalen bereits vom Innenministerium aufgehoben. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Vorschriften gelten für die Untersuchung von Polizistinnen und Polizisten bezüglich der Diensttauglichkeit und der Fahrtauglichkeit in Niedersachsen? 2. Wie lautet der genaue Inhalt dieser Vorschriften? 3. Wie ist der Ablauf bei einer typischen Diensttauglichkeitsuntersuchung und bei einer typischen Fahrtauglichkeitsuntersuchung? 4. Welche Körperbereiche sind in welcher Form bei diesen Untersuchungen betroffen? 5. In welcher Form werden die Geschlechtsteile beider Geschlechter untersucht, und mit welcher Begründung wird dies getan? 6. Inwiefern unterscheiden sich die Untersuchungspraktiken bei Diensttauglichkeitsuntersuchungen und Fahrtauglichkeitsuntersuchungen bei den beiden Geschlechtern, und wie werden die geschlechtsspezifischen Schamzonen berücksichtigt? 7. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass sowohl das individuelle Schamgefühl als auch die individuelle Privatsphäre bei den Polizistinnen und Polizisten berücksichtigt werden und zu keinem Zeitpunkt ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Intimsphäre stattfindet? (An die Staatskanzlei übersandt am 12.06.2014 - II/725 - 779) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 10.07.2014 für Inneres und Sport - 25.4 - Gemäß § 9 Abs. 2 Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) ist die gesundheitliche Eignung für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder in ein anderes Beamten- oder Beschäftigungsverhältnis mit dem Ziel der späteren Verwendung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit aufgrund einer ärztlichen Untersuchung festzustellen. Nach § 2 Niedersächsische Verordnung über die Laufbahnen der Fachrichtung Polizei darf in den Polizeivollzugsdienst nur eingestellt werden, wer polizeidiensttauglich ist. Die Polizeidiensttauglichkeit der Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeivollzugsdienst wird auf der Grundlage der Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ beurteilt. In diesen Vorschriften ist festgelegt, dass daraus resultierende Feststellungen auf der Grundlage einer ärztlichen Untersuchung zu erfolgen haben. Konkrete Vorgaben, wie die ärztliche Untersuchung zu erfolgen hat, enthalten diese Vorschriften nicht. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1781 Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit. Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der Bewerberinnen und Bewerber müssen dabei insbesondere die Verwendung im Außen- und (Wechsel -)Schichtdienst, den körperlichen Einsatz gegen Personen, die Anwendung unmittelbaren Zwangs und den Gebrauch von Waffen zulassen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst sind deshalb nach besonderen Maßstäben zu beurteilen. In der Anlage 1.1 der PDV 300 sind die Beurteilungsmaßstäbe und die die Polizeidiensttauglichkeit ausschließenden Merkmale festgelegt. Die Untersuchung auf Polizeidiensttauglichkeit dient dem Ausschluss beziehungsweise der Feststellung von Erkrankungen und Beeinträchtigungen, die Auswirkungen auf die Polizeidiensttauglichkeit haben könnten. In Niedersachsen werden die Untersuchungen von Polizeiärztinnen bzw. Polizeiärzten durchgeführt. In der PDV 300 ist geregelt, dass neben der Ärztin bzw. dem Arzt nur medizinisches Assistenzpersonal anwesend sein darf und die Bewerberinnen und Bewerber einzeln zu untersuchen sind. Der exakte Untersuchungsablauf ist nicht weiter festgelegt . Ein Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten kann gemäß § 43 NBG i. V. m. § 110 NBG eingeleitet werden. Die Dienstunfähigkeit ist aufgrund einer ärztlichen Untersuchung festzustellen; darüber hinaus können auch andere Beweise erhoben werden. Grundlage der ärztlichen Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit ist ebenfalls die PDV 300, wobei die altersbedingt eingetretenen Veränderungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie der seelischen Belastbarkeit bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind. Der Umfang der ärztlichen Untersuchung im Rahmen der Untersuchung zur Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit geht grundsätzlich nicht über den Untersuchungsumfang zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit hinaus, weshalb sich die folgenden Ausführungen auf den Untersuchungsumfang zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit beschränken. Voraussetzung für die Einstellung bei der Polizei Niedersachsen ist der Besitz der Fahrerlaubnis Klasse B. Eine erneute Fahrtauglichkeitsuntersuchung für die Klasse B wird bei Eintritt in die Polizei Niedersachsen nicht durchgeführt. Zum Führen bestimmter Polizeifahrzeuge ist darüber hinaus für eine begrenzte Anzahl von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte die Erlangung weiterer Fahrerlaubnisklassen erforderlich. Insofern sind Fahrtauglichkeitsuntersuchungen durchzuführen . Das Führen von Dienstkraftfahrzeugen der Polizei Niedersachsen ist in der „Richtlinie zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen der Polizei Niedersachsen (Dienstfahrerlaubnis-Richtlinie)“ geregelt. Grundlage dieser Richtlinie ist die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV). Gemäß § 11 Abs. 5 FeV gelten für die Durchführung der ärztlichen Untersuchung sowie für die Erstellung des entsprechenden Gutachtens die in der Anlage 4 a FeV genannten Grundsätze. Die Untersuchung ist danach anlassbezogen und unter Verwendung der von der Fahrerlaubnisbehörde zugesandten Unterlagen über den Betroffenen vorzunehmen . Die Gutachterin bzw. der Gutachter hat sich an die durch die Fahrerlaubnisbehörde vorgegebene Fragestellung zu halten. Gegenstand der Untersuchung sind nicht die gesamte Persönlichkeit der/des Betroffenen, sondern nur solche Eigenschaften, die für die Kraftfahreignung von Bedeutung sind (Relevanz zur Kraftfahreignung). Die Untersuchung darf nur nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen werden. Der Untersuchungsablauf ist, außer für die Durchführung des Sehtestes, nicht weiter festgelegt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Siehe Vorbemerkungen. Konkrete Vorgaben, wie die ärztliche Untersuchung zu erfolgen hat, enthalten diese Vorschriften bis auf die Festlegung der Durchführung des Sehtestes in der FeV nicht. Zu 2: Siehe Vorbemerkungen und Antwort zu Frage 1. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1781 Die Beurteilungsmaßstäbe und die die Polizeidiensttauglichkeit ausschließenden Merkmale der PDV 300 beziehen sich auf Vorerkrankungen; Allgemeinstatus; Endokrines System; Haut; Skelettsystem und Bewegungsorgane; Augen; Ohren; Mundhöhle und Halsorgane; Kreislauforgane; Atmungsorgane ; Baucheingeweide und Geschlechtsorgane; Psychisches Verhalten; Nervensystem. Die Untersuchung zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit dient dem Ausschluss beziehungsweise der Erfassung von Erkrankungen und/oder Beeinträchtigungen, die Auswirkungen auf die Polizeidiensttauglichkeit haben könnten. Bewerberinnen und Bewerber um eine Fahrerlaubnis haben sich gemäß der FeV einem Sehtest zu unterziehen. Entsprechend der beantragten Fahrerlaubnisklasse sind die zu erfüllenden Anforderungen , die in der Anlage 6 der FeV festgelegt sind, unterschiedlich. Für die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung müssen sich die Bewerberinnen und Bewerber zur Klärung der Frage, ob u. a. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Blutes, der Nieren, des Nervensystems, des Gehörs oder der Psyche vorliegen, die die Eignung oder die bedingte Eignung ausschließen, einer orientierenden Untersuchung unterziehen. Erhoben wird in diesem Zusammenhang insbesondere die gesundheitliche Vorgeschichte hinsichtlich die Fahrfähigkeit einschränkende Krankheiten oder Unfälle. Außerdem werden die Größe, das Gewicht, die Blutdruck- und Pulswerte bestimmt sowie eine Überprüfung der Hörleistung und eine Untersuchung des Urins auf Eiweiß und Zucker durchgeführt . Des Weiteren müssen Bewerberinnen und Bewerber für die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung besondere Anforderungen hinsichtlich der Belastbarkeit, der Orientierungsleistung, der Konzentrationsleistung , der Aufmerksamkeitsleistung und der Reaktionsfähigkeit erfüllen. Zu 3: Eine typische Untersuchung zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit beinhaltet die Erhebung der Krankengeschichte, eine körperliche Untersuchung, die Messung der Größe und des Gewichtes , die Blutdruck- und Pulsmessung, Laboruntersuchungen, die Anfertigung eines Ruhe-Elektrokardiogramms , die Durchführung einer Ergometrie, einer Lungenfunktionsprüfung, eines Sehtestes und eines Hörtestes. Eine typische Fahrtauglichkeitsuntersuchung beinhaltet die Durchführung eines Sehtestes. Bei der Untersuchung zur Erlangung oder Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erfolgen die Messung der Größe , des Gewichtes, des Blutdrucks, der Pulsfrequenz, eine Überprüfung der Hörleistung, eine Untersuchung des Urins auf Eiweiß und Zucker sowie die Erhebung der Vorgeschichte hinsichtlich die Fahrfähigkeit einschränkende Krankheiten oder Unfälle. Eine orientierende körperliche Untersuchung zum Ausschluss von u. a. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Blutes, der Nieren , des Nervensystems, des Gehörs, der Psyche und gegebenenfalls technische Untersuchungen beziehen sich insbesondere auf anamnestisch angegebene Erkrankungen und Beeinträchtigungen, die die Fahrfähigkeit einschränken könnten. Des Weiteren wird bei Bewerberinnen und Bewerbern für die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung eine Psychometrie zur Beurteilung der Belastbarkeit, der Orientierungsleistung , der Konzentrationsleistung, der Aufmerksamkeitsleistung und der Reaktionsfähigkeit durchgeführt. Zu 4: Bei der Untersuchung zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit erfolgt grundsätzlich eine orientierende Untersuchung des ganzen Körpers durch die Polizeiärztin oder den Polizeiarzt, soweit das zur Beurteilung der in der PDV 300 enthaltenen Maßstäbe und die Polizeidiensttauglichkeit ausschließenden Merkmale erforderlich ist. Untersucht werden insbesondere die Haut; das Skelettsystem und die Bewegungsorgane, die Augen; die Ohren; die Mundhöhle und die Halsorgane; die Kreislauforgane; die Atmungsorgane; die Baucheingeweide, das Nervensystem und bei Männern die Hoden. Bei der Fahrtauglichkeitsuntersuchung erfolgt eine Untersuchung der Augen. Bei der Untersuchung zur Erlangung oder Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung werden insbesondere das Herz-Kreislauf-System und 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1781 die Ohren untersucht. Abhängig von anamnestisch angegebenen Erkrankungen und Beeinträchtigungen , die die Fahrfähigkeit einschränken könnten, kann sich die Untersuchung auch auf weitere Körperbereiche beziehen. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 3. Zu 5: Bei Bewerbern erfolgt im Rahmen der Untersuchung zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit eine Palpation der Hoden, da sowohl Bauch- oder Leistenhoden als auch ein Verlust beider Hoden gemäß der PDV 300 Merkmale sind, die zu einer Polizeidienstuntauglichkeit führen können. Bei Bewerberinnen erfolgt im Rahmen der Untersuchung zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit eine visuelle, orientierende Inspektion der Brust, u. a. nach Narben als Anzeichen für durchgeführte Operationen, da Brustimplantate gemäß der PDV 300 zu einer Polizeidienstuntauglichkeit führen können. Bei anamnestischen Erkenntnissen auf das Vorliegen von Erkrankungen der Geschlechtsorgane, die einer Polizeidiensttauglichkeit entgegen stehen könnten, wird um die Vorlage entsprechender fachärztlicher Befunde gebeten. Zu 6: Im Rahmen der Fahrtauglichkeitsuntersuchung erfolgt bei beiden Geschlechtern keine Untersuchung der Geschlechtsteile, somit auch keine Untersuchung der weiblichen Brust. Ansonsten siehe Vorbemerkungen und Antworten zu den Fragen 4 und 5. Zu 7: Die Untersuchungen zur Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit bei Bewerberinnen werden grundsätzlich, soweit personell darstellbar, von Polizeiärztinnen und bei Bewerbern grundsätzlich, soweit personell darstellbar, von Polizeiärzten durchgeführt. Wünsche der Bewerberinnen und Bewerber hinsichtlich der Untersuchung durch eine Polizeiärztin oder einen Polizeiarzt werden grundsätzlich berücksichtigt, ebenso der Wunsch nach Anwesenheit z. B. einer Medizinischen Fachangestellten während der Untersuchung. Während der, wie in der Antwort zu Frage 4, beschriebenen orientierenden körperlichen Untersuchung behalten die Bewerberinnen und Bewerber die Unterhose an. Bewerberinnen können während der Durchführung der Ergometrie grundsätzlich leichte Oberbekleidung tragen. Die vorstehenden Ausführungen gelten grundsätzlich, soweit hier überhaupt einschlägig, auch für Fahrtauglichkeitsuntersuchungen. Boris Pistorius 4 (Ausgegeben am 23.07.2014) Drucksache 17/1781 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 05.06.2014 Diensttauglichkeitsuntersuchungen bei der Polizei - Verhältnismäßigkeit gewahrt? Antwort der Landesregierung